Freitag, 30. September 2011

Truman Capote zum Geburtstag

Heute ist der Geburtstag des Schriftstellers Truman Capote (sprich: Kapoti), der 1924 in New Orleans geboren wurde (gestorben 1984). Bekannt ist er vor allem für seine Novelle Frühstück bei Tiffany (Breakfast at Tiffany’s, 1958) in der Verfilmung von 1961 mit der zauberhaften Audrey Hepburn und dem zauberhaften New York. Holly Golightly wird in dem Film als zartes, unbekümmertes Lebemädchen gezeigt, doch in der wesentlich längeren Novelle klingen für mich (und bei wenigstens noch einer anderen Rezensentin) auch ein paar Tiefen und eine kindliche Missbrauchsgeschichte an, die der Film ausspart.
Einige Jahre später schrieb Capote Kaltblütig (In Cold Blood, 1966), einen Tatsachenroman über das Massaker an einer Familie im ländlichen Kansas, und schuf damit ein neues Genre, das der nichtfiktionalen Fiktion. Über die Arbeit an dem Buch gab es vor einigen Jahre zwei Filme Capote (2005) und Infamous (Kaltes Blut: Auf den Spuren von Truman Capote, 2006).
Aufgewachsen ist Truman Capote vor allem in Monroeville, Alabama, das seine Busenfreundin Harper Lee in ihrem einzigen Roman Wer die Nachtigall stört (To Kill a Mockingbird, 1960) verewigt hat.
Obwohl Capote später in New York lebte und dort ein divenhaftes Leben führte, kehrte er nach New Orleans zurück, auch literarisch. Die Kurzgeschichte „Musik für Chamäleons“ (Music for Chameleons, 1980) in dem gleichnamigen Band zeichnet ein liebenswürdiges Porträt einer Dame in New Orleans zur Karnevalszeit, sein schwerer, „gotischer“ autobiografischer Roman Andere Stimmen, andere Räume (Other Voices, Other Rooms; 1948) beginnt dort, auch in dem Band Wenn die Hunde bellen (The Dogs Bark, 1973) und anderen geht es immer wieder um New Orleans. In den letzten Jahren sind einige seiner Bücher wieder auf Deutsch aufgelegt worden, bei Kein & Aber und bei Goldmann. Klassiker!

Donnerstag, 29. September 2011

Tennessee-Williams-Jahr?

In Berlin war dieses Jahr eine Art inoffizielles Tennessee-Williams-Jahr zum 100. Geburtstag des Dramatikers. Thomas Lanier Williams (1911-1983) wuchs in Columbus, Mississippi, auf—dem, was eigentlich mit dem „tiefen Süden“ gemeint ist. Er studierte in St. Louis, Missouri, und begann dort zu schreiben. Er nannte sich Tennessee, weil die Familie väterlicherseits von den ersten Pionieren dort abstammte und vermachte später sein Erbe an die Alma Mater seines Großvaters in Sewanee, Tennessee. Doch als er 1939 nach New Orleans kam, sollte ihn die Stadt nie mehr loslassen und wurde Schauplatz seiner bekanntesten Stücke. Hier blühte er auf, fand seine Stimme, begann seine Homosexualität offen zu leben, wurde weltberühmt.
Das English Theatre in Berlin zeigte im Frühjahr Summer and Smoke (Sommer und Rauch, 1948) mit der beeindruckenden Carrie Getman als Alma Winemiller, Tochter eines Pastors (wie auch TWs Großvater). Sie gab ganz passend die propere Debütantin und southern belle (Südstaatenschönheit), bei der es unter dem zarten Teint brodelt und deren Liebe nicht stattfinden kann, weil der lebensfreudige Dandy ihr nichts entgegenzusetzen hat (und ein bisschen galt das auch für die Inszenierung). 
Im Berliner Ensemble lief Endstation Sehnsucht (A Streetcar Named Desire, 1947) in der Regie von Thomas Langhoff, die Geschichte zwischen Blanche und Schwager Stanley und ihrer jüngeren Schwester Stella. Es spielte Dagmar Manzel, die für meine Begriffe zu viel „manzelt“. Vages New-Orleans-Gefühl mit einer kleinen Band, aber das Ganze irgendwie bemüht, unglaubwürdig, seltsam unberührend.
Und dann war da noch Die Glasmenagerie (The Glass Menagerie, 1944) im Maxim-Gorki-Theater, in der Inszenierung von Milan Peschel, wo sich eine tragische Konstellation aus Bruder, behinderter Schwester, neurotischer Mutter in purem Slapstick, Klamauk und Siebziger-Jahre-Design auflöste.
Die Stücke und ihre Figuren sind verschroben, schmerzlich und zutiefst wahr. Vor allem die intensiven Frauenfiguren haben eine Dringlichkeit, einen existentiellen Schmerz, der sie an den männlichen Figuren scheitern lässt. Und auch New Orleans, das sonst meist für Ausschweifungen und Frohsinn steht, ist in diesen und anderen Stücken von Tennessee Williams eine weltschmerzende Dame.
Doch zeigen uns die deutschen Aufführungen nicht, was uns der Dichter heute und hier zu sagen hat. Dabei gibt es noch immer Frauen und Männer, die mit sich, mit einander, mit der Welt kämpfen. Und New Orleans, wo Endstation Sehnsucht und Die Glasmenagerie spielen, ist in den letzten Jahren auf besondere Weise ins Bewusstsein der Welt gerückt. Eine gut gemeinte und doch halbherzige Hommage? 


In New Orleans ist übrigens jedes Jahr Tennessee-Williams-Jahr. Seit 1987 findet Ende März immer das Tennessee Williams Literary Festival im French Quarter statt, mit Lesungen, Vorträgen, Theater und verschiedenen Wettbewerben: Der Lyrik-Wettbewerb für das nächste Jahr ist schon geschlossen, aber für Belletristik und Einakter sind Einreichungen noch bis zum 15. bzw. 1. November möglich. Es winkt die VIP-Teilnahme am nächsten Festival (21. bis 25. März 2012), Flug, Übernachtung im French Quarter...

