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Montag, 7. September 2015

10 Jahre nach Katrina

Wie ein Hurrikan sind die Katrina-Erinnerungsartikel, -filme und andere Beiträge über uns hinweggezogen. Aus der Flut möchte ich zwei Sendungen empfehlen, die mich berührt haben. Auf Arte noch ein paar Tage lang zu sehen ist ein sehr aktueller Dokumentarfilm Only New Orleans, in dem es um damals und heute geht. Es kommen viele Musiker zu Wort, u.a. auch Davis Rogan, das Vorbild für die von Steve Zahn gespielte Rolle des Davis McAlary in der Serie Treme, Irma Thomas, Familienmitglieder der Andrews/Hill-Dynastie, von denen Trombone Shorty vielleicht der bekannteste und kommerziell erfolgreichste ist, und -- wie immer der vollendete Gentleman -- der große Allen Toussaint, der berichtet, dass die Zeit nach Katrina ihm auch Chancen eröffnet hat. Vom Mann hinter den Kulissen, dem Komponisten und Produzenten, hat er sich nämlich zum Performer entwickelt, der auch selbst mit seinen Liedern auftritt. Gezeigt werden übrigens auch Bilder aus der Ninth Ward, u.a. des Make It Right NOLA-Projekts von Brad Pitt, über das ich kürzlich gelesen habe, dass viele der Entwürfe doch nicht gebaut wurden, weil sie zu teuer waren und das erforderliche Geld nicht aufgetrieben werden konnte. Aber das Viertel wiederbelebt und aufgewertet hat das Projekt allemal. Der Film wurde erst in diesem Sommer fertiggestellt. Ich kenne den Ausspruch übrigens als "Only in New Orleans".
Dann habe ich auf NPR noch eine Folge von This American Life gehört, Nr. 565, Lower 9 +10. Darin geht es um die völlig zerstörte und weggeschwemmte Lower Ninth Ward, deren Bilder damals um die Welt gingen. Thematisiert wird, dass die Bewohner sich dagegen verwahrt haben, dass die Reisebusse zum Gaffen durch ihr Viertel fuhren, und es geht um alte und neue Bewohner, z.B. einen Postangestellten, der ein Cafe mit Kopierladen und anderen Dingen eröffnet hat, um das Viertel wieder zu beleben, um das Ringen einer zugezogenen jungen weißen Familie um Akzeptanz, um Anklänge an einen früheren Hurrikan von 1927, bei dem auch ein Viertel geopfert wurde, um die Innenstadt zu retten. Für mich am beeindruckendsten war die letzte kleine Geschichte um einen jungen Mann, der damals 23 war und seitdem versucht hat, seinen besten Freund von damals wiederzufinden, Samuel, von dem er hofft, dass er noch lebt. Wie durch ein Wunder bringen die Radioleute die beiden per Telefon wieder zusammen. Beide sind sehr bewegt, beide hatten gehofft und nacheinander gesucht, und man hört die alte Vertrautheit und Zuneigung in ihren Stimmen. In ihrer Sprache aber hört man auch die Welten, die sich inzwischen zwischen ihnen aufgetan haben. Der eine ist in New Orleans geblieben und klingt wie jemand von der Straße, und der andere lebt nach einer Odyssee in einem anderen Bundesstaat und hört sich sehr erwachsen und gebildet an. Auch das hat also der Hurrikan gemacht. Verlinkt ist auch eine frühere Sendung, die vor zehn Jahren gleich nach dem Unglück aufgenommen und gesendet wurde.

Sonntag, 5. Januar 2014

Treme -- das Ende

Ende Dezember lief die letzte, eine halbe, Staffel der Fernsehserie Treme, die jetzt 38 Monate später wieder einsetzt. Die Serie spielt ja in der Zeit nach Hurrikan Katrina, vor allem in dem historischen kreolischen Viertel Treme gleich neben dem French Quarter, das jetzt hübsch gentrifiziert wird, wie ich bei meinem letzten Besuch beobachten konnte.
Es ist eine Serie, in der die Stadt, New Orleans, die sehr kantige Hauptrolle spielt und die Musik die Ecken wieder glättet. Der Times-Picayune-Filmkritiker Dave Walker stellte sich vor (in diesem Artikel), wie die Filmemacher David Simon und Eric Overmyer (bekannt für The Wire) dem Sender HBO ihr Serienkonzept vorgestellt haben mögen (die Figurennamen in Klammern sind von mir):
-- Eine unserer Hauptfiguren ist ein ruppiger R&B-Musiker, der immer wieder Probleme mit seiner Vaterrolle hat. Er spielt Posaune. (Wendell Pierce als Antoine Batiste)
-- Eine andere Figur ist ein Schwarzer, der sich selbst als Indian(er) bezeichnet und sich für Straßenumzüge als eine Art Las-Vegas-Showgirl verkleidet, zum Beat von afrikanischen Trommeln. In jeder Staffel zeigen wir das in einer Folge. Die übrige Zeit näht er. (Clarke Peters als Albert Lambreaux)
-- Eine weitere Figur ist ein Universitätsprofessor und Schriftsteller mit Schreibblockade, der seine Wut über das Internet herauslässt. Er wird von einem Film. und Fernsehstar gespielt, aber wir lassen ihn gleich nach Mardi Gras sterben. (John Goodman als Creighton Bernette) Seine Frau ist Anwältin und vertritt Leute, die sie nicht bezahlen können. (Melissa Leo als Toni Bernette)
-- Der bestaussehende junge Mann unter den Figuren ist garstig zu Wiederaufbaufreiwilligen und misshandelt die liebe junge Frauenfigur. Er hat auch ein Drogenproblem. (Michiel Huisman als Sonny, Lucia Micarelli als Annie)
-- Wir bringen die Zuschauer dazu, Steve Zahn zu hassen. (als Musikmöchtegernimpressario Davis McAlary)
-- Khandi Alexander verbringt die ganze erste Staffel damit, ihrem Bruder nachzuspüren, der im post-Katrina-Gefängnissystem verschollen ist, das Kafka das Fürchten gelernt hätte. Dann findet sie bei den Emmy Awards keine Beachtung. Die folgenden Staffeln werden noch viel schlimmer für sie.
-- Wir haben eine Köchin, die einen Hubig's Pie aufmotzen und als hohe Kochkunst präsentieren kann... Die meiste Zeit ist sie nicht in der Stadt. (Kim Dickens als Janette Desautel)
-- Wir machen Hunderte von Anspielungen auf Dinge wie Hubig's Pies und Leute wie Dave Bartholomew und erklären sie nicht.
-- Es gibt mehrere tolle Beerdigungen.
-- In den Straßen wird oft wild getanzt, meistens scheinbar ohne Grund.
-- Tolle Musik aus New Orleans wird eine Hauptrolle spielen, aber das meiste davon haben sie noch nie gehört.
Er schließt die Aufzählung mit den Worten: "Es ist ein Wunder, dass die Serie gemacht wurde und so lange lief." 
Nicht alle Figuren sind sympathisch und selbst die sympathischen machen immer wieder die Art Fehler, wo man als Zuschauer zusammenzuckt. Eine der direktesten und besten Figuren für mich ist Antoine Batistes Lebensgefährtin Desiree, gespielt von der Laienschauspielerin Phyllis Montana LeBlanc, die als eine der Interviewpartnerinnen in Spike Lees Dokumentar-Epos When the levees broke auf sich aufmerksam machte.
Mich fasziniert vor allem die Atmosphäre der Serie, die einen förmlich einsaugt, und natürlich New Orleans, das absolut wiederzuerkennen ist. Für das "es richtig treffen" sorgten sicher die mitarbeitenden lokalen Autoren wie Lolis Eric Elie, der sogar noch ein Kochbuch zur Serie herausgebracht hat. 
Die Serie hatte viele Fans und wenige Zuschauer. Manche New Orleanser haben sie nicht gesehen, weil sie Angst hatten, es würde ihnen zu nahe gehen. Doch wenn man die Kommentare liest, hat sie Einheimische und vor allem auch Auswärtige tief berührt. Wie einer schreibt, mehr als Spike-Lees Katrina-Requiem. 
Was Treme so besonders und so wichtig macht, ist, dass es das lebendige New Orleans zeigt, wie und warum die Leute immer noch oder wieder oder überhaupt erst hier wohnen und leben wollen. Schade, dass es vorbei ist. Gut, dass es es gibt (in 36 Folgen).
Mehrere Soundtrack-Alben sind erhältlich und ab Ende Januar gibt es die DVDs (wie es scheint nur auf Englisch und vorerst nur für den amerikanischen Markt).
Vorschauen, Videos, Zusammenfassungen finden sich hier.
In der Times-Picayune werden die Anspielungen und Hintergründe der einzelnen Folgen erklärt, Treme explained.



