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Montag, 7. September 2015

10 Jahre nach Katrina

Wie ein Hurrikan sind die Katrina-Erinnerungsartikel, -filme und andere Beiträge über uns hinweggezogen. Aus der Flut möchte ich zwei Sendungen empfehlen, die mich berührt haben. Auf Arte noch ein paar Tage lang zu sehen ist ein sehr aktueller Dokumentarfilm Only New Orleans, in dem es um damals und heute geht. Es kommen viele Musiker zu Wort, u.a. auch Davis Rogan, das Vorbild für die von Steve Zahn gespielte Rolle des Davis McAlary in der Serie Treme, Irma Thomas, Familienmitglieder der Andrews/Hill-Dynastie, von denen Trombone Shorty vielleicht der bekannteste und kommerziell erfolgreichste ist, und -- wie immer der vollendete Gentleman -- der große Allen Toussaint, der berichtet, dass die Zeit nach Katrina ihm auch Chancen eröffnet hat. Vom Mann hinter den Kulissen, dem Komponisten und Produzenten, hat er sich nämlich zum Performer entwickelt, der auch selbst mit seinen Liedern auftritt. Gezeigt werden übrigens auch Bilder aus der Ninth Ward, u.a. des Make It Right NOLA-Projekts von Brad Pitt, über das ich kürzlich gelesen habe, dass viele der Entwürfe doch nicht gebaut wurden, weil sie zu teuer waren und das erforderliche Geld nicht aufgetrieben werden konnte. Aber das Viertel wiederbelebt und aufgewertet hat das Projekt allemal. Der Film wurde erst in diesem Sommer fertiggestellt. Ich kenne den Ausspruch übrigens als "Only in New Orleans".
Dann habe ich auf NPR noch eine Folge von This American Life gehört, Nr. 565, Lower 9 +10. Darin geht es um die völlig zerstörte und weggeschwemmte Lower Ninth Ward, deren Bilder damals um die Welt gingen. Thematisiert wird, dass die Bewohner sich dagegen verwahrt haben, dass die Reisebusse zum Gaffen durch ihr Viertel fuhren, und es geht um alte und neue Bewohner, z.B. einen Postangestellten, der ein Cafe mit Kopierladen und anderen Dingen eröffnet hat, um das Viertel wieder zu beleben, um das Ringen einer zugezogenen jungen weißen Familie um Akzeptanz, um Anklänge an einen früheren Hurrikan von 1927, bei dem auch ein Viertel geopfert wurde, um die Innenstadt zu retten. Für mich am beeindruckendsten war die letzte kleine Geschichte um einen jungen Mann, der damals 23 war und seitdem versucht hat, seinen besten Freund von damals wiederzufinden, Samuel, von dem er hofft, dass er noch lebt. Wie durch ein Wunder bringen die Radioleute die beiden per Telefon wieder zusammen. Beide sind sehr bewegt, beide hatten gehofft und nacheinander gesucht, und man hört die alte Vertrautheit und Zuneigung in ihren Stimmen. In ihrer Sprache aber hört man auch die Welten, die sich inzwischen zwischen ihnen aufgetan haben. Der eine ist in New Orleans geblieben und klingt wie jemand von der Straße, und der andere lebt nach einer Odyssee in einem anderen Bundesstaat und hört sich sehr erwachsen und gebildet an. Auch das hat also der Hurrikan gemacht. Verlinkt ist auch eine frühere Sendung, die vor zehn Jahren gleich nach dem Unglück aufgenommen und gesendet wurde.

