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Mittwoch, 14. November 2012

Troubled Water

Letzten Freitag war ich tatsächlich bei der angekündigten Finissage in der Galerie erstererster im Prenzlauer Berg. So fast jedenfalls. Ich kam eine halbe Stunde früher an und gleich mit dem Referenten des Abends, Erik Kiesewetter, und der Fotografin, Constanze Flamme, ins Gespräch. Erik Kiesewetter ist Graphikdesigner und Kulturorganisator einer Agentur namens Constance (was für ein Zufall). Unter anderem hat er die letzte New Orleans Biennale mitbetreut und veranstaltet auch eine Art Kunstmarkt unter dem Namen Avant Garden. Sein Name und seine Herkunft sind übrigens deutsch, und so heißt es auf seiner sehr ästhetischen Webseite "Willkommen y'all".
Constanze Flamme war 2011 und 2012 in New Orleans und Louisiana und hat dort fotografiert. Einige wenige Fotos hingen in der Galerie und ihr Katalog Troubled Water lag aus: farbenfrohe, stimmungsvolle und doch ruhige Bilder, die die Auswirkungen von Katrina und der BP-Ölkatastrophe zeigen. Sie erzählte mir von ihrer Hassliebe für die Stadt, was mir als ein sehr jugendlich ungestümes Gefühl erscheint für eine Region, die man ein paar Mal besucht hat? Üblicherweise scheiden sich an New Orleans die Geister, entweder man hasst es oder man liebt es.
Eigentlich sollte Erik Kiesewetter einen Vortrag über New Orleans halten, und beim Techniktest waren auch einige vielversprechende Abbildungen zu sehen und er war ein kluger und wissender Gesprächspartner. Die Galerie füllte sich langsam, doch eine Stunde nach der angekündigten Anfangszeit musste ich enttäuscht die Segel streichen. Constanze Flamme entschuldigte das mit den Berliner Gegebenheiten, was ich übrigens für ein Missverständnis halte (ebenso wie die Tatsache, dass man die Öffentlichen heute eigentlich nur noch mit einer offenen Bierflasche in der Hand benutzt).
Der größte Teil ihrer Fotos ist noch bis 3. Februar 2013 in einer Privatgalerie zu besichtigen: www.uncommonplace.de (nach vorheriger Anmeldung). Schade war's, aber vielleicht werde ich Erik Kiesewetter bei Gelegenheit in New Orleans erleben können.

Sonntag, 4. November 2012

Aktuelles

In der Galerie erstererster in der Pappelallee 69 in Berlin findet noch bis Freitag die Fotoausstellung Troubled Water mit Fotos aus New Orleans statt. Fotografiert hat Constanze Flamme. Am Mittwoch, 7. November, 20 Uhr gibt es dort den Film The Sound after the Storm, ein Dokumentarfilm, der auch vor circa zwei Jahren im Kino lief. Am Freitag 20 Uhr ist eine Finissage mit einem Vortrag des jungen New Orleanser Künstlers Erik Kiesewetter, und Louisiana Cocktails und Funk aus New Orleans werden auch versprochen. Ich habe die Ankündigung gerade erst erhalten, aber vielleicht sehen wir uns dort...