Freitag, 1. November 2013

Was du nicht siehst -- Dans tes yeux

Gestern habe ich einen kleinen Film auf Arte gesehen. Sophie Massieu, eine Blinde, bereist in einer kleinen Serie (mit dem Titel Was du nicht siehst -- Dans tes yeux) die Welt und versucht, ungewöhnliche Blickwinkel auf die Orte zu zeigen, indem sie sich Einheimische als Reiseführer aussucht.
New Orleans und Louisiana überhaupt besuchen Franzosen gern, so wie auch andere frühere Kolonien, vielleicht, weil es exotisch und trotzdem vertraut ist, vielleicht auch, weil man an eine für manche "glorreiche" Vergangenheit erinnert wird. 
Wie bei Arte so üblich, kann man den Film auf Deutsch oder Französisch sehen. Sophie Massieu lässt sich durch New Orleans von Charmaine Neville führen, der Tochter von einem der Neville Brothers, die selbst Musikerin ist und berichtet, dass ihre Familie seit acht Generationen Musiker sind. Sie nimmt sie mit zum Gottesdienst in eine afroamerikanische Kirche, zeigt ihr das Musician's Village und fährt mit ihr zu einem leer stehenden, verlassenen, umzäunten Viertel, an dem man seit Hurrikan Katrina nichts gemacht hat.
Dann geht sie noch zu einer Voodoopriesterin, lässt sich die Zukunft voraussagen, einen GrisGris anfertigen und einen Tanz mit Musik aufführen.
Am nächsten Tag fährt Sophie mit einem richtigen Cajun, Norbert LeBlanc, hinaus in die Sümpfe, wo sie Reiher und Alligatoren sichten und er ihr eine Lotusblüte pflückt. Mit ihm spricht sie Französisch, und ich war überrascht, wie fließend und normal er Französisch sprach, obwohl er -- trotz weißem Rauschebart -- noch gar nicht so alt war.
Abends geht es dann noch zu einem Konzert, wie ich glaube, in den Snug Harbor-Klub in the Marigny, gleich neben dem French Quarter. Gesungen hat Charmaine Neville, und Sophie war mit einer Art Rassel auch beteiligt.
Sehenswert fand ich das, vermittelt liebenswerte kleine Eindrücke. Was mir ein bisschen fehlte, waren die genauen Bezeichnungen der Orte (ich hätte gern gewusst, wo die Kirche, das verlassene Viertel, der Sumpf war, Snug Harbor habe ich mir von der Tür umgedreht zusammengereimt), und dass z.B. Charmaine, Charmaine Neville war, habe ich nur kurz im Abspann erhaschen können. Der Film dauert eine halbe Stunde und läuft noch ein paar Tage lang hier.

Montag, 14. Oktober 2013

Das seltsame Leben des Benjamin Button (The Curious Case of Benjamin Button)

Ich habe den Film zu Recherchezwecken gesehen: Es geht um Benjamin Button, der als winziger alter Mann geboren wird und im Laufe seines Lebens immer jünger wird. Hier ein paar andere Gründe, warum man sich den Film ansehen könnte.

1. New Orleans
Der Film spielt, das hat mich überrascht, zu großen Teilen in New Orleans. Auch die Filmemacher sollen überrascht gewesen sein, die sich wegen der Steuer- und anderer Begünstigungen entschieden hatten, dort zu drehen -- darüber, wie gut alles zu erreichen ist usw. Auch die Rahmenhandlung, in der die große Liebe von Benjamin Button als alte Frau in einem Krankenhaus stirbt, während Hurrikan Katrina herannaht, fügt sich ganz gut in die Geschichte. Zu sehen gibt es: natürlich die Bäume und die louisianische Landschaft, majestätische Häuser auch in Innenansichten, Blicke auf den Lake Pontchartrain, meist bei Sonnenuntergang, Straßenszenen aus dem French Quarter, immer wieder die Straßenbahn auf der St. Charles Avenue, einmal fahren Cate Blanchett und Brad Pitt auch ganz verliebt damit, ein Spielplatz an der Napoleon Avenue und Magazine Street, wo ich gleich um die Ecke gewohnt habe und die bizarren Südstaatenakzente der Schauspieler (wobei viele den von Brad Pitt sehr liebenswürdig finden, aber die finden bestimmt alles an Brad Pitt liebenswürdig).
In Russland beginnt Brad Pitt eine Affäre mit Tilda Swinton, Frau eines britischen Diplomaten oder Geschäftsmannes. 
Als sie ihn fragt, wo er herkomme, sagt er: „New Orleans. Louisiana.“ 
Und sie: „I didn’t know there was another.“ 
Indeed!

