Ich habe zwei Krimis von Joy Castro gelesen: Tödlicher Sumpf (Hell or High Water) in der sehr lesbaren Übersetzung von Susanne Wallbaum (dtv 2013) und Nearer Home (St. Martin's Press 2013), den zweiten in der Serie, im Original. Beide spielen in New Orleans und sind spannend, wenn auch eigentlich keine richtigen Krimis. Die Ermittelnde ist hier eine junge Reporterin, Nola Céspedes, die New Orleans aus einer interessanten, Latina-geprägten Perspektive zeigt, eine kulturelle Facette der Stadt, die eigentlich erst nach Katrina so recht an Bedeutung gewonnen hat. Die Autorin weiß, wovon sie redet, und die Stadt und die beschriebenen Schauplätze sind wiederzuerkennen, und nicht nur deshalb habe ich es gern gelesen.
Nola ist eine ungewöhnliche (auf Englisch würde man wohl sagen: unlikely) Heldin. Sie stammt aus einfachen Verhältnissen mit alleinstehender, kubanischer Mutter, lebt in einer WG, ist links, engagiert sich als ehrenamtliche Big Sister für ein Mädchen aus ein mexikanischen Einwandererfamilie, hat eine illustre Freundinnenrunde wie aus Sex and the City und ist eine begabte Journalistin. Dann hat sie noch ein äußerst riskantes, eher sportliches Sexleben, das sich später aus einer Missbrauchgeschichte erklärt. Genau bei einem solchen Abenteuer lernt sie einen Traumprinzen in Form eines fußballspielenden spanischen Umweltwissenschaftler-Gentlemans und Sexhengstes kennen. Und irgendwie sind alle wichtigen kulturellen Eckpunkte abgehakt: Nola hat an der Tulane-University studiert, sie arbeitet bei der New Orleans Times-Picayune, sie fährt nach Grand Isle, wo sie an Kate Chopins Buch Das Erwachen denkt und sich vor Haien fürchtet, die sich dann als Delfine herausstellen; ihr schwuler isrealischer Mitbewohner arbeitet im edlen Columns Hotel auf der St. Charles Avenue.
Dann wäre da noch die eigentliche Krimihandlung, und die überzeugt nur bedingt. In Tödlicher Sumpf recherchiert Nola zur Rehabilitation von Sextätern, durchweg unheimliche und unheilbare, nicht geheilt werden wollende, hoffnungslose Fälle, klärt dabei das Verschwinden einer jungen Frau auf und rettet eine zweite. In Nearer Home entdeckt sie beim Joggen im Park die Leiche ihrer früheren Journalistikprofessorin und fängt an zu ermitteln, wobei sie deren Recherchen zu Korruptionsfällen und den Verzweigungen in der politischen Ebene vertieft. Beides wichtige Themen mit einer politischen Dimension, aber kein stringenter Whodunit.
Der zweite Band ist noch nicht auf Deutsch erschienen, aber auch er liest sich schnell weg. Das umgebende Personal ist weiterhin charmant, aber die Beziehung bröckelt etwas. Doch Nola entwickelt sich persönlich weiter, hadert mit ihrer Beziehung,
bleibt aber dran, lernt ihre Mutter und ihre Freundinnen besser kennen
usw. Beide Hauptfiguren, die junge Nola Céspedes und New Orleans, sind wirklich gut getroffen. Und vermutlich haben es alle gleich gemerkt, Nolas Vorname ist zugleich ein Kurzwort für New Orleans, Louisiana (LA. ist das Kürzel für Louisiana in der Postanschrift).
Lesbar!
Anhang: Natürlich habe ich mir auch die sehr gelungene Übersetzung angesehen und an einigen Stellen noch etwas weiterrecherchiert.
Virginia-Eichen: Das ist die deutsche Übersetzung für live oaks, die man im Internet findet, aber ich verwende sie aus mehreren Gründen nicht. Vor allem erinnert „Virginia“ an den Bundesstaat, was ich irreführend finde, weil der etwa 1600 Kilometer entfernt und deutlich weiter nördlich liegt und diese Eichen dort nicht so häufig, so alt und so für die Landschaft prägend sind wie in Louisiana. Außerdem mag ich die „existentielle“ Komponente des Namens und nenne sie deshalb Lebenseichen. kreolisches Drei-Zimmer-Cottage: Ein Creole Cottage ist ein für Louisiana typischer Haustyp, meist klein, eingeschossig mit Dachboden und symmetrischen Eingängen.
Den Mississippi höre ich nicht: Darüber habe ich mich gewundert, aber bestimmt steht es so im Original. New Orleans ist eine richtige Stadt, da hört man den Fluss nicht, höchstens an manchen Stellen den Hafen oder das Hupen der Frachtschiffe.