Freitag, 18. November 2011

Die Digedags in New Orleans

Ich war dieser Tage zu Besuch im Südlouisiana meiner Kindheit. Wie die meisten normalen Menschen in der DDR konnte ich natürlich bis zur Wende nicht in den Westen reisen. Ich hatte zwar schon damals meinen Onkel in Amerika und amerikanische Mal- und Märchenbücher, die ich nicht lesen konnte, und Farbfotos mit lächelnden Cousins und Cousinen auf Pferden, mit Autos, in Fantasieuniformen, echt amerikanisch eben. Aber die leben alle in St. Louis, Missouri, ca. 11 Autostunden von New Orleans.
Dass mich eine tiefe Sehnsucht nach New Orleans und Louisiana erfüllte, die später in wahre Liebe umschlagen sollte, das kommt sicher von den Digedags. Wir hatten nämlich ein Abonnement der Comic-Zeitschrift Mosaik. Und im Mosaik reisten die Digedags, die unzertrennlichen Koboldbrüder Dig, Dag und Digedag, ins Weltall, in den Orient, ins Mittelalter, und schließlich in die USA des 19. Jahrhunderts und erlebten die tollsten Abenteuer. Sprachlich vielleicht etwas hölzern, ohne Sprechblasen und Lautmalereien, aber die Handlung ist spannend und ungemein lehrreich. In den USA waren die Digedags Reporter und hatten Gold gefunden, dass sie nach New Orleans bringen und zur Befreiung von Sklaven (die damals noch Neger hießen) einsetzen wollten. Die Figuren und Orte haben amerikanisch anmutende Namen (Jeremy Joker, Turtleville); die Kostüme entsprechen der Zeit, man fährt Schaufelraddampfer und die Häuser sehen anders aus als bei uns. Aber sie sehen auch anders aus als dort, und wenn es immer wieder am Mississippi spielt, sieht das alles in Weitwinkeleinstellungen doch wie ein kleines europäisches Legoland aus und nicht wild und ungestüm, wie die Natur in den USA und vielleicht besonders im Süden ist. Ein imaginäres Louisiana eben, wie so oft. Nebenbei lernt man etwas Geschichte—der Sklavenexpress, die damaligen Bundesstaaten, der anstehende Bürgerkrieg... Natürlich waren die Digedags immer auf der Seite der Guten und Schwachen, und ihre Gegenspieler trugen schwarz und sahen böse aus (Mr. Coffins!).
Irgendwann gab es die Digedags nicht mehr und dafür kamen die Abrafaxe, aber das war einfach nicht dasselbe. Jetzt gibt es das Mosaik wieder und immer noch in Büchern zusammengefasst, so wie diesen Band Die Digedags in New Orleans. Inzwischen gibt es auch eine Mosapedia, die auch eine tolle Wissensquelle ist. 
Wie immer ging auch in New Orleans im Mosaik alles gut aus, die Guten haben gesiegt und ich bin beruhigt wieder nach Berlin zurückgekehrt. Doch die nächsten Abenteuer kommen bestimmt.

Freitag, 11. November 2011

Für kurzentschlossene Berliner

Mehr Tennessee Williams. Noch bis 13. November jeweils 20 Uhr im Tisch-Theater im Schokohof in der Ackerstraße: Fracture, drei Einakter von Tennessee Williams (This Property Is Condemned, Moony's Kid Don't Cry, The Lady of Larkspur Lotion). Tolle internationale Schauspieler, tolles Bühnenbild. Auf Englisch, mit deutschen Übertiteln.