2. Francis Scott Fitzgerald
Falls man schon immer mal eine Geschichte von ihm lesen wollte und es nicht geklappt hat, wäre das ein Einstieg. Allerdings unterscheidet sich die Vorlage, die ich noch nicht kenne, sehr vom Film, bis auf den Titel und die generelle Idee. Wie ich Fitzgerald kenne, ist seine Kurzgeschichte sicherlich wesentlich lakonischer und weniger sentimental. Fitzgerald selbst stammte aus Minnesota und lebte im Januar 1920 für ein paar Wochen in New Orleans, in der 2900 Prytania Street. (Seine Geschichte spielt 1860 in Neuengland.) Von dort aus besucht er seine zukünftige Frau Zelda Sayre, später Fitzgerald, die nicht nur viele seiner Werke inspirierte, sondern selbst tolle Kurzgeschichten schrieb (manche sagen, er hätte bei ihr abgeschrieben). Sie war eine richtige Southern Belle aus Alabama nur zwei Bundesstaaten weiter und war bestimmt mal in New Orleans. 

3. Die Handlung
Im Film hat alles ein bisschen Märchencharakter. Es beginnt damit, dass ein Uhrmacher in New Orleans nach dem 1. Weltkrieg 1918 eine Uhr baut, die rückwärts geht, in der Hoffnung, dass sein im Krieg gefallener Sohn und andere wieder zurückkommen. Das hat mit der eigentlichen Filmhandlung wenig zu tun. Der daraufhin als winziger alter Mann geborene Benjamin wird von seinem leiblichen Vater ausgesetzt und von der schwarzen Betreiberin eines Altersheims und ihrem Lebensgefährten aufgenommen. Manche der schnellen Handlungswechsel und die warmen und bunten Farben haben mich ein bisschen an den Film Amélie erinnert. Ansonsten ist der Film vor allem eine Liebesgeschichte, natürlich einer großen Liebe, die das ganze Leben andauert, aber eben nicht so sein kann. Wenn man „große Gefühle“ nicht scheut und gern mal ein bisschen weint, ist das sehr schön.

4. Die Schauspieler
Cate Blanchett – hat einfach immer Klasse. Brad Pitt – sieht nett aus und ist nett. Tilda Swinton – wie immer ungewöhnlich. Im Film hat sie übrigens ein besonderes Hobby: Langstreckenschwimmen. Mir gefielen auch die Darsteller der Ersatzeltern von Benjamin: Taraji P. Henson und Mahershalalhashbaz Ali.

5. Die Musik...
war auch ganz schön.

Ein Grund, den Film nicht zu sehen, ist sicherlich die Länge, knapp 160 Minuten. 
Ansonsten gar nicht schlecht.

Freitag, 30. August 2013

Acht Jahre danach


Gestern vor acht Jahren fegte Hurrikan Katrina über die Bundesstaaten Mississippi und Louisiana hinweg, wobei New Orleans zunächst relativ gut davonkam, bis die Dämme brachen und die Stadt voller Wasser lief. Acht Jahre! 
Bücher, Filme, auch Lieder haben das Ereignis dokumentiert und den Untergang von New Orleans besungen. Untergegangen ist New Orleans nicht, aber die Stadt hat sich, auch in den trocken gebliebenen Gebieten, radikal verändert, ähnlich wie Berlin seit der Wende. Über tausend Menschen kamen damals ums Leben und Tausende verloren ihre Häuser und kehrten nicht zurück. Auch viele ältere Akademiker, die einmal von Berufs oder der Faszination wegen in die Stadt gezogen waren, ließen sich anderswo nieder, in Asheville, North Carolina, zum Beispiel. Es wurde renoviert, verschachert, gentrifiziert, was das Zeug hielt, und dass Ex-Bürgermeister Ray Nagin jetzt wegen krummer Geschäfte vor Gericht steht, macht die Entwicklung nicht rückgängig. 
Hübsch ist es geworden, sauber und farbenfroh, und zugleich boomt die Kriminalität, obwohl die Offiziellen behaupten, New Orleans habe kein Kriminalitätsproblem, sondern nur ein Mordproblem.
Gestern wurde mit persönlichen Berichten an Katrina erinnert. Hier eine Fotoserie, damals und heute. Interessant auch diese Kampagne zur Umbenennung von Hurrikanen.

Samstag, 22. Juni 2013

Die Huey P. Long Bridge


Wenn man in dem „Fly“ genannten Teil des Audubon Park auf der Kante am Ufer sitzt, das dort mit drahtverhauenem Geröll befestigt ist, dann kann man ganz weit rechts am Rande in der Ferne eine Brücke sehen. Vor einem fließt der Mississippi vorbei und diese Brücke steht in einem so eigenartigen Winkel, dass einem schlagartig klar wird, wie sehr sich der Fluss hier windet. Es ist eine mit Stahlstrebenaufbau versehene Brücke, eine cantilevered steel through truss bridge, auf Deutsch: eine Ausleger-Fachwerkbrücke aus Stahl (hier). Erbaut wurde sie von 1932 bis 1935 und benannt ist sie nach Huey P. Long, dem legendären, flamboyanten Gouverneur von Louisiana (1893-1935).
Huey P. Long, der legendäre Kingfish, war nur von 1928 bis 1932 Gouverneur, ein Demokrat, der sich für Bildung einsetzte und 111 Brücken und das State Capitol in Baton Rouge erbauen ließ, einen irgendwie stalinistisch aussehenden Wolkenkratzer mit tollem Blick auf den Fluss. 1932 wurde er Senator und am 10. September 1935 im Foyer eben jenes State Capitols erschossen. Heutzutage bezeichnet man Leute wie ihn als Populisten, aber für mich war er eher ein Mann aus dem Volk fürs Volk mit viel Energie und Ideen.
Robert Penn Warren machte ihn als Willie Stark zur Hauptfigur seines brillanten Romans All the King’s Men von 1946 (auf Deutsch: Das Spiel der Macht), für den er den Pulitzer Preis erhielt. In dem Roman wird die Rastlosigkeit, das Visionäre und vielleicht Manipulative dieser Figur sehr deutlich. Durch seine Infrastrukturprojekte, u.a. Autobahnen, wirkte er der Isolierung der Landbevölkerung entgegen, was ein Faktor beim Verschwinden des Cajun-Französischen ist.
Auch die Huey P. Long-Brücke (eine Auto- und Eisenbahnbrücke etwas außerhalb von New Orleans) ist ihm zu verdanken, wurde allerdings erst im Dezember 1935 eingeweiht. Jetzt ist sie erweitert worden, mit breiteren Fahrspuren. Letzten Sonntag wurde sie nach dem Umbau wieder eingeweiht (hier), mit Band zerschneiden und Zeremonie, Bands und Bier und einem 5km-Lauf, dem in der großen Hitze ein 59-Jähriger zum Opfer fiel (hier). Besonders gefällt mir, dass auch die „35er“ eingeladen waren, die über zwanzig Bürger, davon einige weit über 80, die auch bei der Eröffnung im Dezember 1935 über die Brücke gelaufen waren.
Die Brücke, die Baton Rouge und Port Allen verbindet, ähnelt übrigens dieser Brücke und heißt auch Huey P. Long Bridge, eröffnet wurde sie 1940 (hier). Irgendwann in den neunziger Jahren sind die beiden Maler Mitchell Long und Robin Durand an meinem Geburtstag dort hingegangen und habe die Brücke für mich gemalt. Mitchells Bild hängt hier bei mir an der Wand, Robins war in New Orleans gelagert und ist bei Hurrikan Katrina in den Fluten versunken. Sehr schade.

