Wie ein Hurrikan sind die Katrina-Erinnerungsartikel, -filme und andere Beiträge über uns hinweggezogen. Aus der Flut möchte ich zwei Sendungen empfehlen, die mich berührt haben. Auf Arte noch ein paar Tage lang zu sehen ist ein sehr aktueller Dokumentarfilm Only New Orleans, in dem es um damals und heute geht. Es kommen viele Musiker zu Wort, u.a. auch Davis Rogan, das Vorbild für die von Steve Zahn gespielte Rolle des Davis McAlary in der Serie Treme, Irma Thomas, Familienmitglieder der Andrews/Hill-Dynastie, von denen Trombone Shorty vielleicht der bekannteste und kommerziell erfolgreichste ist, und -- wie immer der vollendete Gentleman -- der große Allen Toussaint, der berichtet, dass die Zeit nach Katrina ihm auch Chancen eröffnet hat. Vom Mann hinter den Kulissen, dem Komponisten und Produzenten, hat er sich nämlich zum Performer entwickelt, der auch selbst mit seinen Liedern auftritt. Gezeigt werden übrigens auch Bilder aus der Ninth Ward, u.a. des Make It Right NOLA-Projekts von Brad Pitt, über das ich kürzlich gelesen habe, dass viele der Entwürfe doch nicht gebaut wurden, weil sie zu teuer waren und das erforderliche Geld nicht aufgetrieben werden konnte. Aber das Viertel wiederbelebt und aufgewertet hat das Projekt allemal. Der Film wurde erst in diesem Sommer fertiggestellt. Ich kenne den Ausspruch übrigens als "Only in New Orleans".
Dann habe ich auf NPR noch eine Folge von This American Life gehört, Nr. 565, Lower 9 +10. Darin geht es um die völlig zerstörte und weggeschwemmte Lower Ninth Ward, deren Bilder damals um die Welt gingen. Thematisiert wird, dass die Bewohner sich dagegen verwahrt haben, dass die Reisebusse zum Gaffen durch ihr Viertel fuhren, und es geht um alte und neue Bewohner, z.B. einen Postangestellten, der ein Cafe mit Kopierladen und anderen Dingen eröffnet hat, um das Viertel wieder zu beleben, um das Ringen einer zugezogenen jungen weißen Familie um Akzeptanz, um Anklänge an einen früheren Hurrikan von 1927, bei dem auch ein Viertel geopfert wurde, um die Innenstadt zu retten. Für mich am beeindruckendsten war die letzte kleine Geschichte um einen jungen Mann, der damals 23 war und seitdem versucht hat, seinen besten Freund von damals wiederzufinden, Samuel, von dem er hofft, dass er noch lebt. Wie durch ein Wunder bringen die Radioleute die beiden per Telefon wieder zusammen. Beide sind sehr bewegt, beide hatten gehofft und nacheinander gesucht, und man hört die alte Vertrautheit und Zuneigung in ihren Stimmen. In ihrer Sprache aber hört man auch die Welten, die sich inzwischen zwischen ihnen aufgetan haben. Der eine ist in New Orleans geblieben und klingt wie jemand von der Straße, und der andere lebt nach einer Odyssee in einem anderen Bundesstaat und hört sich sehr erwachsen und gebildet an. Auch das hat also der Hurrikan gemacht. Verlinkt ist auch eine frühere Sendung, die vor zehn Jahren gleich nach dem Unglück aufgenommen und gesendet wurde.

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Montag, 7. September 2015
Freitag, 6. September 2013
Shotgun-Häuser
Der Häuserstil, um den es hier geht, hat mit der hohen
Mordrate in New Orleans nichts zu tun (erst letzte Woche sind zwei Babys
erschossen worden). Und doch ist er so verbreitet, dass er sich auch in den
ärmeren Vierteln mit hoher Kriminalität findet, aber auch in den schöneren
Gegenden. In einigen der Häuser mögen tatsächlich auch Flinten herumstehen.