Mittwoch, 18. März 2015

Kudzu

Es ist nicht mehr zu übersehen: winzige Kälbchen und Fohlen auf den Weiden, Schneeglöckchen und Krokusse hinterm Haus. Und ein flirrendes zartes Netz aus Vogelgezwitscher liegt in der Luft. Aber als noch nichts darauf hinzudeuten schien und es morgens noch grau und gefroren war, da gab es erst einmal nur eine Farbe: das Gelbgrün an den Stämmen der Eschenahorne. Bei näherer Betrachtung ist es ein trockener Bewuchs, kein Moos, eher wie eine Rinde aus tausenden grünen Blütchen.
Der Eschenahorn, dieser Eindringling aus den USA, war mal wieder der erste!
Auch in Louisiana sind die fremdländischen Invasoren, die sich wegen fehlender Feinde ungehindert ausbreiten können, immer die ersten. Der eine ist Chinese Privet, Chinesischer Liguster, der Mitte des 19. Jahrhunderts eingeführt wurde und die Strauchlandschaft dominiert, einheimische Pflanzen erstickt und die gesamte Pflanzengemeinschaft verändert. Ähnlich sieht es mit dem Chinese Tallow aus, Chinesischer Talgbaum, der u.a. zur Herstellung von Biodiesel dient. Es hält sich immer noch das Gerücht, dass Benjamin Franklin die Pflanze in den Süden der USA eingeführt hat.
Tja, und dann wäre da noch Kudzu aus Japan, dem der National Geographic letztens ein kleines Artikelchen gewidmet hat. Kudzu ist auch als Nahrungsergänzungsmittel erhältlich, es soll beim Raucherentzug helfen und bei Wechseljahrbeschwerden. Das Bundesinstitut für Risikobewertung schreibt: „Es liegen keine Berichte über schädliche Wirkungen des Wurzelpulvers usw. vor.“ Na, wenigstens das.
Kudzu wächst sehr dekorativ, denn es legt sich wie ein romantischer grüner Schleier über alles und verbreitet sich rasant über den gesamten amerikanischen Süden, wie ich selbst im Laufe der Jahre beobachtet habe. Kudzu ist ein bisschen wie der leidenschaftliche Beau: Man könnte es für unendliche Liebe halten, aber eigentlich geht es um Kontrolle; er drückt einem die Luft zum Atmen ab und duldet niemand anderes im Leben der Geliebten. Kudzu hat Wurzeln, die sich bis zu dreieinhalb Meter in den Boden graben und ursprünglich gegen Bodenerosion helfen sollten. Unter dem dichten, schweren Vorhang stirbt alles andere ab und selbst Telefonleitungen zerreißen. Da nützt es auch nichts, dass die Pflanze schön duftet und hübsche Blüten hat. Man experimentiert mit Pilzen, auch Schafe und Ziegen sollen gut sein. Aber eine wirkliche Lösung ist noch nicht in Sicht.
Hier ein Foto aus dem Internet von Galen Parks Smith:

Vielleicht noch zwei Frühlingszeichen:
Der Frühling zwischen Kuba und den USA begann im Dezember mit raschen, aber vorsichtigen Annäherungen. Am Sonnabend, 14. März 2015, fand jetzt seit 1958 der erste Direktflug von New Orleans nach Havanna statt, die beide historisch nicht nur ihre quasi-karibischer Charakter verbindet, sondern auch die gemeinsame koloniale Geschichte unter den Spaniern. Es war vorerst nur ein Charterflug für 80 Geschäftsreisende und zivile Aktivisten, die an einer Cuba Hoy-Konferenz (Kuba heute) teilnehmen wollten. Hier. Ich nehme an, dass es auch einen Rückflug geben wird.
Und: Letzte Woche war die sehr komische Radio-Quizsendung Wait Wait Don’t Tell Me zu Gast im Saenger Theatre in New Orleans, und das war etwas ganz Besonderes. Der Moderator Peter Sagal begann zwar mit einem etwas abgegriffenen Witz, aber eigentlich war alles sehr warmherzig und fröhlich, richtig New Orleans eben, und als dann noch der junge, wirklich begnadete Posaunist Trombone Shorty (*Troy Andrews) bei Not My Job lauter abwegige Instrumente raten sollte (Der Mann ist Musiker! Kein Wortmensch, aber er erzählte von seinen Anfängen als 5-Jähriger mit Band im French Quarter...), da wurde er nach der ersten falschen Antwort von einer riesigen Welle aus Vorsagen und Applaus und Liebe durch den Rest der schwierigen Übung getragen. Der Moderator meinte: „They really love you here.“ They do! Und ich wäre so gern dabei gewesen.