Montag, 26. September 2011

Kleiner Nachruf auf einen Führerschein

Meine Louisiana Personal Driver’s License läuft heute ab und das erfüllt mich mit Wehmut, denn ich habe seit 1992 immer amerikanische Führerscheine gehabt, erst kurz Ohio und dann Louisiana. Der louisianische Führerschein ist viel farbenfroher als unserer und vor allem ist er bei einem Aufenthalt in den USA sehr nützlich. Ich kann damit nicht nur Auto fahren, es ist auch viel leichter ein Auto zu mieten und wenn ich doch mal von der Polizei angehalten werde, erkennen sie gleich, wen sie vor sich haben, während sie mit Reisepässen und fremdländischen Dokumenten schnell überfordert sind. Der Führerschein funktioniert ja in den USA als Personaldokument, da es keine Meldepflicht und keine Ausweise gibt, und so ist es auch bei Inlandflügen und anderen Gelegenheiten schneller und bequemer oder entscheidend, falls man immer noch zu jung für den Alkoholerwerb geschätzt wird. Er gilt ein paar Jahre (dieser seit 2007), immer bis zum Geburtstag, und kann vor Ort problemlos mit einem neu geschossenen Foto verlängert werden.
Der weiße, kreditkartenförmige Untergrund ist mit blauer Schrift und Hintergrundskizze des State Capitol in Baton Rouge verziert, einem Zwanziger-Jahre-Bau, der ein bisschen an das Dom Kultury in Warschau erinnert. Auf der Karte steht natürlich das Geburtsdatum, die Größe, die ich irgendwann mal in Fuß und Inches geschätzt habe, ebenso wie das Gewicht (in Pfund), und das Geschlecht. Rechts oben meine Unterschrift und Don’t Drink and Drive (Nicht trinken und fahren) und Don’t Litter Louisiana (Verschmutze Louisiana nicht). 
Das liebenswürdigste Detail ist für mich das winzige rote Herz, das bei mir in der Spalte „Donor“ (Spender, also Organspender) steht. Dadurch entsteht die Farbkombination Rot-Weiß-Blau, die für die USA und für Frankreich steht. Kann man deutsche Personaldokumente so lieben? 
Mein louisianischer Führerschein ist ab heute nur noch ein nostalgisches Stück Plaste; ich bin wieder hier, gern, und meine Organe sind auch alle dabei. Aber so ein winziges rotes Herz, das ist doch in Louisiana geblieben...

Freitag, 23. September 2011

Das Sousaphon

Musik ist in New Orleans überall und meistens wird sie geblasen. Von Anfang an gehörte die Tuba dazu, auch beim Jazz. Als sich aber der Jazz in andere Städte ausbreitete, wurde die Tuba durch den Kontrabass abgelöst. Doch in New Orleans ist sie geblieben. Mit der Tuba, so heißt es bei NPR (hier, mit Musikbeispielen), ist es schwieriger, eine klare Basslinie zu spielen, denn die Tuba blubbert und pumpt eher, als dass sie konturiert.
Eine Tuba lässt sich allerdings viel besser im Gehen spielen als ein Kontrabass. Überhaupt kann man mit Blasinstrumenten, die für den Jazz so typisch sind, gut gehen oder marschieren. Oder die Straße entlang tänzeln: zum Karneval, bei jazz funerals (Jazzbeerdigungen) und zu vielen anderen Anlässen. Und dahinter tanzen die Leute dann in der second line (der zweiten Reihe).
Da aber Tubas wegen ihrer Größe sehr unhandlich sind, erfand der amerikanische Komponist John Philip Sousa (1854-1932) das Sousaphon. Das tat er zwar nicht für Jazzbands, sondern für die Kapellen und Musikkorps des Militärs, für die er seine Musik komponierte. Aber der Jazz entstand ja überhaupt aus der Zweckentfremdung der Instrumente, die sich die europäischen Einwanderer mitgebracht hatten, um brav ihre Märsche zu spielen.
Anders als eine normale Tuba schlingt sich das Sousaphon wie eine Python um den Oberkörper des Spielers. Der größere Röhrendurchmesser sorgt für einen wärmeren Klang und der große, nach vorn gerichtete Schallbecher bringt diesen besser ins Publikum. Das Sousaphon ist typisch für den Sound von New Orleans.
Die vielköpfige Rebirth Brass Band, die Dirty Dozen Brass Band (mit wohl 12 Musikern) , die Hot 8 Brass Band (mit 8) klingen nicht so präzise und ordentlich wie herkömmliche Jazzbands, sondern immer live. Auch Bonerama macht Funk-Rock mit Bläsern. Diese Blasbands mit ihren wilden Bläsern und Trommlern, und natürlich mit Sousaphon, werden in New Orleans heiß und innig geliebt und spielen ihre unbändige Mischung aus Jazz, Funk, Soul, Hip Hop regelmäßig dort vor ihrem Publikum, zum Beispiel im Maple Leaf. Als die Rebirth Brass Band bei der Wiedereröffnung des Contemporary Arts Center nach Katrina im Winter 2006 spielte, da schien es, als ob alles vielleicht doch wieder gut wird. Denn beide, Rebirth und das CAC sind New Orleanser Institutionen und für die Einheimischen Symbol und gelebte Kultur.
Übrigens gibt es hier in Europa, neben diversen Feuerwehrkapellen, auch Roma- oder Balkankapellen, die vor allem Blech blasen und dabei gehen und tanzen. Einige von ihnen, so die Fanfara Kalashnikov, spielen auch nicht einfach Tuba, sondern Sousaphon. Und so rufe ich ins Universum: Dankeschön, Herr Sousa!

