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Sonntag, 20. Dezember 2015

Der Axtmann von New Orleans

Das mit dem Axtmörder ist so ein amerikanisches Klischee, mit dem u.a. unbegründete Ängste karikiert werden können. Dabei sind Axtmörder im Land der Schusswaffen im Verhältnis relativ selten. Aber New Orleans hatte tatsächlich einen, der vor etwa 100 Jahren sein Unwesen trieb. Bis heute ist nicht mit völliger Sicherheit aufgeklärt, wer es war. Gefasst wurde er nämlich nicht, sondern er hörte irgendwann einfach auf zu morden, wahrscheinlich weil er selbst ums Leben kam.
Es begann in den Jahren 1911-1912, dann gab es eine längere Pause, womöglich wegen eines Aufenthalts im Staatsgefängnis in Angola oder in einer Irrenanstalt, und dann schlug er in den Jahren 1918-1919 in Serie zu und verdiente sich den Namen Axeman of New Orleans. Betroffen waren hauptsächlich italienischstämmige Lebensmittelhändler, die äußerst brutal niedergemetzelt wurden, vor allem auch deren Frauen; gestohlen wurde nichts. Interessanterweise gibt es einen Brief des Axtmanns vom 13. März 1919, der in der New Orleans Times Picayune veröffentlicht wurde. Der Brief ist ein Meisterwerk an Sprachgewandtheit und Zynismus, in dem er ankündigt, dass er die Stadt in wenigen Tagen wieder heimsuchen würde und nur Häuser, in denen in jener Nacht Jazz gespielt würde, vor ihm in Sicherheit wären.
Genau das ist der Aufhänger des Erstlings des Briten Ray Celestin, in dem der Brief gleich zwei Mal abgedruckt ist. Der Thriller trägt den Titel The Axeman’s Jazz und erschien 2014.
Celestin spinnt eine spannende, ausgeklügelte und äußerst blutrünstige Geschichte, in der er fast nichts Interessantes und Ungewöhnliches an New Orleans auslässt: die Mafia, arme irische Einwanderer, Cajuns, kreolische Plantagenbesitzer, Voodoo, Polizeikorruption, Jazzbeerdigungen, einen Kommissar, der erpressbar ist, weil er mit einer schwarzen Frau verheiratet ist und Familie hat, ein Zitat von Lafcadio Hearn, a lil’ love und – Louis Armstrong. 
In der Sache wird von drei Seiten her ermittelt, wovon natürlich nur die eine Untersuchung durch die Polizei legitimiert ist, doch am Ende deckt jede der drei Parteien ihr Drittel auf, so dass für die Leserin das ganze, sehr komplexe Knäuel an Verwicklungen entwirrt wird, während den jeweils anderen beiden Parteien der Rest verborgen bleibt.
Die erste Ermittlerin ist eigentlich ein Team, bestehend aus Ida Davis, einer sehr jungen, sehr begabten und sehr hellhäutigen Kreolin, die in einer Detektivagentur arbeitet und sich dort langweilt, und ihrem Kindheitsfreund, der früher bei ihrem Vater Trompetenunterricht hatte und ihr jetzt bei den Ermittlungen hilft. Anders als sie ist er schwarz, Jazzmusiker und heißt Lewis (und eben nicht Louis, aber ansonsten stimmen alle biografischen Details überein).
Der zweite Ermittler ist Kommissar Michael Talbot, der in der eigenen Polizeiwache geschnitten wird und sich von Korruption umgeben sieht. Kurzzeitig gesellt sich ihm ein sehr junger, sehr fähiger, frisch eingewanderter Ire als Assistent an die Seite, Kerry, der ein eigenes, hoffnungsvolles Geheimnis hat, aber nach dem Prinzip vieler Hollywoodfilme unverschuldet sterben muss.
Der dritte Ermittler ist Luca D’Andrea, italienischstämmiger Expolizist und Michaels früherer Mentor, der von diesem aber wegen seiner Verbandelungen mit der Mafia überführt und jetzt gerade nach mehreren Jahren aus dem Gefängnis entlassen wurde. Er ermittelt im Auftrag der Mafia.
Alle drei Ermittler decken wichtige Intrigen und Zusammenhänge auf und geraten dabei selbst in Lebensgefahr. Den eigentlichen Axtmörder stellt Luca und unterliegt ihm letztendlich im Zweikampf. Vorher wird ihm aber noch klar, dass es mit seiner erhofften Rückkehr nach Italien wohl nichts werden wird, und er erlebt noch so etwas wie Liebe, einen ruhigen Rückzugsort bei einer Frau, bei der nicht viele Worte nötig sind.
Das Buch ist spannend und beeindruckend konstruiert. Aber es ist doch so brutal, dass ich es nicht vor dem Einschlafen lesen konnte, ohne wild zu träumen. Woher so viele Autoren und Filmleute ihre Lust an der möglichst grausamen Vernichtung von Menschen haben (wie bereits gesagt noch über die eigentlichen, historisch belegten Axtmorde hinaus)? Der laut Internet tatsächlich verdächtigte Joseph Momfre wird übrigens nicht erwähnt.
Vorn im Buch befindet sich eine Karte vom New Orleans der damaligen Zeit, in der die verschiedenen Orte verzeichnet sind. Immer wieder gibt es Jazz, man fährt Straßenbahn, ins French Quarter, nach Gretna, zum Bayou St. John, das damals noch außerhalb der Stadt lag, es fallen viele, viele Straßennamen - und doch bleibt New Orleans irgendwie blass.
Blass bleibt auch die Sprache, aber spannend ist es trotzdem. Ganz nebenbei erfährt man viel über die Geschichte der Stadt zum Ende des Ersten Weltkriegs und am Beginn der Prohibition, über den Aufstieg des Jazz und vor allem auch über verschiedene Einwanderergruppen. Manches wirkt ein bisschen sehr ausgedacht, ein unmenschlicher Cajun als Menschenhändler und Zuhälter in New Orleans? Hmm. Und dann ist da noch der ewige, zermürbende Regen, der das ganze Buch durchzieht und der mir so untypisch vorkam, bis eine Figur eine Bemerkung darüber macht und eine Flut voraussagt. In der Literatur gilt übrigens das Jahr 1919, in dem die Französische Oper in New Orleans abbrannte, als Ende der kreolischen Kultur in New Orleans.
Der Axtmann wurde übrigens gleich nach 1919 zum Thema in Musikstücken und Karikaturen, später auch Comics und anderen Büchern, zuerst 1991 von Autorin Julie Smith, auch unter dem Titel The Axeman's Jazz.
Ray Celestins The Axeman’s Jazz ist schon ins Französische (unter dem Titel Carnaval), ins Spanische und ins Türkische übersetzt worden; von einer anstehenden deutschen Veröffentlichung ist mir bislang nichts bekannt. Kann man lesen, vielleicht sogar während der besinnlichen Weihnachtszeit...