Dem Mythos nach heißen diese Schrotflinten-Häuser so,
weil die Räume ohne Flur hintereinander angeordnet sind, so dass alle außer dem
ersten und letzten Raum Durchgangszimmer sind. Rein theoretisch könnte man also bei geöffneten Türen durch das Haus hindurch schießen (oder, weniger schusswaffenorientiert, einen
Stein hindurch werfen oder eine Feige oder ein volles Portemonnaie).
Forschungen haben jedoch ergeben, dass der Name vermutlich von dem
afrikanischen Wort to-gun oder shogon hergeleitet ist und, so wie der Haustyp
selbst, mit afrikanischen Sklaven und
Ex-Sklaven über Hispaniola (also vor allem Haiti) nach New Orleans gelangte, von wo er sich über weite Teile des
Landes verbreitete.
Das Haus hat vorn und hinten kleine Veranden,
die das Haus beschatten, es zur Gemeinschaft hin öffnen und zum Sitzen
einladen. Das ist das typisch Afrikanische an diesen Häusern, das auch
die Lebensart in New Orleans prägt. Noch mehr als Weiße sitzen Afroamerikaner vor dem
Haus, ohne scheinbar etwas zu tun, außer vielleicht reden.
Die Decken sind relativ hoch, um das Haus zu kühlen,
und durch die geöffneten Türen kann die Brise wehen. Obwohl es aus Holz gebaut
ist, eignet es sich für das subtropische Klima. Leider sind solche
althergebrachten, weisen Techniken heute fast hinfällig geworden, weil alle nur
noch frostige, per Klimaanlage gekühlte Räume gewöhnt sind, wo man sich oft
besser ein Strickjäckchen anzieht. Die Häuser stehen immer erhöht auf kleinen Ziegelpfeilern.
Es gibt die normalen, einfachen Shotgun-Häuser, es gibt die Double
Shotguns, wo praktisch zwei spiegelgleiche Gewehrläufe nur durch die gemeinsame
Mittelwand getrennt von vorn nach hinten verlaufen und es gibt das Camelback
Shotgun, bei dem wie ein Kamelhöcker im hinteren Teil ein oder zwei Räume
aufgestockt und über eine Treppe zu erreichen sind. So eines habe ich noch
nicht von innen gesehen und muss es unbedingt nachholen.
Meine Freundin wohnte einige Jahre in einem sehr schönen
Shotgun-Haus an der General Pershing Street mit 5 Räumen, einer davon
das Bad und ganz hinten die Küche. Auch einige der Häuser in Brad Pitts Make It Right NOLA-Projekt mit
umweltfreundlicher Gestaltung und Ausstattung sind ihrem Grundriss nach von
Shotgun-Häusern inspiriert.
Noch eine Bemerkung zu dem Wort NOLA für New Orleans,
Louisiana. Es ist ganz praktisch, wenn man z.B. eine E-Mail schreibt oder auf die Schnelle eine Notiz macht. Und doch klingt
es irgendwie fremd und beflissen, so wie auch Prenzlberg gar nicht mehr geht, obwohl es als
Prenzl. Berg zu DDR-Zeiten okay war. Wir haben damals NO geschrieben
und sagen tut man nach wie vor New Orleans. In diesem interessanten
Blog-Eintrag zur Gentrifizierung und einer weißen Perspektive auf New Orleans
schreibt die Autorin sogar von der Zeit vor Katrina „als wir noch New Orleans und
noch nicht NOLA waren“. NOLA steht für sie für den Ausverkauf, das
Touristischmachen, die Gentrifizierung der Stadt.
Mehr über Shotgun-Häuser findet sich in Wikipedia, und Fotos der
verschiedenen Typen mit einfachem, zweifachem (two-bay) oder dreifachem Eingang
und verschiedener Ornamentik unter Google-Bilder. Diese Häuser wurden übrigens
vorwiegend zwischen 1820 und 1930 gebaut. Eine ausführliche, englischsprachige Darstellung mit Fotos hier.