Donnerstag, 20. Oktober 2011

Im Kid Creole in Friedrichshagen

Anfang Oktober, genauer gesagt am Nationalfeiertag, war ich im Kid Creole in Berlin-Friedrichshagen zum Essen eingeladen. Das ist nicht einfach nur ein Restaurantbesuch, es ist ein Ausflug, eine S-Bahn-Fahrt mit viel Grün und Sonnenschein; dann flaniert man die alleenhafte Bölschestraße entlang und isst zuvor noch ein Eis (mein Tipp: Sesam öffne dich, wirklich eine kleine Eröffnung).
Dann kehrt man in einen verwunschenen Hof ein, wo ich es schon sehnsuchtsvoll beäugt hatte: das Kid Creole. Man lümmelt unter Bäumen auf Korbmöbeln oder sitzt drinnen an geöffneten Glastüren. Das Haus ist alt und vielleicht wurde ein Geschoss herausgenommen, denn das Dach ist hoch und spitzwinklig und mit Balken. Die Wände sind ockerfarben und mit Sumpfszenen bemalt. Alles ist mit Kerzen ausgeleuchtet; es läuft dezente Countrymusik, und die Bedienung trägt dunkel mit langen Schürzen.
In der Speisekarte steht eine ganz ähnliche Einleitung wie im Louisiana Kid vor ein paar Wochen; auch einige Gerichte sind ganz ähnlich (Spinat mit Bananenscheiben!) und ich ahne, wer hier vom Kid Creole abgeschrieben hat. (Note to Self: Muss endlich mal den Unterschied zwischen Creole und Cajun erklären.). Wir bestellen Jambalaya und Shrimp Etouffée und einen Rosé-Wein, der dann doch sehr lieblich ist. Das Jambalaya ist einen Hauch zu tomatenmarkig. Es gibt zwar Rezepte mit Tomaten, aber der Hauptgeschmack ist normalerweise vor allem scharf und nicht tomatig. Ein Etouffée kenne ich als cremig und mit Krebsen und eher labbrig, während die Soße hier tiefbraun und sehr würzig und mit Sojasoße versetzt zu sein scheint. Doch wir lassen uns jeden Bissen auf der Zunge zergehen, und ich bestelle noch eine Extraportion Reis, weil es so gut schmeckt, in dem stimmigen Raum mit Blick auf die letzten Herbstsonnenstrahlen. Die Bedienung ist aufmerksam und alles irgendwie ruhig und liebevoll.
Dann fegte ein älteres Ehepaar an den Nebentisch, und ER fing an eifrig zu fotografieren, während SIE an immer anderen Plätzen nachdenklich oder lächelnd oder aufblickte oder in der Speisekarte blätterte. Als die Tochter mit Baby im Bauch und dessen Vater am Arm hereinkam, waren wir dann schon weggeblitzt. Im Nebenzimmer hatte sich eine Gruppe junger Leute zusammengefunden, und als ich so wartete, sah ich sie an der Decke: die Fahne Louisianas mit einem Pelikan und seinen Jungen und der Losung „Union, Justice & Confidence“ (Einheit, Gerechtigkeit & (Selbst)vertrauen). Hehre Wünsche, immer noch.
Das machte es dann doch echt und ernsthaft, ein rührend aufrichtiges Bemühen um ein Stückchen Louisiana in Berlin. Bei unserem Spaziergang zur Bahn gerieten wir in eine bizarre Demo gegen die Nachtflüge des neuen Flughafens, und also zurück nach Berlin. Trotzdem: Ein Ausflug nach Friedrichshagen, in wieder ein imaginäres Louisiana—jederzeit wieder!

Donnerstag, 6. Oktober 2011

Gestern Abend im Zosch

Das Zosch ist eine Kneipe in der Tucholskystraße in Berlin-Mitte, wo ich auch schon mal einen Tee getrunken habe. Steigt man aber zum Beispiel am Mittwoch ab 22 Uhr die gebogene Treppe hinab und geht dort, wo es nicht mehr weiter zu gehen scheint, nach links hinten durch, dann kommt man in ein mit Stimmen und Menschen brodelndes Kellergewölbe. 
Mittwochs spielt die Band La* Foot Creole New Orleans Jazz, und mittwochs ist Stammtisch des Goethe-Instituts. Eine äußerst charmante Kombination. Die Musiker spielen ganz locker und improvisiert vor sich hin und raunen sich dabei auch mal was zu oder meckern sich an oder schrauben an ihrem Instrument herum; indessen lernen sich die jungen Goethe-Studenten intensiv kennen, und es wird kräftig geraucht. 
In der Pause erzählt mir der Bandleader (auf dem Foto hinten rechts mit Trompete und hellblauem Hemd), dass er in den siebziger Jahren in New Orleans tags auf dem Bau gearbeitet und abends in den Klubs gespielt hat, u.a. in der Preservation Hall mit berühmten, jetzt schon nicht mehr lebenden Musikern. Wie so viele andere, fragt er mich, ob New Orleans überhaupt noch stehe. (Na klar, das bleibt. Darüber ein andermal.) 
Im zweiten Set lässt er mich fragen, was ich mir wünsche. Ich, perplex, sage schnell Basin Street Blues. Und schon wechselt der Rhythmus und sie spielen ihn, den Blues, und als er dann noch anfängt zu singen, ein bisschen von Louis Armstrong inspiriert, da stoßen sich die jungen Goethe-Studenten gegenseitig in die Seiten und machen: Psst und schsch! Und ich werde ganz bestimmt wieder einmal am Mittwoch ins Zosch gehen.
*La ist hier sicher der Post-Abkürzung für Louisiana nachempfunden.