Esplanade-Grat: Es geht um den Stadtteil Esplanade Ridge und eine kleine höhere Stelle zwischen den tiefer gelegenen, insgesamt etwa 1,20 – 1,50 Meter höher als das umliegende Gelände. „Grat“ ist vielleicht nicht ganz passend, weil es auch darum ging, dass N.O. unter dem Meeresspiegel liegt.
Gekochter Crawfish: Bei einem Crawfish Boil werden auf jeden Fall Krebse gekocht, aber es geht auch um das Drum- und Dran. Es ist eine riesige Sause, meistens im Freien mit vielen Leuten, riesige Pötte mit Crawfish, Kartoffeln und Gemüse, die in Wasser gekocht und dann auf Zeitungspapier auf dem Tisch (meistens langen Biertischen) ausgeschüttet werden. Um den Tisch sitze alle herum, pulen für sich die Krebse, fischen das Gemüse heraus und essen mit den Händen.
Momentan läuft der Lokalsender NPR: National Public Radio ist kein Lokalsender bzw. gar kein eigentlicher Sender. Es ist ein unabhängiges nationales Radio-Verteiler-und Produktions-Netzwerk mit bestimmten Nachrichten- und vielen anderen Sendungen usw., die über lokale Sender ausgestrahlt werden. In New Orleans heißt dieser Sender WWNO und sendet morgens und nachmittags/abends Sendungen von NPR und ansonsten klassische Musik. (Ich habe bei WWNO mal bei einer Spendenkampagne ausgeholfen.) NPR hat nur einen eigenen Sender – hier in Berlin, noch bis Sommer 2017.

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Samstag, 15. April 2017
Montag, 1. Oktober 2012
New Orleans – ein Fragebogen
Interview mit Martha Pinney, 5. Klasse,
Louise Mc Gehee School, New Orleans
New Orleans ist... eine interessante Stadt mit...schönen Bäumen. Ich
mag das Essen.
Lieblingsort in New
Orleans: Das French Quarter. Ich mag
all die Geschäfte, und ich mag das Café du Monde.
Lieblingsgebäude: Ich glaube, das Bradish Johnson House in meiner
Schule, weil es schön ist, und weil es mir gefällt, wie man es in eine Schule
umgestaltet hat.
Was war es denn, bevor es
eine Schule wurde? Es war eine Schule.
Das heißt, eigentlich war es so eine Art Haus, für Menschen, ein ganz normales
Haus, und dann hat man daraus eine Schule gemacht.
Lieblingsessen aus New
Orleans: Beignets, weil die mit
Puderzucker überhäuft werden, eine Schicht nach der anderen, und das macht mich
glücklich.
Lieblingsmusikerin aus New
Orleans: Amanda Shaw, weil ich wegen
ihr angefangen habe, Geige zu lernen. Sie macht tolle Musik auf der Fiddel. Sie
nennt sich Amanda Shaw and the Cute Guys (…und die hübschen Jungs), weil sie das einzige Mädchen in der Band ist
und weil die Jungs im Hintergrund spielen.
Lieblingswort oder
-ausdruck aus New Orleans: Who dat?
Einfach, weil es lustig ist, und weil ich die Saints liebe, und Drew Brees.
Also, who dat.
Passendster Spitzname für
New Orleans: NOLA?
Liebste, hier nicht
erwähnte Sache in New Orleans: Die
Bäume, im City Park. Ich glaube, es ist die größte Ansammlung von Lebenseichen,
und ich klettere gern darauf herum.
Wie kann die Stadt ihre
Mordrate senken? Mehr Polizei, und
man könnte strenger überwachen, wer in der Drogerie Drogen kauft, wer so etwas
kauft, und vielleicht mehr Überwachungskameras.
Warum ich in New Orleans
lebe: Erst einmal kann ich ja nichts
dafür, aber ich würde auch nicht umziehen wollen, weil... erst einmal mag ich
mein Viertel und ich will nicht alle meine Freunde zurücklassen. Ich liebe den
Stil der Häuser. Und wie alt die Stadt ist.
Was ich an New Orleans am
wenigsten mag: Also, mir gefällt es
nicht, dass überall Müll herumliegt, dass ein Teil der Stadt einfach schrecklich
aussieht. Da gibt es alte Gebäude, die nicht abgerissen werden, da gibt es
Projekte, die mittendrin sind und dann einfach aufhören. Ich wünschte, man
könnte das einfach besser handhaben.
Was die meisten nicht über
New Orleans wissen: Ich weiß
eigentlich nur, was alle wissen, also...
Meine New
Orleans-Expertise: Ich lebe in New
Orleans, und bin schon mein ganzes Leben hier.
