Montag, 27. Februar 2012

Ein Montagmorgen auf NPR Berlin

Für alle, die es noch nicht wissen, National Public Radio hat seit einigen Jahren einen eigenen Sender in Berlin auf 104,1 und produziert auch einige kleine Berlin-spezifische Segmente, die ich persönlich meistens nicht so reizvoll finde. Aber es hat die meisten anderen tollen Programme, die ich schon in den USA über Jahre hinweg an verschiedenen Orten liebte: Fresh Air, All Things Considered usw.
Der heutige Morgen war auf NPR Berlin besonders New-Orleans-intensiv. Zuerst lief eine Wiederholung der Sendung State of the Re:Union - New Orleans: The Big Easy vom Herbst. Darin ging es um Bürgerinitiativen gegen die hohe Kriminalität nach Hurrikan Katrina, um die jungen zugewanderten Helfer und das Anwachsen der Latinobevölkerung nach Katrina und die dort entstandene Hiphop-Richtung Bounce und viele andere Dinge. Auf der Webseite kann man sich die Sendung anhören und findet viele andere Quellen und Links.
Danach lief Ira Glass' This American Life, heute unter dem Titel "Held Hostage" (In Geiselhaft). Darin kamen auch einige Hausbesitzer in New Orleans vor, die irgendein Verrückter mit selbst gefälschten gerichtlichen Dokumenten immer wieder aus ihren Häusern drängen wollte, so dass sie ständig ihr Recht einklagen mussten.
Anschließend lief Le Show von Harry Shearer, der manchmal auch aus New Orleans sendet und immer wieder auf seinen preisgekrönten Film The Big Uneasy aufmerksam macht, in dem er die mangelhafte Arbeit des für die Deiche zuständigen Army Corps of Engineers anprangert. Eine Sendung, wie sie bei uns unmöglich wäre, weil sie nur aus dem meist satirischen Monolog des Moderators und gelegentlichen Dialogen mit verstellten Stimmen besteht. Heute gratulierte Harry Shearer dem New Orleanser Autor Lolis Eric Elie zum Erhalt des 43. NAACP Image Awards in der Kategorie "Outstanding Writing in a Dramatic Series" (Hervorragendes Skript für eine dramatische Fernsehserie) für seine Mitarbeit an Treme. Der NAACP ist die National Association for the Advancement of Colored People, die seit 1909 bestehende Bürgerrechtsorganisation, die vor allem Afroamerikaner fördert und eigentlich nur noch in der Abkürzung benannt wird, da die Bezeichnung "colored people" heute überholt und unangemessen ist. Zu meiner Zeit war Lolis Eric Elie noch ein junger Kolumnist bei der New Orleans Times-Picayune. Jetzt gibt es von ihm Bücher, einen Dokumentarfilm über das Faubourg Treme, und das Journalismus-Institut der New Yorker Columbia University ernannte ihn zum Alumnus of the Year.
Eine Sendung vermisse ich hier in Berlin ganz besonders: American Routes, die von dem New Orleanser NPR-Sender WWNO produziert wird. Hiermit lege ich NPR Berlin diese tolle Musiksendung mit und von dem Ethnomusikologen Nick Spitzer wieder einmal ans Herz. Ich werde auch ganz bald wieder etwas spenden...