Sonntag, 4. Januar 2015

Paul Morphy

Wenn ich Leuten erzähle, dass ich in Louisiana gelebt habe, dann fragt manchmal jemand, ob ich Paul Morphy kenne. Das klingt wie ein Geheimtipp, und es schwingt eine tiefe Verehrung mit. Die das fragen, sind die leidenschaftlichen Schachspieler.
Paul Morphy war nämlich so etwas wie der Mozart des Schachs, ein Genie, das alle anderen mit Leichtigkeit und in Windeseile an die Wand spielte, ewigen Ruhm einheimste und viel zu früh aufhörte und starb. Man nannte ihn „The Pride and Sorrow of Chess“ (Stolz und Kummer des Schachs). Er war aus New Orleans, dieser Stadt der Alten in der Neuen Welt oder wo sich die Alte mit der Neuen Welt mischt, und vermutlich hat das etwas damit zu tun.
Morphys Urgroßvater, der Ire Michael Murphy, änderte seinen Namen zu Morphy, als er nach Spanien zog. Sein Vater Alonzo Morphy, aus Charleston, South Carolina, war Anwalt und Richter am Obersten Gerichtshof von Louisiana und verheiratet mit Louise Le Carpentier, der Tochter einer französisch-kreolischen Familie aus New Orleans. Obwohl New Orleans fest in amerikanischer Hand war, als Paul Charles Morphy am 22. Juni 1837 geboren wurde, würde es mich nicht wundern, wenn man in dieser ehrwürdigen, kreolischen Familie auch Französisch gesprochen hätte. Der Louisiana Purchase, als die Amerikaner von den Franzosen das riesige, als Louisiana bezeichnete Territorium kauften, das sich bis nach Montana zog und den westlichen Teil des Mittelwestens einschloss, hatte schon 1803 stattgefunden. Ich glaube, ein Satz aus dem Wikipedia-Eintrag dazu beschreibt das, was folgte, sehr treffend: „Governing the Louisiana Territory was more difficult than acquiring it.“ (Das Territorium Louisiana zu regieren war schwieriger, als es zu erwerben.)
Anders als bei Mozart und der Musik scheint dem kleinen Paul niemand Schach beigebracht zu haben. Er war eben immer dabei, wenn sein Vater und  Onkel Ernest spielten, und sein älterer Bruder und seine Schwester Helena spielten auch. Schon mit 9 galt er als einer der besten Spieler in New Orleans, und 1850, mit 12, besiegte er den ungarischstämmigen Schachmeister Johann Löwenthal, der auf Gastspielreise in der Stadt war. 
Danach widmete sich Morphy in Mobile, Alabama, und an der Universität in New Orleans (jetzt Tulane) vor allem seinem Studium, das er 1857 mit einem Juradiplom abschloss. Da er aber noch minderjährig war, durfte er nicht praktizieren, und so ließ er sich erst einmal nach New York zu einem Amerikanischen Schachkongress einladen, wo er als Schachmeister der USA gefeiert wurde. Dann reiste er nach Europa, zunächst, um gegen den europäischen Meister, den Engländer Howard Staunton, zu spielen. Dazu kam es nicht, und es ist nicht klar, warum. Hatte Staunton Angst sich zu blamieren oder war er wirklich mit seinen Arbeiten zu Shakespeare beschäftigt oder hatte Morphy nicht die Startgebühr für das Spiel bezahlt?
Es war zwar für Morphy ein Dämpfer, aber dafür spielte er gegen alle anderen, darunter Daniel Harrwitz und Adolf Anderssen, und gewann, trotz zwischenzeitlicher Darmgrippe, fast durchgehend. In seinem Buch Paul Morphy - Sein Leben und Schaffen schreibt sein deutscher Biograf Max Lange im Jahr 1894: „Hervorgegangen aus einer spanischen und mütterlicherseits aus einer französischen Familie, aber geworden und entwickelt auf amerikanischem Boden, hat PAUL MORPHY die spanische Anmut und die französische Lebendigkeit in seiner Person mit dem kühlen und praktischen Sinn des amerikanischen Charakters wohl vereinigt. Eine ebenso kräftige wie rasche und feine Spielführung zeichnete alle seine Partien aus, und die Augenzeugen seines Spielens waren ohne Ausnahme des Lobes voll von seiner eleganten persönlichen Haltung wie graziösen Steinführung, von seiner steten Selbstbeherrschung in schwierigsten Lagen und von seiner unerschütterlichen Ruhe bei ihn überraschenden Wendungen.“ Das Buch ist übrigens 2009 neu verlegt worden und enthält viele Notationen der Spiele von Paul Morphy, die für Kenner vermutlich eine Offenbarung sind. Hier, mit Leseproben.