Donnerstag, 22. September 2011

24. September 2011: Museum Day

Diesen Sonnabend schon was vor? 
Das Smithsonian Magazine, die Zeitschrift der Smithsonian Institution in Washington, D.C., in eigenen Worten der „weltgrößte Museums- und Forschungskomplex mit 19 Museen, 9 Forschungszentren und mehr als 140 angeschlossenen Museen auf der ganzen Welt“,  lädt zum 6. Jährlichen Museumstag
1.500 Museen und Kultureinrichtungen im ganzen Land nehmen teil. Und das funktioniert so: Man sucht sich einfach das passende Museum aus, lädt sich die kostenlose Eintrittskarte für zwei herunter und geht hin. In New Orleans sind dieses Mal acht Museen dabei.
Im French Quarter:
Möglicherweise das einzige Voodoo-Museum der Welt. Voodoo wird als Religion, als Aberglaube, als Folklore aber auch als Pop und Kommerz dargestellt. Ich erinnere mich, dass es klein und ein bisschen unheimlich ist und dass man angebliche gris-gris kaufen kann, aber ob sie wirken?
Ein 1966 aus einer privaten Sammlung entstandenes historisches Museum und Forschungszentrum. Die aktuelle Ausstellung dokumentiert die 200 Jahre Louisiana als Bundesstaat, die nächstes Jahr im April gefeiert werden. 1812 trat Louisiana als 18. Staat der Union bei.
Im Warehouse District:
Ein sehr lebendiges Allround-Kunstzentrum mit vielen Veranstaltungen in einem wunderschönen restaurierten Backsteinbau. Seit seinem Bestehen 1976 hat es das ganze Viertel wiederbelebt, das jetzt ein Kunstviertel mit vielen Galerien ist. Bis Sonntag laufen im CAC noch drei Ausstellungen: Malereien und Zeichnungen von Brooke Pickett, einer in New Orleans lebenden jungen Künstlerin, die Klanginstallation Drip: the Music of Water in New Orleans und eine Ausstellung von früher Kunst von Tina Girouard (die aus nach New York ging und dort beim Post-Minimalismus und der Pattern und Design-Bewegung mitwirkte) und Robert Gordy (der in New Orleans lebte und 1866 starb).
Ein Museum für Südstaatenkunst, direkt gegenüber vom CAC, so als Kontrast. Modernes schönes Gebäude mit interessanten Sammlungen und Ausstellungen. Jeden Donnerstag Abend von 18-20 Uhr gibt es Ogden after hours, eine Veranstaltung mit Musikern aus den Südstaaten und Interview eines Historikers. Man kann Musik hören, ein Glas Wein trinken und im ganzen Haus herumwandern, wenn ich mich recht erinnere, auch auf's Dach. Heute Abend spielt der New Orleanser Musiker Paul Sanchez Begründer der Band Cowboy Mouth
Laut U.S. Family Travel Guide das beste Kindermuseum des Landes und “#1 attraction for Child Appeal”, also auch wirklich was für Kinder, ich war dabei! Feiert dieses Jahr sein 25-jähriges Bestehen; letzten Sonnabend gab es eine große Party mit einer Second Line durch das ganze Haus. Es gibt einen Mini-Hafen von New Orleans, ein Kindercafé, man kann in riesige Pupillen eintreten und sehen, wie das Auge funktioniert, und mehr.
Ein Museum zu Essen und Getränken in den Südstaaten. Derzeit gibt es eine Ausstellung über Zucker (und Zuckerrohr, das ja in Louisiana weitläufig angebaut wird) und über das Gourmetrestaurant Galatoire’s.
Ein Museum zum Zweiten Weltkrieg. Morgen, am 23. September, gibt es dort ein Konzert mit der Victory Big Band zum Thema Glenn Miller: in the Mood. 

Ein Kulturzentrum mit Museum, das die beträchtliche Einwanderergruppe aus Italien und ihre Kultur und Geschichte dokumentiert. Sprachkurse, eine Bibliothek, Vorträge (z.B. zur Oper), man kann Bocce lernen und mehr. Es befindet sich im Central Business District (CBD) in der Nähe der Piazza d’Italia (1978 von Charles Moore).  

Mittwoch, 21. September 2011

Wetter

New Orleans, das habe ich schon als Kind festgestellt, als ich mit dem Finger den Globus entlang fuhr, liegt ungefähr auf dem gleichen Breitengrad wie Kairo. Die Sonnenunter- und -aufgänge sind Minutensache. Im Sommer sind die Tage nur etwas länger als im Winter.
Das Klima ist subtropisch, also fast immer sehr feucht. Von April bis Oktober, so habe ich es in Erinnerung, ist es heiß, und es gewittert ab und zu, immer sintflutartig. Die Nächte sind lau, „balmy“. Ich liebe es, mit nackten Armen und Beinen herumlaufen zu können. Auch mir ist es manchmal einen Deut zu heiß, aber dann denke ich an das frische Berlin und bin einfach nur froh. Ich bin die große Ausnahme, denn ich komme fast ohne Klimaanlage aus und ich schlafe blendend, wenn ich keine Decke und kein Nachthemd brauche. 
Die Winter erkennt man am anderen Licht. Die Sonne steht tiefer und sieht kalt aus. Das Wetter verläuft dann in Zyklen von 5-7 Tagen. Es ist relativ kühl und sehr trocken, was in den schlecht isolierten und schlecht beheizbaren Holzhäusern schwierig ist. Dann wird es im Laufe der Tage immer wärmer und schwüler. Und schließlich, wenn es wieder richtig warm und feucht ist, entlädt sich das Ganze in einem enormen Gewitter. Dann wird es wieder kühl und der Zyklus beginnt von Neuem. In Baton Rouge und Donaldsville, nordwestwärts den Mississippi hinauf, ist es immer circa einen Grad kälter als in New Orleans.
Auch in New Orleans beklagt man sich oft über das Wetter, weil es zu heiß und zu schwül sei. Nur ich bin dann still und vergnügt. Berlin hat heute schon den zweiten oder dritten strahlenden Altweibersommertag, also will ich nicht meckern. Aber sonst... 
Die Wettervorhersage für heute:
Es ist jetzt ca. 5 Uhr morgens dort, bei 73° Fahrenheit (23°C), gefühlten 78° (25°C) und einer Luftfeuchtigkeit von 93%. Es ist bewölkt. Erwartet werden ca. 84° (29°C), bei gefühlten 95° (35°C), es soll heiter werden und die Feuchtigkeit im Laufe des Tages abnehmen. Sonnenaufgang 6.48 Uhr, Sonnenuntergang 18.58 Uhr.

Sonntag, 18. September 2011

Down By Law von Jim Jarmusch (1986)

