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Dienstag, 14. Mai 2013

Schießerei in der Second Line

Der Original Big 7 Social Aid and Pleasure Club (hier auf Facebook) gründete sich 1996 in einer Sozialwohnsiedlung in New Orleans, um, wie alle diese Klubs (manche davon sind auch Mardi Gras Indians), etwas Positives für das Viertel und die Menschen zu bewirken. Seit 2001 veranstalten sie zum Muttertag eine Second-Line-Parade. (Hier ein Videoclip vom Anfang der Parade.)
Eine Second Line (zweite Reihe) kennt man aus dem Fernsehen von Jazzbeerdigungen, allerdings normalerweise ohne den tragisch-trauernden Teil. Eine Kapelle zieht spielend durch die Straßen und die Menschen tanzen hinterher, einige bunt angezogen und mit Sonnenschirmen.
Bei der Parade am Sonntag sollen 300-400 Menschen mitgetanzt haben. Als dann auf der Frenchman Street, ca. 2 km vom French Quarter entfernt, scharf geschossen wurde, waren es noch 200. 19 Menschen wurden verletzt, zum Glück starb niemand. Zahlreiche deutschsprachige Medien berichteten.
Inzwischen wurde ein 19-jähriger Verdächtiger per Überwachungsvideo identifiziert und wird gesucht. Montagabend gab es eine Demonstration und Mahnwache.
Jetzt werden auch Stimmen laut, dass die großen US-Medien nicht darüber berichtet hätten und Obama nicht gekommen ist, wohl, weil es New Orleans ist und die Betroffenen schwarz und arm. Weil die Gewalt hier oft black on black“ (Schwarze gegen Schwarze) ist, wie mir eine kreolische Dame letztes Jahr versicherte.
Die Washington Post rückt das Ganze in den größeren Kontext von Armut und Verwahrlosung bestimmter Viertel und einer immer noch stark kritisierten, wenn auch inzwischen etwas weniger korrupten Polizeigewalt in der Stadt. Anwohner berichten, dass sie ihre Kinder nicht mehr auf die Straße lassen und dass verfallende Häuser Drogendealern als Unterschlupf dienen.
Insgesamt hat sich die Mordrate zwar etwas verringert, 2012 nur 193 Morde und damit 7 weniger als im Jahr davor. Doch auch bei der Martin Luther King Jr.-Parade im Januar kam es zu einem Drive-by-Shooting und zum Mardi Gras wurde im French Quarter geschossen.
Gewalt in der Second Line ist offenbar nichts Neues. Chris Rose, der Times-Picayune-Reporter, der für seine ungeschliffenen, herzzerreißenden Kolumnen in der Zeit unmittelbar nach Katrina berühmt wurde (zusammengefasst in dem Buch 1 Dead in Attic. After Katrina -- 1 Toter auf dem Dachboden. Nach Katrina), schrieb schon damals darüber, wie er im August 1995 zum ersten Mal eine Schießerei bei einer Second Line erlebte. Dann, 2006, versuchte er es wieder, nahm sogar seine Kinder mit. Die Stadt ist jetzt anders“, sagte er sich. Doch auch diese Parade endete mit Schüssen, Blut, Sirenen.  Wenn man auf der Straße tanzt, dann ist die Freiheit spürbar. Ich frage sie: Gibt es einen besseren öffentlichen Ausdruck der Freude? Wo sonst auf der Welt wachen Bläser und Trommler am Morgen auf, schnallen sich die Instrumente an und laufen herum, um einen heillosen Aufruhr zu veranstalten und Hunderte, Tausende Lemminge tanzen hinterher?*
Mich bestürzt das zutiefst. Mardi Gras, Second Lines, Musik, Feste, Geselligkeit, kostenlos und draußen, sind hier überlebenswichtig, halten die Menschen trotz enormer Unannehmlichkeiten, Probleme, Ängste in der Stadt. Diese Traditionen haben New Orleans nach Katrina überhaupt erst wieder auf die Beine gebracht. Was wenn sie nicht mehr gelebt werden können, weil es zu gefährlich ist?
Robin Bevans, Mitorganisatorin der Mahnwache und Mitglied in der Social Aid Task Force, meint: Der Code des Schweigens muss enden. Wenn wir aufstehen und uns Gehör verschaffen, dann wird so etwas vielleicht aufhören.“ Vielleicht. Hoffentlich. Was sonst?
Siehe auch NOLA Shooting American Voices, Times-Picayune.
* S. 223/24 Meine Übersetzung.
„There is a tangible freedom in dancing in the street. I ask you: What better public expression of joy exists? Where else in the world do horn players and drummers just wake up in the morning, strap on their instruments, and start wandering around making an unholy racket and then hundreds, thousands of dancing lemmings fall in and follow them to the sea?