Sonntag, 2. Oktober 2011

„Swingin’ New Orleans“ im Haus der Sinne

Gestern war im Haus der Sinne im Prenzlauer Berg die monatliche Swing & Jive Night unter dem Thema „Swingin’ New Orleans!“. Alle waren eigentlich vor allem zum Swing tanzen gekommen und konnten es auch wirklich. DJ Kuddlemuddle legte ausschließlich Swing aus New Orleans auf und später spielten The Seven End Stompers aus Zehlendorf live. Swing aus New Orleans meinte hier Dixieland oder den sogenannten New Orleans Jazz, das heißt die Musik von Louis Armstrong und seiner Zeit, und davon die Stücke, zu denen man Swing tanzen kann. 
Die Band war siebenköpfig, mit Posaune, Trompete, Klarinette/Saxophon, Klavier, Kontrabass, Banjo und Gesang/Trommel, meist weißhaarige Hasen, aber der singende DJ und der Klarinettist waren jung. Sie spielten den bekannten „Basin Street Blues“ (die Basin Street gleich außerhalb des French Quarters gehörte zum legendären Rotlichtviertel Storyville, wo Louis Armstrong und der Jazz gemacht wurden), „Ain’t Misbehavin’“ und andere Stücke, die mir nicht so geläufig waren. Der DJ hatte wirklich Ahnung, und später legte er auch „Just a Gigolo/I Ain’t Got Nobody“ von Louis Prima auf, der natürlich auch aus New Orleans war. 
Auf die Musik an sich achtete wohl kaum jemand, denn alle waren eifrig und überschwänglich mit Tanzen beschäftigt. Und wie! Viele ganz jung, manche wenige sogar im Look der Zeit, die Dame mit eingerolltem Haar und schwingendem Rock, der Herr mit Anzug und Hut. Und einige mit diesen schwarz-weißen Schuhen. Ob es so etwas auch in New Orleans gibt, weiß ich nicht; authentisch schien es mir wirklich nicht. Aber es war fröhlich und äußerst beswingt, und alle, wirklich alle, genossen den Augenblick.
Und was ist schon authentisch? Inzwischen kann ich mich einfach an der Idee von New Orleans freuen und wie sie hier und anderswo inszeniert wird. Denn diese Idee, von Lebensfreude, Kreativität, Gemeinschaft und so weiter, ist in ihrem Kern absolut authentisch.  

Donnerstag, 29. September 2011

Tennessee-Williams-Jahr?