New Orleans ist eine Stadt der Phantasie, und es ist eine Stadt in der Phantasie. Sie eignet sich hervorragend für Projektionen und bietet eine beliebte Szenerie für Filme aller Art. Auch und vielleicht besonders nach Katrina, wo die Zahl an Dokumentarfilmen Weltspitze sein dürfte. Ansonsten sind es oft Krimis mit korrupten und lasterhaften Detektiven, Verschwörungen und Voodoo, Karneval, Sex, Drogen, Jazz—gängige Klischees werden ungern weggelassen. Eine wohltuende Ausnahme: die Fernsehserie Treme.
Eine Ausnahme der ganz anderen Art ist der Film Down By Law, den ich jetzt wieder gesehen habe. Für Regisseur Jim Jarmusch bedeutete dieser Film damals den internationalen Durchbruch und er ist, ich habe es mir ungläubig bestätigen lassen, sogar bis in die DDR durchgebrochen, wo wir ihn im Babylon das erste Mal gesehen haben. Wenn man noch mit Schwarz-Weiß-Fotos aufgewachsen ist und die sowjetischen Kunstfilme der Zeit kannte, dann war die Schwarz-Weiß-Ästhetik gar nicht so außergewöhnlich. Und sie ist es doch. Überhaupt ist ein Arthouse-Film über New Orleans und Südlouisiana äußerst außergewöhnlich.
Ein paar Klischees finden sich auch. John Lurie spielt einen Zuhälter und die Frauen in New Orleans sind hübsch und sie sind Nutten; es gibt fiese, hinterhältige Polizisten und Gauner, die den Gauner übers Ohr hauen. Aber das war es dann fast. Tom Waits ist ein Radio-DJ, dem immer gekündigt und der von seiner Freundin auf die Straße gesetzt wird. Und zum Glück bleibt es nicht bei den beiden missgelaunten, sich ständig kabbelnden Helden, denn Roberto Benigni taucht auf und ist wie immer: überschäumend, fröhlich, komisch.
Auch Jim Jarmusch (der vor dem Drehen noch nie in New Orleans war) projiziert, doch er tut es offensichtlich und kunstvoll. Robby Müllers schwindelerregende, verwischte Kamerafahrten führen durch eine fast menschenleere, verfallende, morbid-schöne Stadt. Die Sonne scheint, doch der Winterhimmel ist kalt. Sogar einige der Housing Projects (Sozialwohnprojekte), die jetzt abgerissen werden sollen oder es schon sind, sind malerisch verfremdet. Und wir sind nicht im filmisch abgegrasten French Quarter, sondern in den Wohnvierteln daneben, im Marigny zum Beispiel, wo Tom Waits an der verlassen aussehenden Commercial Trust and [Savings Bank] vorbeiwankt. (Wobei sich das Marigny seit damals ziemlich belebt hat.)
Es gibt weitere Einsprengsel von Realität: Tom Waits erwähnt die Radiosender WWOZ (den hörergesponsorten, legendären Jazzsender) und WYLD (einen R & B-Sender); die drei Hauptfiguren sitzen im Orleans Parish Prison (im städtischen Gefängnis) ein, wo sich die Schauspieler übrigens über Nacht haben einschließen lassen. Es ist dasselbe Gefängnis, wo während Katrina die Gefangenen sich selbst überlassen waren und wo Ashley Hunt Nachforschungen darüber anstellte.
Die Szenen sind kammerspielartig, jedes Bild ein Tableau und in ihrer Dramatik mit einem Hauch Tennesse Williams. Selbst die Sümpfe, wo die drei tagelang herumirren, sind seltsam ausgestorben. Tom Waits erzählt zwar von den Gefahren: Schlangen! Insekten! Alligatoren!, aber es sind nicht einmal Vögel zu sehen, die unweigerlich dort herumstehen, und keine erbarmungslosen Mücken.
Und doch ist das die Stärke des Films. Zwar spricht Tom Waits im Interview auch über seine Anziehung zu New Orleans als Geburtstätte der amerikanischen Musik und so weiter. Doch im Film ist es nur der exotische Hintergrund für eine kleine Geschichte, die nicht mehr sein will als eine kleine Geschichte. Ein charmanter Film, wo man sich an der Kulisse erfreuen und trotzdem keinen ganz falschen Eindruck bekommen kann. 