Sonntag, 26. Februar 2012

Lucky Dogs

Eine der Arbeitsstellen, auf der sich Ignatius Reilly in The Confederacy of Dunces versucht (siehe meine Besprechung vom 3. Februar), ist als Verkäufer bei Paradise Vendors, die eigentlich Lucky Dogs heißen. Es handelt sich dabei um Hotdogs, die an einem hotdog-ähnlichen Wägelchen im Straßenverkauf fertiggestellt und verkauft werden. Diese gibt es auch heute noch, vor allem im French Quarter. Die Lucky Dogs sind eine Institution und sie gehören einfach zu New Orleans.
Vor einiger Zeit habe ich das Buch Managing Ignatius von Jerry E. Strahan gelesen, der um die 25 Jahre Geschäftsführer von Lucky Dogs, Inc., war. Der Untertitel des Buches lautet The Lunacy of Lucky Dogs and Life in the Quarter (Der Wahnsinn von Lucky Dogs und das Leben im French Quarter) und so ist diese informelle Firmengeschichte auch eine Beschreibung der "Halbwelt" in diesem malerisch-historischen Stadtviertel, für das man New Orleans vor allem kennt. Denn bei Lucky Dogs arbeiten allerlei Gestrauchelte, denen dieser Job manchmal wieder auf die Füße hilft, aber manchmal auch nicht.
Dieser Tage, so hieß es in der Zeitung Times-Picayune, wurde ein Lucky-Dogs-Verkäufer für seine Rolle in einem Mordkomplott gegen einen wohlhabenden Geschäftsmann verhaftet, der zum Mardi Gras beraubt und getötet werden sollte (was zum Glück vereitelt wurde). Der Verkäufer hatte seinen Wagen an der Ecke der Bourbon und der Canal Street.
Ignatius Reilly, der Held bei John Kennedy Toole, hat es übrigens nicht lange bei Paradise Vendors, alias Lucky Dogs, ausgehalten. Denn er legte sich mit potentiellen Käufern an und fühlte sich von Passanten angegriffen, so dass er schließlich alles Hotdogs selber essen musste, um sein problematisches Magenventil zu beruhigen. Aber trotzdem endete ja der Roman bekanntlich mit einer Art Happy End. So wie übrigens auch einige der Schicksale bei den wirklichen Lucky Dogs.

Dienstag, 21. Februar 2012

This just in

Ein Freund aus Baton Rouge sandte mir diesen Hinweis: Schon wieder eine Sendung über New Orleans, diesmal im Saarländischen Rundfunk, letzten Mittwoch, 15.2.2012, 21 Uhr, unter dem Titel weitweitweg - Karneval in New Orleans. Die 45-minütige Sendung ist insgesamt sieben Tage lang in der Mediathek anzusehen, also vielleicht heute und morgen noch.
Die Sendung und der Begleittext finden sich hier. Im dazugehörigen Blog lese ich, dass es sich um den Film von Karl Teuschl handelt, der am 2. Januar als New Orleans - zwischen Rhythmus und Ruin auf 3sat lief und den ich am 14. Januar hier besprochen habe.
Happy Mardi Gras everyone!

Montag, 20. Februar 2012

Mardi Gras

In New Orleans und Südlouisiana ist heute Lundi Gras, der Tag vor Mardi Gras, Französisch für "Fetter Dienstag", also Fastnachtsdienstag, der auch dem ganzen Karneval seinen Namen gab. Gestern fanden mindestens vier Paraden nur in New Orleans selbst statt, ganz abgesehen von den Vororten, heute drei, und morgen ist der Höhepunkt mit der sehr beliebten afroamerikanischen Parade Zulu und der traditionellen Rex-Parade. Ich konnte auf die Schnelle nicht herausfinden, wer dieses Jahr King Zulu ist, aber bei Bacchus am Sonntag war der Schauspieler Will Ferrell König. Es gäbe so viel zu berichten, auch über die Mardi Gras Indians, den Cajun Mardi Gras auf dem Lande, die gestern leider verregnete, wilde Spanish Town Parade in Baton Rouge mit Rasenmäherballett, über die Touristen und die protestierenden Christen im French Quarter...
Aber meine Fernberichterstattung muss auf die Schnelle bleiben, denn am Sonnabend, 18.2.2012, gab es bei mir den Karneval der Literaturen. Zum 5. Mal habe ich hier im urlutherischen, wie ein Besucher meinte, "karnevalskargen" Berlin eine kostümierte Karnevalslesung und -feier veranstaltet. Das war lange Zeit nicht einfach, da oft nur sehr wenige Besucher kamen (einmal waren wir zu dritt). Doch seit ich im letzten Jahr ausdrücklich auch Karnevalsmuffel einlade, setzt es sich langsam durch. Auch dieses Jahr lasen wir Texte zum Karneval, darunter mit verteilten Rollen Tennessee Williams' Lord Byron's Love Letter; die besten literarischen Kostüme wurden prämiert, tja und jetzt greift der Ernst des Lebens wieder um sich. Spätestens am Aschermittwoch ist auch in New Orleans alles vorbei, aber bis dahin Laissez les bons temps rouler!, wie es dort heißt, Lasst die guten Zeiten rollen!

