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Mittwoch, 2. August 2017

Mary McCarthy: The Group

Vor drei Jahren ist ein sehr geschätzter Übersetzerkollege und Freund gestorben, Tom Morrison, ein kluger, feiner, zurückhaltender Mann, der zu all unseren Translation Labs, Lesungen und Salons kam, wohl dosiert Treffendes anmerkte, und das alles mit einem schottischen Akzent, der immer charmanter wurde, je mehr man ihn kennenlernte. Damals haben wir eine große Erinnerungsfeier für ihn organisiert und aus seinen Übersetzungen vorgelesen und ich aus einer E-Mail, in der er mir die schottischen Neujahrsbräuche seiner Kindheit erklärte. Tom fehlt, auch wenn unsere Arbeit, unsere Treffen, unsere Lesungen weitergehen. Aber ich habe etwas, das mich immer wieder an ihn erinnert: eine kleine Auswahl von Toms Büchern, die ich aus seiner Bibliothek geerbt habe.
Eines dieser Bücher ist The Group von Mary McCarthy, das vorletztes Jahr in der deutschen Fassung Die Clique bei Ebersbach & Simon neu aufgelegt wurde. Wer hier schon mehr gelesen hat, weiß, dass ich Fan von Lillian Hellman bin, der umstrittenen amerikanischen Dramatikerin und Essayistin, Lebensgefährtin von Hardboiled-Pionier Dashiell Hammett und vielleicht eine der meist gehassten Literatinnen der Welt, der regelmäßig unterstellt wird, dass eigentlich Hammett ihre Texte geschrieben habe, als er selbst nichts mehr fertigschreiben konnte (sogar Margaret Atwood haut in diese Kerbe).
Mary McCarthy war Lillian Hellmans Erzfeindin, die über sie schrieb: “Every word she writes is a lie, including ‘and’ and ‘the’“, was schon mal auf eine scharfe und witzige Zunge und Geist schließen lässt. Hellman hatte darauf mit „lady writer“ und Gerichtsprozessen pariert, bis zu ihrem Tod. „Lady writer“ war natürlich abwertend gemeint, und doch ist es von dort nicht weit zu „Our First Lady of Letters“, wie Norman Mailer Mary McCarthy nannte, und es ist bezeichnend vor allem auch für den Stoff ihres Schreibens. The Group ist nämlich ein großer Frauen-Roman, wenn auch kein Frauenroman.
The Group, das sind acht Absolventinnen des renommierten Vassar College aus dem Jahr 1933, die lose befreundet sind und sehr unterschiedliche Wege einschlagen. Und dann entfalten sich ihre sehr unterschiedlichen Charaktere mit ihren sehr unterschiedlichen Lebenswegen, die sich immer wieder kreuzen. Die Besonderheit: Sie sind alle Frauen, aus der Oberschicht, mit ihren ganz besonderen Frauensichten und Frauenproblemen. Was das für welche sein könnten? Sex, Verhütung, die Dynamik sexueller Beziehungen zwischen Mann und Frau (meine Entdeckung des letztes Jahres, Mary Gaitskill, hat darüber immer wieder geschrieben), Untreue, Politik und die Erotik politischer Überzeugungen, Mutterschaft, Stillen (vor allem, wenn man mit einem Kinderarzt verheiratet ist, der an einem ein Exempel statuieren will), als Frau in der Buchbranche Karriere machen wollen („Publishing’s a man’s business“, lautet die Antwort), Vergewaltigung, eine lesbische Beziehung, Ledigbleiben, eine akademische Karriere, Impotenz usw. Das sind Themen, die 1963, als das Buch erschien, womöglich stärker an die Oberfläche drangen, doch schon lange, vielleicht schon immer so existierten, und die auch heute noch, über fünfzig Jahre später, kaum Eingang in die große Literatur finden. Ein Grund, warum das Buch für mich eine Sensation ist.