Freitag, 16. September 2011

Essen: Ein Glossar

Die Einträge beziehen sich auf „No Reservations oder Essen“ vom 1. September. Einige Erklärungen basieren auf dem Kochbuchheftchen Cookin' with Coop von Coop’s Place, 1109 Decatur Street im etwas abgelegeneren Ende des French Quarters. Rustikales, relativ preiswertes Restaurant mit einheimischer Küche und sehr schmackhaft.
Blackened: Meistens Fisch in Gewürzen paniert und dann sehr heiß und kurz gebraten, so dass es innen zart und saftig bleibt. Scharf! Und sieht schwarz aus. Typisch für die Cajun-Küche.
Boudin (sprich Budän – möglichst mit französischem Nasal): Cajun-Wurst aus Reis, Fleisch und Gewürzen. Oft scharf. Wird gekocht und dann serviert.
La Boulangerie: 4526 Magazine Street in Uptown. Ich habe gleich um die Ecke in der Jena Street gewohnt. Französischer Besitzer bäckt französisch (und spricht mit französischem Akzent). Die besten Croissants und pains au chocolat außerhalb Frankreichs, sage ich.
Creole Creamery: 4924 Prytania Street in Uptown. Eine echte Kiezeisdiele. Eis ist ja in den USA immer viel cremiger und mit mehr Zutaten drin als in Europa. Hier gibt es fast alles, viel mit Pecans. Meine liebste Sorte: Creole Cream Cheese. Als ich 2009 das letzte Mal da war, hingen an den Wänden viele Fotos von dankbaren Kindern, die hier ihr Glück gefunden hatten, aber auch von Feuerwehrmännern und National Guard-Truppen, die nach dem Hurrikan in der Stadt stationiert waren.
Fajita (sprich Fachita): Eine mexikanische oder wohl besser Tex-Mex-Spezialität. Ich mochte sie am liebsten im Superior Grill, einem Tex-Mex-Restaurant. Gegrilltes, sehr dünnes Rindsteak mit Tortillas und Gemüsen.
Grits: Maisgriesbrei. Typisch für die Südstaaten, wo man sie besonders bei einem großen Frühstück isst. Indianischen Ursprungs. Es gibt Abwandlungen wie cheese grits, mit Käse.
Gumbo (sprich Gambo): Manche nennen es Cajun Bouillabaisse. Eine dicke Suppe mit frischem Gemüse und Meeresfrüchten, meistens mit Okraschoten und meistens auf der Basis von roux. Sehr würzig, mit Tabasco-Sauce und Kräutern. Außerdem filé, zermahlene Sassafras-Blätter. Das Wort Gumbo soll von dem afrikanischen Wort für Okra stammen.
Jambalaya (sprich Dschambalaja): Cajun Paella? Reis wird mit Meeresfrüchten und anderem Fleisch, Gemüsen und scharfer Würze gekocht.
King cake: Abgeleitet von der französischen galette des rois (Königskuchen--schmeckt aber nicht ganz so gut wie dort). In Frankreich ist man die galette im Januar, im Wesentlichen um die Zeit von Epiphanias (Dreikönigstag 6. Januar). In Louisiana gehört der king cake zum Mardi Gras/Karneval und wird bis zum Fastnachtstag selbst gegessen. Er ist sehr süß, oft in den Karnevalsfarben Gold-Grün-Lila verziert und darin steckt (statt der fève in Frankreich) ein Plastebaby – Jesus. Wer es in seinem Stück findet, muss den nächsten king cake kaufen. Am liebsten mag ich den Zulu king cake, benannt nach dem gleichnamigen Karnevalsverein und Parade, mit Schokoladenglasur und Kokos, darin natürlich ein schwarzes Baby.
Mustard Greens: Senfblätter, Brassica juncea. Wie auch die noch üblicheren Collard Greens gehören mustard greens zum soul food, der typischen Küche der Afroamerikaner im Süden der USA. Einige der Gebräuche, wie auch die Verwendung von Okraschoten, Reis usw. werden auf westafrikanische Ursprünge zurückgeführt. Ich habe die Blätter einfach in Wasser gedünstet. Dazu Grits und vielleicht ein Setzei. Schmeckt sehr senfig.
Pecans: In Louisiana sagt man Peckaaans, in South Carolina habe ich Pieeekens gehört. Carya illinoinensis. Die weichsten Nüsse der Welt. Sie sind dunkler, schlanker und weicher als unsere Walnüsse und so schmecken sie auch, aber die Schale und äußere Form ist ganz anders. In Donaldsonville hatte ich einen Baum im Garten. Die Nüsse fallen ab, man sammelt die vielen schmalen Hülsen auf und kann dann den ganzen Winter lang knacken. Ich nehme sie gern im Müsli oder im Salat (Spinatblätter, Orangenspalten, Pecans, dazu einen Hauch Sauce aus Joghurt und Rotweinessig, Salz, Pfeffer), und es gibt natürlich Kekse, Pecan Pie und viele andere Süßigkeiten. Auf einer Webseite wird angeregt, dass er auch in Mitteleuropa gut wachsen soll. 
Po’boy: Abgeleitet von poor boy (armer Junge). Ein längliches Sandwich, wie ein „Subway“ (U-Bahn)-Sandwich aussehend, mit Meeresfrüchten o.ä. Der Legende nach entstand der Name 1929 während eines längeren Streiks der Straßenbahnfahrer. Ein Imbissladenbesitzer gab die Sandwiches kostenlos an die Streikenden ab, die als „poor boys“ bezeichnet wurden.
Roux (sprich Rrruh): Kommt natürlich aus dem Französischen. Mehlschwitze, die Basis vieler louisianischer Gerichte. Gleiche Teile Mehl und Fett, in Louisiana meist Pflanzenöl. Coop’s hat sehr detaillierte Anweisungen: ein kontrollierter Verbrennungsprozess. Man nehme eine gusseiserne Pfanne, einen Holzlöffel und rühre 15 Minuten auf dem Feuer, bis er eine Konsistenz wie Honig hat. Vom Feuer nehmen und weitere 2-3 Minuten rühren.
Snowball: auch Snoball (Schneeball). Dünn geschabtes Wassereis in Kugelform, das mit farbigen Sirups benetzt wird. Eine tolle Erfrischung. Bei V. S. Naipaul habe ich gelesen, dass es auch in Trinidad snowballs gibt; in den restlichen USA heißt es snowcones. Einer der besten Läden in New Orleans ist technisch gesehen in dem Vorort Metairie: Sal's Snowballs 
1823 Metairie Road, eine einfache Holzbude am Straßenrand, mit ein paar abgesägten Baumstämmen als Sitzplätzen davor.
Inzwischen weiß ich übrigens, dass das obige Foto ein Établissment namens Déja vu zeigt, Ecke Dauphine und Conti Street. Allerdings weiß ich nicht mehr, ob ich schon mal dort gegessen habe...

Donnerstag, 15. September 2011

In memoriam Wardell Quezergue (12. März 1930 - 6. September 2011)

Vergangene Woche starb der „kreolische Beethoven“: der Arrangeur, Produzent, Bandleader und Komponist Wardell Quezergue. Für New Orleanser Musiker war er wie Beethoven, weil sich bei ihm alles „groß“ anhörte, so auch seine typischen, synkopierten Hornarrangements der sechziger und siebziger Jahre. Für den Musikethnologen Nick Spitzer ist seine Musik eine „Enzyklopädie des Sounds von New Orleans“.
Aufgewachsen in der 7th Ward; beide Eltern spielten Instrumente und auch seine älteren Brüder waren Jazzmusiker. Das klingt recht typisch für einen kreolischen Musiker aus New Orleans, und so kommt es, dass die Musik in der Stadt wirklich allgegenwärtig ist.
Wardell Quezergue sagte: „Wenn ich etwas höre, fange ich gleich an, es zu arrangieren.“ Er arbeitete mit lokalen Größen wie Professor Longhair, Fats Domino, Dr. John, Smoky Johnson zusammen, aber auch mit Stevie Wonder, Paul Simon, den Temptations... Zu seinen bekanntesten Hits gehören „Iko Iko“ von den Dixie Cups (der New-Orleans-Klassiker!), „Mr. Big Stuff“ von Jean Smith und „Big Chief“ von Professor Longhair. 
Im Jahr 2000 komponierte er A Creole Mass (Eine kreolische Messe) und löste damit ein Versprechen aus dem Jahr 1951 ein. Es ist ein freudiges und festliches Gebet, ein Dank für sein wunderbares Überleben im Koreakrieg. Während seiner Stationierung in Japan lernte er auch seine Frau Yoshi Tamaki kennen, die auch in diesem Jahr verstorben ist.
Im Hurrikan Katrina 2005 verlor Wardell Quezergue fast alles, darunter auch seine umfangreiche Notensammlung. 2006 gab es deshalb Benefizkonzerte für ihn. 2009 erhielt er einen Ehrendoktortitel von der Loyola University in New Orleans für seine Förderung von Musikern, besonders auch am Anfang ihrer Karriere. Ebenfalls 2009 wurde am Lincoln Center of Performing Arts in New York ein Hommagekonzert mit bekannten Musikern für ihn gespielt, das er auch selbst dirigierte. Noch im August 2011 arbeitete er an neuen Projekten.
Nachrufe finden sich auch auf der Seite des Radiosenders WWOZ und im britischen Telegraph, mit schönen Fotos. Zuerst über ihn erfahren habe ich natürlich auf NPR.
Noch nie von ihm gehört? Ja, Wardell Quezergue blieb lieber im Hintergrund und bewirkte dort vieles für viele Musiker. Umso mehr, dachte ich mir, gebührt ihm hier dieser winzige Moment im Rampenlicht. 

