Donnerstag, 31. Mai 2012

Art and Press

Am Wochenende habe ich mir im Berliner Martin-Gropius-Bau Kunst angesehen: Pacific Standard Time. Kunst in Los Angeles 1950-1980 und eine Ausstellung mit dem Titel ArtandPress Kunst. Wahrheit. Wirklichkeit.
Zu dieser heißt es in der Ankündigung: „Die Zeitung ist seit Mitte des 19. Jahrhunderts Material und Gegenstand der Kunst“. 56 internationale Künstler haben dazu Position bezogen. Das nahm ganz unterschiedliche Formen an: zusammengeschnürte Packen Zeitungen, die in den Ecken herumlagen, ein iranisch-französischer Künstler hatte stapelweise kleine Teppiche wie in einem Teppichladen ausgelegt, von denen die oberen Titelblätter verschiedener Illustrierter darstellten. Ein ganzer Raum, vor allem auch der Fußboden, war mit vielfach vergrößerten Zeitungsartikeln zum Thema Migration ausgelegt. Zeitungen waren zerknüllt, wehten im Windzug eines Ventilators, zu Collagen verarbeitet, in Skulpturen integriert – Zeitungen in allen Formen.
Auf der Galerie war eine Seite der Bild-Zeitung gezeigt und wenn man sie mit dem bereitstehenden Tablet anvisierte, dann lief dazu ein Videonachrichtenbeitrag. Auch auf der Galerie hingen Tablet-Computer an kleinen Säulen die jeweils ein historisches Gemälde zeigten: von Honoré Daumier über Otto Dix und Max Beckmann, George Grosz, Georges Bracque bis zu Edgar Degas’ Bild von der Baumwollbörse in New Orleans.
Es ist das stimmungsvolle Bild, wo inmitten eifrigen Treibens ein Mann sitzt und mit ausgebreiteten Armen in aller Ruhe eine Zeitung liest (deren Titel so nicht zu erkennen ist), wie man eben so Zeitung liest. An welchem Wochentag Degas das Bild gemalt hat, wissen wir nicht und es auch nicht so wichtig, denn 1873 hatte New Orleans noch eine Tageszeitung. Doch würde jemand ab Herbst ein solches Bild malen wollen, dann könnte er am Montag, Dienstag, Donnerstag oder Sonnabend nur jemanden mit einem iPhone oder einem Tablet oder einem Computer darstellen. Genau auf diese Entwicklung sollten übrigens die Tablets mit den Darstellungen der klassischen Werke verweisen und sie haben eine wichtige Funktion, aber die alte Kulturform der Zeitung (und andere) kann es nicht ersetzen.
Und es geht vieles verloren: Der Moment, wenn man im Morgenmantel auf die Veranda tritt, um die in eine Plastefolie gerollte Zeitung zum Frühstück reinzuholen, die ein Zeitungsjunge in aller Herrgottsfrühe dort hinauf geschleudert hat. Mit einem Tablet kann man nicht furchtlos frühstücken, den Kaffee nicht darauf abstellen, das Kreuzworträtsel oder Sudoku nebenbei lösen, nicht zu Ende gelesene Artikel herausreißen oder zusammenfalten und mitnehmen. Man würde nicht mehr verführt werden, ungezielt Dinge zu lesen, die auch mit auf der Seite sind, Kolumnen, kleine lokale Ankündigungen, Nachrufe. Das vertraute Layout, das Papier, den Geruch genießen. Man kann Tablets nicht im Café auslegen und damit Atmosphäre schaffen, man kann sie nicht in der Bahn liegen lassen, danach im Papierkorb suchen, man kann keine Bücher darin einschlagen oder die Schränke damit auslegen. Wie sollen Erpresser ihre Nachrichten verfassen, wenn nicht aus Zeitungsbuchstaben, worin sollten sich Obdachlose einhüllen, wie sich in der Bahn damit ein paar Mark verdienen? Und eine solche Ausstellung würde dann nur noch virtuell sein, ein wirres Flimmern, nichts zum Anfassen.
Eine Stadt, die ihre lebendige Kultur durch viel Unbill hindurch gerettet hat, soll bald keine Tageszeitung mehr haben, die Teil dieser Kultur ist? Und noch dazu eine, die von 60% der Bewohner gelesen und geschätzt wird? Und wieder soll das anderswo von Nichteinheimischen verfügt und durchgezogen werden? Rettet die Times-Picayune!