Nachdem er praktisch alle besiegt hatte, die es zu besiegen gab, zog er sich vom Schach zurück. Wieder in New Orleans versuchte Morphy, seine Anwaltspraxis in Gang zu bringen, aber erst kam der Amerikanische Bürgerkrieg dazwischen, und dann wollten seine Klienten mit ihm eigentlich immer nur über Schach reden. Zum Glück war er finanziell abgesichert und konnte in den Tag hinein leben.
Am 10. Juli 1884 starb Paul Morphy in der Badewanne, als er nach einem Spaziergang in der Mittagssonne bei einem eiskalten Bad einen Schlaganfall erlitt. Dem Mythos zufolge soll er schon nicht mehr zurechnungsfähig gewesen sein, aber vielleicht war er auch nur exzentrisch.
Einem Gerücht zufolge soll Morphy vor dem Schlafengehen einen Kreis aus Frauenschuhen um sein Bett gebildet haben (über seine private Seite ist sonst nichts weiter bekannt), aber in einem Text seiner Nichte heißt es, dass er seine eigenen vielen Schuhe in seinem Zimmer in einem Halbkreis angeordnet hätte.
Über sein Spiel wird viel spekuliert. Würde er heute mithalten können? Er hatte relativ wenig Übung, aber vermutlich war es auch gerade seine jugendliche Unbekümmertheit, mit der er seine Gegner verunsicherte und dann besiegte. Eine Kennerin schreibt: „Unlike masters of today, who after the centuries of analysis devoted to chess, look for 'truth' in each game, Morphy, as well as many of his contemporaries, looked for beauty, sometimes foregoing the simplest approach for a more pleasing one, and considered the combination the pinnacle of such beauty.“ (Anders als die heutigen Meister, die nach jahrhundertelangen Analysen der Schachspiele in jedem Spiel nach der „Wahrheit“ suchen, suchte Morphy wie viele seiner Zeitgenossen nach Schönheit, und entschied sich manchmal gegen den einfachsten Zug zugunsten eines gefälligeren, und die Kombination betrachtete er als das Allerschönste überhaupt.) Morphy spielte auch gern Blindschach und Vorgabepartien, bei denen dem schwächeren Gegner ein Vorteil eingeräumt wird, entweder mit Figuren oder Zügen, und wie es scheint, lief er dann zu seiner eigentlichen Form auf.
Morphy spielte Schach, wie es heute nicht mehr gespielt wird. Und doch schreibt der Schachweltmeister Bobby Fischer: "A popularly held theory about Paul Morphy is that if he returned to the chess world today and played our best contemporary players, he would come out the loser. Nothing is further from the truth. In a set match, Morphy would beat anybody alive today ..."
Die Morphys lebten übrigens in mehreren Häusern in New Orleans, die auch heute noch existieren. Eins davon war in der 417 Royal Street, wo sich heute das berühmte Restaurant Brennan’s befindet, ein weiteres an der Ecke der Esplanade und Chartres Street, das 1834 für Henry Raphael Denis gebaut wurde. Nach den Morphys lebte dort ein japanischer Chemiker Jokichi Takamine, der sich nach 1884 in New Orleans mit einem seiner Nachbarn anfreundete, dem Journalisten Lafcadio Hearn, der später in Japan ganz groß rauskam. Gleich um die Ecke, Esplanade und Royal Street, wuchs übrigens der nur 8 Jahre ältere kreolische Komponist Louis Moreau Gottschalk auf.
Morphys Grabmal befindet sich auf dem St. Louis Cemetery Nr. 1.  Weil es so schön die Welten illustriert, die da aufeinandertrafen, habe ich noch ein Foto der Partie zwischen Morphy und Löwenthal aus der Public Domain heruntergeladen.

Die Geschichte von Paul Morphy ist übrigens in dem Roman The Chess Players (1960) von Frances Parkinson Keyes auch literarisch verarbeitet worden. Keyes lebte in New Orleans im French Quarter, 1113 Chartres Street, das heute unter dem Namen Beauregard-Keyes House ein Museum ist und für Paul Morphys Großvater mütterlicherseits gebaut wurde. Aber alles was man wirklich über Morphy wissen muss, findet man in diesem, ja leidenschaftlichen Blog-Eintrag: hier.