Dienstag, 4. Juni 2013

Jesmyn Ward: Salvage the Bones


Vor vielen Jahren hatte ich die afroamerikanische Zeitschrift Essence abonniert, las alle schwarzen Autorinnen, derer ich habhaft werden konnte und schrieb gelegentlich auch über sie und ihre Bücher: Sonia Sanchez, Ntozake Shange, Terry McMillan, Maya Angelou, Bebe Moore Campbell, Tina McElroy Ansa, Nikki Giovanni, Marita Golden und viele andere. Damals kam ich zu dem Schluss, dass Toni Morrisons Weltruf und ihr Nobelpreis etwas damit zu tun haben, dass sie eher in einer europäischen oder weißen Tradition schreibt und deshalb ein breiteres, internationales Publikum anspricht. Die meisten dieser Autorinnen, war mein Eindruck, standen in einer ganz anderen, vielleicht eher einer oralen Tradition. Ihre Geschichten waren Frauengeschichten um Liebe, Familie, Selbstbehauptung, Identität, und ihr Stil oft loser, erzählender, vielleicht weniger streng.
Mich sprach das an, auch der Womanism der schwarzen Frauen, den Alice Walker dem weißen Feminismus gegenüber stellte. John Lennon sang 1972 ganz treffend „Woman is the Nigger* of the World“, und man kann sich vorstellen, wo schwarze Frauen in dieser Hierarchie stehen, die sich noch dazu seit über zwanzig Jahren im Rap beschimpfen und objektivieren lassen müssen. Alice Walker, die in Georgia aufwuchs, ist für The Color Purple bekannt, aber mir gefiel auch ihr Roman Meridian, in dem sie über eine junge Aktivistin (sich selbst?) im Universitätsmilieu schreibt, die als Frau in der männerdominierten Bürgerrechtsbewegung aneckt und ihren eigenen Platz finden oder sich schaffen will.
Jesmyn Ward ist eine junge Autorin aus Mississippi und damit aus dem tiefen ländlichen Süden, wo es wirklich nur Schwarz oder Weiß gibt und die allgemeine Armut und Abgelegenheit den Rassismus noch verschärft. In Salvage the Bones hat sie es sich zur Aufgabe gemacht, das Leben der armen ländlichen Schwarzen ihrer Heimat darzustellen. Dafür erhielt sie 2011 den National Book Award. 
Es geht um eine Fünfzehnjährige namens Esch, die nur mit ihrem Vater, ihren Brüdern und deren Freunden aufwächst, da ihre Mutter bei der Geburt des jüngsten Bruders Junior gestorben ist. So muss sie selbst die traditionelle weibliche Rolle in der Familie übernehmen und ihren kleinen Bruder mit aufziehen. Als Vorbild der Weiblichkeit hat sie nur verschwommene Erinnerungen an ihre Mutter, den Medea-Mythos, den sie in jenem Sommer liest, und – und das ist im Buch gut nachvollziehbar – China, die Pitbull-Hündin ihres Bruders Skeetah, die gerade Welpen geboren hat.
Die Armut der Familie ist erschütternd, ebenso wie ihre ungeschickten, zum Scheitern förmlich verurteilten Versuche, Geld zu verdienen. Der Alkoholikervater verliert dabei einige Finger, der Bruder Randall die Aussicht auf ein Basketballstipendium und Skeetah eine Welpe nach der anderen und schließlich noch seine geliebte Hündin. Esch ist schwanger, vermutlich von Manny, der mit einer anderen Frau zusammenlebt und wohl genau der unverbindliche, unreife Typ mit gutem Aussehen und jungenhaftem Charme ist, dem Frauen, die es nicht besser wissen – und woher sollte Esch es wissen? –, verfallen. Es ist die Geschichte eines Mädchens, das, im wahrsten Sinne des Wortes, „in einer Welt der Männer“ aufwächst, an einem Ort, wo alle „hungern, streiten und kämpfen“. Aber Esch schläft auch mit anderen, die sie fragen, als wäre das eben ihre natürliche Rolle. Dann ist da einer, der nicht fragt, und das wundert sie. Es ist Big Henry, auch ein Freund ihrer Brüder, der zu ihr hält und auch in Zukunft für sie da sein wird.
Ein kostenloses Rezensionsexemplar bringt sozusagen die Verpflichtung mit sich, eine Rezension zu schreiben, und so muss ich das Buch auch lesen, selbst wenn ich es eigentlich zur Seite legen würde. Meistens ist das zum Glück so. Hier war es die ausweglose und elende Lebenssituation des Mädchens und ihrer Familie, die ich, da ich die Region gut kenne, bildhaft vor Augen hatte. Doch am Ende des Buches gibt es einen Hoffnungsschimmer in Form von Big Henry.
Das Buch ist meisterhaft komponiert und geschrieben und hat auch etwas Universelles, Europäisches, und nicht nur wegen Medea. Natürlich hat man Jesmyn Ward in Interviews nach William Faulkner gefragt, denn thematisch ist es wie bei diesem: Süden, Mississippi, arme Schwarze. Doch ist ihre Perspektive eine ganz andere, einerseits ethnisch (da sie selbst Schwarze ist und über ihre Heimat schreibt), aber dann auch die einer jungen Frau, die über eine noch viel jüngere Frau schreibt, die sie ja mal war. Hier definieren die Männer, was eine Frau ist. Auch wenn Manny und Skeetah sich darüber unterhalten, ob China, die noch säugt, überhaupt Hundekämpfe abhalten kann, dann vergleichen sie Esch und China. Skeetah ist voller Vertrauen in die Stärke der beiden, anders als Manny, der sich immer wieder abfällig äußert.
Der lautlose Soundtrack, das Hintergrundrauschen des Buches, ist der sich ankündigende Hurrikan Katrina. The Pit, das Anwesen der Familie, liegt wie Jesmyn Wards Heimatort Delisle an der Golfküste von Mississippi an der Bucht Bay St. Louis, unweit des gleichnamigen Ortes. Hier ist Katrina direkt aufgetroffen und an Land gegangen, anders als in New Orleans, das erst durch brechende Dämme überflutet wurde. Hier wurden ganze Strände weggeschwemmt und Häuser von den Fluten weggerissen und dem Erdboden gleichgemacht. Hier sind vertraute Straßenzüge und Häuser seit dem Hurrikan gar nicht mehr vorhanden, einfach verschwunden.
Hier also erlebt die Familie den Hurrikan, den sie wie viele Leute, die ihr Leben lang mit Hurrikanwarnungen leben, unterschätzt hatten. Der Vater sieht zum ersten Mal, das seine Tochter schwanger ist, und wirft sie vor Schreck ins Wasser. Skeetah rettet sie, muss aber dafür seine Hündin China loslassen. Am Ende sind alle in Sicherheit, außer China, auf deren Rückkehr Skeetah und Esch ungeduldig warten.
In Interviews spricht sich Jesmyn Ward immer wieder gegen die Behauptung aus, die Wahl von Obama habe gezeigt, dass die USA post-racial seien, dass also die Rasse keine Rolle mehr spiele. Sie sagt: "Als ich aufwuchs, war ich ständig mit Rassismus konfrontiert, nicht etwa mit verdecktem oder institutionellem Rassismus, sondern mit offenkundigem, Ich-nenne-dich-Nigger-Rassismus. Meine Erfahrungswelt war in keiner Hinsicht post-rassisch und ist es auch heute nicht."** Hier.
Das eine ist sicher der offene Rassismus, aber der Roman zeigt auch deutlich die Trennung zwischen Schwarz und Weiß und die strukturelle Ungerechtigkeit der Armut, die unter Afroamerikanern viel stärker verbreitet ist als unter Weißen. Dabei sind die dargestellten Figuren keine harmlosen, lieben, edlen Schwarzen, sondern schon solche, die sich prügeln, Marihuana rauchen, klauen und eben Hundekämpfe veranstalten. Sie sind aus Fleisch und Blut, nicht perfekt, als Vater und als Geschwister hilflos, doch voller Liebe für einander. Ein großes Buch.
Das Original kam bei Bloomsbury heraus; im Herbst erscheint es bei Antje Kunstmann unter dem Titel Vor dem Sturm in der Übersetzung von Ulrike Becker. Der Titel Salvage the Bones heißt wörtlich Die Knochen retten. Es gibt übrigens schon jetzt jede Menge Lesegruppen zu dem Buch und auch in meinem Exemplar sind begleitende Materialien und Fragen zur Diskussion abgedruckt. Auch als Schullektüre könnte ich es mir gut vorstellen.
* Ich persönlich bin eine Verfechterin von Political Correctness, die leider durch alberne Übertreibungen in Verruf geraten ist. Schon aus Höflichkeit möchte ich Menschen so bezeichnen, wie sie gern bezeichnet werden möchten. Deshalb gehört das N-Wort nicht zu meinem Wortschatz.
** It really bothers me when people say we live in a postracial America. Growing up, I encountered racism all the time, and not covert or institutional racism, but in-your-face, I’m-gonna-call-you-a-nigger racism. There was nothing postracial about my experience, and there still isn’t.