Mittwoch, 30. Mai 2012

Am Mississippi

„Hach, du hast es gut, als Freiberufler kannst du dir deine Zeit einteilen,“ höre ich oft von Festangestellten. Dabei vergessen sie aber meistens, dass wir oft keine Feierabende oder Wochenenden haben, und dass man meistens entweder zu viel oder zu wenig (bezahlte) Arbeit hat. (Im Moment etwas zu wenig, schickt Aufträge!)
Letzte Woche habe ich das aber wirklich luxuriös ausgenutzt und bin am Donnerstag Mittag aufs Land zu meinen Eltern gefahren, um mir einen Film anzusehen und hier darüber zu berichten. Ein Freund hatte mich vor ein paar Wochen darauf aufmerksam gemacht: die dreiteilige Dokumentation Am Mississippi (Der tiefe Süden, Blues und Baumwollfelder, Von Elvis zu Mark Twain) von Peter Adler. Inzwischen habe ich verstanden, wie so etwas funktioniert: Die Serie wurde 2010 zum ersten Mal ausgestrahlt und dann immer wieder abwechselnd auf Arte, 3sat oder Phoenix.
Die gesamte erste Folge ist Louisiana gewidmet, während es in der dritten Folge ganz schnell von Memphis, Tennessee, an St. Louis und anderen hunderten von Kilometern vorbei nach Hannibal, Missouri, geht, dem berühmten Geburtsort von Mark Twain, den er in Tom Sawyers Abenteuer beschrieben hat. (Inzwischen ist Hannibal allerdings viel zu touristisch, um wirklich noch an den Heimatort von Tom und Huck zu erinnern. Ich habe mich vielmehr in dem abgelegenen Örtchen Brussels, Illinois, dorthin zurückversetzt gefühlt, wo mein Onkel und ich mal auf einem Dorffest waren.)
Wieder einmal hat hier ein Regisseur interessante Leute ausfindig gemacht und vorgestellt, wenn auch nicht immer direkt am Mississippi. Es beginnt mit dem Cajun David Allemond, der durch das Atchafalaya Basin paddelt, eine riesige, durch menschliches Eingreifen entstandene Sumpflandschaft, sehr meditativ, wenn man mit Mückenspray versehen ist. Der englischsprachige Wikipedia-Artikel zeigt die Veränderung des Flussverlaufs und des Deltas übrigens in einer interaktiven Karte.
Dann geht es in das berühmte Café des Amis in Breaux Bridge, gleich östlich von Lafayette, wo die Cajuns und Kreolen u.a. ihre Musik- und Tanzkultur pflegen. In New Orleans porträtiert er den Schmied Darryl Reeves, der viele der historischen Kunstschmiedearbeiten in der Stadt restauriert. Dann besucht er den Hobbymaler Charles Simms, der seine eigenen Bilder lieber sammelt als verkauft und spricht mit dem berühmten Trompeter Kermit Ruffins.
Im Norden Louisianas wird ausführlich von Flohmärkten, Rodeos und anderen Aktivitäten im Staatsgefängnis in Angola berichtet, wo die Mehrzahl der Häftlinge lebenslang einsitzt, obwohl sich einige von ihnen, wie die aktuellen Recherchen der Times-Picayune zeigen, schon längst rehabilitiert haben. Die letzte Station in Louisiana ist bei der Autorin Anne Butler, die als Familienerbin die Greenwood-Plantage nördlich von St. Francisville bewohnt und aufrechterhält.
Das nächste Mal laufen die drei Folgen am 13., 14. Und 15. Juni jeweils um 9.45 Uhr auf ZDFinfo. Also hier, finde ich, hat das deutsche Fernsehen unsere Rundfunkgebühren mal richtig gut angelegt.

Montag, 28. Mai 2012

Caméra d'Or

Gerade habe ich es gelesen: Beasts of the Southern Wild hat in Cannes die Goldene Kamera gewonnen, die den besten Debütregisseur auszeichnet: Benh Zeitlin aus New Orleans (hier eine kurze Vorschau). Und das nachdem er auch schon den großen Jurypreis des Sundance-Festivals erhalten hatte. Laut Guardian-Live-Blog dankte Zeitlin zunächst allen „zu Hause“ und schließlich auch der Jury und dem Festival. Hoffentlich ist der Film auch bald bei uns zu sehen.

