Montag, 30. Januar 2012

Winterwetter

Hier in Berlin rüttelt seit einigen Tagen der sibirische Frost an den Fenstern und begehrt zähnefletschend Einlass. Auf den Straßen schneidet er durch den Mantel ins Fleisch und kneift mit eiserner Faust in die Nase. Doch mit dem Frost kam die Sonne, von Kälte verschleiert, aber eindeutig, nach wochenlangem Regen. Ein Hauch von Schnee liegt auch noch, und so strömten die Berliner gestern wie zum Osterspaziergang ins Freie, kletterten auf die Aussichtspunkte und spielten im Park Boule.
Aus New Orleans erreichten mich letzte Woche Nachrichten über Januarrekordtemperaturen von 25 Grad. Das Winterwetter verläuft dort in kleinen Zyklen: Auf die Wärme folgen Gewitter (letzte Woche mit Warnungen vor Überflutungen und Tornados), danach ist es kalt, sonnig und trocken (am Wochenende waren zwischen 7 und 15 Grad) und dann wird es immer wärmer und feuchter, bis es wieder gewittert und so weiter - und so ist es heute teils bewölkt und die Temperaturen liegen zwischen 12 und 21 Grad.
Nächsten Sonnabend beginnen die Karnevalsumzüge mit der Parade der Krewe de Vieux. Karneval in New Orleans kenne ich sonnig; nur 1991 wateten wir manchmal - danach - über die Canal Street (die aber aus anderen Gründen so heißt).

Montag, 16. Januar 2012

Mit’m Radel

Die League of American Bicyclists (Liga der Amerikanischen Radler) hat eine neue Karte der USA erstellt, in der die 10 wichtigsten Radfahrstädte der USA verzeichnet sind. Das Kriterium ist hierbei nicht das Freizeitradeln, sondern es geht um die Zahl der „bicycle commuters“, das heißt der Leute, die das Fahrrad tatsächlich als Verkehrsmittel, zum Beispiel zur und von der Arbeit, benutzen. Die ersten Plätze gehen an Portland, Minneapolis und Seattle, aber auf Platz 6 – und das ist doch eine Überraschung – folgt schon New Orleans vor Washington, D.C., Philadelphia und Boston.
Ich hatte von Freunden gehört, die mit dem Fahrrad fahren, und es bietet sich an: Es ist wunderbar flach und der Verkehr gemächlich. Wenn ich in New Orleans bin, fahre ich auch mit dem Fahrrad, doch die meisten anderen Radfahrer, die ich sehe, sind nicht auf dem Weg irgendwohin, sondern kurven ein bisschen anarchisch in der Gegend herum. Also bin ich schon überrascht und erfreut, weil New Orleans vor allem für seine ehrwürdige Kultur und Tradition gefeiert wird, aber selten für Modernität und Kreativität, die es hier auch gibt, und das Radfahren gehört für mich dazu.
Die Tageszeitung New Orleans Times Picayune hat jetzt wieder einen kleinen Fotowettbewerb unter dem Motto „NOLA from your bike“ (New Orleans vom Fahrrad aus) ausgelobt, noch bis 31. Januar 2012. Eine Fotogalerie dazu gibt es hier, u.a. auch mit einem Foto von dem Park namens the Fly.
Heute werden allerdings auch in New Orleans nur wenige Alltagsradler unterwegs sein, denn es ist Martin Luther King Day, einer der wenigen nationalen Feiertage, und da sind die Bundes- und andere öffentliche Einrichtungen, Schulen, Universitäten usw. geschlossen.