In Berlin war dieses Jahr eine Art inoffizielles Tennessee-Williams-Jahr zum 100. Geburtstag des Dramatikers. Thomas Lanier Williams (1911-1983) wuchs in Columbus, Mississippi, auf—dem, was eigentlich mit dem „tiefen Süden“ gemeint ist. Er studierte in St. Louis, Missouri, und begann dort zu schreiben. Er nannte sich Tennessee, weil die Familie väterlicherseits von den ersten Pionieren dort abstammte und vermachte später sein Erbe an die Alma Mater seines Großvaters in Sewanee, Tennessee. Doch als er 1939 nach New Orleans kam, sollte ihn die Stadt nie mehr loslassen und wurde Schauplatz seiner bekanntesten Stücke. Hier blühte er auf, fand seine Stimme, begann seine Homosexualität offen zu leben, wurde weltberühmt.
Das English Theatre in Berlin zeigte im Frühjahr Summer and Smoke (Sommer und Rauch, 1948) mit der beeindruckenden Carrie Getman als Alma Winemiller, Tochter eines Pastors (wie auch TWs Großvater). Sie gab ganz passend die propere Debütantin und southern belle (Südstaatenschönheit), bei der es unter dem zarten Teint brodelt und deren Liebe nicht stattfinden kann, weil der lebensfreudige Dandy ihr nichts entgegenzusetzen hat (und ein bisschen galt das auch für die Inszenierung). 
Im Berliner Ensemble lief Endstation Sehnsucht (A Streetcar Named Desire, 1947) in der Regie von Thomas Langhoff, die Geschichte zwischen Blanche und Schwager Stanley und ihrer jüngeren Schwester Stella. Es spielte Dagmar Manzel, die für meine Begriffe zu viel „manzelt“. Vages New-Orleans-Gefühl mit einer kleinen Band, aber das Ganze irgendwie bemüht, unglaubwürdig, seltsam unberührend.
Und dann war da noch Die Glasmenagerie (The Glass Menagerie, 1944) im Maxim-Gorki-Theater, in der Inszenierung von Milan Peschel, wo sich eine tragische Konstellation aus Bruder, behinderter Schwester, neurotischer Mutter in purem Slapstick, Klamauk und Siebziger-Jahre-Design auflöste.
Die Stücke und ihre Figuren sind verschroben, schmerzlich und zutiefst wahr. Vor allem die intensiven Frauenfiguren haben eine Dringlichkeit, einen existentiellen Schmerz, der sie an den männlichen Figuren scheitern lässt. Und auch New Orleans, das sonst meist für Ausschweifungen und Frohsinn steht, ist in diesen und anderen Stücken von Tennessee Williams eine weltschmerzende Dame.
Doch zeigen uns die deutschen Aufführungen nicht, was uns der Dichter heute und hier zu sagen hat. Dabei gibt es noch immer Frauen und Männer, die mit sich, mit einander, mit der Welt kämpfen. Und New Orleans, wo Endstation Sehnsucht und Die Glasmenagerie spielen, ist in den letzten Jahren auf besondere Weise ins Bewusstsein der Welt gerückt. Eine gut gemeinte und doch halbherzige Hommage? 


In New Orleans ist übrigens jedes Jahr Tennessee-Williams-Jahr. Seit 1987 findet Ende März immer das Tennessee Williams Literary Festival im French Quarter statt, mit Lesungen, Vorträgen, Theater und verschiedenen Wettbewerben: Der Lyrik-Wettbewerb für das nächste Jahr ist schon geschlossen, aber für Belletristik und Einakter sind Einreichungen noch bis zum 15. bzw. 1. November möglich. Es winkt die VIP-Teilnahme am nächsten Festival (21. bis 25. März 2012), Flug, Übernachtung im French Quarter...