Memorial Day Weekend

Heute ist in den USA Memorial Day, ein Feiertag, der seit dem amerikanischen Bürgerkrieg an die für das Vaterland gefallenen Soldaten erinnert. Für die meisten Amerikaner bedeutet er, jedes Jahr am letzten Montag im Mai, endlich wieder einmal ein verlängertes Wochenende, an dem man den Sommer einläutet, mit Picknicks und Ausflügen.
Von New Orleans aus fährt man zum Beispiel 3-4 Stunden östlich nach Pensacola, Florida, um dort die weißen Strände, das türkisfarbene Wasser und die Erholungsindustrie zu genießen, und auch das irgendwie Spanische, von dem man in Louisiana weniger hat. Oder man fährt noch eine Stunde weiter nach Santa Rosa Island, einem noch erhaltenen Naturschutzgebiet, wo man die großen Hotelkomplexe am Horizont nur erahnt.
Auch Louisiana hat eine Golfküste, aber die löst sich in Marschen und Wasser auf (hier) und schwindet jedes Jahr und bei einem Hurrikan um so mehr. Auf Grand Isle gibt es Strände, doch die sind nicht weiß, das Wasser eher taubenblau, und auf der anderen Seite der Insel wird, nur für wenige Touristen attraktiv, Öl raffiniert. Seit der BP-Ölkatastrophe mag das alles noch anders aussehen.
Memorial Day markiert auch den Beginn der Hurrikansaison, die vom 1. Juni bis 30. November dauert. Jetzt gibt es neben dem Wetterbericht immer auch Nachrichten des National Hurricane Center über Stürme, tropische Depressionen, gefährliche Strömungen, die alle einen Vornamen erhalten und mit Radarbildern angezeigt werden. Die meisten Hurrikane im Atlantik fallen allerdings in die Zeit von August bis Oktober.
Für einige ist der Tag wichtig, weil ungeschriebene Modediktate vorsehen, dass man erst ab Memorial Day weiße Hosen beziehungsweise weiße Schuhe tragen darf, auf keinen Fall vorher, und dann auch nur bis Labor Day (dem ersten Montag im September) – alles andere wäre ein Mode-GAU, wie ich ihn für einen sehr modebewussten Freund einmal ausgelöst habe. Bei uns ist heute Pfingstmontag und weil meine weiße Hose nach dem langen Winter noch ein bisschen klemmt, trage ich sowieso lieber Rock. 

Samstag, 26. Mai 2012

Movies movies movies movies

Morgen gehen die Internationalen Filmfestspiele in Cannes zu Ende (16. bis 27. Mai), die diese Woche in der Times-Picayune fast täglich erwähnt wurden: weil einige der dort vorgestellten Filme in New Orleans gedreht wurden. Dieses Mal – und das ist anders als sonst – spielen aber diese Filme nicht unbedingt in New Orleans und bedienen oder unterlaufen den einschlägigen Mythos, sondern nutzten vermutlich vor allem die günstigen Bedingungen der Filmförderung des Bundesstaates, der somit zu „Hollywoods zweitem Zuhause“ geworden ist, und die besondere Anziehung der Stadt auch für die Stars.
Killing Them Softly mit Brad Pitt (nach einem Roman von George V. Higgins) spielt zum Beispiel in Chicago und The Paper Boy mit Nicole Kidman, John Cusack und vielen anderen Stars in Florida. Beasts of the Southern Wild von Richard Corliss räumte schon beim Sundance Festival ab und bezauberte auch das französische Publikum, ein Film über ein Mädchen, das einen historischen Hurrikan miter- und überlebt. Auch die Verfilmung von Jack Kerouacs Unterwegs (On the Road) mit Kristen Stewart kam natürlich in New Orleans vorbei und fand ein gemischtes Echo.
Quentin Tarantino stellte in Cannes nur den Trailer zu seinem Film Django Unchained vor, der im Dezember in die Kinos kommen soll, einen „Spaghetti Southern“ mit Leonardi DiCaprio und Christoph Waltz. Für einen Film mit dem Titel Devil and the Deep Blue Sea soll Jessica Biel den Vertrag unterzeichnet haben und Justin Timberlake die Musik komponieren. Der Film spielt in New Orleans und soll ab Oktober dort gedreht werden.
Abseits von Cannes hieß es diese Woche noch, dass jetzt endlich John Kennedy Tooles Confederacy of Dunces verfilmt werden soll, mit Zach Galifianakis als Ignatius Reilly. Das war wohl auch schon früher versucht worden, als noch Will Ferrell (2012 der König der Krewe of Bacchus-Karnevalsparade) die Rolle spielen sollte.
Die traurigen und skandalösen Neuigkeiten über die Times-Picayune machen übrigens in den ganzen USA Schlagzeilen, so auf NPR. Das Blatt ist nämlich durchaus finanziell solide und erfolgreich und das neue Konzept vor allem darauf zurückzuführen, dass der altehrwürdige Herausgeber Ashton Phelps in den Ruhestand geht. New Orleans wäre somit die einzige Stadt ihrer Größe in den USA ohne gedruckte Tageszeitung. Aber vielleicht, hoffentlich ist das letzte Wort noch nicht gesprochen, denn auf Facebook und auf Twitter sammeln sich die Unterstützer.