Sonntag, 3. Februar 2013

Superbowl (Oder das Geschäft mit dem Sex)


Heute findet das große Superbowl-Spiel im Superdome von New Orleans statt. Auch hierzulande wurde viel darüber berichtet und New Orleans für seinen Wiederaufbau nach Katrina gelobt, so im Spiegel, in der Wiener Presse, in der NZZ und anderen. Es werden stolze Einwohner zitiert, es ist von den New Orleans Saints die Rede, die nach Katrina große Hoffnungsträger waren und u.a. wegen einer Kopfgeldaffäre jetzt nicht im Finale stehen. Es ist auch von den Gefahren für die Spieler die Rede, die ihren aggressiven Sport möglicherweise im Alter mit Demenz und anderen Spätfolgen bezahlen müssen. Es geht auch um die aufwendigen Werbespots, die gezeigt werden, wobei der VW-Spot für einige etwas rassistisch ausfiel.
Nur die Times-Picayune hat sich jetzt mit der dunklen Kehrseite solcher Großereignisse befasst, über die meist nicht gesprochen wird: die Prostitution. Diese hat fast immer mit Zwang zu tun und oft auch mit Menschenhandel, wie in dem Artikel deutlich wird. Im letzten Jahr wurde im French Quarter das Eden House eingerichtet, das Frauen beim Ausstieg aus der Prostitution unterstützen will. Die Leiterin Clemmie Greenlee berichtet dort von ihrem eigenen Leidensweg: mit zwölf in die Prostitution gezwungen, geschlagen, gruppenvergewaltigt, unter Drogen gesetzt, zu erfüllende Quoten (mal 25, mal 50 Männer am Tag), die Hoffnungs- und Aussichtslosigkeit. Mit 42 schaffte sie es, sich aus ihrer Situation zu befreien.
Clemmie Greenlee stammt nicht aus New Orleans, aber das tun viele der Sexarbeiterinnen auch nicht. Schließlich hat die Stadt ihren Ruf als Sündenbabel weg, und genau deshalb kommen viele hierher: um ihren Körper zu vermarkten oder um andere Körper zu konsumieren. Das fängt ziemlich harmlos damit an, dass die Touristinnen beim Karneval ihre Brüste zeigen (Show you tits!), um ein paar Plasteperlen zugeworfen zu bekommen, die männlichen Touristen und Konferenzteilnehmer in Stripteaseklubs gehen usw. Aber es kommen eben auch viele Frauen, um im einschlägigen Geschäft zu arbeiten.
Was mich besonders stört, ist der verbreitete Mythos, dass das ein freiwillig ausgeübtes Gewerbe sei. Als es vor vielen Jahren noch den Stripklub Big Daddy’s auf der Bourbon Street gab (der mit den neckisch durchs Fenster nach draußen schaukelnden Frauenbeinen), waren die meisten der Tänzerinnen zwar aus den Südstaaten, aber nicht aus Louisiana. Einige waren schon älter, viele auf Drogen, einige verschwanden auch mit Kunden auf der Toilette, was nicht gern gesehen war, und als sich eine beim Tanzen am Fuß verletzte, war sie völlig außer sich, denn sie hatte keine Krankenversicherung. Eine junge, sehr schöne Afroamerikanerin mit langer Perücke ertanzte sich auf diese Weise die Studiengebühr fürs College und wurde jeden Morgen von ihrem Freund abgeholt. Nun waren die sicher alle freiwillig da, aber ob sie abends erfüllt und glücklich ins Bett sanken, daran habe ich meine Zweifel. Viele Prostituierte, das ist auch bekannt, haben eine Missbrauchsgeschichte.
Mich erinnert das auch an die gegenwärtige Sexismus-Debatte in unserem Land, in der eigenartigerweise manche gleich das ganze Verhältnis der Geschlechter in Frage gestellt sehen. Dabei sind doch viele Männer und Frauen viel weiter als die Politik, und um die geht es ja hier. (Natürlich muss man einen 67-jährigen Politiker fragen dürfen, wie er denn Hoffnungsträger sein will, und er darf niemandem verbal und tätlich an die Wäsche gehen. Natürlich darf dies spätestens in dem Moment publik gemacht werden, indem er eine neue Funktion übernimmt.)
Es erinnert mich auch daran, dass DDR-Frauen seit der Wende nicht mehr so einfach über ihre eigene Schwangerschaft bestimmen können und ihre Rolle als berufstätige Frau und Mutter nicht mehr selbstverständlich, sondern zum Teil in Frage gestellt wird, dass sie überall mit Nacktfotos konfrontiert sind. Dass heutzutage nicht nur politisch, sondern auch medial immer noch Kinder-Küche-Kirche propagiert wird und von abweichlerischen Rabenmüttern die Rede ist, dass eine vergewaltigte Frau in Krankenhäusern abgewiesen werden kann und dass auch ich vor nicht allzu langer Zeit keine Anzeige erstattet habe, weil man es mir ausgeredet hat und weil bekannt war, wie es Opfern sexueller Gewalt vor Gericht erging.
Es erinnert mich daran, dass hierzulande sowie in Österreich und der Schweiz Prostitution als eine wirtschaftliche Tätigkeit wie jede andere angesehen wird. Das ist für die Sexarbeiterinnen natürlich positiv, keine Angst vor strafrechtlicher Verfolgung haben zu müssen, krankenversichert zu sein usw. Aber Schweden, das Land in dem die Männer schon seit Jahrzehnten ganz selbstverständlich die Hälfte der Elternzeit in Anspruch nehmen, hat einen anderen Weg gefunden: dass nämlich Prostitution illegal bleibt und nur die Freier strafrechtlich belangt werden. Offensichtlich ist dieses Modell erfolgreich und die Zahl der Huren und der Menschenhandel haben deutlich abgenommen. Und ich denke irgendwie auch, dass sich das auf das Frauenbild der Gesellschaft auswirkt.
„Glückliche Huren gibt es nicht“, heißt ein Artikel dazu, und ich, so als Frau, kann mir nicht vorstellen, dass die aufgebrezelten jungen Osteuropäerinnen in ihren Skihosen auf der Oranienburger Straße, dass die jungen Schwarzen, die sich in Washington, D.C. barbusig auf dem Autostrich anpreisen, dass die Damen in den Schaufenstern der Antwerpener Altstadt ihren Beruf mit Freude und absolut freiwillig ausüben. Und nicht doch von ihrer Herkunft und von ihrer Wahrnehmung und den Werten der Gesellschaft, in der sie sich bewegen, geprägt sind.
Deshalb bin ich froh, dass die Times-Picayune das thematisiert hat. Die Polizei in New Orleans hat bereits einige Festnahmen durchgeführt, darunter eine junge Texanerin, die mit ihrem vierjährigen Sohn, mit Freundin und Zuhälter angereist war und nach der Aufnahme in ein Obdachlosenasyl das Weite gesucht hat. Clemmie Greenlees Kommentar dazu: „Eigentlich wollen alle raus (aus dem Geschäft).“
Ach ja, in der Halbzeitpause singt wieder Beyoncé und die bessere Mannschaft wird sicherlich gewinnen und im ganzen Land werden unzählige Biere und Pizzen verzehrt werden. Bald dann werden die Einwohner wieder aus ihren Verstecken hervorkommen und sich dem eigentlich Wichtigen zuwenden: dem Karneval.