Ein weiterer: Das hier ist große Literatur. Mary McCarthy schreibt präzise und bildhaft wie Francis Scott Fitzgerald (und nicht wie Zelda, die auch toll schreibt) und zieht den Leser schnell in einen fesselnden Sog aus Ereignissen, Wahrnehmungen, Schicksalen. Es ist kein warmes Buch, bei dem einem die Figuren ans Herz wachsen; es bleibt scharf beobachtend auf Distanz. „Scathing“ (Vernichtend) nannte es Tony aus dem Translation Lab. Und so habe ich hier bewusst „der Leser“ geschrieben, weil es ein Buch über Frauen ist, das Männer, vor allem solche, die sich für Frauen interessieren und sie lieben, lesen sollten, weil es nämlich das Leben von Frauen ernst nimmt, jenseits von „Traumprinzen“ und Schönheit und Babys.
Mary McCarthy selbst sagte über ihr Buch: „I am putting real plums into an imaginary cake“ (Ich tue echte Pflaumen in einen imaginären Kuchen) und „I'm afraid I'm not sufficiently inhibited about the things that other women are inhibited about for me. They feel that you've given away trade secrets.“ (Ich fürchte, ich bin nicht zurückhaltend genug, wo andere Frauen für mich mit zurückhaltend sind. Sie finden, ich habe Geschäftsgeheimnisse preisgegeben.)
Zur deutschen Ausgabe: Ebersbach & Simon hat Die Clique 2015 neu aufgelegt, in schöner Aufmachung und mit einem informativen Vorwort von Candace Bushnell, der Autorin von Sex and the City. Dicker Wermutstropfen: die deutsche Fassung ist die staubige Übersetzung von Ursula von Zedlitz von 1964. Trotzdem, so scheint es, strahlt das Buch dank seiner innewohnenden Kraft auch auf Deutsch, und das bleibt ihm zu wünschen.

Sonntag, 15. Juni 2014

Lillian Hellman: Pentimento und The Little Foxes

Vor einiger Zeit habe ich Lillian Hellmans zweites biographisches Buch gelesen oder vielmehr verschlungen: Pentimento. A Book of Portraits. Das Buch heißt auf Deutsch Pentimento: Erinnerungen, Frauenbuchverlag 1989, übersetzt von Eva Buchmann, oder in einer älteren Ausgabe Julia und andere Erzählungen, Goldmann 1984, übersetzt von Cordula Bickel. Der ungewöhnliche Titel ist im Englischen ein nicht sehr gebräuchliches Wort für das Phänomen, wenn durch eine Schicht Farbe auf einer Leinwand eine zuvor aufgetragene Malerei durchscheint. Im Deutschen wird der Begriff in der Kunstgeschichte verwendet, wohl oft im Plural als Pentimenti oder eingedeutscht Pentiment, für die nachträgliche Übermalung oder Verbesserung eines Bildes durch den Künstler. Im Italienischen heißt Pentimento interessanterweise Reue.
Anders als die vorhergehende Biographie An Unfinished Woman ist Pentimento nur bedingt chronologisch aufgebaut, denn es besteht aus 7 Kapiteln, von denen die meisten mit einem Namen oder einem Wort überschrieben sind. Die ersten drei davon, Bethe, Willy, Julia, sind die eindrücklichsten. Darin werden wichtige Personen aus dem Leben von Lillian Hellman aus der Perspektive als Mädchen oder als junge Frau eher erzählt als porträtiert. Das ist ziemlich meisterhaft gemacht, denn man erfährt mit diesen dreien etwas aus dem Leben der Autorin aber auch über sie als Mensch, so dass es letztendlich gar nicht klar ist, wer hier eigentlich porträtiert wird.
Das dritte Kapitel, Julia, hat etwas Atemloses und hält in Atem, denn darin geht es um eine New Yorker Freundin der Autorin aus begüterten Verhältnissen, die während der Nazizeit in Europa im Untergrund aktiv ist, dort ein Bein verliert, ein Kind zur Welt bringt und schließlich getötet wird. Das ist alles sehr geheimnisvoll, so zum Beispiel wenn Lillian Hellman auf ihrer Reise von Berlin nach Moskau auf sehr komplizierte und undurchsichtige Weise über viele Mittelsmänner und –frauen Geld über die Grenzen schmuggelt. Das Problem an der Julia-Geschichte ist, dass sie möglicherweise nicht stimmt. Vielmehr scheint sie in leicht abgewandelter Form das Schicksal von Muriel Gardiner Buttinger zu beschreiben (Codename: Mary), mit der L. Hellman einen gemeinsamen Bekannten hatte, was die Lügenbezichtigung von Mary McCarthy, über die ich hier schon geschrieben habe, wohl noch untermauert.