Donnerstag, 24. Mai 2012

Lokal, preisgekrönt

Dieser 100. Eintrag (tatatataaa!) ist endlich der Times-Picayune gewidmet, der New Orleanser Tageszeitung, auf deren Webseite einige meiner aktuelleren Beiträge aufbauen. Sie ist nicht die New York Times: vom kreativen und intellektuellen Anspruch her, von der Schärfe und Genauigkeit der politischen Analyse, von der Reichweite, vom Budget und so weiter. Und doch ist sie ein treuer und zuverlässiger Begleiter, den ich, anders als die New York Times, jeden Tag lesen oder überfliegen könnte.
Ihren Namen verdankt die Zeitung dem ursprünglichen Preis von 1 Picayune (einer spanischen Währungseinheit) bei ihrer Gründung 1837 und der Fusion mit dem Konkurrenzblatt Times-Democrat 1914. Bereits seit den 60er Jahren hat sie das lokale Zeitungsmonopol inne. Wikipedia bewertet sie als gemäßigt-konservativ, wobei ich sie einfach immer nur als schlicht und seriös und vielleicht nicht übermäßig progressiv gelesen habe.
1992 verfasste ich für ein Fulbright-Einführungsprogramm meine erste akademische Arbeit auf Englisch: ein Vergleich der New York Times, der Los Angeles Times, des St. Louis Post-Dispatch und der New Orleans Times-Picayune bezüglich ihrer Berichterstattung über Deutschland. Dabei schnitt sie gar nicht schlecht ab.
Während Hurrikan Katrina arbeitete die Redaktion (Internet- und Druck-) heroisch weiter, zuerst in den eigenen Gebäuden, dann auf dem Campus der Louisiana State University, mit Schlafsäcken und Luftmatratzen. Drei Tage lang gab es nur Internetausgaben, danach wurde wieder gedruckt. Auch in dieser Zeit der Medienhysterie zeichnete sie sich durch besonnene Berichterstattung vor Ort aus und war für viele Leser, auch in der Evakuation im ganzen Land verteilt, eine emotionale und informative Verbindung nach Hause. Für diese Berichterstattung erhielt sie verschiedene Preise, darunter auch den Pulitzerpreis. Auch mit den Ereignissen nach Katrina setzte sich die Times-Picayune kritisch auseinander, vor allem auch mit der FEMA, der Katastrophenmanagementagentur, die grandios versagt hatte. Auch sonst wendet sie sich immer mit investigativen Serien brisanten Themen, wie jetzt gerade zur Gefängniskultur in Louisiana.
Einige jetzt bekannte Autoren haben früher für das Blatt gearbeitet, darunter William Faulkner, Chris Rose, der für seine Katrina-Kolumnen bekannt wurde (1 Dead in Attic), James Gill, Lolis Eric Elie (der bei der Fernsehserie Tremé mitarbeitet), die Literaturkritikerin Susan Larson und Gwenn Thompkins von NPR.
Gerade heute las ich, dass die Zeitung in eine neue Firma überführt wird und ab Herbst nur noch drei Mal wöchentlich gedruckt erscheint (also nicht mehr Sonntag früh zum Zeitungsautomaten an der Ecke schlendern, einen Croissant beim französischen Bäcker daneben kaufen und den Sonntag gemächlich Zeitung lesend einläuten). Mein Freund Rex schrieb dazu auf Facebook: „Erst K&B (eine alteingesessene Drogeriekette, die vor ein paar Jahren verschwand), dann Katrina und jetzt das.“ Auch mich macht das tieftraurig. Und so ist aus dieser kleinen Lobeshymne fast ein Nachruf geworden.