Mittwoch, 5. Februar 2014

Depesche vom Ende der Welt


Liebe Leute, es geht mir gut.
Ich bin umgezogen und freiwillig wieder einmal zum Landei geworden. Die Waschmaschine funktioniert, mein Bett steht und mein Schreibtisch auch, und ansonsten lebe ich seit Tagen zwischen Kisten. Es ist wunderschön hier. Ich blicke auf olle Schuppen und mehrmals Getautes und wieder Gefrorenes und Matsch und braunes Gestrüpp. Aber auch schwarz-weiße Pferde und braune Ponys, ab und zu eine Katze, viele Vögel, Schwärme von vorüberziehenden, krähenden Kranichen, und nachts funkeln die Sterne... In der Nähe gibt es viel wilde Heide, die durch freilebende Rinder renaturiert werden soll. Überall ist das ausführlich auf Schildern erklärt und die Wege sind mit EU-finanzierten Steinskulpturen gesäumt. Am Montag habe ich mich im Hauptort angemeldet; bei der Frage nach einer Wartenummer belächelte man mich ein bisschen – ich war die einzige. Überhaupt ist alles entspannt und freundlich, und das nur 1 Kilometer von der Berliner Stadtgrenze.
Was das mit Louisiana zu tun hat? Fast nichts. Außer, als ich heute früh so am Schreibtisch saß und wartete, dass meine unendlich langsame Internetverbindung – langsamer als ein louisianischer Postschalterbeamter, falls das möglich ist – mir eine Seite aufmacht, da fühlte ich mich plötzlich in mein Holzhäuschen in Baton Rouge zurückversetzt. Dort saß ich an einem riesigen, laut rauschenden Computer, der auch so langsam war, und sah mit einem durch Fenster und Gazeveranda gefilterten Blick ins Grüne: Feigenbäumchen, Bananenstauden, Crepe Myrtles und ab und zu der Postbote oder ein UPS-Mensch, und viel viel Sonne. Rinder und Pferde gibt es nicht allzu viele in Louisiana, aber die dortige Ruhe und Gelassenheit hoffe ich hier im kühlen Klima wiederzufinden. Mit der Postbotin habe ich mich auch schon bekannt gemacht.
Aus New Orleans gibt es auch Neues: Mitch Landrieu ist im ersten Wahlgang mit 64% zum Bürgermeister wiedergewählt worden*, der frühere Bürgermeister, die vormalige Lichtgestalt Ray Nagin steht weiter wegen Korruptionsvorwürfen vor Gericht, das mit BP und anderen Katastrophen ist noch lange nicht ausgestanden. 
Übrigens, NPR funktioniert hier draußen mindestens so gut wie in der Stadt. Dort zuletzt gehört: In der Sendung Tell Me More mit Michelle Martin ein Interview mit Soundbites der Sängerin Leyla McCalla, die auch Banjo und Cello spielt. Auf ihrem, per Crowdfunding finanzierten, Solodebüt hat sie Gedichte von Langston Hughes vertont und spielt auch haitianische Lieder, die sie in New Orleans kennengelernt hat. Sehr schön. Zu lesen und hören hier
Auch vor kurzem auf NPR: On Point mit Tom Ashbrook sendete aus New Orleans zum Thema „American Coastlines“, mit dem Times-Picayune-Kolumnisten Jarvis DeBerry, der Professorin Denise Reed von UNO und dem Wissenschaftler Tommy Michot vom Institute for Coastal Ecology in Lafayette. Hier.
* In diesem Artikel mehr über seinen Herausforderer der letzten Minute, Michael Bagneris, der 33% der Stimmen erhielt und Landrieu aufforderte, mehr in traditionell afroamerikanische Viertel zu investieren und die Sicherheit aufzustocken. Er stellte eine Besucherzahl von jährlich 9-10 Millionen einer Zahl von 1.200 Sicherheitskräften gegenüber. 
Was hier anders ist: Direkt vor meinem Fenster geht ein Weg entlang, den immer wieder Spaziergänger und Radfahrer frequentieren. Die meisten beäugen neugierig unser Haus. Ich habe mich noch nicht getraut zu winken, aber ich gucke zurück und genieße den kleinen Laufsteg des Stinknormalen hier vor dem Fenster.