Samstag, 14. Januar 2012

New Orleans: Zwischen Rhythmus und Ruin

Alle Jahre wieder, wie es scheint, strahlt das deutsche Fernsehen einen neuen Dokumentarfilm über New Orleans aus. Dieses Mal war es am 2. Januar 2012 um 18.15 Uhr auf 3sat, New Orleans: Zwischen Rhythmus und Ruin in der Reihe Reisen in ferne Welten des Saarländischen Rundfunks, wo sich diese Folge zwischen West-Papua und Sansibar einordnet. Geschrieben von dem Amerikareisenden Karl Teuschl ist es ein angenehmer und informativer Film, der mit ganz wenigen Klischees und ganz ohne Fehler auskommt. Im Film zu sehen ist Ina Fandrich, die offenbar seit 10 Jahren in New Orleans lebt und dort Kuratorin am New Orleans African American Museum ist, das ich noch nicht kenne. Im Internet habe ich gesehen, dass sie auch Spezialistin für die legendäre Voodoo-Königin des 19. Jahrhunderts, Marie Laveau, ist. Frau Fandrich führt also ein bisschen durch das French Quarter und die Geschichte der Stadt, aber dann geht es schnell weiter, zur Musik (Jazz im Treme), zum Make-It-Right-Projekt von Brad Pitt (siehe auch mein Eintrag vom 2. Dezember 2012), aufs Land zu den Cajuns und ihrer Musik, zu einigen Plantagen und schließlich zum Mardi Gras, dem Karneval, der jetzt gerade bis zum 21. Februar in vollem Gange ist.
Der Titel ist ein bisschen dramatisch, und das Café des Amis, das auch gezeigt wird, befindet sich nicht außerhalb von New Orleans, sondern im Cajun Country 200 Kilometer westlich.
Ansonsten: Schöne Bilder, interessante Fakten, eine entspannte, heitere Erzählweise. Sehenswert! Eine Fotogalerie findet sich hier. Den ganzen Film sehen kann man hier, rechts unter Mediathek. 

Sonntag, 8. Januar 2012

A Lesson Before Dying 2

Den beiden Studentinnen empfahl ich (pädagogisch, pädagogisch!) die Lektüre von Ernest Gaines’ Roman A Lesson Before Dying (wörtlich: Eine Lektion vor dem Tod, auf Deutsch unter dem Titel Jeffersons Würde erschienen). Es ist eine preisgekrönte, bewegende Erzählung der Hinrichtung eines jungen Mannes in einer louisianischen Kleinstadt in den sechziger Jahren, damals noch per elektrischem Stuhl, was in der ganzen Stadt mitzuspüren war. Natürlich keine leichte Kost, doch sehr zu empfehlen und nicht sehr lang und sprachlich nicht schwer!
Ernest Gaines ist ein afroamerikanischer Schriftsteller (geboren 1933) aus Louisiana, der hierzulande durch Volker Schlöndorffs Film Ein Aufstand alter Männer (1987) bekannt ist, der auf Gaines’ Roman A Gathering of Old Men basiert. Ich habe mehrmals die stillgelegte Plantage in der Nähe des False River im malerischen Landkreis Pointe Coupee Parish besucht, auf der Ernest Gaines aufgewachsen ist. Nachdem er lange Zeit in Kalifornien lebte, zog der Autor vor kurzem in die Nähe seines Geburtsortes zurück, wo er auch den Friedhof und die Kirche rettete, die seine Vorfahren erbauten und wo sie begraben sind.
Ernest Gaines dürfte der einzige louisianische Kreole sein, der Weltruhm erlangt hat, und das liegt sicherlich neben seinem Können auch daran, dass er Romane schreibt und keine Lyrik und auf Englisch statt auf Französisch wie seine Kolleginnen. Er fing an zu schreiben, weil es über seine Lebenswelt keine Bücher gab, in dem typischen Dialekt, „dieser Kombination aus Englisch, Kreolisch, Cajun, Schwarz“, über die wirkliche Beziehung zwischen Schwarzen und Weißen, die er kannte, über die wirtschaftliche Konkurrenz zwischen Cajuns und Schwarzen, aber auch die Nähe und Nachbarschaft von Gruppen jeglicher Couleur.
1996 ernannte ihn die französische Regierung zum Kavalier der Künste und der Literatur, und er lehrte das erste Creative-Writing-Seminar einer französischen Universität in Rennes. Seit 2007 verleiht eine Stiftung in Baton Rouge den mit 10.000 Dollar dotierten Ernest J. Gaines Award for Literary Excellence an einen jungen afroamerikanischen Schriftsteller. Der diesjährige Preis wird am 26. Januar verliehen, wenn ich den heutigen Artikel richtig verstehe, an Dinaw Mengestu für den Roman How to Read the Air