Sonntag, 6. Januar 2013
New Orleans im neuen Jahr
Seit ich mir einen Google-Alert eingerichtet habe, erfahre ich über erstaunlich viele New-Orleans-Themenveranstaltungen in deutschen Kleinstädten, gern auch Jazz und Gospel in der Weihnachtszeit, und über viele Sportergebnisse. Aber kürzlich haben einige längere Berichte auf New Orleans aufmerksam gemacht. Der Fernsehsender sixx hatte eine Sendung mit Jamie Oliver in New Orleans, die ich mir allerdings wegen der aufgedrehten Synchronisation nicht ansehen konnte. In der FAZ gab es einen Artikel von Arnold Bartetzky über das Make It Right NOLA-Projekt von Brad Pitt und die jetzige Brigitte hat auch einen kleinen Bericht mit Hochglanzfotos und Reisetipps von Till Raether. Fast könnte man meinen, es sei eine kleine Rehabilitationskampagne im Gange (Tenor: Vielleicht ist ja so eine Katastrophe manchmal gar nicht so schlecht), nachdem New Orleans ausgiebig kritisiert und totgesagt worden war. Brad Pitt, der Begründer des Projekts in der Lower Ninth Ward ist dabei zur Lichtgestalt erklärt worden, vielleicht das deutsche Architekturbüro Graft da mit drin hängt?
Tatsächlich habe ich New Orleans bei meinem letzten Besuch zwiespältig wahrgenommen. Einerseits war die rege Aktivität, das neuere, sauberere Image, die Professionalisierung, Kommerzialisierung beeindruckend und versöhnte mich fast mit ebenjenen Tendenzen hier in Berlin. Und andererseits schließt es, ebenso wie hier, immer wieder Alteingesessene aus, zerstört auch Gewachsenes, was vorher da war.
Dem Brad-Pitt-Projekt hatte ich sehr kritisch gegenüber gestanden, da es für mich auf einem Tabula-Rasa-Prinzip beruhte, nämlich davon ausging, dass man in der Lower Ninth Ward auf dem Nichts aufbauen konnte, weil viele Häuser fast völlig zerstört waren. Und so abgehoben und utopisch sehen einige der Hausentwürfe auch aus, die fast nichts von der langen und breiten Architekturtradition der Stadt berücksichtigten, außer vielleicht Begriffe wie Terrasse abhakten. Als wir aber dann vor ein paar Jahren dort vorbeifuhren, standen die ersten paar Häuser inmitten einer Freifläche und davor standen ein paar glückliche Bewohner und winkten uns zu und das ganze Projekt mit seiner Nachhaltigkeit und Umweltfreundlichkeit beeindruckte uns vor allem auch im Vergleich zu den eng gedrängten Holzhäusern im Musician's Village, das die christliche Freiwilligenorganisation Habitat for Humanity erbaut hat.
Dieses Mal standen noch mehr verrückte, bunte Häuser in diesem Nichts und als wir so mit touristischem Blick langsam vorbeifuhren, kam hinter uns eine junge Frau wild hupend angefahren und brauste wütend und mit absurd überhöhter Geschwindigkeit an uns vorbei -- road rage inmitten der Pampa. Meine Begleiterin meinte, sie hätte auch gern so ein Haus, denn die Leute hätten ausgesorgt. All das klingt dann wieder nicht ganz so nachhaltig für mich, und die Nachbarn, Schulen, Läden, Apotheken und was man so braucht, kann auch Brad Pitt nicht herbeizaubern.
Sollte er vielleicht auch nicht, denn die Lower Ninth Ward ist an zwei Seiten von Wasser umgeben und eines der verwundbarsten Viertel der Stadt; deshalb wurde sie auch als eines der letzten Viertel besiedelt... Andere Viertel wie Treme sind lebendig und bunt und gentrifiziert geworden. Im Faubourg Marigny hatte diese Entwicklung schon vor ca. 10 Jahren begonnen, nicht erst nach Katrina, wie der Brigitte-Autor schreibt.
All dies lässt mich auch an Berlin denken, um dessen Zukunft (und noch mehr: um dessen Seele) ich im wild entfesselten Kapitalismus bange. So vieles hat Berlin schon überlebt: den Krieg, dessen Wunden zumindest im Osten noch bis vor Kurzem sichtbar waren, die Teilung, die Wiedervereinigung... Also wird es wohl auch das Schloss und die ausländischen Immobilienhaie überleben? Und New Orleans überlebt sowieso, wenn auch immer anders.