Sonntag, 24. Februar 2013

Chicago



Ende Januar wurde in Chicago die 15-jährige Hadiya Pendleton erschossen. Einfach so auf der Straße geriet sie, gemeinsam mit anderen, vermutlich in die Schusslinie einer Fehde zwischen konkurrierenden Gangs. Schlagzeilen machte ihr Tod nicht nur, weil Hadiya eine Bestschülerin mit vielen Träumen und Ambitionen war. Sie war auch wenige Tage zuvor mit der marching band (Marschorchester) ihrer Schule bei der Amtseinführung von Präsident Obama aufgetreten und stammte aus der Heimatstadt der Obamas, aus Chicago (hier). Michelle Obama flog zu ihrer Beerdigung. Als Präsident Obama Mitte Februar in der Hyde Park Career Academy im Süden von Chicago unter anderem über Hadiya Pendleton und über seine Bemühungen zur Verschärfung der Waffengesetze sprach, saß unweit von ihm die 14-jährige Schwester von Janay McFarlane, einer 18-jährigen Mutter, die am selben Abend „aus Versehen“ erschossen wurde (hier). Allein im Januar sind in Chicago mehr als 40 Menschen durch Schusswaffen getötet worden.
So ist es auch kein Wunder, dass im Radio plötzlich ständig über die Gewalt in Chicago gesprochen wird. Zum Beispiel habe ich in einem Beitrag über ein Programm gehört, das einkommensschwachen Familien hilft, in bessere Viertel zu ziehen, um damit die Zukunftschancen für die Kinder zu verbessern -- und sehr oft ist das erfolgreich. In der Sendung This American Life, die in Chicago produziert wird, läuft derzeit eine interessante zweiteilige Serie über die Harper High School in einem armen Teil der South Side of Chicago. Dort werden viele Schüler Opfer von Waffengewalt; ein Schüler hat aus Versehen seinen kleinen Bruder erschossen. Es wird berichtet, dass man, ob man es will oder nicht, einer Gang angehört, einfach abhängig davon, wo man wohnt. Dass man nicht allein von der Schule nach Hause gehen kann, weil es zu gefährlich ist, aber auch nicht zu zweit, sondern am besten mit zwei Mädchen ein paar Meter hinter einem. Dass ein Schüler sich deshalb, abgesehen von der Schule, nicht mehr aus dem Haus traut. Wie sich die engagierte Direktorin und die Sozialarbeiterinnen an der Schule um Normalität bemühen. Dass sogar ein Polizist einsieht, dass man gar nicht umhin kommt, in einer Gang Mitglied zu sein. In diesen Tagen läuft der zweite Teil.
Auch Michelle Obama betont gern, dass sie von der South Side kommt, „the real side of Chicago“ (der wirklichen Seite von Chicago). Allerdings wuchs sie in zwar einfachen, aber doch in Verhältnissen der Mittelklasse auf. Vor vielen Jahren hatte ich mal einen jungen Studenten von der South Side, Kevin, der in Ohio bei mir Deutsch lernte. Einmal, als ich vor Weihnachten zu einer Konferenz nach Chicago fuhr, habe ich ihn im Auto mitgenommen. Kevin wollte nicht nach Hause gefahren, sondern an einer Straßenecke abgesetzt werden, vielleicht weil er nicht mit mir gesehen werden wollte? Weil ich sein Zuhause und Umfeld nicht sehen sollte? In so einem ausgedehnten, armen, afroamerikanischen Viertel war ich noch nie gewesen, in New Orleans nicht und selbst in St. Louis nicht.
Forbes-Magazine hat gerade wieder eine Rangliste der schrecklichsten Städte der USA veröffentlicht. Auf Platz 1 steht Detroit, Michigan; Chicago ist auf Platz 4, auch wegen der langen Arbeitswege, Wetter und anderen Parametern. Dann gibt es noch weitere Listen: wo jetzt alle hinziehen, die gefährlichsten Städte und die besten Städte für Business und Karriere. New Orleans taucht in keiner dieser Listen auf.
Dafür hat es den traurigen Ruhm immer regelmäßig und konstant als die Stadt mit der meisten Gewalt die Statistiken anzuführen (hier). Laut Centers for Disease Control (Zentren für Krankheitsbekämpfung) beträgt die Rate von Toden durch Schusswaffen 69,1 auf 100.000 Menschen im Vergleich zu 41,4 in Detroit. Bei Selbstmorden mit Schusswaffen taucht New Orleans nicht unter den ersten auf (es führt Las Vegas), aber bei Tötungsverbrechen sind es 62,1 auf 100.000 Menschen, dahinter wieder abgeschlagen Detroit mit 35,9. Chicago erscheint in diesen Statistiken nicht unter den ersten Plätzen.
Als ich im Herbst mit einer Kreolin sprach, die im Besucherzentrum der Kirche Our Lady of St. Guadelupe arbeitet, sagte sie mir, dass New Orleans die beste Stadt sei. Trotz der Gewalt? Die Gewalt betreffe nur Drogen und Schwarz auf Schwarz, mit uns habe das nichts zu tun. Als sie nach Katrina einige Zeit in Las Vegas gelebt habe, habe sie mehr Angst gehabt.
Insgesamt stehen die USA bei den Toden durch Schusswaffen auf Platz 9 weltweit, bei den (demokratischen) Industrieländern ganz vorn (hier). 2012 nahm die Gewalt in Chicago und Detroit rapide zu, in New York und Washington, D.C. hingegen ab (hier). Dabei war DC bis vor einigen Jahren auch noch für seine Gewalt berüchtigt.
Der New Yorker-Autor Malcolm Gladwell vertritt übrigens in seinem Buch Outliers (Überflieger) die These, dass Fehden und Ehrenmorde besonders in Kulturen verankert sind, die ehemals Hirten waren und Vieh zu bewachen und verteidigen hatten, zum Beispiel aber nicht unter Ackerbauern. Doch auch zwischen den Gangs in Chicago und anderswo wird aus Rache und verletzter Ehre und wegen schiefen Blicken gemordet, und manche der jungen Menschen dort denken, dass sie ohnehin nicht alt werden und machen sich also keine Gedanken und auch keine Hoffnungen über die Zukunft. Wie erklären Sie das, Herr Gladwell? Und vor allem: Was kann man dagegen tun?