Mittwoch, 15. Oktober 2014

Kreolisches und anderes Erbe

Oktober ist seit 2005 in Louisiana der Creole Heritage Month (Monat des kreolischen Erbes) und in Kanada und St. Lucia in der Karibik ist es sogar International Creole Month. Als Kreolen, wir erinnern uns, werden typischerweise die in der Neuen Welt geborenen Nachfahren von Spaniern und Franzosen bezeichnet. In New Orleans denkt man dabei meist an Afroamerikaner wie die Musikerdynastien Marsalis und Neville, aber dann gibt es eben auch die, die damit nichts zu tun haben wollen und sich als Weiße verstehen.
Dann gibt es auch noch die in Louisiana als passe-blancs bezeichneten Menschen, d.h. diejenigen mit afroamerikanischer Herkunft, die sich -- oft woanders als in ihrer Heimat -- erfolgreich als Weiße ausgeben und durchschmuggeln konnten, was das Leben natürlich enorm erleichterte. Nella Larsen schrieb darüber in ihrem Roman Passing von 1929 (Deutsch: Seitenwechsel, Dörlemann 2011, Übersetzt von Adelheid Dormagen), einem Klassiker der African American Studies. "Seitenwechsel" finde ich übrigens eine ganz schöne Lösung, denn eine richtige deutsche Entsprechung haben wir aus gegebenen Gründen nicht.
Der Blog Jambalaya Magazine hatte das Thema erst kürzlich. In dem ersten kleinen Video berichtet Bliss Broyard über ihren Vater, den Greenwich-Village-Bohemien Anatole Broyard, der von Kreolen aus New Orleans abstammte und seine Herkunft verleugnete, weil er kein "negro writer" sein wollte. Sie hat diese Geschichte auch in dem Buch One Drop verarbeitet. Im zweiten Video macht sich der Reporter Charlie LeDuff auf Spurensuche und findet versprengte Verwandte verschiedener Couleur.
In einem anderen Artikel zeigt der Blog, wie vermutlich viele kreolische Familien aussehen -- bunt durcheinander.
Das Titelbild dieses interessanten Blogs zeigt die berühmte Oak Alley Plantation, ursprünglich Bon Séjour (Schöner Aufenthalt) genannt, die für einen Kreolen erbaut wurde. Auch die Laura Plantation war kreolisch und erinnert wenigstens auch ein bisschen an die Sklaven. Wenn man nämlich die anderen Herrenhäuser besichtigt, dann wird man oft von jungen Damen in Reifröcken geführt, die über die Möbel und die früheren Sitten erzählen, die Namen der ehemaligen Besitzer herunterleiern usw. Von den Sklaven, die die Plantage aufgebaut und unterhalten haben, ist dabei kaum die Rede, nicht einmal auf der Webseite des National Park Service (hier und hier).
Zumindest auf der Whitney Plantation, auch am Westufer an der River Road gelegen, ändert sich das gerade. Hier richtet nämlich der Anwalt und Immobilienhai John Cummings aus New Orleans das erste Museum der Sklaverei ein, mit einem dem Vietnam Veterans Memorial in Washington, D.C., nachempfundenen Denkmal mit den eingemeißelten Namen der Sklaven, meist nur Vornamen, die dort lebten und schufteten. Die Historikerin Gwendolyn Midlo Hall hat eine Datenbank angelegt, in der die Namen von mehr als 100.000 Sklaven in Louisiana festgehalten sind. Es wird auch Statuen geben und ein beeindruckendes Denkmal mit Keramikköpfen, die an Metallstäben am Wasser im Wind wiegen und an die Niederschlagung des größten Sklavenaufstands in den USA, des German Coast Uprising von 1811, erinnert (hier). Die Whitney Plantation wurde übrigens von deutschen Einwanderern gegründet, den Haydels, die mit die meisten Sklaven in Louisiana hatten, nämlich 101. Sie waren auch bei weitem nicht die einzigen Deutschen in der Gegend, wie sich noch an Namen wie Waguespack (nach Wagenbach) ablesen lässt und am Namen Côte des Allemands.
"Es wird schockierend, bizarr und beeindruckend," so der Initiator Cummings. Und wenn er vielleicht auch ein paar Fehler mache, meint er, so ist es doch ein Anfang.