Freitag, 30. November 2012

Die Polente

Das NYPD, die New Yorker Polizei, hat eine Facebook-Seite. Dort und anderswo wurde gestern ein Foto eingestellt, das eine Touristin aus Arizona, selbst Polizistin, vor ein paar Tagen gemacht hat. Es zeigt einen New Yorker Polizisten (jetzt als der 25jährige Larry DePrimo identifiziert), der einem barfüßigen Obdachlosen ein Paar warme Winterstiefel und Socken gekauft hat und ihm sie gleich anziehen helfen wird. Larry DePrimo meinte dazu später: "Ich habe mir nichts weiter dabei gedacht."
Irgendjemand im NOPD, der New Orleanser Polizei, die nicht bei Facebook ist, hat sich aber wohl etwas dabei gedacht, als er dieses Überwachungsvideo hollywoodesk "bearbeitete", bevor er es als Pressemeldung herausgab (filmstudioähnliches Logo, Zwischentitel, schnelle Schnitte, rasante Musik). Gesucht wird ein Laptopdieb. Berichtet hat dies der Gambit Weekly; auf der Presseseite des NOPD habe ich das Video nicht gefunden. Sachdienliche Hinweise werden dort aber sicherlich gern entgegengenommen.
PS Ein Sprecher des NOPD sagte gegenüber der Times-Picayune: "Nicht alle Videos werden in Zukunft so aussehen. Es war ein einmaliges Experiment." Inzwischen ist das Video von allen Quellen entfernt worden, nur hier sieht man noch ein Bild. Ach, schade.