Samstag, 10. September 2011

Im Louisiana Kid in Berlin

Gestern war ich im Louisiana Kid in der Alten Schönhauser Straße. Beinahe hätten mich die schlechten Kritiken im Internet davon abgebracht: aufgewärmte Fertigprodukte, lustlose Bedienung, lärmende Touristen aus dem dazugehörigen Hostel, heißt es dort. Tatsächlich ist das Restaurant unten im Wombat’s Hostel (was ein australisches Nagetier ist) und teilt sich mit diesem die Toilette. Als wir gegen halb sieben ankamen, waren wir fast die ersten, und dann füllte sich das Restaurant sehr gemächlich. Die Einrichtung ist gediegen: dunkle Holztische und –stühle, ein paar dunkelgrüne Dinerbänke, viele Fotos, atmosphärisches Licht. Die aubergine-dunklen, zur Seite gerafften Vorhänge erinnern an reichere louisianische Häuser, waren aber zu durchsichtig, um echte Hitze und Sonne abzuhalten. 
Wir bestellten Wein, weil es kein louisianisches Bier gab und die Cocktails recht teuer waren. Und zu speisen: CREOLE CREAMED SPINACH (Lauwarmer Blattspinat in leichter Dijon-Senf-Sahnesauce mit Bananenscheiben und gerösteten Sonnenblumenkernen“) für 7,20 € und BLACKENED CATFISH („Landestypisch, in einer etwas schärferen Gewürzmischung, dunkel gebratener, amerikanischer Wels mit Süßkartoffelpüree und mildem Bananendip“) für 12,80 €. Das Warten hätten wir uns mit etwas pappigem Weißbrot und Becel-Diätmargarine aus kleinen Hotelportionierungen vertreiben können. 
Als das Essen kam, war es schon irgendwie exotisch, aber wie erwartet nicht besonders authentisch. Dabei ist es natürlich schwierig, woanders, wo die Zutaten immer anders sind, wie zu Hause kochen oder backen zu wollen. Und doch: Schon die Kombinationen klingen ungewöhnlich: Bananen? Stimmt, die wachsen in Louisiana, werden aber nie zum Essen reif. Dijon-Senf? Ja, gibt’s dort auch im Supermarkt. Süßkartoffelpüree? Isst man in den ganzen USA zu Thanksgiving, ist aber nicht besonders typisch für den Süden. Der Spinat schmeckte vor allem senfig und der Fisch nach Marjoran. Meine Begleitung meinte, es schmecke, als wenn sich ein paar Studenten überlegt hätten, mal was Anderes auszuprobieren. Etwas bestärkt in dieser Ansicht hat mich auch die Erklärung auf der Speisekarte, dass man die Cajuns auch als Kreolen bezeichnen könnte, aber diesen Unterschied werde ich ein andermal erklären.
Nach dem Essen habe ich die Fotos an den Wänden studiert, aus Neugier, was man mit Louisiana so assoziiert. Es waren durchweg historische Fotos und durchweg von Schwarzen (dabei sind die Cajuns ja europäischer Abstammung). Sehr viele Musiker, meist arm aussehend, darunter auch eine Beale Street Band (wobei die Beale Street in Memphis, Tennessee, ca. 5-6 Stunden entfernt, liegt und als Geburtsstätte des Blues gilt). Eine Wand war vor allem Fotos von Malcolm X, Martin Luther King und Muhammad Ali vorbehalten, Ikonen der Bürgerrechtsbewegung, die aber nichts mit Louisiana zu tun haben, außer das Muhammad Ali mal in New Orleans geboxt (und gewonnen) hat. Nur auf der einen Wand war eine kleine Singlehülle von Louis Armstrong und seinen Hot Five. Ach, und die Musik im Restaurant war zurückhaltend und unbestimmt bluesig.
Der Name Louisana Kid sagt mir erst einmal nichts. Vielleicht ist es eine Abwandlung von Kid Creole, einem Restaurant in Friedrichshagen, oder man kocht nach dem Kinderkochbuch Louisiana Kid's Cookbook: Recipes, How-To, History, Lore & More! von Carole Marsh, das es mal gegeben haben muss?
Und doch ist dies kein Verriss, denn der Abend war nett und das Ambiente angenehm. Besonders reizvoll ist, dass das Restaurant ca. 20-30 Zentimeter tiefer als der Bürgersteig liegt und und die Fenster bis auf diesen reichen, durch die man einen lautlosen, meditativen Blick auf den Freitagabendverkehr mit den strahlenden Ampeln hat. Ein Hund kam auch und schnüffelte ausgiebig vor unserem Fenster.
Also, für eine Phantasiereise in eine Karl-May-mäßig phantasierte, exotische Welt mitten in Berlin ist das Louisiana Kid allemal gut. 