Allerdings: Mit den Jahren ist das Restaurant Coop's Place (mit den besten Creole Green Beans) ohnehin immer touristischer geworden, aber jetzt, wo es selbst in der Brigitte erwähnt wird, kann man da wohl wirklich nicht mehr hingehen...
Tatsächlich habe ich New Orleans bei meinem letzten Besuch zwiespältig wahrgenommen. Einerseits war die rege Aktivität, das neuere, sauberere Image, die Professionalisierung, Kommerzialisierung beeindruckend und versöhnte mich fast mit ebenjenen Tendenzen hier in Berlin. Und andererseits schließt es, ebenso wie hier, immer wieder Alteingesessene aus, zerstört auch Gewachsenes, was vorher da war.
Dem Brad-Pitt-Projekt hatte ich sehr kritisch gegenüber gestanden, da es für mich auf einem Tabula-Rasa-Prinzip beruhte, nämlich davon ausging, dass man in der Lower Ninth Ward auf dem Nichts aufbauen konnte, weil viele Häuser fast völlig zerstört waren. Und so abgehoben und utopisch sehen einige der Hausentwürfe auch aus, die fast nichts von der langen und breiten Architekturtradition der Stadt berücksichtigten, außer vielleicht Begriffe wie Terrasse abhakten. Als wir aber dann vor ein paar Jahren dort vorbeifuhren, standen die ersten paar Häuser inmitten einer Freifläche und davor standen ein paar glückliche Bewohner und winkten uns zu und das ganze Projekt mit seiner Nachhaltigkeit und Umweltfreundlichkeit beeindruckte uns vor allem auch im Vergleich zu den eng gedrängten Holzhäusern im Musician's Village, das die christliche Freiwilligenorganisation Habitat for Humanity erbaut hat.
Dieses Mal standen noch mehr verrückte, bunte Häuser in diesem Nichts und als wir so mit touristischem Blick langsam vorbeifuhren, kam hinter uns eine junge Frau wild hupend angefahren und brauste wütend und mit absurd überhöhter Geschwindigkeit an uns vorbei -- road rage inmitten der Pampa. Meine Begleiterin meinte, sie hätte auch gern so ein Haus, denn die Leute hätten ausgesorgt. All das klingt dann wieder nicht ganz so nachhaltig für mich, und die Nachbarn, Schulen, Läden, Apotheken und was man so braucht, kann auch Brad Pitt nicht herbeizaubern.
Sollte er vielleicht auch nicht, denn die Lower Ninth Ward ist an zwei Seiten von Wasser umgeben und eines der verwundbarsten Viertel der Stadt; deshalb wurde sie auch als eines der letzten Viertel besiedelt... Andere Viertel wie Treme sind lebendig und bunt und gentrifiziert geworden. Im Faubourg Marigny hatte diese Entwicklung schon vor ca. 10 Jahren begonnen, nicht erst nach Katrina, wie der Brigitte-Autor schreibt.
All dies lässt mich auch an Berlin denken, um dessen Zukunft (und noch mehr: um dessen Seele) ich im wild entfesselten Kapitalismus bange. So vieles hat Berlin schon überlebt: den Krieg, dessen Wunden zumindest im Osten noch bis vor Kurzem sichtbar waren, die Teilung, die Wiedervereinigung... Also wird es wohl auch das Schloss und die ausländischen Immobilienhaie überleben? Und New Orleans überlebt sowieso, wenn auch immer anders.
Allerdings: Mit den Jahren ist das Restaurant Coop's Place (mit den besten Creole Green Beans) ohnehin immer touristischer geworden, aber jetzt, wo es selbst in der Brigitte erwähnt wird, kann man da wohl wirklich nicht mehr hingehen...