Dienstag, 23. August 2011

NOPD

Diese Abkürzung steht für New Orleans Police Department oder im Volksmund auch für „Not Our Problem, Dude“ (Nicht unser Problem, Alter). New Orleans und Louisiana sind ja generell für Korruption und Filz berüchtigt, doch um die New Orleanser Polizei steht es am schlimmsten. Anfang der 2000er Jahre bis 2004 kam eine Untersuchungskommission des US-Justizministeriums in die Stadt um aufzuräumen, denn in den neunziger Jahren haben Polizisten in New Orleans gemordet, bestochen, gekidnappt, Brände gelegt, vergewaltigt, mit Drogen gehandelt, in der Mittagspause Banken überfallen. New Orleans hat regelmäßig die höchste Mordrate des Landes, so auch 2010. Zustände also wie in dem Film The Big Easy von 1987, mit dem sehenswerten Dennis Quaid. 
Nach dem Hurrikan Katrina 2005 kam es zum allgemeinen Chaos und Zusammenbruch der Zivilisation in der Stadt, manche würden sagen Anarchie. Niemand, auch die Polizei nicht, wusste was geschieht und wer die Verantwortung hat; es gab keinerlei Anweisungen oder Unterstützung von oben.
In einem Dokumentarfilm über Katrina hört man einen Anruf an die Notrufnummer 911, wo eine Frau verzweifelt berichtet, wie das Wasser immer höher steigt und dass sie ertrinken würde. Die Stimme am anderen Ende der Leitung wiederholte, nicht abgebrüht, aber doch neutral ruhig immer wieder: „Es tut mir Leid, aber es kann niemand kommen.“
Sicherlich haben in den Tagen gleich nach Katrina auch viele Polizisten versucht, Menschen zu helfen. Einige (ca. 200) sind allerdings desertiert und andere, um die 400-500, erschienen einfach nicht zum Dienst, wohl auf der Suche nach Familienmitgliedern oder um ihr Haus abzusichern. Mindestens zwei Polizisten begingen in der Zeit Selbstmord.
Und dann gab es Polizeikräfte, die laut Berichten eine Wir-gegen-die-Anderen-Haltung einnahmen (wie übrigens auch die später eingesetzten National Guard-Truppen, eine Art Kampfgruppen aus anderen Bundesstaaten) und unglaublich brutal und offensiv vorgingen, sicherlich auch angestachelt von den Medienberichten über Plünderungen, Morde, Vergewaltigungen.
Einer der berüchtigsten Fälle geschah am 4. September 2005 auf der Danziger Bridge in East New Orleans, einer riesigen Hubbrücke über den Industrial Canal. Zwei Gruppen von Männern, alles Afroamerikaner, waren zu Fuß auf der Brücke unterwegs. Eine Einheit des NOPD kreuzte auf, die über Funk gehört hatten, dass dort auf einen Kollegen geschossen worden sei. In der folgenden Schießerei auf die unbewaffneten Männer gab es zwei Tote und vier Schwerverletzte. Einer der Toten James Brissette war 17 Jahre alt; dem anderen, Ronald Madison, 40, geistig behindert, wurde in den Rücken geschossen und im Sterben auf ihm herumgetrampelt. In der nachfolgenden Untersuchung wurde vertuscht, gemauschelt und gelogen, und ein erster Prozess blieb erfolglos.
2008 übernahmen das FBI und das US-Justizministerium die Untersuchung; 2010 lud Bürgermeister Mitch Landrieu die beiden Behörden wieder zu einem Reformversuch in die Stadt. Am 5. August 2011 wurden fünf Polizisten für schuldig erklärt, weitere als in die Vertuschung verwickelt; das Strafmaß wird im Dezember bekannt gegeben. Laut National Public Radio wurde der Anklagevertreterin von der Abteilung Bürgerrechte des Justizministeriums, Barbara Bernstein, dafür auf der Straße gratuliert. 
Filme wie Bad Lieutenant—Port of Call New Orleans mit Nicholas Cage und die Fernsehserie Treme befassen sich auch mit der Polizeigewalt in den Tagen nach dem Hurrikan. Auf der Webseite des NOPD stehen jetzt in leuchtenden Farben aufrechte Polizisten stramm, und die Überschriften berichten von neuen Einstellungsstandards, einer neuen Führung und „einem neuen Tag“ im NOPD. Deren Zentrale befindet sich übrigens mitten im French Quarter in einem eleganten, historischen, quadratischen weißen Gebäude, das auch in „Treme“, wo man sich u.a. auch mit dem Danziger-Bridge-Fall befasste, schön zur Geltung kommt.