Freitag, 17. Februar 2012

Global Salon: New Orleans 2

Ich habe mir gerade den Podcast angesehen, hier. Das Terence Blanchard Quintet spielte, Susan Bernofsky las aus einem Romanmanuskript, das in New Orleans nach Katrina anfängt. Der Gastgeber Eddie Robinson zeigte ein paar Videoclips und führte durch ein faszinierendes Gespräch mit klugen und denkenden Teilnehmern. Sehenswert.

Mittwoch, 15. Februar 2012

Global Salon: New Orleans - heute in New York

Prominente aus New Orleans, das sind vielleicht Musiker oder Schriftsteller, oft auch schon tot, dann noch die Komikerin Ellen DeGeneres, die Journalistin Cokie Roberts und ein paar andere, aber sonst? Und meistens leben sie dann auch nicht mehr in New Orleans, wenn sie berühmt werden.
Eine aus New Orleans stammende Prominente unter Übersetzern und Kennern deutscher Literatur ist Susan Bernofsky, Übersetzerin von Robert Walser, Yoko Tawada und anderen modernen Klassikern ins Englische. Letzte Woche, kurz bevor sie das Festival Neue Literatur mit jungen deutschsprachigen Schriftstellern in New York ausrichtete, wurde bekannt, dass sie den mit 15.000 Euro dotierten Calwer Hermann-Hesse-Übersetzerpreis erhält, für ihre Übersetzung von Siddharta und für ihr Gesamtwerk. Sie ist auch Vorsitzende des Übersetzungskomitees des PEN, lehrt am Queens College, schreibt selbst Bücher, Essays und Artikel und betreibt den den Blog translationista.
Susan Bernofsky reist viel, auch gern nach Berlin, und ist überhaupt äußerst aktiv. Heute Abend (19 Uhr) tritt sie im New Yorker The Greene Space in einem Global Salon: New Orleans auf, zusammen mit dem Musiker Terence Blanchard und dem Terence Blanchard Quintet. 
Terence Blanchard ist Trompeter und Komponist und spätestens aus Spike Lees bewegendem Dokumentarfilm When the Levees Broke (2006) bekannt (hier und hier), wo zu sehen ist, wie er mit seiner Mutter in ihr während Katrina überflutetes und verwüstetes Haus zurückkehrt. Seitdem hat er an verschiedenen Filmen mitgewirkt und 2010 einen Grammy für Best Instrumental Jazz Solo Performance erhalten, für den Titel "Dancin' 4 Chicken'. Er komponierte auch die Musik für eine aktuelle Aufführung von Tennessee Williams' A Streetcar Named Desire (Endstation Sehnsucht) auf dem Broadway. Auch er lebt nicht mehr in New Orleans.
Mit diesem Global Salon endet heute eine Reihe, in der es u.a. um Japan, Ägypten und Schweden ging. Der Abend soll eine explosive Reise mit Musik, Kultur, Kunst und Film sein, wobei der Wiederaufbau und Umweltinitiativen die Grundlage des Salons bieten sollen. Das Ganze in 1,5 Stunden für 30 Dollar. Und: "Evening includes a complimentary glass of wine or beer and snacks that honor the country of exploration." (An dem Abend wird ein Glas Wein oder Bier gereicht und Snacks, die das zu erkundende Land würdigen.)
Na, dann wünsche ich New Yorkern und Gästen ein mundendes Erkunden von New Orleans, diesem fremden Land...