Auch in Nora Ephrons Theaterstück Imaginary Friends von 2002 geht es um diese berühmte Kontroverse. Dafür gab es gemischte Kritiken, jedoch hielt ein Kritiker die Gegenüberstellung der beiden Frauen als diametral entgegengesetzte Göttinnen Fakt und Fiktion für gelungen. Im Frühjahr 2014 lief Off-Broadway ein weiteres Theaterstück von Jan Buttram zu dem Thema (Hellman v. McCarthy). Darüber heißt es in einer Kritik: „The play itself isn’t all that good...“ Und: „McCarthy (Marcia Rodd) gilt meistens als die Heldin, aber hier wirkt sie selbstgerecht und falsch, während Hellman als misslauniges, bitterböses Lästermaul höchst unterhaltsam ist.“
Mich hat Pentimento begeistert, weil die Geschichten so fesselnd und raffiniert erzählt sind. Ich finde es befreiend, dass Lillian Hellman sich nicht in die Rollenklischees für eine Frau und Schriftstellerin einfügt, sondern z.B. auch schwierig, starrsinnig und laut ist und Dashiel Hammett damit eine komplizierte, aber ebenbürtige Partnerin. Julia fragt sie an einer Stelle (S.114): „Are you as angry a woman as you were a child?“ Die Antwort: „I think so. I try not to be, but there it is.“ (Bist du als Frau immer noch so wütend, wie du es als Kind warst?“ „Ich glaube ja. Ich versuche, mich zu ändern, aber so ist es nun mal.“)
Die Berliner Schaubühne, ein wunderschöner Zwanziger-Jahre-Bau am Ku’damm, hat jetzt ein Stück von Lillian Hellman auf dem Spielplan, Die kleinen Füchse (The Little Foxes) von 1939, eine große Seltenheit. Ein Kritiker meint: „Hier nun die entscheidenden Erfolgsgründe. Zunächst das Stück, Die kleinen Füchse von der Kommunistin, Säuferin, Schriftstellerin und zu Lebzeiten erstaunlich verhassten US-Amerikanerin Lillian Hellman. Es wird kaum gespielt, in Berlin zuletzt in den 50er-Jahren am Deutschen Theater, mit Inge Keller in der Hauptrolle (Hauptstadt der DDR).“ Außerdem spielt Nina Hoss die Hauptrolle der Regina Giddens, ein weiterer Grund, warum es immer ausverkauft ist, wie ich meiner nicht repräsentativen Umfrage unter den neben mir Sitzenden entnehmen konnte, während die Autorin Lillian Hellman ziemlich unbekannt ist. 
Der Inhalt lässt sich vielleicht mit einem passenden Zitat aus Pentimento zusammenfassen: „... not too many years later... I understood that I lived under an economic system of increasing impunity and injustice for which I, and all those like me, pay with ridiculous wounds to the spirit.“ (Nicht allzu viele Jahre später wurde mir klar, dass ich in einem wirtschaftlichen System der zunehmenden Straffreiheit und Ungerechtigkeit lebte, für das ich, und alle die sind wie ich, mit unglaublichen Wunden an unserem Geist bezahlten.)
Das Personal: Regina Giddens und ihre beiden Brüder, die Ehefrau und der Sohn des einen Bruders, ihre Tochter, ihr Ehemann, eine Bedienstete, ein Investor aus dem Norden. Das Stück spielt in Alabama und ist von der Familie von Lillian Hellmans Mutter inspiriert. Die Familie will Geschäfte mit dem Investor machen, doch dazu brauchen sie Geld von Reginas Ehemann, der seit Monaten irgendwo in der Ferne im Krankenhaus ist und auf ihre Briefe nicht reagiert. Regina, die davon träumt nach New York zu ziehen, schickt ihre Tochter, um den Mann aus dem Krankenhaus nach Hause zu holen. Die Ehe der beiden ist völlig zerrüttet, vor allem Regina verachtet ihren Mann und versucht verzweifelt, für sich finanzielle Vorteile herauszuholen. Am Ende lässt sie ihren Mann sterben, indem sie ihm Tabletten und Hilfe verweigert. Sie verliert ihre Tochter und Brüder, aber sie hat jetzt Geld. 
