Dienstag, 15. März 2016

Spotlight

Um die Oscars hatte es viel Aufregung gegeben, unter dem Motto #OscarsSoWhite, und der Moderator Chris Rock hatte sich ordentlich darüber lustig gemacht. Zum Teil war es das berühmte im Halse steckenbleibende Lachen, so als er sagte, in den sechziger Jahren hätten sich die Schwarzen nicht beschwert, weil sie andere Probleme hatten (Lynchings usw.), oder dass in der Erinnerungskategorie für Verstorbene dieses Mal an die Schwarzen erinnert würde, die auf dem Weg ins Kino von Polizisten erschossen wurden.
Neben all den weißen Schauspielern und Künstlern (wobei Chris Rock auch thematisierte, warum die Preisvergabe überhaupt in Männer und Frauen unterteilt ist) waren auch weiße Filme nominiert, vor allem „The Revenant“ mit Leonardo di Caprio, wohl ein ziemlich brutaler Kracher. Aber gewonnen hat dann ein anderer Film, der mich schon im Vorfeld interessiert hatte, Spotlight, eine Hollywood-Produktion mit Anspruch und einem ernsten Thema. Spotlight heißt ein Spezialteam der Tageszeitung Boston Globe, das investigative Reportagen verantwortet und dafür monatelang recherchieren darf. (Diese Abteilung gibt es heute noch, mit 7 Mitarbeitern, darunter auch Michael Rezendes, der im Film von Mark Ruffalo gespielt wird.)
Der Film zeigt, wie das Spotlight-Team gerade nach einem neuen Thema sucht, und von dem neuen Chefredakteur, Marty Baron, gleich an seinem ersten Tag auf einen Fall angesetzt wird, der immer mal wieder im Lokalteil auftauchte. Gerade am Wochenende zuvor hatte eine Kolumne über Missbrauchsvorwürfe gegen einen Priester mit den Worten geendet: The truth may never be known. (Die Wahrheit wird wohl nie herauskommen.)
Warum eigentlich, fragte sich Baron, eine Frage, die sich die Einheimischen nie gestellt hatten. Wie sich zeigte, weil die katholische Kirche in Boston so allgegenwärtig und allmächtig ist, dass sie selbst Gerichtsakten verschwinden lassen und Missbrauchsfälle in außergerichtlichen Vergleichen abgelten kann. Der Film zeigt die wochenlange Recherche der Journalisten, das Fordern nach Akteneinsicht, das Herumtelefonieren, Leute zum Reden bringen, die nicht reden wollen, Akten und Jahrbücher durchforsten, Notizen machen, nachdenken, zu wenig essen, zu wenig schlafen, den emotionalen Stress. Das alles wird – wie immer wieder betont wird – treffend und nicht sensationell herübergebracht und ist trotzdem spannend und aufregend. Für ihre Recherche wiederum hatten sich die Filmemacher und Schauspieler mit den Reportern getroffen und  einiges abgeguckt. Darüber berichten sie in zwei Interviews auf NPR (in On the Media und Fresh Air) und in verschiedenen Talkshows.
Gleich bei Erscheinen des ersten Artikels einer ganzen Serie, das zeigt der Film, meldeten sich hunderte Missbrauchsopfer, die zum ersten Mal über ihre Erfahrung reden konnten. Und nicht nur das. Die Serie bekam einen Pulitzer-Preis und löste weltweite Untersuchungen aus. In Deutschland allerdings erst 2010 mit dem Brief des Rektors des Berliner Canisius-Kollegs, und wie es scheint, ist da noch gar nicht so sehr viel geschehen.
Was der Film überaus deutlich klar macht, ist die Bedeutung von Zeitungen, ihre Existenzberechtigung, die auch der Chefredakteur anspricht. Die Frage ist doch, was kann die Presse leisten, was digitale Medien nicht so gut können? Wie kann sich die Presse behaupten?
Genau so, davon bin ich überzeugt.
Indem sie Themen thematisiert, die ihre Leser berühren und ihnen am Herzen liegen. Das kann investigativer Journalismus. Und so ist der Boston Globe bis heute eine wichtige überregionale Zeitung, und das Spotlight-Team recherchiert weiter, auch wenn viele Mitarbeiter entlassen wurden. Wie die Washington Post (gegründet 1877) wurde der Boston Globe (gegründet 1872) 2013 an private Unternehmer verkauft, was sich auf die Unternehmungspolitik auswirkte und im Falle der Washington Post, die Jeff Bezos gehört, auch immer mehr in politisch tendenziös wirkender Berichterstattung äußert.
Die New Orleans Times-Picayune (gegründet 1837), die ich lange kannte und liebte, war auch für ihre Rolle nach Hurrikan Katrina Pulitzer-Prize-gekrönt und sorgte später mit einer Serie über das Gefängnissystem in Louisiana für Aufsehen. Darin konnte sie zeigen, dass aufgrund von Korruption und Geschäftsinteressen die (privat betriebenen) Gefängnisse in Louisiana immer gut belegt sind und  der kleine Bundesstaat die größte Gefängnispopulation der USA und damit der Welt hat.
Obwohl die Times-Picayune einen sehr treuen Abonnentenstamm hatte, ließen die neuen Besitzer sie ab 2012 nur noch drei Mal die Woche drucken und leiteten damit den bis heute andauernden Untergang des Traditionsblatts ein. Dafür sprang der Advocate aus Baton Rouge mit einer New-Orleans-Ausgabe in die Bresche und wird immer beliebter. Und zeigt, dass es auch anders geht. (Ich hatte 2012 hier im Blog immer wieder berichtet.)
Fazit: Guter, fundierter Journalismus von erfahrenen und lokal verwurzelten Reportern und Reporterinnen macht sich bezahlt! Spotlight: Ansehen! Allerdings: Es spielen nur Weiße mit.