Montag, 13. Februar 2012

Neues vom Wochenende

Dieses Wochenende liefen wieder mehrere Paraden, wegen der kurzen Karnevalssaison in diesem Jahr etwas geballt. Gestern war dabei wieder die Barkus-Parade (Anspielung auf die berühmte Bacchus-Parade, die am 19.2. marschiert). "To bark" heißt natürlich "bellen", tja und so ist es denn auch eine Hundeparade. Einen kleinen Film findet man auf nola.com rechts unten unter Krewe of Barkus. Fotos finden sich hier.
Auch an diesem Wochenende fand die Verleihung der Grammy Awards statt, überschattet von Whitney Houstons Tod. Die britische Sängerin Adele und einige andere haben ziemlich viele Preise abgeräumt. Aber einen großen Erfolg für New Orleans gab es auch: Die heißgeliebte, ur-New-Orleansische Rebirth Brass Band erhielt einen Grammy in der Kategorie "Regional Music", die, und das war nicht ganz unumstritten, neu aus den früheren Kategorien Cajun/Zydeco, Polka, hawaiische und indianische Musik geschaffen wurde. Der Sousaphon-Spieler Phil Frazier hatte früher einmal gesagt, er möchte lieber einen Grammy gewinnen als reich sein, was ja schon mal geklappt hat. Und auf dem Weg zur Bühne meinte er wohl, hoffentlich falle ich nicht in Ohnmacht, ist er aber wohl nicht. 
Die Band wird jetzt schnell wieder aus Los Angeles zurückkehren, um ihren traditionellen Dienstagsgig im Maple Leaf in New Orleans zu spielen und vom 16. bis 18. Februar im Howlin' Wolf. Siehe auch meinen früheren Eintrag zum Sousaphon und zur Rebirth Brass Band. Und auf diesem Youtube-Video vom Aufwärmen vor einem Konzert sieht man den Sousaphonisten besonders gut.

Sonntag, 12. Februar 2012

Die Elektrische


Tennessee Williams’ Theaterstück oder vielmehr dessen Titel „Endstation Sehnsucht“ ist allgemein bekannt, vielleicht auch noch der Originaltitel „A Streetcar Named Desire“ (Eine Straßenbahn namens Sehnsucht), aber dass in New Orleans seit dem 19. Jahrhundert fast ununterbrochen eine Straßenbahn fährt, das weiß man wohl weniger.
In den Stadtteil Desire, der jetzt eher für problematische Sozialwohnprojekte (projects) bekannt ist, fährt seit 1948 nur noch ein Bus. Aber besonders auf der alleenhaften St. Charles Avenue fährt die Straßenbahn regelmäßig, zuverlässig und treu wie eh und je, und so war es ein besonderer Einschnitt als sie von August 2005 bis Dezember 2006 nach Hurrikan Katrina wegen zerstörter Oberleitungen usw. gar nicht verkehrte, danach nur auf Teilstücken, und schließlich seit Juni 2008 wieder vollständig. 
Dabei handelt es sich nicht um eine Straßenbahn wie wir sie hier kennen, sondern jeweils um einen einzigen historischen Waggon (ein streetcar eben), auf hohen Rädern, nicht klimatisiert und mit Mechaniklärm nicht nur, wenn die Fahrer mit riesigen Hebeln manövrieren. Es zieht durch die auf beiden Seiten geöffneten Fenster, die Bänke sind eng, hart und etwas abschüssig, und sie fährt auch scheinbar nicht nach einem festen Fahrplan, sondern eben immer mal wieder. Es sind die alten, historischen Wagen im immer gleichen grün-rostfarbenen Anstrich. So wie vielleicht ganz früher hier in Berlin die Elektrische fuhr (die hier erfunden wurde). Wunderbar!
Die Elektrische wird nicht nur von Touristen benutzt, sondern ist ein richtiges, wichtiges Verkehrsmittel. Eine reine Touristenattraktion ist die kurze Riverfront-Linie in Rot und Gelb. Wie überall gab es in New Orleans früher sehr viele Straßenbahnen, von mindestens sechs Betreibern, doch sie wurden ab spätestens Mitte des 20. Jahrhunderts abgeschafft. Unmotiviert liegende Straßenbahnschienen auf verschiedenen Straßen kunden davon. Seit einigen Jahren gibt es eine kleine Renaissance. Die Canal Street-Linie, die lange nur von Bussen befahren wurde, wurde 2004 wieder eingerichtet. Die New Orleans Regional Transit Authority (RTA) plant noch zwei Erweiterungen, von der Canal Street zum Bus- und Eisenbahnhof und eine Linie entlang des French Quarters, die 2012 bzw. 2013 in Betrieb genommen werden sollen.
Zu der Zeit als Tennessee Williams im French Quarter lebte, fuhr übrigens ein einsamer Straßenbahnwagen mit dem Ziel und der Aufschrift Desire (Verlangen, Sehnsucht) linienmäßig durch das French Quarter und gab dem Stück den Titel. Der Wagen Nr. 453 dieser Linie ist konserviert und zu besichtigen.
Diesen und viele andere historische Fakten (warum die New Orleanser Straßenbahn olivgrün ist, wer die erste Straßenbahnfahrerin war usw.) über New Orleans kann man von Blake Pontchartrain erfahren (nach dem Lake Pontchartrain, dem riesigen Salzwassersee im Norden der Stadt), der in der wöchentlichen Programmzeitung Gambit eine Kolumne hat.