Freitag, 17. August 2012

Im Radio

Ende des Monats jährt sich der Hurrikan Katrina mit nachfolgender Überflutung zum siebenten Mal und auch NPR wird wohl wieder darüber berichten, vielleicht auch, wie jedes Jahr, dieselbe Familie in New Orleans anrufen, um zu sehen, wie es so steht.
Anfang dieser Woche gab es auch einige kleine Berichte aus New Orleans:
& Tell Me More sprach mit der Autorin und Journalistin Gwen Thompkins, die seit einiger Zeit für den lokalen NPR-Sender eine neue Sendung macht, Music Inside Out (Musik in- und auswändig). Dafür interviewt sie Musikmenschen aus Louisiana: Musiker, Autoren, Komponisten, Produzenten usw. Dabei waren bisher Irma Thomas, Allen Toussaint und die Opernsängerin Givonna Joseph mit der Opéra Créole. Das vollständige Interview findet sich hier
Bei der Gelegenheit habe ich noch ein ganz neue NPR-Sendung in New Orleans entdeckt: Out to Lunch (Zu Tisch), wo ein Finanzprofessor der Tulane University neue Unternehmer im Commander’s Palace zum Mittagessen trifft, darunter jemanden, der für seine Kunden in Houston, Texas, bei IKEA einkauft und die Möbel auch zusammenbaut (Bluebag), einen Fitnessguru und das Geschäft The Occasional Wife (Die gelegentliche Ehefrau), die man anheuern kann, damit sie den Haushalt und das Familienleben organisiert.
& Marketplace berichtete, dass der Posaunist Stafford Agee von der Rebirth Brass Band seit einem halben Jahr auch Blasinstrumente repariert, in seiner Firma Rebirth Instrument Repair. Er erzählt, dass das besonders für die Schüler in den Schulorchestern wichtig ist, weil ein gut funktionierendes Instrument ihre Motivation erhöht. Das erinnert mich an den jungen Musiker Dinerall Shavers, (2007 erschossen; ich habe hier über ihn geschrieben), der meinte, dass man, wenn man ein Instrument in der Hand hat, keine Waffe in der Hand haben kann. Es ist sozusagen Stafford Agees Flügelschlag des Schmetterlings. Abends steht er weiterhin mit der wohl beliebtesten Band der Stadt auf der Bühne. Das Unternehmen finanziert sich zu einem Teil aus Spenden. Das Gespräch ist hier.
& Noch einmal auf Tell Me More ging es um den Botanischen Garten von New Orleans, der sich im City Park befindet und natürlich in den Fluten auch verwüstet wurde. Der Direktor Paul Soniat, der einer alten New Orleanser Familie entstammt, spricht über die große Hilfsbereitschaft, die dem Botanischen Garten einen Neuanfang ermöglichte. Die Interviewerin fragt den Direktor auch noch über sein Hobby, das Musikmachen, und schließlich wird sein bekanntestes Stück, Below the Waterline, eingespielt, das in Folge von Katrina entstand. Nur in New Orleans, oder? Das Gespräch ist hier.