Dienstag, 22. Mai 2012

Hinter Gittern

Die New Orleans Times-Picayune veröffentlicht zur Zeit eine Serie über das Gefängnissystem in Louisiana. Der erste Beitrag, am Sonntag vor einer Woche, begann gleich mit ein paar schockierenden Fakten, hier wörtlich von mir übersetzt:
„Louisiana ist die Gefängnishauptstadt der Welt. Der Bundesstaat hält mehr seiner Einwohner pro Kopf im Gefängnis fest als alle anderen Bundesstaaten der USA. Erster in den USA bedeutet erster auf der Welt. Louisianas Häftlingsrate ist fast drei Mal so hoch wie die im Iran, sieben Mal so hoch wie in China und 10 Mal so hoch wie in Deutschland.“
Der Grund dafür, so die Journalistin Cindy Chang, ist die Kommerzialisierung des Gefängnissystems, das in Louisiana 182 Millionen Dollar wert ist. Das heißt, wenn die Gefängnisse nicht immer gut gefüllt sind, dann geht diese Industrie Bankrott. In Louisiana sind noch dazu einige der Gefängnisbetreiber in abgelegenen Landkreisen (parishes) zugleich Sheriffs und sorgen dafür, dass sie und ihre Kollegen immer gut besetzt sind. Und dank einer starken Gefängnislobby werden auch keine Gefängnisreformen durchgeführt.
Ich hatte letzte Woche Besuch von meinem Cousin und Familie aus St. Louis im Bundesstaat Missouri (11 Stunden nördlich von New Orleans) und sprach mit ihm über diesen Beitrag. Er fragte mich, warum die Kriminalität in den USA denn wohl so viel höher sei als hier (wo er sich auch wirklich sehr sicher fühlte). Als ich ihm sagte, dass ich einen direkten Zusammenhang zwischen der Legalisierung von Waffen und der Kriminalität sehe, war er überrascht, denn auch er hat Schusswaffen und führt sich dadurch in seinem Haus in einer sozial schwachen Gegend sicherer. Er ist wirklich keine Ausnahme.
Der Beitrag in der Times-Picayune ist nur der Anfang einer längeren Serie und einige Artikel wurden bereits von anderen Medien im Lande übernommen. Vielleicht, und ich glaube fest daran, bewirkt er etwas.

Montag, 21. Mai 2012

Gratis Nola!

Ich habe vor einer Weile diese neue Webseite entdeckt: Gratis Nola! Seit 2010 stellt dort eine New Orleanser Bloggerin namens Aimee Landrenau-deTurk kostenlose Vergnügungen in der Stadt zusammen. Darunter sind auch Vorträge, Festivals, Weinverkostungen, Happy Hours, irgendwelche Werbeaktionen von lokalen Geschäften... Meistens geht es aber um die Musik, kostenlose oder sehr preiswerte Konzerte auf der Straße, der Terrasse oder in einem Klub. Heute ist auch viel los: Vor allem in der Frenchmen Street im Faubourg Marigny, gleich neben dem French Quarter.

Donnerstag, 17. Mai 2012

The Columns

Wenn heute in den USA auch Feiertag wäre und ich dort, dann würde ich heute Abend auf ein Gläschen ins Columns Hotel gehen. „Columns“ heißt Säulen und solche - riesig, beeindruckend, klassizistisch - hat das Hotel vor seiner einladenden Eingangsterrasse, siehe Bild. Es befindet sich im Garden District direkt an der St. Charles Avenue, die sicher die schönste Straße in New Orleans ist und sich kilometerlang durch die Stadt kurvt, mit der historischen Straßenbahn in der Mitte. Das Columns Hotel wurde 1883 erbaut und hat sich seinen eleganten, historischen Charme bewahrt. Wenn es kühl ist, kann man in dem dunklen Barraum auf edlen Stühlen sitzen. Wenn es warm ist, eben draußen auf der Terrasse, die einige Stufen über dem Straßenniveau einen schönen Blick auf die Straße bietet. Das Ganze wird natürlich durch Deckenventilatoren belüftet. Die Ober (beinah hätte ich Bedienstete geschrieben) sind livriert.
Louis Malle hat seinen Film Pretty Baby 1978 hier gedreht. Übernachtet habe ich im Columns noch nicht, aber bald, wenn ich reich und berühmt bin, hole ich das nach. 