A Lesson Before Dying 1

Letzten Donnerstag hielten zwei Studentinnen in meinem Englischkurs ein Referat über die Todesstrafe, besonders in den USA. Dort ist die Todesstrafe in über der Hälfte der Bundesstaaten legal und wird in Texas besonders eifrig ausgeführt (477 Hinrichtungen seit 1976) und in Kalifornien besonders oft verordnet (derzeit 721 Verurteilte), siehe Wikipedia. Auch in Louisiana gibt es sie, seit 1991 durch die Giftspritze. Die letzte Exekution fand am 7. Januar 2010 statt. Derzeit sollen sich 86 Gefangene auf der Death Row (im Todestrakt) befinden, wo sie oft lange Jahre auf ihre Hinrichtung warten: Männer im berüchtigten Staatsgefängnis von Louisiana in Angola ca. 2,5 Stunden nordwestlich von New Orleans (unweit der Tunica Hills, wo man wunderbar wandern kann), Frauen im Gefängnis in St. Gabriel, 1 Stunde westlich. In Angola spielt übrigens auch das Buch der Nonne Helen Prejean Dead Man Walking, das 1995 mit Susan Sarandon und Sean Penn in den Hauptrollen verfilmt wurde. (Hier der Trailer im Original.)
Im Sommer zeigte der neue Fernsehkanal von Oprah Winfrey einen Dokumentarfilm über ein besonderes Hospizprogramm im Gefängnis von Angola. Der Titel des Films Serving Life ist zweideutig und bedeutet einerseits „eine lebenslängliche Strafe ableisten“ und andererseits „dem Leben dienen“. Der Ankündigung zufolge beträgt die durchschnittliche Strafe in Angola 90 Jahre, und 85 Prozent der Insassen kommen nie wieder frei und sterben dort. Jetzt gibt es ein Programm, bei dem Schwerverbrecher auf freiwilliger Basis geschult werden, sterbenden Häftlingen zur Seite zu stehen. Oscar-Preisträger Forest Whitaker (bekannt aus The Crying Game und Ghost Dog), Produzent und Sprecher des Films, meinte: „Serving Life zeigt die Menschlichkeit, die in jedem einzelnen von uns steckt. Im Hospiz des Gefängnisses in Angola lernen wir Insassen kennen, die die Möglichkeit zur Sühne ergreifen, was uns an die Verbindung zwischen allen Menschen erinnert.“ (Das steht hier. Hier spricht er selbst.)
Einige Leserkommentare auf der Webseite sind böse und erinnern daran, dass auch die Opfer in ihrer Stunde des Todes völlig allein waren. Daran denke ich oft. Und doch hat niemand, und ein unpersönlicher Staat schon gar nicht, das Recht, Menschen Hilfe zu verweigern, unmenschlich zu behandeln oder gar zu töten.  

Donnerstag, 5. Januar 2012

Morgen, Kinder, wird’s was geben!

Am 6. Januar ist Twelfth Night oder Epiphany oder eben Epiphanias oder Dreikönigstag und in New Orleans bedeutet das: Die Karnevalssaison beginnt! Der 6. Januar 2012 ist aber auch der 600. Geburtstag von Jeanne d’Arc und so wird der morgige Umzug (parade) der Krewe of Joan of Arc besonders üppig sein (über die Krewe habe ich hier schon berichtet). Er beginnt um 18 Uhr und führt durch das French Quarter, wo er an Johannas Reiterstatue endet. Es gibt Pferde, Fackeln, historische Kostüme und Schwerter und viel Fußvolk. Der hölzerne Umzugswagen (float) wurde im Tischlereiprogramm des Delgado Community College gezimmert. Künstler und Firmen vor Ort haben auch die kleinen zu verteilenden Geschenke (throws)  angefertigt oder gespendet: Gebetskarten, Postkarten, Doubloons (einfache Gedenkmedaillen), Ringlutscher und vieles mehr. Der Umzug wird von Mönchen beschützt, die dann auch beim späteren Ball als Rausschmeißer fungieren. Es gibt einen Halt an der St. Louis Cathedral  auf dem Jackson Square und nach der Parade eine King Cake Ceremony (Königskuchenzeremonie). Die king cakes isst man während der ganzen Mardi-Gras-Saison, ein sehr gezuckerter, ringförmiger  Hefeteigkuchen, mit Kollegen, Freunden und Familie. Darin befindet sich ein plastenes Jesus-Baby (in Frankreich: fève)  und wer das findet, muss den nächsten Königskuchen kaufen. Abgeleitet ist das natürlich von der französischen galette des Rois, die, sagen wir mal, differenzierter im Geschmack ist und in Frankreich nur am 6. Januar gegessen wird. In Louisiana kann man bis zum eigentlichen Fat Tuesday (Fastnachtsdienstag) am 21. Februar Königskuchen essen (hier der Countdown) und bis dahin gibt es noch viele Umzüge. Ich werde morgen versuchen, mit einer galette des Rois auch hier ein wenig Festtags- und Feierstimmung zu verbreiten...