Dienstag, 3. Juli 2012

Meine Radioheimat

Die Namen amerikanischer Radiosender bestehen aus 4 Großbuchstaben, wobei die aller Sender östlich des Mississippi mit W beginnen und die westlich davon mit K. NPR (National Public Radio) ist somit kein Radiosender sondern ein öffentlicher Radiosendungsanbieter und betreibt tatsächlich selbst nur einen Sender, NPR Berlin auf 104.1 FM. NPR in den USA trägt sich zum Teil aus staatlichen Geldern, die immer wieder in Frage gestellt und gekürzt werden; der andere Teil besteht aus Spenden (Mitgliedschaften) der jeweiligen Hörer. So ist das auch bei den unzähligen Sendern im ganzen Land, die NPR-Sendungen ausstrahlen, meistens zu den weniger hörerintensiven Zeiten unterbrochen von (preiswerten) Klassikmusiksendungen, mit mehr Musikanteilen bei den kleineren und weniger bei den größeren Sendern. NPR Berlin wird übrigens nicht von der GEZ unterstützt, sondern wirbt auch zwei Mal im Jahr um Mitgliedschaften.
NPR bietet vor allem politische Nachrichten- und Talksendungen, aber auch Unterhaltungssendungen, die dann wieder jeweils bei einem der Partnersender produziert werden: die spannende Interviewsendung Fresh Air mit Terri Gross von WHYY in Philadelphia, der witzige Car Talk mit den Brüdern Ray und Tom Magliozzi von WBUR in Boston und die wirklich komische Quizsendung Wait Wait Don't Tell Me von WBEZ in Chicago und viele mehr. Dazu kommen dann noch Sendungen anderer unabhängiger Produktionsfirmen wie American Public Media (APM) und Public Radio International (PRI).
Mein Leib- und Magensender ist NPR seit ungefähr 1992 und hat mich auf meinen verschiedenen Stationen und langen Autofahrten durch die USA treu begleitet. (Im Staate Mississippi gibt es allerdings Landstriche, wo das Autoradio kein NPR sondern nur Country- und Predigersender empfängt. Wenn NPR dann wieder hereinkam, fühlte ich mich wie in die Zivilisation zurückgekehrt.) Meine Anhänglichkeit hat einerseits mit den interessanten, informativen Sendungen zu tun und andererseits mit dem besonderen Sound der NPR-Sprecher, bei dem ich mich geborgen fühle. Seit 2006 ist NPR Berlin hier auf Sendung und somit ist auch dieser Teil meiner Welt wieder in Ordnung.
Der NPR-Sender in New Orleans heißt WWNO, was verwirren mag, denn bei einem flüchtigen Blick auf die Karte liegt die Stadt doch westlich des Mississippi? Aber nein, es scheint nur so wegen der verwegenen Windungen des Flusses. (In Baton Rouge heißt der Sender WRKF und der Sender der Universität, der auf der anderen Flussseite steht, heißt KLSU.) Ich war natürlich Mitglied bei WWNO und habe sogar einmal bei einem Membership Drive (einer Mitgliederwerbungskampagne) ein paar Stunden lang Telefonate entgegengenommen und dabei meinen Freund Jeff kennengelernt.
Über NPR erreichen mich gelegentlich Stimmen von alten Freunden hier in der Küche. Einmal berichtete ein Freund für Marketplace aus Indien, mit dem ich vor vielen Jahren getanzt, gepaddelt und im Radio Lyrik gelesen habe. Immer mal wieder höre ich den knarrenden Akzent von Schriftsteller und Radiokolumnist Andrei Codrescu, mit dem ich an meiner Dissertation gearbeitet und auch gefeiert habe. 
Gestern früh erreichte mich auf diese Weise eine einseitige Radiobekanntschaft aus New Orleans: der Musikethnologe Nick Spitzer von WWNO, Moderator und Autor der zweistündigen Sendung American Routes (die übrigens genauso gut American Roots heißten könnte). NPR Berlin hatte American Routes bisher partout nicht ins Programm aufnehmen wollen, aber gestern von 8 bis 9 Uhr hat es geklappt: mit einer Sendung zum 100jährigen Geburtstag von Woodie Guthrie. Anlass für mehrere morgentliche Jauchzer und ein Grund mehr, meine Mitgliedschaft bei NPR Berlin zu erneuern.