Montag, 29. August 2011

Notizen über die Leerung einer Stadt

Am heutigen Montag jährt sich der Hurrikan Katrina zum sechsten Mal. In den Tagen und Wochen danach wurde die Überflutung von Teilen von New Orleans auch hier zum Medienereignis – rund um die Uhr. Seitdem reißt das Interesse nicht ab – erst kamen die Dokumentarfilmer (auch Profilierungssuchende), dann folgten Spielfilme, dann fiktionale und andere Bücher, die zum Teil schon auf dem deutschen Markt sind. Jetzt erreichen uns hier auch künstlerische Verarbeitungen: im September 2010 die Floodwall-Ausstellung von Jana Napoli auf dem Kurierschiff, im März 2011 ein Kunstfest namens NOLA Pearls im Direktorenhaus (allerdings ohne Katrina-Schwerpunkt).
Die schockierend-faszinierenden Bilder von der unglaublichen, von Menschenhand gemachten Katastrophe haben dem Mythos als Stadt des Jazz und des Voodoo und vielleicht der Vampire ein real und aktuell erscheinendes Gesicht hinzugefügt und in ihrer Tragik und Ungeheuerlichkeit tief berührt. Viele der hier lebenden Amerikaner erfüllt die Angelegenheit, glaube ich, mit Scham. New Orleans, scheint es, ist hier bei eben so vielen Menschen auf dem Radarschirm wie New York, London oder Paris.
Am Donnerstag Abend zeigte der Künstler Ashley Hunt in der Buchhandlung pro qm seine Performance Notes on the Emptying of a City (Notizen über die Leerung einer Stadt). An einem hohen Tisch mit Schreibtischlampe sitzend verlas er einen nachdenklichen, eloquenten Text (hier eine frühere Fassung)  und zeigte einige Standbilder und kurze Videosequenzen. Ashley Hunt hat irgendwann mal im French Quarter gelebt und kam gleich nach dem Sturm in die Stadt, um dort zu filmen. Zu Beginn der Performance dröhnte mir das „We’re all Katrina’d out!“ (Wir haben genug von Katrina!) im Kopf herum, das ich 2009 bei meinem letzten Besuch in New Orleans gehört hatte. Dann gewann er dem Ganzen aber doch eine neue Dimension ab, dazu unten mehr. 
Der Vortrag befasste sich einerseits mit einer Right To Return-Kundgebung, wo sich vor allem schwarze Aktivisten für das Recht auf Rückkehr aussprachen (die vielen Leuten aus verschiedenen Gründen erschwert oder verweigert wird) sowie mit Pressekonferenzen und -erklärungen zum Schicksal der Häftlinge im Gefängnis von New Orleans, die während und vor allem nach dem Hurrikan tagelang sich selbst überlassen blieben. Einige Aktivisten erzählen über Polizeiwillkür, besonders auch rassistisch motiviert, in jenen Tagen. Hunt berichtet, wie er bei einer Pressekonferenz abgewimmelt wird und beschreibt minutiös, wie zwei weiße Polizisten einen schwarzen Passanten in der leeren Stadt schikanieren. Er selbst war im Auftrag der Organisation Critical Resistance in New Orleans, die sich gegen die Ausbreitung des „gefängnisindustriellen Komplexes“ in den USA einsetzt, was also den besonderen Fokus erklärt.
Wenn man Ashley Hunt Widerstand entgegensetzt, so erzählt er, dann setzt er einen optimistischen, erwartungsvollen Blick auf und wartet ab, was dann bedeutet: „Sie werden mir sicher gleich etwas Besseres anbieten.“ So ähnlich verläuft auch die anschließende Diskussion als Teil der Performance: Ruhig und ausführlich beantwortet er alle Fragen und wartet leise lächelnd, auch als viele Leute schon aus dem engen, stickigen Raum stürzen. Er berichtet von Auftritten an verschiedenen Orten in den USA und in Puerto Rico und dass die Zuhörer sich oft an ihre eigene Situation erinnert fühlen. 
So gesehen erinnert mich die Entmächtigung der Bewohner, die Übernahme ganzer Stadtteile durch Gentrifizierung schon ein wenig an den Prenzlauer Berg. Doch wie auch in New Orleans ist das nicht nur eine einfache Ost-West- bzw. Schwarz-Weiß-Konstellation. Der Rassismus, der sich in den Bildern von den Zurückgelassenen oder in der Polizeigewalt oder auch in der „Bereinigung“ und Gentrifizierung bestimmter Stadtteile zeigt und zeigte, dieser systemische und politische Rassismus ist nicht spezifisch für New Orleans und geht zumindest hier nicht allein von Weißen aus, und das macht die Sache noch komplizierter und brisanter.
Seit mehreren Jahrzehnten sind viele der Stadtoberen in New Orleans Schwarze und Kreolen, und viele der Projekte, die ganze Stadtteile säubern und gentrifizieren, wurden unter dem letzten Bürgermeister Ray Nagin (einem Afroamerikaner) angenommen. Der angesehene New Orleanser Kongressabgeordnete William Jefferson ist berühmt für die 90.000 Dollar Bestechungsgeld, die in seinem Tiefkühlschrank gefunden wurden, und der beliebte Stadtratsabgeordnete Oliver Thomas wurde 2007 wegen Bestechung verurteilt.
Was ich an diesem Abend als neu empfinde, ist Ashley Hunts ausführliche Reflektion über die Rolle des Berichterstatters im Bericht selbst. Er entscheidet sich bewusst für die des Künstlers, die ihm als die offenste erscheint. Mir gefällt das und ich möchte diese auch gern für diesen Blog beanspruchen. Eine Rolle also, in der ich mich New Orleans offen, neugierig, nachdenklich und liebevoll nähere, was natürlich vor Fehlern nicht feit. Und vor allem möchte ich Klischees nicht unbesehen übernehmen oder festgezurrte Wahr- und Weisheiten einfach wiederholen. Und da bin ich mir nicht sicher, ob Ashley Hunt das durchgehend gelungen ist. 