Dienstag, 7. Februar 2012

Only in New Orleans

Die Saison der Mardi Gras-Umzüge wurde am Sonnabend mit dem der Krewe du Vieux (Kru de Viu) eingeleitet, deren Name sich auf das French Quarter (Vieux Carré) bezieht, durch die sie als einzige Mardi-Gras-Parade zieht. Oder zog, denn über die Krewe de Joan of Arc habe ich schon berichtet und wie ich hörte, folgte der Krewe du Vieux die Krewe Delusion auf dem Fuße. Im French Quarter sind die Straßen eng, so dass die floats (Karnevalswagen) nicht von Traktoren oder Sattelschleppern gezogen werden, sondern von Menschenhand oder mit Maultierkraft und man läuft zu Fuß. Die Krewe du Vieux ist immer satirisch, dieses Jahr mit dem Thema Crimes against Nature (Verbrechen gegen die Natur) und ihr gehören 16 oder 17 Untervereine (Subkrewes) an, darunter auch Comatose, Krewe of Space Age Love und Underwear. Vor langer Zeit bin ich einmal in der Krewe de Vieux mitgelaufen, wo wir als Einkaufende verkleidet waren, denn das Thema war der Unfall eines libanesischen Frachters, der 1996  in das Riverwalk-Einkaufszentrum gerammt war, das sich direkt am Mississippi befindet. Danach gab es auch einen tollen Ball mit der Musikerin Irma Thomas.
Die Krewe du Vieux ist natürlich eine alternative und junge Krewe, während die altehrwürdigen 140 Jahre alten Krewes geheime Männervereine sind, in die man nicht hineinkommt, und seit es die Gesetzgebung seit 1991 verlangt, dass sie sich auch Minderheiten öffnen müssen, veranstalten einige von ihnen gar keine Paraden und Bälle mehr.
Was hier aber womöglich einmalig ist, „only in New Orleans“ eben, ist die Existenz zweier jüdischer  Krewes: der Krewe de Mishigas in der Krewe de Vieux und die Krewe de Jieux (Kru de Dshu; von Jew=Jude; seit 1996) als Teil der Krewe Delusion. Von der schwarzen Zulu-Parade inspiriert karikiert die Krewe de Jieux jüdische Stereotypen mit Hörnern, riesigen Plastiknasen und Davidsternen. Es wird der King of the Jieux (König der Juden) und eine Jewish-American Princess (jüdisch-amerikanische Prinzessin) gewählt; vor einigen Jahren waren dies der Schriftsteller Rodger Kamenetz und seine Frau Moira Crone, ebenfalls Schriftstellerin. In diesem Jahr war David Freedman, Geschäftsführer des unabhängigen Radiosenders WWOZ, König der Krewe. Es werden Bagels in die Menge geworfen und es gibt, von Borat inspiriert, ein Running of the Jews. 
Dabei mangelt es den Juden natürlich nicht an eigenen Festlichkeiten: Purim, dieses Jahr im März, ist auch so eine Fest der Maskerade. Aber so ist eben New Orleans...

