Samstag, 10. September 2011

Im Louisiana Kid in Berlin

Gestern war ich im Louisiana Kid in der Alten Schönhauser Straße. Beinahe hätten mich die schlechten Kritiken im Internet davon abgebracht: aufgewärmte Fertigprodukte, lustlose Bedienung, lärmende Touristen aus dem dazugehörigen Hostel, heißt es dort. Tatsächlich ist das Restaurant unten im Wombat’s Hostel (was ein australisches Nagetier ist) und teilt sich mit diesem die Toilette. Als wir gegen halb sieben ankamen, waren wir fast die ersten, und dann füllte sich das Restaurant sehr gemächlich. Die Einrichtung ist gediegen: dunkle Holztische und –stühle, ein paar dunkelgrüne Dinerbänke, viele Fotos, atmosphärisches Licht. Die aubergine-dunklen, zur Seite gerafften Vorhänge erinnern an reichere louisianische Häuser, waren aber zu durchsichtig, um echte Hitze und Sonne abzuhalten. 
Wir bestellten Wein, weil es kein louisianisches Bier gab und die Cocktails recht teuer waren. Und zu speisen: CREOLE CREAMED SPINACH (Lauwarmer Blattspinat in leichter Dijon-Senf-Sahnesauce mit Bananenscheiben und gerösteten Sonnenblumenkernen“) für 7,20 € und BLACKENED CATFISH („Landestypisch, in einer etwas schärferen Gewürzmischung, dunkel gebratener, amerikanischer Wels mit Süßkartoffelpüree und mildem Bananendip“) für 12,80 €. Das Warten hätten wir uns mit etwas pappigem Weißbrot und Becel-Diätmargarine aus kleinen Hotelportionierungen vertreiben können. 
Als das Essen kam, war es schon irgendwie exotisch, aber wie erwartet nicht besonders authentisch. Dabei ist es natürlich schwierig, woanders, wo die Zutaten immer anders sind, wie zu Hause kochen oder backen zu wollen. Und doch: Schon die Kombinationen klingen ungewöhnlich: Bananen? Stimmt, die wachsen in Louisiana, werden aber nie zum Essen reif. Dijon-Senf? Ja, gibt’s dort auch im Supermarkt. Süßkartoffelpüree? Isst man in den ganzen USA zu Thanksgiving, ist aber nicht besonders typisch für den Süden. Der Spinat schmeckte vor allem senfig und der Fisch nach Marjoran. Meine Begleitung meinte, es schmecke, als wenn sich ein paar Studenten überlegt hätten, mal was Anderes auszuprobieren. Etwas bestärkt in dieser Ansicht hat mich auch die Erklärung auf der Speisekarte, dass man die Cajuns auch als Kreolen bezeichnen könnte, aber diesen Unterschied werde ich ein andermal erklären.
Nach dem Essen habe ich die Fotos an den Wänden studiert, aus Neugier, was man mit Louisiana so assoziiert. Es waren durchweg historische Fotos und durchweg von Schwarzen (dabei sind die Cajuns ja europäischer Abstammung). Sehr viele Musiker, meist arm aussehend, darunter auch eine Beale Street Band (wobei die Beale Street in Memphis, Tennessee, ca. 5-6 Stunden entfernt, liegt und als Geburtsstätte des Blues gilt). Eine Wand war vor allem Fotos von Malcolm X, Martin Luther King und Muhammad Ali vorbehalten, Ikonen der Bürgerrechtsbewegung, die aber nichts mit Louisiana zu tun haben, außer das Muhammad Ali mal in New Orleans geboxt (und gewonnen) hat. Nur auf der einen Wand war eine kleine Singlehülle von Louis Armstrong und seinen Hot Five. Ach, und die Musik im Restaurant war zurückhaltend und unbestimmt bluesig.
Der Name Louisana Kid sagt mir erst einmal nichts. Vielleicht ist es eine Abwandlung von Kid Creole, einem Restaurant in Friedrichshagen, oder man kocht nach dem Kinderkochbuch Louisiana Kid's Cookbook: Recipes, How-To, History, Lore & More! von Carole Marsh, das es mal gegeben haben muss?
Und doch ist dies kein Verriss, denn der Abend war nett und das Ambiente angenehm. Besonders reizvoll ist, dass das Restaurant ca. 20-30 Zentimeter tiefer als der Bürgersteig liegt und und die Fenster bis auf diesen reichen, durch die man einen lautlosen, meditativen Blick auf den Freitagabendverkehr mit den strahlenden Ampeln hat. Ein Hund kam auch und schnüffelte ausgiebig vor unserem Fenster.
Also, für eine Phantasiereise in eine Karl-May-mäßig phantasierte, exotische Welt mitten in Berlin ist das Louisiana Kid allemal gut. 

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