Donnerstag, 7. Februar 2013

Gottschalk


Die amerikanischen Künste sind genial, wegweisend und frisch, wenn sie aus ihrem eigenen Kulturhumus schöpfen, der reich an Einflüssen und Zutaten und Dünger ist und deshalb schneller reift (ja, ich denke hier an einen Komposthaufen in Louisiana, der innerhalb weniger Monate „durch“ ist, während er hierzulande mehr als ein Jahr braucht). In einigen amerikanischen Kunstmuseen findet man auch das, was herauskommt, wenn amerikanische Künstler versucht haben, europäisch zu malen – altmodisch und in der Ausführung nicht präzise. Doch als sie anfingen, mit Selbstbewusstsein und einer gewissen Unbekümmertheit zu schöpfen, wurden sie auf allen Gebieten Weltklasse. Außer vielleicht bei der klassischen Musik.
Möglicherweise gilt ja der Komponist Louis Moreau Gottschalk hier in der Nation Bachs und Beethovens gar nicht so recht als klassische Musik, sondern als Salonmusik; jedenfalls genügte seine Herkunft aus der Neuen Welt, um ihm die Aufnahme ins Pariser Konservatorium zu verwehren. Ein guter Komponist wurde er trotzdem und war mit Bizet, Saint-Saëns, Chopin, Offenbach, Meyerbeer bekannt. Für mich ist er eine Entdeckung, eine Musik, die mich tief bewegt.
Geboren wurde Gottschalk 1829 in New Orleans, wo er auch aufwuchs. Sein Vater war ein von spanischen Juden abstammender Engländer, seine Mutter Französin, deren Familie über Santo Domingo in die Stadt kam. In der Familie wurde, so wie in New Orleans überhaupt, Französisch gesprochen, und das Umfeld bot reichlich kreolische, afrikanische und spanische Inspirationen. Gottschalk verbrachte viele Jahre in Frankreich und Spanien, lebte in der Karibik und fünf Jahre in Kuba. Als er 1862 nach New York zurückkehrte, war der amerikanische Bürgerkrieg ausgebrochen und er stellte sich klar auf die Seite der Union, also der Nordstaaten.
Es scheint, dass er ein Tausendsassa und Frauenheld war, aber auch ein viel beschäftigter und innovativer Künstler, der mit ungewöhnlichen Konzertanordnungen experimentierte, z.B. mit 14 Klavieren oder einem Orchester und Chor aus 900 Personen. In seinem Stück „The Union“ hat er „The Star-Spangled Banner“ und andere Lieder verarbeitet; seine Komposition „Banjo“ wird sogar als Vorläufer des Jazz gehandelt. Ich habe hier eine CD „Classiques des Amériques“ mit Musik von Ignatio Cervantes, Manuel Saumell und Gottschalk, die man mir mit den Worten schenkte: „Du weißt doch, dass Louisiana mal von Havanna aus regiert wurde“, und es stimmt, dass die Spanier für einige Jahrzehnte die Verwaltung von den Franzosen übernommen hatten. Die Stücke auf der CD tragen so neuweltliche Namen wie „Le bananier“ (Der Bananenbaum), „Les yeux créoles“ (Kreolische Augen), „Bamboula“ usw. Eines der bewegendsten heißt „Morte!“ und soll seinem kleinen verstorbenen Sohn oder einer verstorbenen Geliebten gewidmet sein.
Gottschalk selbst starb mit erst 40 Jahren 1869 in Rio de Janeiro, an Malaria und Chininüberdosis.
Berlioz lobte ihn u.a. mit diesen Worten: „Alle Welt in Europa kennt die 'Bamboula', den 'Bananenbaum'... und zwanzig weitere geistreiche Phantasien, wo die Unbekümmertheit der Melodien der Tropen so sanft unsere Unruhe und unersättliche Gier nach Neuem stillt...“
Auf Youtube finden sich verschiedene Aufnahmen und Interpretationen, „The Banjo“, „Grande Tarantelle“ und viele andere. Das letzte Werk des Romanautors Howard Breslin Concert Grand von 1963 basiert auf dem Leben von Louis Moreau Gottschalk. Etwas ausführlichere Biografien auf Deutsch hier und auf Englisch hier. Im österreichischen Radio OE1 gab es vor einem Jahr eine Sendung über ihn unter dem Titel Chopin der Kreolen