Sonntag, 11. März 2012
Make-It-Right-Benefizgala
Gestern fand im Hotel Hyatt Regency in New Orleans eine exklusive Benefizgala für Brad Pitts Wiederaufbauprojekt Make It Right statt. Der Star selbst war natürlich anwesend, ebenso wie die Komikerin Ellen DeGeneres (aus New Orleans, sehr witzig, mit eigener Talkshow)* und der Footballspieler Drew Brees. Die Gäste bezahlten zwischen 1000 und 2500 Dollar für die Teilnahme und erhielten dafür ein Vier-Gang-Menü von lokalen Kochkoryphäen wie Emile Lagasse, ein Kulturprogramm mit Rihanna, Sheryl Crow, Seal und dem New Orleanser Jazzpianisten Dr. John sowie eine After-Party mit Kanye West, Snoop Dog und anderen.
Anscheinend kämpft das spektakuläre Projekt ein wenig mit den Mühen der Ebene, jetzt wo circa die Hälfte der 150 geplanten Häuser gebaut sind. Wie ich bereits hier berichtete, sind dies hurrikansichere, energiesparende, ökologische und gestalterisch avantgardistische Entwürfe von weltberühmten Architekten. Aus Kostengründen wurde bei den letzten Häusern bereits auf einige Designeigenschaften verzichtet. In der Mitte dieses Artikels in der New Orleans Times-Picayune findet sich übrigens ein kleines Video, in dem einige der fertiggestellten Häuser zu sehen sind.
* Ellen DeGeneres ist auch als bekennende Lesbierin bekannt. Erst im Februar hatte die konservative Gruppe One Million Moms dagegen protestiert, dass sie jetzt als offizielles Gesicht der Einkaufskette JC Penney firmiert.
Anscheinend kämpft das spektakuläre Projekt ein wenig mit den Mühen der Ebene, jetzt wo circa die Hälfte der 150 geplanten Häuser gebaut sind. Wie ich bereits hier berichtete, sind dies hurrikansichere, energiesparende, ökologische und gestalterisch avantgardistische Entwürfe von weltberühmten Architekten. Aus Kostengründen wurde bei den letzten Häusern bereits auf einige Designeigenschaften verzichtet. In der Mitte dieses Artikels in der New Orleans Times-Picayune findet sich übrigens ein kleines Video, in dem einige der fertiggestellten Häuser zu sehen sind.
* Ellen DeGeneres ist auch als bekennende Lesbierin bekannt. Erst im Februar hatte die konservative Gruppe One Million Moms dagegen protestiert, dass sie jetzt als offizielles Gesicht der Einkaufskette JC Penney firmiert.
Freitag, 2. Dezember 2011
Brangelina in New Orleans
Im Jahr 2007 kauften Brangelina für 3,75 Millionen Dollar im French Quarter eine Villa, mit zwei Parkplätzen, absoluter Luxus. Und als sie dort so in New Orleans waren, fiel Brad Pitt auf, dass die Lower Ninth Ward, die ungefähr 7 Kilometer und viele Lichtjahre von dort entfernt liegt, nach dem Hurrikan Katrina 2005 immer noch in Trümmern lag. Die Lower Ninth Ward ist das Viertel, das im Osten der Stadt direkt am Industrial Canal liegt und unmittelbaren von den brechenden Dämmen betroffen war. Das Viertel wurde praktisch in den Fluten weggeschwemmt, Häuser angehoben und auf Autos wieder abgesetzt, in einander geschoben, völlig zerschmettert. Als ich vier Monate später das erste Mal dort war, lag auch der eiserne Schleppkahn noch da, der den Damm durchbrochen hatte und auf einem kleinen Schulbus zum Liegen gekommen war. Die Lower Ninth Ward wurde symbolisch für den vermeintlichen Untergang von New Orleans, den manche, die die Stadt nicht kennen, immer noch süffisant beschwören.
Möglicherweise wäre es das Ende von Teilen der Lower Ninth Ward gewesen. Es ist ein abgelegenes Viertel, ein schwarzes Arbeiterviertel, in dem vielen Leuten ihr Haus gehörte, die aber keine Versicherung hatten oder nicht die Mittel zurückzukehren, wieder aufzubauen, und vielleicht als einzige in einer Brache zu leben?