Glossar:
Louise McGehee School: Private Mädchenschule im Garden District, von
Kinderkrippe bis Highschool. Das Bradish Johnson-Haus ist das Hauptgebäude der
Schule.
Café du Monde: Café am Jackson Square im French Quarter, in das
jeder Tourist geht, um dort mit Zichorie versetzten Kaffee zu trinken und
Beignets zu essen, eine Art Donuts oder Krapfen.
Amanda Shaw... stammt ursprünglich aus Covington, von der
Nordküste des Lake Pontchartrain. Sie trat bereits zwei Mal in der
McGehee-Schule auf.
Who dat? Wörtlich: Wer issn dis? Lautsprachliche New Orleanser
Ausdrucksweise. Jetzt Schlachtruf der Fans der American Football-Mannschaft New
Orleans Saints. Der ganze Spruch lautet „Who dat? Who dat? Who dat say dey
gonna beat dem Saints?“—Wer issn dis? Wer issn dis? Wer sagt’n, dasser die
Saints schlagen wird?
Sonntag, 8. April 2012
Osterspaziergang
Heute morgen beim Spaziergang durch den Park ging es mir durch den Kopf: „Vom Eise befreit sind Strom und Bäche...“, und ich dachte mir, aha, zu Goethens Zeiten waren also die Flüsse im Winter zugefroren, was mit unserer Spree hier zwar in diesen Jahren wieder so ist, aber nicht immer so war.
So erlaubt uns die Literatur Rückschlüsse auf die Natur, und so lese ich in der Literatur ein bestimmtes Bild von der Natur mit. Vor allem Louisiana, New Orleans ist für mich ein Ort, wo ich die Natur und die Umwelt immer mitdenke und die für mich viel von ihrem Zauber ausmachen.
Das wurde mir auch insbesondere klar, als ich an dieser Stelle vor kurzem über Kate Chopins Das Erwachen schrieb. Denn während mir beim Lesen intensiv die Esplanade Avenue in New Orleans vor Augen stand, so wie heute, nur ohne Autos und mit langberockten und behandschuhten Damen, die unter Rüschensonnenschirmen über die Bürgersteige schweben, wollte mein Bild von Grand Isle absolut nicht mit dem von der Autorin beschriebenen übereinstimmen.
Kate Chopins Insel ist nämlich eine luftige, paradiesische Oase mit edlen weißen Sommerhäuschen unter schattigen Bäumen. Die Grand Isle, die ich kenne, hat nur vereinzelt Bäume, die im Sand wachsen, ist eher einfach und provisorisch bebaut und scheint sich in den Elementen nur noch mit letzter Kraft zu behaupten. Wie überall in Louisiana, wo in den malerischen Bayous alte Kähne vor sich hinrosten und am Mississippiufer ganze Anlagen verwahrlosen, so wirkt auch Grand Isle, von den Eigenheimen und dem naturbelassenen State Park abgesehen, nicht besonders sorgfältig behandelt. Und das war lange vor der BP-Ölkatastrophe.
Eines der größten Probleme Louisianas ist, dass der Bundesstaat jährlich massiv an Boden verliert, auch weil die Deichanlagen des Mississippi dazu führen, dass der Schlamm des „Muddy River“ weit im Golf von Mexiko abgesetzt wird und nicht vor der Küste, wo er gebraucht wird. Die Gewinnung von Öl und Gas, das Anlegen von Erkundungskanälen, durch die Salzwasser in die Marschen eindringt, und die Verbreitung der Nutria führen dazu, dass jährlich ca. 122 km2 Feuchtgebiete verloren gehen. Wie sehr die Insel sich verändert hat, habe ich selbst gesehen: Allein die Hurrikane Katrina und Rita 2005 haben ca. 560 Quadratkilometer Marschland in offenes Wasser verwandelt. Der Name der benachbarten Halbinsel Chênière Caminada deutet auf ein Eichenwäldchen hin, heute eine Marschlandschaft mit sporadischen Bäumen.
Dabei ist die Eiche, genauer gesagt die Lebenseiche (live oak), die auf Deutsch wohl auch Virginia-Eiche heißt, für mich der typischste und schönste Baum Louisianas. Es ist der Baum, der die berühmte Oak Alley Plantation so verwunschen aussehen lässt. Mit seinen knorrigen, starken, weit auf den Boden reichenden Ästen, die mit Efeu und Spanischmoos bewachsen sind, ist er exotisch, bizarr und schön und Heimstatt für unzählige Vögel. Aber vor allem ist er auch unverwüstlich und standhaft und uralt, hält Stürmen und Unwetter stand, eine beständige Präsenz in einer unsteten und vergänglichen Landschaft.
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