Freitag, 3. Februar 2012

John Kennedy Toole: Die Verschwörung der Idioten

Seit Monaten liegt es hier und will rezensiert werden: Die Verschwörung der Idioten von John Kennedy Toole in der Neuübersetzung von Alex Capus. Doch es verschworen sich die Umstände und ich und dieser große New-Orleans-Klassiker – tja, wir haben es nicht leicht miteinander.
Im Sommer 1989 verliebte ich mich in einen Amerikaner, dem ich von meiner Sehnsucht nach New Orleans berichtet haben muss, denn im Herbst ’89 legte er mir dieses Buch per Post ans Herz. Als DDR-Bürgerin der Wendezeit las ich es mit der zart entstehenden, Schwindel erregenden Hoffnung, New Orleans, die USA und vieles Andere tatsächlich einmal erleben zu dürfen. Vieles an dem Buch war fremd und bizarr für mich, doch ich las mich durch den klamaukigen Humor mit dem schallend lachenden Amerikaner vor Augen.
Das Vorwort zu meiner Ausgabe von A Confederacy of Dunces stammt von Walker Percy, einem der großen katholischen und New-Orleans-Autoren, der auch ins Deutsche übersetzt ist. 1976, als er Professor an der Loyola-Universität in New Orleans war, vertraute ihm die Mutter des Autors hartnäckig das Manuskript ihres Sohnes an. John Kennedy Toole (1937-1969) hatte das Buch Anfang der sechziger Jahre verfasst. Dass es ihm nicht gelang, einen Verleger dafür zu finden, muss u.a. zu seinen schweren Depressionen und zu seinem Selbstmord geführt haben. Auf Betreiben von Walker Percy erschien das Buch schließlich 1980 und wurde schnell zum Kultbuch und Bestseller.
Für Percy ist das Buch eine commedia und die Hauptfigur Ignatius J. Reilly zugleich „ein außergewöhnlicher Chaot, ein verrückter Oliver Hardy, ein fetter Don Quixote, ein perverser Thomas von Aquin“. Diesen Ignatius, hoch gebildet, Boethius und andere Klassiker zitierend, aber letztendlich lebensuntüchtig, plagt ein sich öffnendes und schließendes Magenventil, das ihn zwingt, ganze Tage lesend im Bett oder in der Badewanne zu verbringen. Seine Mutter, bei der er lebt, drängt ihn zur Arbeitssuche. Was er dabei erlebt, ist ein Panorama an Charakteren und Schauplätzen von New Orleans und der Region, die ihn letztendlich alle unberührt lassen. Wäre da nicht Myrna Minkoff, eine radikale, feministische, jüdische Freundin aus New York, mit der er einen intellektuell-engagierten Briefwechsel führt, der sich ebenso wie seine hochtrabenden, herablassenden gelehrten Traktate organisch in den Erzählfluss einfügt. Interessant ist auch Tooles liebevolle und doch nicht verklärende Darstellung der Schwarzen, und wie Ignatius sich einerseits auf ihre Seite stellt und andererseits mit Gemeinplätzen, wie den gern Melone essenden Schwarzen, spielt.
Insgesamt ist es eine karnevaleske, groteske Eugenspiegelgeschichte mit witzigen Dialogen und Momentaufnahmen der Stadt und ihrer Bewohner, eine Gesellschaftssatire (siehe taz, siehe auch Zeit). New Orleanser lieben das Buch, weil es die Stadt und den lokalen Akzent getreu wiedergibt, von kleinen augenzwinkernden Irreführungen abgesehen, wie der, dass die Sonne am Fuße der Canal Street, also Richtung West Bank untergeht, die in New Orleans östlich liegt. (Im Film sprechen New Orleanser mit nachgemachtem Südstaatenakzent, was sich genau so falsch anhört, wie wenn Schauspieler berlinern – das kann man nicht auf der Schule lernen.)