Neben Regina ist da noch ihre Schwägerin Birdie (gespielt von Ursina Lardi), eine verwirrte, melancholische, tragische und doch sehr liebenswerte Frauenfigur aus den Südstaaten, wie man sie später in Tennessee Williams’ Stücken findet, zum Beispiel Blanche in Endstation Sehensucht (1947). Birdie wurde von einem der Brüder geehelicht, damit er an ihr Gut kam, das daraufhin verscherbelt wurde. Sie ist jetzt Alkoholikerin, wird von ihrem Mann schikaniert und misshandelt und hat einen Sohn, den sie selbst nicht mag und vor dem sie ihre Nichte warnt. Die kleinen Füchse thematisiert somit nicht nur den Gegensatz von old money (Birdie) und Neureichen (Familie Giddens), sondern auch die finanzielle Recht- und Mittellosigkeit der Frauen. Für Lillian Hellman war das ein zentrales Problem der Gleichberechtigung, das sie für sich mit geschickten Geldanlagen löste, was man wie so viele Dinge an ihr für skandalös hielt.
Nina Hoss ist wie immer intensiv, auch wenn es in der hitzigen, zähen und verzweifelten Stimmung des Stücks so angelegt ist. Der Text wurde offenbar radikal überarbeitet, und es liefen englische Übertitel, die seltsam aus dem Deutschen übersetzt klangen. Die Bühne ist schwarz und simpel, mit einer sehr hohen, über Eck gehende Treppe, die ins obere Geschoss (aber eigentlich ins Nichts) führt. Nur hinten rechts steht hinter einer Schiebetür ein großer Esstisch parallel zur Bühne, und wenn am Anfang dort  mit dem Investor aus dem Norden hinter verschlossenen Türen getafelt wird und diese Türen immer wieder aufgehen, wenn jemand nach vorn kommt und etwas sucht oder telefoniert oder die Bedienstete hineingeht, dann erinnert die Szenerie dahinter optisch an Das Abendmahl von Leonardo da Vinci und anderen. Pausen gibt es keine, die Akte werden mit lauten Musikpassagen vom Band markiert. 
Vor Kurzem habe ich in einem alten New Yorker einen Artikel über die Schauspielerin Tallulah Bankhead gelesen, eine Diva, wie sie im Buche steht, die bei der Erstaufführung ein Jahr lang mit großem Erfolg die Hauptrolle am Broadway gespielt hat (410 Aufführungen). Für die Filmversion wurde allerdings Bette Davis ausgewählt. In dem Artikel wird eine Episode erwähnt, die sich auch in Pentimento findet. Bei Partys hat die extravagante Tallulah Bankhead die Gäste manchmal ins Schlafzimmer geführt, ihrem schlafenden Ehemann John Emery die Bettdecke weggezogen und gesagt: „Haben Sie schon mal so einen großen Schwanz gesehen?“ Der Ehemann hat sich dann irgendwann scheiden lassen, und Tallulah Bankhead ist heute fast nur in Legenden und Büchern überliefert, weil sie vor allem Theaterschauspielerin und eben sehr exzentrisch war.
Wie es scheint, wird die Aufführung immer mehrmals hintereinander gezeigt, aber nicht in jedem Monat. Zu empfehlen, auch wenn draußen keine louisianischen Regenstürme wüten sollten...

Sonntag, 28. Oktober 2012

Alice Kessler-Harris: A Difficult Woman


Vor knapp zwei Jahren notierte ich mir zu meinem ersten Buch von Lillian Hellman, An Unfinished Woman (Eine unfertige Frau): „So ein umwerfendes, offenes Buch! New Orleans, New York, Hollywood, Spanischer Bürgerkrieg, Sowjetunion im Krieg, immer wieder Moskau, die schwierige Liebe zu Dashiell Hammett. Eine Entdeckung!“ Es ist die rasante Autobiografie einer Diva, die während des Bürgerkrieges nach Spanien reist, im 2. Weltkrieg über Alaska und Sibirien nach Moskau und an die Front, Hemingway und anderen großen Namen begegnet und über ihre lange Beziehung zu Dashiell Hammett berichtet. Ich habe das Buch verschlungen und zu einem meiner Lieblingsbücher erklärt. Etwas später versuchte ich es mit Maybe (Vielleicht), doch das war mir zu persönlich und zu viel Klatsch. Als ich dann las, dass Mary McCarthy über Lillian Hellman meinte: „Jedes Wort, das sie schreibt, ist eine Lüge, einschließlich and und the“, war ich zutiefst enttäuscht. Was mich so begeistert hatte, alles erlogen? 