Dienstag, 26. Februar 2013

Fats Domino

Fats Domino wird heute 85 Jahre alt (hier im Südkurier). Bekannt ist er wohl vor allem für Titel wie "Blueberry Hill" oder "I'm Walkin'". Eigentlich heißt er Antoine, ist kreolischer Abkunft und wie der Name sagt ein wenig rundlich. Während Hurrikan Katrina hatte man ihn für tot gehalten, bis er mit dem Hubschrauber aus seinem überfluteten Haus in der Lower Ninth Ward gerettet wurde. Nach Katrina veröffentlichte er die Platte Alive and Kickin' (Mopsfidel?), deren Erlöse der Tipitina Foundation zugute kommen. 
In der dritten Staffel der Fernsehserie Treme hat er einen kleinen improvisierten Auftritt in seinem Bürogebäude. Sein durch Katrina ramponierter Flügel ist jetzt im Louisiana State Museum im Cabildo im French Quarter ausgestellt, siehe hier (wo in den Eingangsarkaden auch ein Boot steht, mit dem jemand Katrinaopfer gerettet hat; wer habe ich leider vergessen).
Im Herbst habe ich ein Foto von seinem Haus gemacht, das vielleicht doch nur sein Büro ist. Es heißt, dass er jetzt in einem Vorort lebt.


Samstag, 16. Februar 2013

Richard Ford


Heute ist der Geburtstag des Schriftstellers Richard Ford (*1944), der ursprünglich aus Jackson, Mississippi stammt, wo er schräg gegenüber von der großen Eudora Welty aufwuchs. Einen Teil der Kindheit verbrachte er auch bei den Großeltern in Arkansas, und kennen gelernt hat er Eudora Welty erst viel später, als er auch schon Bücher veröffentlicht hatte. Sie freundeten sich an und nach ihrem Tod wurde er ihr Nachlassverwalter und war Mitherausgeber einer Gesamtausgabe ihrer Werke.
Bekannt ist er für seine Romane The Sportswriter (1986, Der Sportreporter), Independence Day (1995, Unabhängigkeitstag), The Lay of the Land (2006, Die Lage des Landes) und Kanada (2012, Canada) sowie für seine Kurzgeschichten. 
Ich kenne nur einige davon, denn er schreibt nicht nur mit einer kühlen Traurigkeit (oder traurigen Kühle?), sondern gehört auch zur ästhetischen Bewegung des „Dirty Realism“ (schmutziger Realismus), wo fast alle mit Leuten schlafen, mit denen sie eigentlich nicht schlafen sollten, oder einander weh tun, verletzen, töten, und seltsam wortlos durchs Leben gehen. Das alles schreibt er wiederum in einer glasklaren, weichen Sprache, und als mein eigenes Leben noch turbulenter war, habe ich in diesen Schicksalen auch, ja, Trost gelesen.
Richard Ford lebte längere Jahre in New Orleans, wo zum Beispiel einige seiner Erzählungen aus A Multitude of Sins (2002, Eine Vielzahl von Sünden) spielen. Während die Katrina-Katastrophe in New Orleans noch in vollem Gange war, veröffentlichte er am 4. September 2005 eine „Elegy for my city“ (Elegie für meine Stadt) im britischen Guardian, die sehr bewegend ist.
Nach dem Tod des Autors Barry Hannah übernahm er 2010 dessen Professur an der Ole Miss, der University of Mississippi in Oxford, wo William Faulkner fast sein ganzes Leben lang lebte. Seit 2012 ist er Professor an der Columbia University in New York.
Seine Frau Kristina Ford, eine promovierte Stadtplanerin, ist jetzt auch Professorin bei Columbia, und zwar in der School of International and Public Affairs (Institut für Internationale und Öffentliche Angelegenheiten). Ab 1992 war sie Direktorin für Stadtplanung in New Orleans, gewann Preise und veröffentlichte ausgiebig. 2010-2011 arbeitete sie für den Stellvertretenden Bürgermeister als Verantwortliche für öffentliche Einrichtungen, Infrastruktur und Gemeinwesenentwicklung. Ein Ergebnis ihrer Arbeit in New Orleans ist ihr Buch The Trouble with City Planning: What New Orleans Can Teach Us (2011, Das Problem mit der Stadtplanung: Was wir von New Orleans lernen können). Ich habe es noch nicht gelesen, aber man bescheinigt ihr den Stil einer Romanschriftstellerin. Vielleicht kein Wunder, wo sie doch Richard Fords erste Leserin ist.
Happy Birthday und eine schöne Feier! 