In Westdeutschland war, soweit ich weiß, schon die erste deutsche Fassung Ignaz oder Die Verschwörung der Idioten (1982 bei Klett-Cotta) von Peter Marginter ein Renner. Jetzt hat Klett-Cotta es in einer Neuübersetzung von Alex Capus als Die Verschwörung der Idioten aufgelegt. 
Ich habe mir natürlich die Übersetzungen angesehen. Einige Anspielungen bleiben dem deutschen Leser wohl verborgen, zum Beispiel in den Namen: Der ältere Verehrer der Mutter, Claude Robichaux, verweist auf einen echten Cajun, d.h. ein Land-Ei im Vergleich zu den urbanen New Orleansern (Dave Robichaux heißt auch der Detective in James Lee Burkes Krimis), die Hosenfabrikanten Levy erinnern nicht nur an Levi Strauss, sondern auch an eine typisch jüdische Familie, und mit Wachmann Mancuso, der sich durch das gesamte Buch zieht, entsteht sofort das Bild der Italiener von New Orleans.
Auch der englische Titel A Confederacy of Dunces ist wunderbar vielschichtig, denn die „confederacy“ erinnert an die Südstaatenkonföderation im Bürgerkrieg gegen den Norden und es schwingt ein Zusammenschluss oder auch eine Seilschaft mit. „Dunce“ ist ein altmodisches Wort, wie es der überkanditelte Ignatius verwenden würde, und die Jägerkappe, die er trägt, ist gewissermaßen eine eigene Version der Narrenkappe (dunce cap). 
Peter Marginters Version liest sich gut, aber die neue Fassung von Alex Capus ist noch gefälliger und an einigen Stellen mehr am Original orientiert. Einige kleine sachliche und sprachliche Fehler tauchen in beiden Übersetzungen auf: Bay St. Louis ist der Name eines kleines Städtchens und einer kleinen Bucht am Golf von Mexiko in Mississippi östlich von New Orleans, und "Bucht von St. Louis" erinnert mich eher an die Großstadt St. Louis in Missouri. Carrollton ist kein Bezirk von New Orleans, solche gibt es dort nämlich nicht, sondern einfach ein Viertel in der Nähe der Carrollton Road. An einer anderen Stelle heißt es im Original, dass Ignatius langsam watschelte, während bei beiden von „gemessenem Schritt“ die Rede ist. Jones, der wirklich witzige Schwarze, spickt seine Sprache mit dem Ausruf „Whoa!“, was bei Marginter gar nicht und bei Capus als „Boah!“ (für mich Ruhrgebiet der neunziger Jahre) wiedergegeben ist. Kleinigkeiten, die mir auffallen, aber dem normalen Leser nicht den Lesespaß verderben.
Wenn ich all die kleinen New-Orleans-Typischkeiten aufzähle, durch die bei Toole die Stadt in 3D entsteht – und dabei habe ich die Lucky Dogs noch gar nicht erwähnt – dann ist A Confederacy of Dunces irgendwie doch berührend. Dass Klett-Cotta das Buch mit einer Neuübersetzung beehrt, ist mutig und hochlobenswert. Inspiriert von der Übersetzerin Christa Schuenke heißt das für mich: Spätestens jetzt wird es auch auf Deutsch ein Klassiker.