Liebe taz!

Hier mein (unveröffentlichter) Leserbrief letztes Jahr zu einem Artikel über die Bürgermeisterwahl „Zeitenwechsel am Mississippi: New Orleans verliert an Farbe“, taz vom 6. Februar 2010
„Danke, dass Ihnen das Thema einen längeren Artikel wert ist. Hier mein Kommentar:
Ganz selten ist die Welt einfach nur schwarz-weiß, und in New Orleans ist sie es schon gar nicht. Die Stadt besteht aus einem komplizierten Gefüge mit den verschiedensten ethnischen und kulturellen Schattierungen. Afroamerikaner, wie der letzte Bürgermeister Ray Nagin und wie der Kandidat Troy Henry, sind hier häufig Kreolen und entstammen lang eingesessenen Familien wie auch die berühmten Musikerdynastien Neville und Marsalis. In vielfältigen Hierarchien und Konstrukten leben in New Orleans Schwarze und Weiße hier unweigerlich zusammen und kommen auch heute nicht ohne einander aus.
32 Jahre lang hatte die Stadt, die landesweit für ihre Korruption und Kriminalität bekannt ist, schwarze Bürgermeister, wie Sie schreiben, aber auch Polizeichefs, Bildungssenatoren usw. Bürgermeister Ray Nagin trat 2002 als vom Establishment unabhängiger Geschäftsmann an, um mit diesem Sumpf aufzuräumen, und war für schwarze und weiße New Orleanser eine Lichtgestalt. Doch auch er versagte im Hurrikan Katrina und wurde gebrochen, wie man hier sagt, in einem Inkompetenzgerangel zwischen Bundes-, Staats- und Stadtbehörden. Seit er 2006 überraschend wiedergewählt wurde, hat er vor allem mit schlechten Schlagzeilen von sich reden gemacht. Jetzt sehnt sich die geplagte Stadt nach Klarheit und Übersichtlichkeit und hat sich statt für Mitch Landrieu entschieden, der in die Welt der Politik hineingeboren wurde und vielleicht auch bessere Drähte nach Washington hat.
Im Wahlkampf des abgeschlagenen Zweiten Troy Henry war die Sorge um die Rasse des nächsten Bürgermeisters durchaus thematisiert worden. Nach der Wahl am Sonnabend trat er bei Mitch Landrieus Wahlparty auf die Bühne und feierte dort mit. Auf die Frage, welche Rolle die Rasse bei Landrieus Wahl gespielt hat, sagte er: „Ich glaube, er war der führende schwarze Kandidat“ und: „Mitch wird ein fantastischer Bürgermeister“.
Ob Mitch Landrieu tatsächlich ein guter Bürgermeister wird, der Arbeitsplätze schafft, damit die immer noch woanders Lebenden zurückkehren können, der die Kriminalität senkt, damit die dort Wohnenden wohnen bleiben, der die Stadt vor weiteren Katastrophen schützt und sie auf nationaler Bühne angemessen repräsentiert, all das ist ungewiss. Doch wenn es ihm nicht gelingen sollte, dann sicherlich nicht nur, weil er weiß ist."