Donnerstag, 14. Februar 2013

Mardi Gras in den Medien

Heute ist schon Donnerstag, der Tag nach Aschermittwoch, wo schon längst alles vorbei ist. Hier aber einige Berichte aus den Medien, die den diesjährigen Super Gras (d.h. Super Bowl und Mardi Gras zusammen) natürlich vor dem Hintergrund der Zerstörung durch Katrina sehen.
Hier ein Bericht im Österreichischen Radio oe1; hier einige Fotos auf News.at (aus denen deutlich erkennbar ist, dass der Fotograf auf falsche Blondinen steht) -- man sollte einfach ignorieren, dass hier durchgängig von St. Louis, New Orleans die Rede ist.
In der Süddeutschen Zeitung war gestern ein schöner Artikel, allerdings mit einigen Ungenauigkeiten. Meine Leser-E-Mail kommt irgendwie technisch dort nicht an, deshalb hier:
Danke für den schönen Beitrag. Zwei kleine Korrekturen: Die 'throws' (Geworfenes) können auch Plastikbecher, Perlenketten oder anderer Tinnef sein und Frauen müssen nicht die Brüste zeigen, aber einige Touristinnen im French Quarter tun es scheinbar gern.
Die Krewe sind historisch nach der ethnischen Herkunft getrennt. 1991 wurde eine Verordnung erlassen, dass die Krewes auch Menschen anderer Hautfarbe aufnehmen müssen. Darauf hin stellten einige Krewes ihre Umzüge ein, darunter The Knights of Momus (Die Ritter des Momus), die bis heute nur noch interne Maskenbälle abhalten. Die Mardi Gras Indians sind übrigens keine Indianer, sondern Afroamerikaner, die sich in farbenprächtigen indianischen Kostümen verkleiden und deren Vereine untereinander konkurrieren.
Auch in der Süddeutschen einige Fotos vom Karneval hier.

Samstag, 26. Januar 2013

Moira Crones "The Not Yet" ist nominiert

Der New-Orleans-Science-Fiction-Roman The Not Yet der Autorin Moira Crone ist auf der Shortlist für den Philip K. Dick Award, einen nationalen Preis für das beste Science-Fiction-Buch im Paperback. 
Ihr Roman zeigt eine zunächst verwirrende, dann faszinierende Schreckensvision einer Menschenkaste, die sich durch Biotechnik unsterblich gemacht hat und alle anderen dominiert und ausbeutet, dabei natürlich Sinnesgenüssen wie der Liebe, auch der körperlichen, völlig entfremdet ist. Die jugendliche Hauptfigur Malcolm, die eigentlich nach beflissener Anpassung strebt, erfährt dabei -- gerade weil er sich verliebt -- letztlich einen Sinneswandel mit unbestimmtem Ausgang. 
Das Ganze spielt in der ersten Hälfte des 22. Jahrhunderts in einem auf Inseln reduzierten New Orleans und Umgebung und ist damit auch eine subtile Verarbeitung des Hurrikans Katrina. Hier meine Besprechung des Romans, hier Moira Crones Antworten auf meinen New-Orleans-Fragebogen (auf Englisch und auf Deutsch) und hier ein paar Auszüge aus dem Roman.
Philip K. Dick (1928-1982) war übrigens ein großer Science-Fiction-Schriftsteller, dessen Bücher zumeist im Paperback erschienen. Die Preisverleihung findet am 29. März 2013 in Seattle statt. Der Preis wird von der Philadelphia Science Fiction Society ausgeschrieben und scheint dotiert zu sein. Zeit, dass die deutschen Verleger den Roman entdecken?

Dienstag, 22. Januar 2013

Aktuelles


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Letzten Freitag ist Ex-Bürgermeister Ray Nagin der Korruption angeklagt worden. Als er 2002 ins Amt gewählt wurde, war er ein großer Hoffnungsträger gewesen: relativ jung, elegant, gut aussehend, und als einer der erfolgreichen Manager der Kabelfirma Cox Communications – so hoffte man – unbelastet von den Verstrickungen und Mauscheleien der politischen Kaste in New Orleans. Eine Art Lichtgestalt. Während der Katrina-Katastrophe war auch er heillos überfordert, machte jedoch auf sich aufmerksam, als er in einem Interview am 3. September 2005 die Bush-Regierung für ihre Tatenlosigkeit beschimpfte. Auch mit seiner Erklärung im Januar 2006, dass New Orleans wieder „chocolate“ werden würde, machte er Schlagzeilen. Obwohl man in New Orleans sagte, dass Katrina ihn „gebrochen“ hätte, wurde er 2006 für eine zweite Amtszeit gewählt.
Nach Katrina war immer vom Ausverkauf der Afroamerikaner die Rede. Spätestens diese Anklage deutet darauf hin, dass Nagin und andere Stadtväter, zumeist selbst Afroamerikaner, an diesem Ausverkauf Teil hatten. (Zu sehen übrigens auch in der Fernsehserie Treme.) Ein Bundesgericht klagt ihn jetzt für die Annahme von Bestechungsgeldern, für Geldwäsche und viele andere Sachverhalte an, was auch der deutschsprachigen Presse fast überall eine kleine Meldung wert ist. Die Times-Picayune hat einige dieser Transaktionen analysiert. Seit 2010 lebt Nagin übrigens in der Umgebung von Dallas.