Sonntag, 20. Januar 2013

Mary Gehman


Viele Menschen, die in New Orleans geboren und aufgewachsen sind, tauchen tief in die Kultur, Geschichte und Tradition – in die Seele – ihrer Stadt ein. Sie wissen viel und wollen noch mehr wissen, und sie sind froh dazuzugehören. Ein Beispiel dafür ist die beliebte New-Orleans-Trivia-Kolumne in der kostenlosen, wöchentlich erscheinenden Programmzeitung The Gambit, bei der die Leser einem angeblichen Blake Pontchartrain ihre Fragen stellen (Hey Blake, ...). Der Name ist dem Salzwassersee Lake Pontchartrain im Norden von New Orleans nachempfunden. Hier einige der letzten Fragen: Was kannst Du mir über das Carver Theater sagen? Wer war Sam Bonart? Was ist aus der Straßenlaternenskulptur auf der South Rampart/Ecke Canal Street geworden? Wo wohnte Truman Capote in seinen ersten Jahren in New Orleans? 
Dann gibt es noch die Radiosendung American Routes von WWNO, in der Nick Spitzer wöchentlich zwei Stunden lang Musik nicht nur, aber doch oft aus New Orleans spielt. Der Radiosender WWOZ sendet ausschließlich Jazz, Musik und Interviews aus New Orleans; in der Preservation Hall spielen aktuelle Musiker traditionellen Jazz. In den Museen sind Gemälde aus New Orleans zu sehen; die Historic New Orleans Collection sammelt und erforscht die Geschichte der Stadt und gab mir kürzlich für eine Übersetzung Auskunft über ein prunkvolles Gebäude, Gallier Court, das es schon seit 1900 nicht mehr gibt und das mein Autor auch noch falsch geschrieben hatte.
Die Zugezogenen sind manchmal fast noch ein bisschen passionierter als die Einheimischen. So ist die Deutsche Ina Fandrich eine große Kennerin vor allem der afroamerikanischen Kultur („In meiner zweiten Woche in den USA bin ich schwarz geworden...“). Schriftsteller schreiben über ihre Stadt, auch und vor allem unmittelbar nach der Katrina-Katastrophe: Richard Ford, Tom Piazza, Andrei Codrescu, James Lee Burke... 
Auch auf diese Schriftstellerin und versierte Expertin bin ich durch ihren ausführlichen Katrina-Bericht aufmerksam geworden: Mary Gehman. Später habe ich in dem Band French Quarter Fiction ihre Erzählung „Trompe l’oeil“ entdeckt und gleich übersetzt, und dann habe ich ihr geschrieben. Seit Katrina wohnt sie im historischen Teil von Donaldsonville auf dem Lande, wo ich sie inzwischen zwei Mal besucht habe, denn auch ich habe einmal ein Jahr in Donaldsonville gelebt. Dort betreibt sie ihren kleinen Ein-Frau-Verlag Margaret Media, der regelmäßig ausschließlich Louisiana-Bücher veröffentlicht: Geschichtsbücher, Belletristik, Kochbücher, Anthologien. Das letzte Buch heißt Louisiana Film History: A Comprehensive Overview Beginning 1896 von Ed und Susan Poole. Auch recht neu ist War of the Pews von dem Pastor Jerome G. LeDoux, das ich bald lesen werde.
Aber der Klassiker und der Dauerbestseller des Verlags ist Mary Gehmans kleines Buch zu den Free People of Color of New Orleans von 1994. Darin erzählt sie die so einzigartige Geschichte der freien Schwarzen von New Orleans, vor allem vor dem Verkauf Louisianas an die Amerikaner 1803, und über ihre vergleichsweise humane Behandlung, ihre weitgehenden Rechte und auch Chancen für den sozialen Aufstieg, die allerdings im Laufe der Geschichte immer wieder durch die „amerikanische“ Gesetzgebung eingeschränkt wurde. Das sind letztendlich die vielen Kreolen, die die Stadt geprägt haben, darunter die langjährigen Bürgermeister Ernest und Marc Morial. Das Buch ist ein Geniestreich, weil es mit seiner Knappheit und seinem charmanten Format in jede Touristentasche passt und anhand dieses einen Aspekts praktisch die ganze Geschichte der Stadt gleich miterzählt. Zum Bestellen hier.
Mary Gehmans eigene bewegte Geschichte begann in Pennsylvania und führt u.a. auch über ein Studium in Deutschland nach New Orleans; Spanisch und Mexiko gehören auch in ihr Portfolio. Seit 1970 lebte sie in New Orleans; seit 1981 forscht sie zu Louisiana. Nicht im akademischen Sinne, sondern als neugierig Erkundende, und als Leserin mit einer ständig wachsenden, einschlägigen Bibliothek. Mal sehen, vielleicht kommt sie im Sommer mal nach Berlin...

Montag, 12. März 2012

Das Erwachen von Kate Chopin: ein Glossar

Grand Isle: Wörtlich „große Insel“, ist die größte der so genannten Barriereinseln im Golf von Mexiko, ca. 3 Stunden Autofahrt von New Orleans. Die Insel lebt vor allem von Touristen, die hierher zum Fischen kommen (es gibt einen kleinen Bootshafen), im Naturpark campen und Pelikane und gegebenenfalls Delfine beobachten oder an Festivals teilnehmen wollen. Deshalb findet man im Internet keine Informationen über die Ölraffinerie, die sich auch auf der Insel befindet. Es gibt auch viele private Ferienhäuser, die auf meterhohen Stelzen stehen. Als Barriereinsel ist es sozusagen die Aufgabe von Grand Isle, die Wucht der Hurrikane aufzunehmen und abzufangen. Laut Wikipedia ist die Insel alle 2,68 Jahre von einem Hurrikan betroffen und alle 7,88 Jahre direkt der Breitseite eines Hurrikans ausgesetzt. Als ich 2009 das letzte Mal auf Grand Isle war, war die Auswirkung von Katrina und Rita (beide 2005) deutlich zu sehen: Viele Geschäfte und Hotels gab es nicht mehr und die geographische Form der Insel war völlig verändert und verkleinert. Es war außerdem eine ganz neue Zufahrt zu der Insel gebaut worden.

Chénière Caminada: Das französische Wort chêne bedeutet Eiche, während das Wort chénière meines Wissens in Frankreich nicht bekannt sondern eine typische Cajun-französische Bildung in Louisiana ist und in etwa „mit Eichen bewachsener Kamm“ bedeutet. Auch Chénière Caminada gehört zu den Barriereinseln, obwohl sie technisch eine Halbinsel ist. Ich bin unwissentlich schon zig Mal darüber gefahren, denn die Staatsstraße 1 durchquert sie auf dem Weg nach Grand Isle. Chénière Caminada war schon 1893 von einem auch von Kate Chopin beschriebenen Hurrikan stark betroffen. Es befindet sich westlich von Grand Isle und ist über eine knapp 2 Kilometer lange Brücke mit der Insel verbunden. Bei der Anfahrt nach Grand Isle fährt man ungefähr die letzte Stunde durch Marschen, wo im Wasser immer wieder einzelne Bäume und Grasbüschel stehen. Eine scheinbare statische, aber doch lebendige, bizarre Landschaft.

Piroge: einfaches Holzboot in Einbaumform, das die Cajuns gern benutzen. Das Wort kam über das Französische aus dem Spanischen (piragua) ins Deutsche und Englische (Pirogue).

Quadroon: vom Spanischen cuarterón, vom Lateinischen quartus bezeichnet eine Person, die zu einem Viertel schwarze Vorfahren hat. Dementsprechend bezeichnet Octoroon jemanden mit einem Achtel schwarzer Vorfahren, die zumeist aus unehelichen Beziehungen von Schwarzen und Weißen hervorgingen. Im New Orleans der Vergangenheit waren Quadroons und Octoroons oft frei und nicht versklavt, was sich dann durch den Louisiana Purchase 1803 änderte. Diese Begriffe werden heute nur noch im historischen Zusammenhang verwendet.