Donnerstag, 19. April 2012

Kate Chopin: Ein zweites Erwachen

Gerade habe ich die Diane-Rehm-Show auf NPR gehört, die hier in Berlin einen Tag später ausgestrahlt wird. Im „Reader's Review“ (Leserkritik) für April ging es um Kate Chopins Roman The Awakening, dessen deutsche Ausgabe Das Erwachen ich hier kürzlich besprochen habe (mit Glossar).
Es war eine Diskussionssendung mit drei Gästen und Anruferkommentaren. Einige hielten die Hauptfigur für egoistisch und deshalb unsympathisch oder auch verwöhnt, was ich auch nachvollziehen kann, aber darauf zurückführe, dass man, wenn man vielleicht selbst sehr diszipliniert ist und nie ausbricht, den anderen ihren Egoismus auch nicht gönnen kann. Überrascht war ich, dass manche Edna Pontellier als depressiv bzw. manisch-depressiv einordneten und sie damit, finde ich, abtun oder in ihrer Aussagekraft entwerten. Eine andere Diskutantin fand die kreolisch-französische Kultur als korrupt dargestellt. Ein Anrufer, Hausmann und zu Hause erziehender Vater, konnte sich mit der Isolation der Heldin identifizieren und fühlt sich nicht nur zu Hause isoliert, sondern auch als einziger Mann unter Müttern. („Ein zweites Erwachen“ fände hier statt, meinte jemand.)
So habe ich beim Geranieneinpflanzen das Buch noch einmal fast eine Stunde lang aus verschiedenen Perspektiven Revue passieren lassen. Und erlebt, wie Das Erwachen auch heute noch frisch ist, wie es die Gemüter immer noch berührt und bewegt. Anhören.
Im Central West End von St. Louis, einer kleinen alternativen Einkaufs- und Kneipengegend unweit der Washington University, ist jetzt übrigens eine Büste für die Autorin Kate Chopin eingeweiht worden. Kate Chopin stammte aus St. Louis und nach ihren Jahren in Louisiana, die ihr den Stoff für ihr Schreiben lieferten, lebte sie wieder dort, wurde Schriftstellerin und führte einen Salon. Ihre Büste gesellt sich jetzt zu denen von T.S. Eliot und Tennessee Williams, die auch u.a. in St. Louis aufwuchsen.