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Übernächstes Wochenende (am 3. Februar 2013) findet das Football-Abschlussspiel der Saison 2012, der so genannte Super Bowl, in New Orleans statt. Die Baltimore Ravens spielen gegen die San Francisco 49ers, im Superdome, der während Katrina tagelang als Zuflucht für Tausende Betroffene diente und seit der Renovierung nach einer großen deutschen Automobilfirma benannt ist. Die Stadt bereitet sich seit Längerem auf den Tag vor und hofft vermutlich, dass dies ein weiterer Schritt zur Rehabilitierung ihres Rufs als Touristenattraktion ist und ihr einen wirtschaftlichen Aufschwung beschert, was sich möglicherweise schon ein wenig abzeichnet. Der Flughafen wurde ausgebaut und die Straßen in der Umgebung erweitert und repariert, so dass man dort nur auf Einbahnstraßen im Kreis fahren konnte. Der größte Einschnitt: Die Termine für zahlreiche Mardi-Gras-Paraden mussten verschoben werden, da die Karnevalssaison auf Hochtouren läuft, noch bis zum 12. Februar. Dies betraf zum Beispiel die Krewe de Vieux (zu Fuß, durchs French Quarter), die schon letztes Wochenende umzog.
Alicia Keys wird die Nationalhymne singen; Beyoncé tritt in der Halbzeitpause auf.

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2012 berichtete die Times-Picayune in der achtteiligen Reportageserie „Louisiana Incarcerated*“ (Louisiana eingesperrt) ausführlich über das korrupte Gefängnissystem Louisianas, in dem mehr Menschen als im Rest der Welt hinter Gittern leben. Am 4. Februar 2013 wird diese Serie mit dem John Jay HF Guggenheim Prize for Excellence in Criminal Justice Reporting 2012-2013 (also für Berichterstattung über das Strafrechtssystem) ausgezeichnet. Allerdings hat sich die Times-Picayune inzwischen auf Digital verlegt und bringt nur noch drei Druckausgaben wöchentlich heraus. Im Zuge dieser Umstruktierung wurden zahlreiche Reporter entlassen, darunter 9 der 20 an der Serie beteiligten Journalisten. Eine davon, Cindy Chang, arbeitet jetzt bei der Los Angeles Times. Das Preisgeld, meinte sie, wird dem DashThirtyDash-Fond gespendet, der entlassene Times-Picayune-Reporter unterstützt. Diese Nachricht habe ich aus dem Gambit und nicht aus der T-P.
* Zwar habe ich letztes Jahr hier über die Serie berichtet, aber erst jetzt ist mir der klevere Titel aufgefallen: Louisiana Incarcerated, wobei „Inc.“ in etwa „GmbH“ bedeutet.


Mittwoch, 31. Oktober 2012

Katrina, Rita, Irene, Isaac, Sandy


Teile von New York und anderen Städten stehen unter Wasser, es gab Brände, unzählige Bäume sind umgestürzt, Menschen gestorben. 7,5 Millionen Menschen an der Ostküste waren ohne Strom, die Skyline in Manhattan im Dunkeln. In 16 Bundesstaaten sind Notunterkünfte des Roten Kreuzes eingerichtet. Die New York Times titelt, dass es Tage dauern wird, bis alles wieder normal läuft. Allein wie ein so gigantisches unterirdisches System wie die New Yorker U-Bahn (das sicher ohnehin nur funktioniert, weil es noch steinalt und mechanisch ist) wieder in Gang kommen soll, ist unvorstellbar. Noch dazu, wenn in den Tunneln immer noch das Wasser steht. Ich bin gern in New York und ich mag Washington und viele andere Orte, die betroffen sind.
Und doch dachte ich gestern kurz: „Jetzt sehen die mal, wie das ist.“ Und fragte mich gleich, wer genau sind „die“? Es sind natürlich nicht meine Freunde und Bekannten an der Ostküste, es sind nicht die Leute, die gestorben sind oder denen der Wind in Chelsea die Fassade zu ihren Wohnungen weggerissen hat. Aber dort, wo viele der Macher wirken, ist Sandy plötzlich einfach vor die Haustür gekommen und rückt ins Bewusstsein, was so ein Hurrikan bedeutet. Wie wichtig die FEMA (die Bundeskatastrophenbehörde) ist, die unter George Bush degradiert wurde, und die Mitt Romney weiter reduzieren und deren Verantwortung er den einzelnen Bundesstaaten auferlegen will. Dass Ausmaß und Häufigkeit von Naturkatastrophen zugenommen haben und der Zusammenhang mit der Erderwärmung ist so offensichtlich, dass sich Wissenschaftler eigentlich endlich nicht mehr für diese Erkenntnis erklären und verteidigen müssten. Manchen Republikanern gegenüber müssen sie das immer noch, und auch der liebenswürdige Obama ist in dieser wie auch in vielerlei anderer Hinsicht sehr zögerlich geworden.
Möge der Hurrikan all denjenigen, die über New Orleans und Louisiana den Kopf schütteln, ein Licht aufgehen lassen. Denen, die denken, dass nur Verlierer und Faulenzer in einer Gegend wohnen, die immer wieder überflutet. Dass diejenigen, die auf Häuserdächern, in Notunterkünften, auf Brücken, durch das Wasser watend gezeigt wurden, minderwertig und dumm oder vielleicht auch sündhaft sind und ihr Schicksal irgendwie verdient haben.
Viele Amerikaner schämen sich zutiefst für Katrina, sind schockiert, dass ihr Land eine Stadt und ihre Menschen so im Stich gelassen hat, dass so etwas in ihrem Land möglich war. Das höre ich, das lese ich immer wieder, auch bei den jetzigen Berichterstattungen wird der Vergleich zu Katrina gezogen.
Selbst in dem absurden, mit popkulturellen gespickten Zombieroman Brains von Robin Becker gibt es zum Schluss eine winzige Passage des, ja, Gedenkens an Katrina. Zombieprofessor Jack Barnes, der schreiben, aber nicht mehr sprechen kann, nähert sich mit seiner Gruppe denkender Zombies auf einem Boot dem Ufer, wo ein paar Soldaten und andere sie erwarten. Er hält ein Schild hoch: WE ARE YOU! (Wir sind ihr.) Sein Begleiter schlägt vor, die Soldaten anzusprechen:
 „... sobald sie wissen, dass ich sprechen kann, können sie uns nicht umbringen.
[Jack:] Ich traute dem Militär nicht. Ich dachte an Hurrikan Katrina. Die Amerikaner dort konnten sprechen. Die Amerikaner dort hatten genau wie ich Schilder hochgehalten. Auf Dächern gestrandet, von steigenden Fluten umgeben. Hilft uns, stand auf den Schildern. Rettet uns.“
(„...once they know I can speak, they can’t kill us.“
I didn’t trust the military. I remembered Hurricane Katrina. Those Americans could speak. In fact, those Americans held up signs just as I had. Stranded on rooftops, the floodwater rising. Help us, the signs said. Save us.)
Möge Hurrikan Sandy auch den letzten ein Licht aufgehen lassen.

Samstag, 1. September 2012

Heute Abend im Fernsehen

0.30 Uhr, also eigentlich schon Sonntag, auf ARD: Bad Lieutenant -- Cop ohne Gewissen mit Nicolas Cage und Eva Mendes. Regie: Werner Herzog. Der Film spielt in New Orleans nach Katrina. Siehe auch hier und hier.