Also gründete Brad Pitt, der sich für Architektur interessiert, das Projekt Make it Right, rekrutierte renommierte Architekten aus aller Welt und sammelte Geld, damit die Familien, die es wollten, in hypermoderne, nachhaltige und flutsichere Häuser einziehen können. Dass sie von der Architekturtradition in New Orleans beeinflusst sein sollen, sieht man aber nur daran, das sie länglich und die Räume hinter einander angeordnet sind. Ich war skeptisch, denn im Internet sahen die Entwürfe aus, als wären UFOs in der Pampa gelandet, und in einer so traumatisierten, so traditionsstarken Stadt wie New Orleans, erschien mir das blasphemisch. In meinem Artikel schrieb ich damals:
„Auch Brad Pitts Projekt Make it Right New Orleans will es den ursprünglichen Bewohnern ermöglichen, in ihr Viertel zurückzukehren. Es sieht durch Spenden mitfinanzierte, ökologisch nachhaltige Einfamilienhäuser auf einem ausgedehnten Areal in der Lower Ninth Ward vor, das er als symbolisch für die Seele von New Orleans erachtet. Renommierte Architekten aus aller Welt tragen in ihren Entwürfen der Gefahr von Hurrikanen und Überflutungen Rechnung und, dem Bekenntnis nach, auch örtlich tradierten Baustilen. Die Pläne zeigen hochqualitatives Design nach ökologischen Prinzipien: Häuser auf hohen Stelzen, Solarpaneele, innovative Kühlung und Wärmedämmung, aber auch hohe offene Räume und schräge Wände und Fenster, die sich nur lose an Lokalem orientieren. Pitt wollte die Chance ergreifen, auf einer Art Tabula rasa („blank slate“) etwas Zukunftsweisendes zu schaffen. Die Prämisse vom unbeschriebenen Blatt ist unter einer Schicht von Neubewohnern im Gesundheitswesen, Architektur, Stadtplanung oder Bildung verbreitet, die mit Non-Profit-Organisationen, Stiftungen und Firmen in die Stadt kamen. Doch sie ist anmaßend, denn auch Menschen, die womöglich bei Null beginnen, kommen mit ihrer eigenen Geschichte und Kultur. Der Autor Kalamu Ya Salaam spricht sogar von einem Friedhof: ‚Leute kamen ums Leben, und die bauen auf ihren Gebeinen’. Wohl meinenden Zugezogenen wirft man deshalb auch vor, nur oberflächlich mit den Einheimischen zu interagieren und sie zu bevormunden.“
Doch als ich vor zwei Jahren in New Orleans war und wir zur Besichtigung durch das Viertel fuhren, da standen tatsächlich lachende Hausbesitzer vor den Türen und auf den Veranden und winkten, und so habe ich meine Meinung geändert. Damals standen ungefähr neun Häuser, jetzt sollen es an die fünfundsiebzig sein. Im März 2012 findet übrigens eine große Spendengala statt, an der auch die aus New Orleans gebürtige Komikerin Ellen DeGeneres (sprich: DeDschenneris) teilnehmen wird. Es gibt Skeptiker, die sich zum Beispiel fragen, warum schon wieder Spenden notwendig sind. Ein Internetkommentator nannte das ganze Make It Left (make it right—es etwas berichtigen, make it left, es links zu machen). Natürlich ist es einfach, ökologisch, links und sozial zu sein, wenn man sich eine Sechs-Zimmer-Villa in der 521 Governor Nicholls Street im French Quarter als Wochenendlaube leisten kann. Aber nett ist es doch! Und fünfundsiebzig Familien leben jetzt wieder dort, wo sie heimisch waren.
Übrigens wollten bei den letzten Wahlen zum Bürgermeister 2009 einige Brad Pitt als Kandidaten aufstellen. Er ist es dann aber doch nicht geworden...
Übrigens wollten bei den letzten Wahlen zum Bürgermeister 2009 einige Brad Pitt als Kandidaten aufstellen. Er ist es dann aber doch nicht geworden...
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