Montag, 27. Februar 2012

Ein Montagmorgen auf NPR Berlin

Für alle, die es noch nicht wissen, National Public Radio hat seit einigen Jahren einen eigenen Sender in Berlin auf 104,1 und produziert auch einige kleine Berlin-spezifische Segmente, die ich persönlich meistens nicht so reizvoll finde. Aber es hat die meisten anderen tollen Programme, die ich schon in den USA über Jahre hinweg an verschiedenen Orten liebte: Fresh Air, All Things Considered usw.
Der heutige Morgen war auf NPR Berlin besonders New-Orleans-intensiv. Zuerst lief eine Wiederholung der Sendung State of the Re:Union - New Orleans: The Big Easy vom Herbst. Darin ging es um Bürgerinitiativen gegen die hohe Kriminalität nach Hurrikan Katrina, um die jungen zugewanderten Helfer und das Anwachsen der Latinobevölkerung nach Katrina und die dort entstandene Hiphop-Richtung Bounce und viele andere Dinge. Auf der Webseite kann man sich die Sendung anhören und findet viele andere Quellen und Links.
Danach lief Ira Glass' This American Life, heute unter dem Titel "Held Hostage" (In Geiselhaft). Darin kamen auch einige Hausbesitzer in New Orleans vor, die irgendein Verrückter mit selbst gefälschten gerichtlichen Dokumenten immer wieder aus ihren Häusern drängen wollte, so dass sie ständig ihr Recht einklagen mussten.
Anschließend lief Le Show von Harry Shearer, der manchmal auch aus New Orleans sendet und immer wieder auf seinen preisgekrönten Film The Big Uneasy aufmerksam macht, in dem er die mangelhafte Arbeit des für die Deiche zuständigen Army Corps of Engineers anprangert. Eine Sendung, wie sie bei uns unmöglich wäre, weil sie nur aus dem meist satirischen Monolog des Moderators und gelegentlichen Dialogen mit verstellten Stimmen besteht. Heute gratulierte Harry Shearer dem New Orleanser Autor Lolis Eric Elie zum Erhalt des 43. NAACP Image Awards in der Kategorie "Outstanding Writing in a Dramatic Series" (Hervorragendes Skript für eine dramatische Fernsehserie) für seine Mitarbeit an Treme. Der NAACP ist die National Association for the Advancement of Colored People, die seit 1909 bestehende Bürgerrechtsorganisation, die vor allem Afroamerikaner fördert und eigentlich nur noch in der Abkürzung benannt wird, da die Bezeichnung "colored people" heute überholt und unangemessen ist. Zu meiner Zeit war Lolis Eric Elie noch ein junger Kolumnist bei der New Orleans Times-Picayune. Jetzt gibt es von ihm Bücher, einen Dokumentarfilm über das Faubourg Treme, und das Journalismus-Institut der New Yorker Columbia University ernannte ihn zum Alumnus of the Year.
Eine Sendung vermisse ich hier in Berlin ganz besonders: American Routes, die von dem New Orleanser NPR-Sender WWNO produziert wird. Hiermit lege ich NPR Berlin diese tolle Musiksendung mit und von dem Ethnomusikologen Nick Spitzer wieder einmal ans Herz. Ich werde auch ganz bald wieder etwas spenden...

Sonntag, 6. November 2011

George Porter Jr. and the Running Pardners

Eigentlich sollte es heute darum gehen, dass Gouverneur Bobby Jindal am 22. Oktober 2011 im ersten Wahlgang wieder gewählt wurde, und zwar mit knapp 66 % gegenüber der demokratischen Kandidatin Tara Hollis mit knapp 18% der Stimmen. Im zweiten Wahlgang am 19. November wird er also nicht bangen müssen, weil für ihn gar keiner stattfinden wird, sondern nur für diverse andere Posten.
Auch Billy Nungesser (sprich: Nandshesser), der den amtierenden Lieutenant Governeur (Vizegouverneur) Jay Dardenne ablösen wollte, braucht nicht mehr bangen, denn er hat es nicht geschafft. Er ist der äußerst beliebte Präsident von Plaquemines Parish, einem Landkreis gleich südlich von New Orleans, wo Katrina direkt an Land ging. Einen Namen gemacht hat sich Nungesser vor allem 2010, als er sich lautstark und medienwirksam für die Aufklärung und Beseitigung der Schäden der BP-Ölkatastrophe einsetzte.
Darum sollte es also gehen, aber dann wurde ich hungrig und schaltete in der Küche NPR Berlin ein,  und es lief die Sendung Beale Street Caravan(Die Beale Street ist, wie man vielleicht weiß, die legendäre Bluesmeile in Memphis, Tennessee. Allerdings heute mehr Legende als Blues.) In der heutigen Sendung ging es um George Porter Jr. aus New Orleans, der bei den Meters und den Funky Meters mit Art Neville mitspielt(e), aber vor allem auch als George Porter and the Running Pardners bekannt ist. Purer Funk aus New Orleans. Fast die gesamte Sendung bestand aus einem Konzertmitschnitt mit ihm (man muss sich anmelden, um den Podcast hören zu können). Ansonsten gibt es noch Youtube. Ich muss jetzt aber erst mal kosten, ob ein wild tanzend gekochtes Abendessen anders schmeckt als ein normales.