Sonntag, 11. September 2011

Rückblick auf die Katastrophe

Alle reden über den 11. September, aber bei mir ist die Erinnerung inzwischen so in Worte zementiert (wie auch die vom 9. November 1989), dass sie seltsam abstrakt ist. Nur so viel: Ich lebte in Donaldsonville, Louisiana, und habe es im Radio von an Anfang an live verfolgt. Dann Aufregung, Panik und Gerüchte an der Uni, am Nachmittag Wohnungsbesichtigung in New Orleans, was vielleicht ein wenig ruhiger als sonst war und sich ansonsten auch danach nur in dem Maße veränderte, wie sich die USA vor allem ideell veränderten.
Hier stattdessen noch ein kurzer Abriss zu Hurrikan Katrina 2005, den ich nur in den Medien verfolgt habe, und wo die Katastrophe vor sechs Jahren noch in vollem Gange war. Wieder aus dem großen Artikel, der seit Jahren beim Herausgeber liegt und des Abdrucks harrt:
„Am Montag, den 29. August 2005 um 6.10 Uhr traf Hurrikan Katrina östlich von New Orleans auf das Festland. Die küstennahen Gegenden im Nachbarstaat Mississippi wurden sofort dem Erdboden gleichgemacht und auch die Golfküste in Louisiana war völlig verwüstet. New Orleans schien zunächst glimpflich davon gekommen zu sein: starker Regen und Sturm, ein paar abgedeckte Dächer, Stromausfall, Wasser auf einigen Straßen. Doch rund zwei Stunden später waren die Flutmauern am Industrial Canal gebrochen; um 14 Uhr wurden Lecks am 17th Street Canal gemeldet. Am nächsten Tag zeichnete sich ab, dass diese nicht mit Sandsäcken zu schließen waren. Langsam und unaufhaltsam lief die Stadt voller Wasser.
In einem Bericht im Juni 2006 gestand das Army Corps of Engineers sein massives Versagen bei der Konstruktion und Errichtung der Dämme ein. Präsident Bush hatte das Budget zugunsten von Steuersenkungen und für den Irakkrieg umverteilt und immer weniger Geld für die Verstärkung der Dämme beantragt.
Seine erste Annäherung an das Katastrophengebiet bestand in einem Überflug auf dem Weg von seiner Ranch in Crawford, Texas, nach Washington. D.C. Am 1. September 2005 äußerte er in einem Fernsehinterview, dass niemand die Dammbrüche vorhergesehen habe (dazu ein Kommentator „Unvorhersehbar? Vielleicht für Sie, Herr Präsident“). Am 15. September 2005 hielt er eine Fernsehansprache auf dem Jackson Square im historischen French Quarter. Für den Präsidentenbesuch waren Straßen gereinigt und potemkinsche Hilfsstände aufgebaut worden. Tatsächlich gelang es der Federal Emergency Management Agency (Bush zu FEMA-Chef Brown „Du machst eine tolle Arbeit“) wochenlang nicht, die Stadt mit Wasser, Lebensmittel und anderem Grundbedarf zu versorgen, während Privatpersonen wie der Schauspieler Sean Penn bereits Menschen mit Booten von Dächern und Brücken retteten und Künstler wie Wynton Marsalis Lebensmitteltransporte organisierten. Und so sollten die Scheinwerfer für die Inszenierung vor stereotyper Kulisse für lange Zeit das einzige Licht in der Stadt bleiben, in der es monatelang kein Gas, keine Elektrizität, keine Müllabfuhr gab.“

Samstag, 10. September 2011

New Orleans Seafood Festival

In New Orleans findet übrigens dieses Wochenende zum fünften Mal das Seafood Festival statt, wo viele bekannte Restaurants ihr Essen anbieten und renommierte Köche schaukochen. Dann kann man natürlich auch Tinnef und Kunsthandwerk erwerben und zur Live-Musik tanzen, u.a. zu Trompeter Kermit Ruffins und Band und der U.S. Navy Jazz Band. Dieses Jahr geht es bei dem Festival vor allem darum, den Leuten zu zeigen, dass nach der BP-Ölkatastrophe im letzten Jahr die Meeresfrüchte wieder „schmackhaft und ölfrei“ sind, wenn auch teurer als vorher. Das Festival wurde übrigens zum gleichen Zweck nach Hurrikan Katrina ins Leben gerufen. Könnte man sagen, dass es in New Orleans viele Festivals gibt? You bet (Na logo)!