Sicher auch wegen dieser Bemerkung ist Lillian Hellmanns Ruhm selbst in den USA etwas verblichen. Dabei war sie in der Mitte und zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts eine bedeutende Theaterautorin, die erste Frau unter den erfolgreichen Dramatikern ihrer Zeit, als noch weniger Frauen als heute für die Bühne schrieben. Sie tat dies ausdrücklich als Dramatiker und nicht als Dramatikerin (woman playwright), und bezeichnete ihrerseits Mary McCarthy als „lady writer“. Auch nicht nett.
Aber so war sie, die Person Lillian Hellman, die ihre Zeit vermutlich ebenso stark geprägt hat wie die Schriftstellerin. So gibt es auch mehrere Biografien über sie, doch die Historikerin Alice Kessler-Harris (von der Columbia University) hat ihr jetzt eine ausführliche Biographie gewidmet, die sich ihrem Leben und Werk aus zeitgeschichtlicher Sicht annimmt. Das Buch heißt A Difficult Woman. The Challenging Life and Times of Lillian Hellman (Eine schwierige Frau. Die Herausforderung des Lebens und der Zeiten von Lillian Hellman, zum Bestellen bei Bloomsbury hier). Tatsächlich gehörte Lillian Hellman wohl zu jenen Frauen, die mir mit ihrer Zickigkeit und ihrem Eigensinn eine tiefe Mädchenangst einjagen. Aber als Persönlichkeit, die sich trotz verschiedenster Anfeindungen ihr Leben lang treu blieb, achte und schätze ich sie.
Lillian Hellman wurde 1905 in New Orleans geboren und verbrachte ihre Kindheit und Jugend abwechselnd dort und in New York. Sie heiratete jung, ließ sich wieder scheiden, hatte eine Abtreibung. Durch ihre Arbeit in einem Verlag, durch die Ehe und Freundschaft mit Schriftstellern und schließlich auch durch ihre Beziehung zu Dashiel Hammett fand sie selbst zum Schreiben. Zu ihren (hoch moralischen) Theaterstücken gehören The Children's Hour (1934; Kinderstunde), The Little Foxes (1939; Die kleinen Füchse) und Toys in the Attic (1959; Puppenstube).
Nach eigener Aussage blieb sie Südstaatlerin, geprägt durch ihre schwarze Amme Sophronia, und durch New Orleans, eine Stadt mit einem intensiven kulturellen Leben, eine Stadt, wo Schwarze und Weiße schon immer enger zusammenlebten als anderswo. Lillian Hellman war (deutschstämmige) Jüdin und im Sinne des tief verwurzelten Reformjudentums in New Orleans aufgewachsen, was sie von den orthodoxen osteuropäischen Einwanderern zweiter Generation, die in New York ihre Kollegen wurden, grundlegend unterschied.
Unter den Machoschriftstellern ihrer Zeit behauptete sie sich souverän, und gern band sie, auch verheiratete, auch jüngere, Männer freigiebig sexuell in ihr Leben ein, war sexuell selbstbestimmt und freizügig. Das nahm man ihr immer wieder übel. Man nahm ihr auch übel, dass sie nicht intellektuell war, sondern den Geschmack der durchschnittlichen Kulturkonsumenten (middlebrow) ansprach. Sie schaffte es nicht nur, unabhängig von ihrer Arbeit als Schriftstellerin zu leben, sondern durch geschickte und sparsame Verwaltung ihrer Finanzen sogar finanzielle Sicherheit und einigen Wohlstand für sich zu erwerben, was für Frauen ungewöhnlich war und eigentlich auch oft noch ist. Auch das nahmen ihr manche übel. 