Griffe: bezeichnete eine Person mit drei Viertel schwarzen Vorfahren und einem Viertel weißen oder indianischen Vorfahren. Siehe oben.

Bayou Brulow: In meinem Atlas von Louisiana ist es nicht verzeichnet und auch im Internet nicht zu finden. Vielleicht existiert es nach den vielen Hurrikanen nicht mehr? Ein Bayou ist ein stehender oder träge fließender Wasserarm, der durch Marschen und Sümpfe in einen See, Fluss oder Golf fließt. Der Begriff stammt vermutlich aus dem Choctaw-Indianischen und wird nur in Louisiana und angrenzenden Gebieten verwendet. Somit denkt man bei Bayou an eine exotische, ländliche, aber auch rückschrittliche Gegend, wo Cajuns leben. In den siebziger Jahren machten Linda Ronstadt und Paola (auf Deutsch) den Roy-Orbison-Hit Blue Bayou berühmt.

Grand Terre: Wörtlich „großes Land“, eine nordöstlich an Grand Isle anschließende Barriereinsel, die wie diese die Barataria Bay (Barataria-Bucht) zum Golf von Mexiko hin begrenzt. Auf der Insel befinden sich die Ruinen des Fort Livingston sowie ein Meereslaboratorium des Louisiana Department of Wildlife and Fishery und eine Station der Küstenwache. Es ist heute nur mit dem Boot zu erreichen. Auf dieser wie auch anderen Inseln war Anfang des 19. Jahrhunderts der legendäre Pirat Jean Lafitte aktiv, nach dem heute noch viele Orte benannt sind, so auch der Jean Lafitte National Historical Park and Preserve. Von der BP-Ölkatastrophe waren die Inseln natürlich auch betroffen.

Louisianamoos: Dieses deutsche Wort für Spanish moss („spanisches Moos“, Tillandsia usneoides) habe ich erst aus Das Erwachen gelernt. Es wächst in den Südstaaten an den Bäumen, besonders wo es feucht ist, und gleicht langen Bärten oder wahlweise Hexen- oder Prinzessinnenhaaren, die im Winde wehen. Es macht die Landschaft besonders verwunschen oder auch „gotisch“. Früher wurde Lousianamoos als Polster- und Verpackungsmaterial verwendet, zum Mulchen oder zum Ausstopfen von Voodoopuppen (laut Wikipedia). Es ranken sich Legenden darum und es gibt Lieder und Geschichten. Wichtig war es auch für den Bau von Wohnhäusern der Cajuns für die Herstellung von Bousillage (einer Mischung aus Spanischmoos und Lehm) als Material für die Wände zwischen den Holzpfosten. Die Verwendung von Bousillage in Louisiana ist ab Anfang des 18. Jahrhunderts nachgewiesen.

Akadier: Im Englischen Acadian, vom Französischen acadien, heute Cajun (sprich: Kejdschin). Nachfahren der französischen Siedler aus Akadien (der kanadischen Provinzen Nova Scotia, New Brunswick, Prince Edward Island), die zwischen 1755 und 1763 von den Briten deportiert wurden und sich vor allem im französischsprachigen Louisiana ansiedelten, wo sie auch ihre ländliche und auf Fischerei basierende Kultur fortführen konnten. Die Sprache der Cajuns hat seit den sechziger Jahren einen Wiederaufschwung erlebt, während die Kultur (Musik, Tänze, Essen, Karneval) ohnehin lebendig war. Heute sollen ca. 5 Prozent der Bevölkerung noch Französisch oder Cajunfranzösisch zu Hause sprechen.

Kreolen: Eigentlich die Nachfahren der Franzosen oder Spanier, so wie Kate Chopin oder ihr Ehemann. Heute bezeichnet kreolisch oft auch die Nachfahren französischsprachiger Schwarzer, die z.B. aus Haiti oder anderen Ländern der Karibik zugewandert oder aus anderen Gründen eine französische Kultur hatten. Die europäischstämmigen Kreolen verwahren sich oft gegen diese Verwendung.

Kate Chopin: Schriftstellerin (1850-1904) aus St. Louis, Missouri, einer damals wohl auch noch kreolisch geprägten Stadt, in der sich inzwischen vor allem der deutsche Einfluss durchgesetzt hat. 1870 heiratete sie Oscar Chopin und lebte mit ihm in New Orleans, nach seinem Bankrott in Cloutierville, Louisiana. Sie hatten sechs Kinder. 1882 starb ihr Mann und zwei Jahre später zog sie nach St. Louis zurück, wo sie zu schreiben begann und einen literarischen Salon betrieb. Das Erwachen rief einen Sturm der Empörung hervor und Kate Chopin starb, ohne den verdienten Ruhm genießen zu können. Das Wohnhaus und Museum in Cloutierville ist vor ein paar Jahren abgebrannt.