Sonntag, 13. Mai 2012

Limonade

„Wenn das Leben dir Zitronen gibt, mach Zitronenlimonade“ heißt ein Spruch, der auf Dale Carnegie zurückgehen soll. Der Spruch ist gut, aber ich kenne kaum Leute, die 1. wirklich Zitronen vom Leben bekommen haben und 2. Limonade machen. Vielleicht liegt das auch daran, dass unser Wetter hier in Berlin Limonade selten erforderlich macht. Denn eine richtige echte Zitronenlimonade ist wahrscheinlich das Erfrischendste auf der Welt: beim Marathon, im Park Sanssouci oder auch am Ende einer Lausitz-Wanderung an einem heißen, staubigen Tag – nicht Bionade, nicht Fanta, nicht Sprite – richtige Limonade aus Zitronen.
Vermutlich hätte mein Körper gar nicht so eine verschrobene Lust darauf, wenn er nicht mit der belebenden Wirkung von Limonade in Extremsituationen vertraut wäre. Denn in den USA, in New Orleans, zum Beispiel während des glühend heißen Jazzfests, tauchen sie überall auf: von eifrigen, ernsthaften Kindern betriebene Limonadenstände am Straßenrand.
Martha, die Tochter meiner Freundin, ist jetzt 10 und damit im besten Limonadenstandbetreiberalter. Beim diesjährigen Jazzfest hatte sie ihren Stand gleich neben einem Sandwichimbiss in der Ponce de Leon St., die zum Festivalgelände führt. Martha, so berichtet mir ihre Mutter, hat über 50 Dollar verdient und ungefähr die Hälfte der SPCA, dem Tierschutzverein, gespendet. Ihre Mama hat auf Facebook ein Foto veröffentlicht, und auch ich bin mächtig stolz auf Martha. Ich versetze mich aber auch in die Touristen hinein, die eine tolle Erfrischung bekamen und noch dazu das erfrischende, quirlige, kluge, typisch New-Orleansige Persönchen Martha erleben durften.
Vor vielen Jahren hat mir das Leben mal richtig viel Saures beschert. Zitronen waren das, glaube ich, nicht. Sowieso hätte ich damals keinen Mumm gehabt, Limonade zu machen. Aber jetzt steht im Sommer eigentlich immer welche bei mir im Kühlschrank.

Freitag, 11. Mai 2012

Tarzan in New Orleans

So richtig gesehen habe ich noch nie einen Tarzan-Film, und die Bücher von Edgar Rice Burroughs habe ich auch nicht gelesen. Aber wenn ich dieser Tage in New Orleans wäre, dann würde ich mir diesen hier bestimmt ansehen: Tarzan of the Apes (Tarzan der Affen) oder vielmehr die knapp 60 Minuten, die von den original 210 Minuten erhalten sind. 1918 wurde dieser erste Tarzan-Film als Stummfilm gedreht und zwar im „Dschungel“ von Louisiana bei Morgan City, knapp 150 Kilometer westlich von New Orleans, während die Johnnie-Weismüller-Filme wohl in Florida entstanden. 
Man drehte in Louisiana wegen der Landschaft, aber auch weil es aus der Mode war, dass weiße Schauspieler in Blackface spielten und außerdem unpraktisch, den ganzen Oberkörper schwarz anzumalen, und vor Ort gab es schließlich genügend Afroamerikaner als Statisten. 20 Turner des New Orleans Athletic Club brachte man mit, die Tarzans Adoptivfamilie, die "Mangani" spielten. In Morgan City sollen damals Affen ausgesetzt worden sein, und der Hauptdarsteller Elmo Lincoln behauptete, auf der Leinwand einen echten Löwen getötet zu haben. Es war der erste Spielfilm, der in Louisiana, und vermutlich der erste überhaupt, der außerhalb der Hollywood-Studios und nicht in New York gedreht wurde.
Der Regisseur Al Bohl hat darüber einen Dokumentarfilm gemacht Tarzan: Lord of the Louisiana Jungle (Tarzan: Herr des louisianischen Dschungels)Beide Filme im Doppelpack sind noch bis zum 17. Mai im Chalmette-Movies-Kino zu sehen, und heute und morgen Abend wird der Regisseur des Dokumentarfilms anwesend sein. Der Filmkritiker der New Orleans Times-Picayune Mike Scott preist den Film in seinem kleinen Video an und zeigt auch einige der Originalszenen. 
In der taz ist an diesem Wochenende eine ausführliche Rezension von einem, der wenigstens die drei Bücher gelesen hat, die jetzt im Schuber und teils zum ersten Mal auf Deutsch erschienen sind. Es ist nämlich ein Jubiläum, vor 100 Jahren veröffentliche Burroughs seinen ersten Tarzan. Uuuuuauauauah