Dass sie sich nicht mit den Zielen der Frauenbewegung identifizierte (sexuelle Befreiung, Gleichstellung im Öffentlichen wie im Privaten), brachte ihr viel Unverständnis ein. Auch hier war ihre Haltung konsequent: „Ob nun BH oder nicht BH, wer die Töpfe abwäscht, ob man ein Sexobjekt ist... hat sehr wenig Bedeutung, außer wenn die Frau, die die Tür hinter sich zuschlägt, sich selbst das Abendessen bezahlen und sich aus dem Winterwind in Sicherheit bringen kann.“ 
Sie blieb zeit Lebens unabhängig, und während Dashiell Hammett für seine Überzeugung in der McCarthy-Ära schweigend ins Gefängnis ging, machte sie sich Feinde, indem sie die Kollegen heftig kritisierte, die ihrerseits Kollegen und Freunde verraten hatten. Angst hatte auch sie, aber ihr störrisches Gerechtigkeitsbewusstsein brachte sie dazu, mit Hilfe ihrer Anwälte einen Brief zu verfassen, der ihr bei der Anhörung vor dem Komitee für Unamerikanische Aktivitäten mit etwas Glück zum Triumph verhalf.
Kurzfristig war sie auch Kommunistin gewesen und verteidigte die Sowjetunion noch, als andere sich wegen der Gewalt unter Stalin und wegen seines Vorgehens gegen Juden schon längst abgewandt hatten. Lillian Hellman war kaufsüchtig, eitel, nicht zu Kompromissen bereit, neigte zu Szenen und Unpässlichkeit, war lautstark und aufmüpfig. Sie war auch eine liebevolle und großzügige Freundin und Patentante, eine passionierte Dozentin am College, eine zurückhaltende, sehr feminine Frau.
All das weiß ich aus der umfang- und lehrreichen Biografie von Alice Kessler-Harris, die ihre unterschiedlichen Facetten in jeweils einem Kapitel betrachtet. Wenn der wissenschaftliche Duktus kurzzeitig das Lesen erschwerte, so ist es doch so gut geschrieben (und zugleich akribisch zitiert und dokumentiert), dass ein spannendes Porträt entsteht - der Frau Lillian Hellman, wie auch des Landes, in der Zeit, in der sie lebte. 
Ein ganzes Kapitel (Liar, Liar—Lügnerin, Lügnerin) befasst sich mit den Anschuldigungen von Mary McCarthy und den nachfolgenden zermürbenden Gerichtsprozessen. Lillian Hellman mag manches verdreht, falsch zugeordnet oder übertrieben haben, doch sicher nicht mehr als andere autobiografisch Schreibende. Die Suche nach der Wahrheit war ihr wichtig und immer wieder stellte sie sie in Frage. Die Fehde fand erst mit ihrem Tod 1984 ein Ende; Nora Ephron hat diese in dem Musiktheaterstück Imaginary Friends (Imaginäre Freundinnen) verarbeitet.
Ein wiederkehrendes Thema sind die (oft sehr gehässig formulierten) Aussagen, dass Lillian Hellman nicht schön war und es dennoch geschafft hatte, sich durchzusetzen. Für mich war Lillian Hellman schön genug und mich ärgert so etwas, besonders bei Frauen, wie auch der gegenwärtigen Bundeskanzlerin, deren Beruf Schönheit eigentlich nicht erforderlich macht und - was kann man schließlich für sein Aussehen? Ich nehme an, dass diese Beleidigungen zu Hellmans Lebzeiten genau so unverblümt fielen und dass die Biografin sie dokumentieren wollte. Aber (ver)störend sind sie dennoch.
In der deutschsprachigen Welt mag Lillian Hellman zu unbekannt sein, als dass eine solche Biografie ihr Publikum finden würde. Deshalb holt Euch zum Anwärmen, liebe Leser und liebe Leserinnen, ihre Autobiografie Eine unfertige Frau (in zwei verschiedenen Übersetzungen erhältlich) aus der Bibliothek. Alles, was Lillian Hellman darin beschreibt, hat sie so oder so ungefähr wahrscheinlich tatsächlich in etwa so erlebt.