Sonntag, 8. Januar 2012

A Lesson Before Dying 2

Den beiden Studentinnen empfahl ich (pädagogisch, pädagogisch!) die Lektüre von Ernest Gaines’ Roman A Lesson Before Dying (wörtlich: Eine Lektion vor dem Tod, auf Deutsch unter dem Titel Jeffersons Würde erschienen). Es ist eine preisgekrönte, bewegende Erzählung der Hinrichtung eines jungen Mannes in einer louisianischen Kleinstadt in den sechziger Jahren, damals noch per elektrischem Stuhl, was in der ganzen Stadt mitzuspüren war. Natürlich keine leichte Kost, doch sehr zu empfehlen und nicht sehr lang und sprachlich nicht schwer!
Ernest Gaines ist ein afroamerikanischer Schriftsteller (geboren 1933) aus Louisiana, der hierzulande durch Volker Schlöndorffs Film Ein Aufstand alter Männer (1987) bekannt ist, der auf Gaines’ Roman A Gathering of Old Men basiert. Ich habe mehrmals die stillgelegte Plantage in der Nähe des False River im malerischen Landkreis Pointe Coupee Parish besucht, auf der Ernest Gaines aufgewachsen ist. Nachdem er lange Zeit in Kalifornien lebte, zog der Autor vor kurzem in die Nähe seines Geburtsortes zurück, wo er auch den Friedhof und die Kirche rettete, die seine Vorfahren erbauten und wo sie begraben sind.
Ernest Gaines dürfte der einzige louisianische Kreole sein, der Weltruhm erlangt hat, und das liegt sicherlich neben seinem Können auch daran, dass er Romane schreibt und keine Lyrik und auf Englisch statt auf Französisch wie seine Kolleginnen. Er fing an zu schreiben, weil es über seine Lebenswelt keine Bücher gab, in dem typischen Dialekt, „dieser Kombination aus Englisch, Kreolisch, Cajun, Schwarz“, über die wirkliche Beziehung zwischen Schwarzen und Weißen, die er kannte, über die wirtschaftliche Konkurrenz zwischen Cajuns und Schwarzen, aber auch die Nähe und Nachbarschaft von Gruppen jeglicher Couleur.
1996 ernannte ihn die französische Regierung zum Kavalier der Künste und der Literatur, und er lehrte das erste Creative-Writing-Seminar einer französischen Universität in Rennes. Seit 2007 verleiht eine Stiftung in Baton Rouge den mit 10.000 Dollar dotierten Ernest J. Gaines Award for Literary Excellence an einen jungen afroamerikanischen Schriftsteller. Der diesjährige Preis wird am 26. Januar verliehen, wenn ich den heutigen Artikel richtig verstehe, an Dinaw Mengestu für den Roman How to Read the Air

Donnerstag, 15. September 2011

In memoriam Wardell Quezergue (12. März 1930 - 6. September 2011)

Vergangene Woche starb der „kreolische Beethoven“: der Arrangeur, Produzent, Bandleader und Komponist Wardell Quezergue. Für New Orleanser Musiker war er wie Beethoven, weil sich bei ihm alles „groß“ anhörte, so auch seine typischen, synkopierten Hornarrangements der sechziger und siebziger Jahre. Für den Musikethnologen Nick Spitzer ist seine Musik eine „Enzyklopädie des Sounds von New Orleans“.
Aufgewachsen in der 7th Ward; beide Eltern spielten Instrumente und auch seine älteren Brüder waren Jazzmusiker. Das klingt recht typisch für einen kreolischen Musiker aus New Orleans, und so kommt es, dass die Musik in der Stadt wirklich allgegenwärtig ist.
Wardell Quezergue sagte: „Wenn ich etwas höre, fange ich gleich an, es zu arrangieren.“ Er arbeitete mit lokalen Größen wie Professor Longhair, Fats Domino, Dr. John, Smoky Johnson zusammen, aber auch mit Stevie Wonder, Paul Simon, den Temptations... Zu seinen bekanntesten Hits gehören „Iko Iko“ von den Dixie Cups (der New-Orleans-Klassiker!), „Mr. Big Stuff“ von Jean Smith und „Big Chief“ von Professor Longhair. 
Im Jahr 2000 komponierte er A Creole Mass (Eine kreolische Messe) und löste damit ein Versprechen aus dem Jahr 1951 ein. Es ist ein freudiges und festliches Gebet, ein Dank für sein wunderbares Überleben im Koreakrieg. Während seiner Stationierung in Japan lernte er auch seine Frau Yoshi Tamaki kennen, die auch in diesem Jahr verstorben ist.
Im Hurrikan Katrina 2005 verlor Wardell Quezergue fast alles, darunter auch seine umfangreiche Notensammlung. 2006 gab es deshalb Benefizkonzerte für ihn. 2009 erhielt er einen Ehrendoktortitel von der Loyola University in New Orleans für seine Förderung von Musikern, besonders auch am Anfang ihrer Karriere. Ebenfalls 2009 wurde am Lincoln Center of Performing Arts in New York ein Hommagekonzert mit bekannten Musikern für ihn gespielt, das er auch selbst dirigierte. Noch im August 2011 arbeitete er an neuen Projekten.
Nachrufe finden sich auch auf der Seite des Radiosenders WWOZ und im britischen Telegraph, mit schönen Fotos. Zuerst über ihn erfahren habe ich natürlich auf NPR.
Noch nie von ihm gehört? Ja, Wardell Quezergue blieb lieber im Hintergrund und bewirkte dort vieles für viele Musiker. Umso mehr, dachte ich mir, gebührt ihm hier dieser winzige Moment im Rampenlicht.