Im Louisiana Kid in Berlin

Gestern war ich im Louisiana Kid in der Alten Schönhauser Straße. Beinahe hätten mich die schlechten Kritiken im Internet davon abgebracht: aufgewärmte Fertigprodukte, lustlose Bedienung, lärmende Touristen aus dem dazugehörigen Hostel, heißt es dort. Tatsächlich ist das Restaurant unten im Wombat’s Hostel (was ein australisches Nagetier ist) und teilt sich mit diesem die Toilette. Als wir gegen halb sieben ankamen, waren wir fast die ersten, und dann füllte sich das Restaurant sehr gemächlich. Die Einrichtung ist gediegen: dunkle Holztische und –stühle, ein paar dunkelgrüne Dinerbänke, viele Fotos, atmosphärisches Licht. Die aubergine-dunklen, zur Seite gerafften Vorhänge erinnern an reichere louisianische Häuser, waren aber zu durchsichtig, um echte Hitze und Sonne abzuhalten. 
Wir bestellten Wein, weil es kein louisianisches Bier gab und die Cocktails recht teuer waren. Und zu speisen: CREOLE CREAMED SPINACH (Lauwarmer Blattspinat in leichter Dijon-Senf-Sahnesauce mit Bananenscheiben und gerösteten Sonnenblumenkernen“) für 7,20 € und BLACKENED CATFISH („Landestypisch, in einer etwas schärferen Gewürzmischung, dunkel gebratener, amerikanischer Wels mit Süßkartoffelpüree und mildem Bananendip“) für 12,80 €. Das Warten hätten wir uns mit etwas pappigem Weißbrot und Becel-Diätmargarine aus kleinen Hotelportionierungen vertreiben können. 
Als das Essen kam, war es schon irgendwie exotisch, aber wie erwartet nicht besonders authentisch. Dabei ist es natürlich schwierig, woanders, wo die Zutaten immer anders sind, wie zu Hause kochen oder backen zu wollen. Und doch: Schon die Kombinationen klingen ungewöhnlich: Bananen? Stimmt, die wachsen in Louisiana, werden aber nie zum Essen reif. Dijon-Senf? Ja, gibt’s dort auch im Supermarkt. Süßkartoffelpüree? Isst man in den ganzen USA zu Thanksgiving, ist aber nicht besonders typisch für den Süden. Der Spinat schmeckte vor allem senfig und der Fisch nach Marjoran. Meine Begleitung meinte, es schmecke, als wenn sich ein paar Studenten überlegt hätten, mal was Anderes auszuprobieren. Etwas bestärkt in dieser Ansicht hat mich auch die Erklärung auf der Speisekarte, dass man die Cajuns auch als Kreolen bezeichnen könnte, aber diesen Unterschied werde ich ein andermal erklären.
Nach dem Essen habe ich die Fotos an den Wänden studiert, aus Neugier, was man mit Louisiana so assoziiert. Es waren durchweg historische Fotos und durchweg von Schwarzen (dabei sind die Cajuns ja europäischer Abstammung). Sehr viele Musiker, meist arm aussehend, darunter auch eine Beale Street Band (wobei die Beale Street in Memphis, Tennessee, ca. 5-6 Stunden entfernt, liegt und als Geburtsstätte des Blues gilt). Eine Wand war vor allem Fotos von Malcolm X, Martin Luther King und Muhammad Ali vorbehalten, Ikonen der Bürgerrechtsbewegung, die aber nichts mit Louisiana zu tun haben, außer das Muhammad Ali mal in New Orleans geboxt (und gewonnen) hat. Nur auf der einen Wand war eine kleine Singlehülle von Louis Armstrong und seinen Hot Five. Ach, und die Musik im Restaurant war zurückhaltend und unbestimmt bluesig.
Der Name Louisana Kid sagt mir erst einmal nichts. Vielleicht ist es eine Abwandlung von Kid Creole, einem Restaurant in Friedrichshagen, oder man kocht nach dem Kinderkochbuch Louisiana Kid's Cookbook: Recipes, How-To, History, Lore & More! von Carole Marsh, das es mal gegeben haben muss?
Und doch ist dies kein Verriss, denn der Abend war nett und das Ambiente angenehm. Besonders reizvoll ist, dass das Restaurant ca. 20-30 Zentimeter tiefer als der Bürgersteig liegt und und die Fenster bis auf diesen reichen, durch die man einen lautlosen, meditativen Blick auf den Freitagabendverkehr mit den strahlenden Ampeln hat. Ein Hund kam auch und schnüffelte ausgiebig vor unserem Fenster.
Also, für eine Phantasiereise in eine Karl-May-mäßig phantasierte, exotische Welt mitten in Berlin ist das Louisiana Kid allemal gut. 

Donnerstag, 8. September 2011

Ein Engländer in New Orleans

Der britische Schauspieler Hugh Laurie, alias Dr. House aus der gleichnamigen Serie, hat sein Debütalbum Let Them Talk als Pianist herausgebracht, und zwar mit seinen Interpretationen von Stücken aus New Orleans und dem Mississippidelta. Ein Teil der Aufnahmen wurde in New Orleans gemacht. Die Musik-Koryphäen Allen Toussaint (von dem er sich ein paar Klaviertricks abgeguckt hat), Dr. John und Irma Thomas spielen auch mit; Allen Toussaint und Irma Thomas waren auch bei Live-Aufnahmen für ein Fernsehfeature dabei (in Latrobe's im French Quarter). Im Mai war das Album in den britischen Charts auf dem 2. Platz gleich hinter Adele.
Hugh Laurie erzählt von seinem langen Interesse für New Orleans und seine Musik, die für ihn immer pure Liebe und Leben und Glück und Freude ausstrahlte und gleichzeitig eine gewisse trauervolle Seite hatte. Selbstironisch (typisch englisch?) weist er darauf hin, dass er nicht im herkömmlichen Sinne qualifiziert ist: „...nicht in den 1890ern in Alabama geboren, nie Grits gegessen, nie mein Stückchen Pachtland bewirtschaftet, nie im Güterwagen gereist“, und meint im Interview auf NPR: „...es ist leichter für ein Kamel durch ein Nadelöhr zu passen, als für einen reichen Mann eine Bluesplatte zu machen“. 
Die im Internet zu hörenden Stücke können sich tatsächlich hören lassen. Es sind kühne Interpretationen: „Swanee River“ spielt er schnell und jauchzend, den geschichtsgeladenen Klassiker „Tipitina“ stark synkopiert, und es funktioniert irgendwie. In einem schwärmerischen Artikel in der New York Times kann man ein kleines Video mit „St. James Infirmary“ sehen, und dort und auf NPR die übrigen Stücke hören. 
Ob er das Album vielleicht auch Let Them Talk (Lasst sie reden) genannt hat, weil er nicht weiß, wie es in der Stadt aufgenommen werden wird? Keine Angst: Die große alte Dame New Orleans ist sehr gütig, wenn man sie verehrt.
Sir Tom Jones (ja, der Tom Jones von „What’s New Pussycat?“ und „It's Not Unusual“, übrigens Waliser) ist auch mit auf dem Album vertreten. Beim diesjährigen Jazz Fest im April war er der Star, und es sollen sogar Damenschlüpfer geflogen sein, und dabei ist doch Jazz Fest was für die ganze Familie! Hier ist seine Version von „St. James Infirmary“.
P.S. Noch ein Nachtrag zu Tropical Storm Lee: Louisiana kam dieses Mal mit leichten Überflutungen davon, doch in Texas haben seine Winde nach monatelanger Dürreperiode Brände ausgelöst, die bereits 14.000 Wohnhäuser verschlungen haben. Und in Pennsylvania wird jetzt gerade am Susquehanna River wegen des erwarteten Hochwassers evakuiert.