Montag, 2. Januar 2012

New Orleans --> Havanna und zurück

Für manche ist New Orleans das Tor zur Karibik, und der Autor Lafcadio Hearn schrieb Ende des 19. Jahrhundert über seine Lage am Spanish Main (dem spanischen Meer?). Das Spanish Main umfasste alle Küsten der ehemaligen spanischen Kolonien am Golf von Mexiko und in der Karibik und erinnert ein wenig romantisierend an die Zeiten, als dort Piraten und Freibeuter unterwegs waren. Zum Spanish Main gehörten auch Kuba und Puerto Rico, und ein Bekannter meinte einmal, dass das French Quarter der puertorikanischen Hauptstadt San Juan sehr ähnlich sehe.
Die kubanische Hauptstadt Havanna liegt etwa 170 Kilometer von Key West entfernt, wo sich Ernest Hemingway gern aufhielt. Es ist die größte der Florida Keys, der über 200 Koralleninseln ganz im Süden von Florida, und die Fahrt dorthin führt auf einer erhöhten Straße stundenlang über strahlend türkisfarbenes Wasser, mit dem Golf von Mexiko auf der rechten und dem Atlantik auf der linken Seite. Das Wort „key“ kommt übrigens von dem spanischen Wort „cayo“ für eine kleine flache Insel der Antillen und im Golf von Mexiko. Wegen der relativen Nähe gibt es in Florida auch so viele kubanische Einwanderer, inzwischen in der zweiten und dritten Generation, die nach der Revolution in die USA strömten und hier seit langem politisch und wirtschaftlich sehr einflussreich sind.
Von New Orleans aus liegt Havanna circa 1075 Kilometer südöstlich, und eventuelle Beziehungen gehen etwas weiter zurück. Im 18. Jahrhundert hatten die Franzosen diesen renitenten, anstrengenden* Landstrich eine Zeitlang den Spaniern zur Verwaltung überlassen hatten, aber ob New Orleans wirklich von Havanna aus regiert wurde, wie ein anderer Bekannter behauptet, weiß ich nicht. Vor der Revolution war New Orleans der größte Handelspartner Kubas in den USA, während man in den letzten Jahrzehnten nur von Los Angeles, New York und Miami nach Havanna fliegen konnte. Jetzt hat unter anderem auch New Orleans wieder die Erlaubnis bekommen, Flüge nach Havanna durchzuführen, im März 2011 von der Obama-Administration sowie im Herbst 2011 von der kubanischen Regierung. Wann diese Flüge aufgenommen werden, konnte ich noch nicht in Erfahrung bringen, aber der nach Katrina etwas überdimensionierte Louis-Armstrong-International-Flughafen und andere Unternehmen in New Orleans hoffen auf natürlich Gewinne. Derzeit fliegt man für mindestens 1000 Euro mit zwei Mal umsteigen ca. 10 Stunden bis Havanna.
Der Jazztrompeter und Hobbyjazzhistoriker Wynton Marsalis war übrigens auch schon mal in Havanna. In diesem kleinen Videoclip von dort demonstriert er ohne viele Worte ein paar musikalische Zusammenhänge zwischen den beiden Kulturen.
Happy New Year everyone!

* Nur ein paar Stichworte: Sümpfe, Schwüle, Mücken und anderes Ungeziefer, Prostituierte, Gefangene und Nonnen.