Mittwoch, 9. Mai 2012

Die heilige Margaret

Die Statue der Jeanne d’Arc im French Quarter wurde vor ca. zwei Wochen von einem freiwilligen Monumental Task Force Committee wieder auf Hochglanz poliert. Das Denkmal für eine Heldin direkt aus New Orleans harrt noch der Restaurierung. Es zeigt eine etwas gedrungene ältere Frau mit einem Kind unter dem Arm, mit der Inschrift Margaret, und es steht auch auf einem idyllischen dreiecksförmigen Platz an der Kreuzung der Prytania und der Camp Street, kurz vor der Autobahnüberführung. Viele Jahre habe ich mich gewundert, wer diese Margaret sein sollte, aber seit einiger Zeit weiß ich, dass die Schriftstellerin Mary Gehmann ihren Verlag Margaret Media nach dieser Margaret benannt hat: Margaret Haughery (1813-1882). Das marmorne Denkmal wurde zwei Jahre nach deren Tod (1884) eingeweiht und soll die erste einer Frau gewidmete Statue in den USA sein. Hier sieht man sie mit Mardi-Gras-Perlen verziert.
Margaret Haughery wurde in Irland geboren. Ihre Eltern starben kurze Zeit nach ihrer Übersiedlung in die USA, als sie 9 Jahre alt war. Als sie 23 war, starben ihr Mann und ihr kleines Kind. Wie so viele Iren hatte sie die katholische Kultur nach New Orleans gezogen, damals die viertgrößte Stadt der USA, wo 1860 14% der Einwohner irischer Abstammung gewesen sein sollen. 
Nachdem sie sozusagen ein zweites Mal Waise geworden war, widmete sich Margaret ganz den Waisen, begründete vier Waisenhäuser, davon auch eines auf dem Lande. Sie sorgte dafür, dass die Kinder lesen und schreiben usw. lernten. Das Geld dafür trieb sie durch eifriges Unternehmertum ein, zuerst mit eigenen Kühen, deren Milchprodukte sie von einem Karren aus vertrieb und später mit Backwaren, die sie in Margaret’s Bakery, einem großen Unternehmen mit modernem Know-How, herstellte. Dabei war sie immer sehr bescheiden gekleidet und bewahrte sich ihr gütiges Gemüt. Das trug ihr viele Beinamen ein, so Brotfrau von New Orleans, Mutter der Waisenkinder und eben auch heilige Margaret. Als sie starb, richtete man ihr ein Staatsbegräbnis aus. 
Seit einiger Zeit gibt es auch in Irland wieder Interesse an Margaret Haughery, wo man die Kate, in der sie geboren wurde, wieder aufbauen will. Außerdem gibt es einen Dokumentarfilm und ein Theaterstück. Auf Facebook ist ihr eine eigene Seite gewidmet: Beloved Margaret Haughery of New Orleans.
In New Orleans beteiligen sich diese Woche bis zum 12. Mai namhafte Bäckereien und Konditoreien an einer Benefizaktion für die Restaurierung des Denkmals. Sie kreieren dafür extra eine Backware, von deren Erlös ein Teil an das Monumental Task Force Committee geht. Für einen guten Zweck kann man doch ruhig mal schlemmen... (Ich habe es heute bei einem Kuchenbasar meiner Studenten getan.)