Montag, 5. September 2011

TS Lee

Der Tropische Sturm Lee ist vorüber gezogen, und es ist ganz glimpflich verlaufen, wie ich dank der Facebook-Meldungen des Autors Rodger Kamenetz weiß. Es waren dann doch nur 40-43 Zentimeter Regen. Einige Straßen waren überschwemmt, aber das ist bei starken Gewittern oft so, weil die Pumpen einfach nicht so schnell pumpen können. Nördlich des Pontchartrain-Sees kam es durch Sturmfluten zu Überschwemmungen. Für das Deichsystem, das vom nationalen Army Corps of Engineers in den letzten Jahren in Höhe von 100 Milliarden Dollar ausgebaut wurde, war es kein eigentlicher Test, da diese Dämme nicht betroffen waren. Erst kürzlich hatte ein Vorab-Bericht ergeben, dass die Dämme immer noch keiner 500-Jahr-Katastrophe gewachsen sind. Dazu Rodger Kamenetz' Kommentar: Oy vey!
Tropical Storm Lee war in Südlouisiana auf Land getroffen. Die Sturmfluten vom Golf von Mexiko und seinen Buchten (wie dem Barataria Bay) brachten dort erhebliche Überschwemmungen. Für die Menschen dort ist das zwar ärgerlich, aber nicht neu. Hier einige Fotos.
Heute ist übrigens einer der wenigen Feiertage in den USA, Tag der Arbeit, immer am ersten Montag im September. Das hat sicherlich einige Reisepläne durcheinander gebracht. Das Southern Decadence-Festival, ein Schwulenfest vor allem im French Quarter, findet dieses Jahr trotzdem zum 40. Mal statt. Na dann, Happy Labor Day everyone!

Samstag, 3. September 2011

+++Sturmwarnung+++Sturmwarnung+++Sturmwarn

Es ist Hurrikansaison, noch bis November. Eine Tropische Depression vor Louisiana wurde gestern zu einem Tropischen Sturm namens Lee aufgewertet, eine Stufe vor einem Hurrikan, und macht sich jetzt schon mit heftigen Regenfällen bemerkbar. Die Ölplattformen vor der Küste werden evakuiert, die Einwohner von New Orleans sind aufgerufen, ihre Autos sicher zu parken und überhaupt Vorkehrungen zu treffen. Man recht mit bis zu 20 Inches (ca. 50 Zentimeter) Regen.

Donnerstag, 1. September 2011

No Reservations oder: Essen!

Die louisianische Küche nimmt in der ansonsten eher farblosen US-amerikanischen Kochtradition einen gepfefferten Platz ein. Seit den sechziger Jahren hat sie sich im ganzen Land verbreitet und seitdem wird Vieles, was man zu scharf würzt, mit dem Vorsatz Cajun versehen. Dabei besteht natürlich ein Unterschied zwischen der ländlichen Kultur und Küche der Cajuns (sprich Kejdschins) und dem multikulturellen Büffet namens New Orleans.
Der Fernseh-Starkoch Anthony Bourdain reist mit seiner Sendung No Reservations* im Travel Channel jedes Mal an einen anderen Ort auf der Welt. 2008 war er schon einmal in New Orleans, wo er über den Wiederaufbau und die Wiedereröffnung nach Katrina berichtete. Jetzt hat er es wieder getan: Er ist nach New Orleans gefahren, traf sich mit Mitarbeitern der Fernsehserie Treme, wo er an der zweiten Staffel mitgeschrieben hatte. Und dann ging es weiter aufs Land, ins Cajun Country. In seinem dazugehörigen Blog schreibt er, dass die beste Küche oft aus den ärmsten Landstrichen kommt, und dazu gehört das Land der Cajuns ganz gewiss. Aus den Südstaaten und besonders Louisiana komme die eigentliche amerikanische Küche, die woanders so nicht hätte entstehen können. Wie Jazz, schreibt er, ist sie das Ergebnis von magischen und bizarren Kreuzungen und Umständen und entstanden nach langen Reisen, viel Kummer und einfachen Vergnügungen. Der Süden, fasst er zusammen, hat uns allen beigebracht, wie man kocht.
Auf der Webseite sieht man auch einiges nicht verwendetes Material, wie seine Fahrt durch eine Drive-Thru Daiquiri Bar in New Orleans: Stimmt ja!, nirgendwo anders in den USA darf man mit offenen Alkoholbehältern auf der Straße angetroffen werden, aber am Steuer ist es natürlich auch hier nicht erlaubt. Oder von seinem Besuch auf dem Land, wo er kräftig bei einer „boucherie“, einem Schlachtfest, mitgeholfen hat. (Dazu siehe auch New York Times.)„Alle kochen,“ schreibt er, „Männer, Frauen, sogar die Kinder helfen mit.“ Wenn man sich allerdings die Fotos ansieht, wird da für meinen Geschmack ein bisschen zu nonchalant über das arme Schwein - Anthony Boudin (wie die Cajun-Wurstspezialität) - gewitzelt, das er eigenhändig mit zwei Kugeln erlegt. Aber es ist natürlich wahr - louisianische Küche ist fleischlastig und besteht fast immer aus Tieren: Austern, Krabben, Krebse, Fisch, Schwein, Huhn, ganz selten auch mal Alligator. Da geht doch sicher noch was...
Eine weitere Rundfunkpersönlichkeit - Peter Sagal, Moderator der Kult-Nachrichtenquizsendung Wait wait don’t tell me auf National Public Radio - schrieb im April in seinem Blog über seinen kulinarischen Besuch in New Orleans, ein paar Tage zwischen touristisch bekannten Adressen (wie dem Cafe du Monde im French Quarter) und bei Einheimischen beliebten Etablissements. Und wie er es schildert, klingt es durchaus nach einer kleinen Entdeckungsreise.
Hier in Berlin (wo Anthony Bourdain übrigens auch schon mit der Sendung war) gibt es mindestens vier louisianisch angehauchte Restaurants. Also ist wohl wirklich etwas dran?
Schon in Louisiana habe ich sehr selten Fleisch gegessen, aber ein Jambalaya, einen Gumbo, einen Halb-und-Halb Austern und Shrimp Po’Boy oder auch eine mexikanische Fajita habe ich mir schon gelegentlich mal geleistet. Aber was mir wirklich fehlt, sind so Dinge wie Mustard Greens und Grits, wirkliche Arme-Leute-Küche, die es im Restaurant nicht gibt. Dann die französische Boulangerie mit echten Croissants gleich um die Ecke. King cake zu Mardi Gras. Frische reife Mangos. Snowballs. Das Eis in der Creole Creamery. Alles mit Pecans. Hmmmmmmmm. Ach! Aber darüber ein andermal mehr.
* No Reservations ist ein netter Titel für die Sendung, denn es bedeutet einerseits "ohne Reservierung" und andererseits "vorbehaltlos" und "keine Zurückhaltung".