Dienstag, 1. Mai 2012

Festival International de Louisiane

Letzte Woche sind meine Facebookfreunde aus Austin, Texas, mal wieder in ihr heimatliches Louisiana gefahren sind und zeigten sporadische Fotos von Konzerten mit den Red Stick Ramblers und Andre Thierry. Eigentlich hätte ich selbst darauf kommen müssen: Na klar, das Festival International in Lafayette, der Hauptstadt der Cajuns, ca. 240 Kilometer westlich von New Orleans – wirklich, so weit? In den USA verliert man einfach die Dimensionen.
Das Festival läuft über vier Tage und trifft immer auf das erste Wochenende von Jazz Fest, so dass die Entscheidung manchmal nicht leicht fällt. Und eigentlich ist sie doch ganz leicht. Das Festival International ist nämlich etwas ganz Besonderes. Es ist nicht kommerziell und es verteilt sich über das ganze Stadtzentrum von Lafayette, mit mehreren Bühnen, Kunstmärkten und Fressständen usw. Es ist privat, ungezwungen und immer unglaublich heiß. Die Konzerte sind kostenlos und das Festival wird von der ganzen Stadt und von Freiwilligen organisiert, so dass die Stimmung immer entspannt und sehr freundlich ist.
Aber das Allerbesonderste ist, dass es ein vorwiegend frankophones Festival ist, wo die gesamte musikalische Creme des ländlichen Louisianas spielt, Cajun und Zydeco-Bands und zugleich so eine Art Weltmusikfestival, mit Musikern aus dem frankophonen Kanada, aus Afrika, aus der Karibik, selbst aus Kuba. Sie eint das Lateinische/Französische und zugleich spielen sie eine eigene authentische Musik, die, und diesen Eindruck vermittelt das Festival, fast universeller ist, mehr „Welt“, als das globalisierte Musikbusiness.
In Lafayette spielten unter anderem die Red Stick Ramblers (nächsten Sonntag auch beim Jazz Fest), die auch in Anthony Bourdains No Reservations über Essen in Louisiana auftauchten (siehe hier), eine Cajun Swing Band, die sich in den 90er Jahren in Baton Rouge gründete (eben jener texanische Freund spielte dort Bass). Einer der Mitbegründer ist der junge Joel Savoy, aus der berühmten Savoy Family Cajun Band. Seine Eltern Marc und Ann Savoy musizieren seit 1977 zusammen. Der jüngere Sohn Wilson Savoy, der einmal in einem meiner Deutschkurse ein äußerst talentierter Schüler war, spielt auch bei den Lost Bayou Ramblers und den Pine Leaf Boys.
Beim Festival International war ich auch mit französischen Freunden und es bringt mein kleines französisches Ich auf eine Art zum Schwingen, die so ganz anders ist als in Paris oder Frankreich. Denn obwohl das 20. Jahrhundert das Französische der Cajuns und der Kreolen im Alltag fast völlig ausgemerzt hat, außer bei sehr alten Menschen, ist die französische Seele Louisianas lebendig, bewahrt vor allem in der melancholischen und doch auch lebensfrohen Musik, die lebt und sich entwickelt und weitervererbt wird. Durch das Festival steht sie in Verbindung mit anderen frankophonen Kulturen der Welt, wo allerdings wie in Kanada auch die Sprache noch Teil der Identität und Kultur ist.
Auch die 17 Hippies versuchen sich manchmal an Cajun-Musik und viele Nachahmer in Las Vegas, Atlantic City, Branson, Missouri, oder auch auf der Bourbon Street in New Orleans. 2009 war ich zufällig zum Wassermusik-Festival im Berliner Haus der Kulturen der Welt. Als aus dem Tanzsaal Cajun-Musik klang, war ich deshalb erst einmal sehr skeptisch. Aber dann zog mich die Musik hinein und näher und verzauberte mich. Da war sie die Cajun-Musik ganz pur, einfach nur ein paar Männer mit strahlend weißen Hemden, Akkordeon, Gitarre, Stimmen – Ray Abshire, von dem ich noch nie gehört hatte. Das war es. So muss es sein. Und jetzt seufze ich ganz tief: Vielleicht schaffe ich es ja nächstes Jahr, live vom Festival International zu berichten.