Freitag, 31. August 2012

Sara Gran: Die Stadt der Toten


Wenn eine Stadt so elementar auf ihre Elemente zurückgeworfen ist wie New Orleans, das jetzt gerade langsam wieder zu sich kommt, je mehr die Lichter angehen, dann scheint es irgendwie trivial und oberflächlich, über Bücher, Filme und andere eher schöne Dinge zu schreiben. Die Dämme haben gehalten, und dieses Mal können die New Orleanser das Gefühl haben, dass sich ihr Land um sie gekümmert hat, sie wichtig findet. Andere Regionen, gleich außerhalb der Stadt, wie zum Beispiel LaPlace, wo die lange Autobahnbrücke über das Wasser beginnt, auf der die Schlüsselszene von Jeff, der noch zu Hause lebt spielt, sind hoffnungslos überschwemmt, und in Baithwaite wurden sogar zwei Tote gefunden. Dann liest man gleich Kommentare im Internet, was für eine Verschwendung von Geldern das sei (14 Milliarden Dollar für die Dämme) und wie unverantwortlich und dumm von den Leuten, überhaupt in solchen Gegenden zu wohnen.
Für viele Menschen ist es eben seit ein, zwei oder auch mehr Jahrhunderten ihre Heimat und das was man im Englischen als „resilience“ bezeichnet, die erstaunliche Standhaftigkeit und Ausdauer, der Pragmatismus, Optimismus und Mut, mit dem sie diese Situationen immer wieder hinnehmen und durchstehen, ist bewundernswert. Selbst wenn man davon absieht, dass New Orleans und die Region mit dem Hafen, mit dem Öl, mit dem Fluss, mit seinem Grund und Boden für das ganze Land von entscheidender politischer und wirtschaftlicher Bedeutung ist (Stichwort: nationale Sicherheit) und schon dafür viel mehr Schätzung und Förderung erfahren müsste, so kann man natürlich die Stadt und die Region auch schon allein deshalb nicht entvölkern und aufgeben, weil das Land und die Welt New Orleans als vagen Sehnsuchtsort brauchen und der funktioniert, anders als vielleicht Vineta, Atlantis, Pompeji, nur mit einer realen Stadt. Man braucht die reale Stadt auch, um dort Krimis und andere Geschichten spielen zu lassen, zum Beispiel Die Stadt der Toten. Ein Fall für die beste Ermittlerin der Welt von Sara Gran.
Erst einmal: Es macht mir absolut keinen Spaß, Fehler in Büchern zu entdecken oder Verrisse oder Kritisches zu schreiben, weil ich mich dann selbst mies fühle. Als mir also ein Leser die Information über diesen Krimi zukommen ließ, den Titel und Untertitel so reißerisch ankündigen, habe ich erst mal ein bisschen recherchiert. Heutzutage schreibt ja fast jeder ein Buch, das in New Orleans spielt, aber Sara Gran hat tatsächlich auch dort gelebt und wird also wissen, so dachte ich mir, wovon sie schreibt.
Sie weiß, wovon sie schreibt, und das macht Spaß. Aber der Reihe nach.
Eingeführt wird die etwas verrückte Detektivin Claire DeWitt, die bei einer anderen großen Detektivin in New Orleans in die Schule gegangen ist. Beide entsprechen nicht dem typischen Bild von Detektiven: Die Koryphäe war eine Grande Dame mit einer Villa im Garden District. Claire ist eine tollpatschige, ungeschmeidige Person, die sich überall unbeliebt macht, und dennoch irgendwie ihre Fälle aufklärt. Sie kehrt nach New Orleans zurück, um das rätselhafte Verschwinden und den mutmaßlichen Tod von Vic Willing, einem Staatsanwalt, aufzuklären, der seit Katrina vermisst wird. Ihre Recherchemethoden sind ungewöhnlich: Sie setzt auf Intuition und Beobachtung, aber auch auf zufällige Begegnungen, Träume und alle anderen Arten von Zeichen. Sie trifft zum Beispiel immer wieder einen jungen Schwarzen, Andray, und dessen Freund, rettet ihnen sogar das Leben, und diese beiden stellen sich am Ende tatsächlich als entscheidende Figuren bei der Lösung des Falls heraus. Doch bevor es so weit kommt, begegnet sie ihnen immer wieder – und konsumiert mit ihnen und ohne sie jede Menge legale und illegale Drogen, was dann auch schon mal etwas langweilig wird.
Der Tonfall des Romans und der Hauptfigur ist schnoddrig und frech und das ist charmant und reißt mit. Über Claire zeigt die Autorin, wie gut sie New Orleans kennt; geradezu genüsslich und mit feiner Ironie platziert sie die Indizien dafür überall im Buch: Hubig’s Pasteten, der Radiosender WWOZ, der lokale Akzent: Yat, die Autoren Julie Smith, Poppie Z. Brite, James Lee Burke, Mardi Gras Indians, das Blau am Himmel der Veranden der alten Häuser, selbst die niedlichen grünen Mönchssittiche, die sich seit Katrina besonders verbreitet haben. 
Damit scheint sie irgendwie auch direkt an und für die New Orleanser zu schreiben, die es müde sind, ihre Stadt ständig falsch dargestellt und falsch gedeutet zu sehen. Bei aller Flapsigkeit fallen einige Spitzen ab: dass man in der Stadt nicht leben, dass man dort nicht glücklich sein kann, wie arm und vernachlässigt bestimmte Stadtteile und Menschen sind... Dann gibt es aber immer wieder Momente, wo sich eine tiefe Liebe für die Stadt zeigt, die der Einwohner, aber auch die der Hauptfigur und der Autorin. Obwohl Hurrikan Katrina nur den Hintergrund für das Verbrechen und die Geschichte bietet, erinnert es durchgehend an dieses Trauma. Der Tod des Opfers, den Claire tatsächlich aufklärt, ist ein zwiespältiger Tod, nicht gerecht, aber vielleicht in gewissem Maße gerechtfertigt.
Es wird auch aus der Biografie der Detektivin erzählt und somit Vorlagen für mindestens zwei weitere Krimis gegeben, denn die Leserin fragt sich: Wer hat Claires Mentorin getötet? Und was ist mit ihrer Schulfreundin Tracy aus Brooklyn geschehen? Claire ist ungehobelt und beziehungsgestört, aber ihr Witz und ihre Schlauheit machen Lust auf mehr.
Spaß machen auch die Verweise auf ihre theoretische Ermittlungsgrundlage: Jacques Silette und sein Buch Détection (reine Erfindung das, aber was für eine!). Immer wieder sind Sentenzen und Zitate aus dem Werk in den Text eingesprenkelt und schaffen damit scheinbare, fast philosophisch-meditative Momente des Innehaltens, die mich an die Samuraisprüche aus dem Film Ghost Dog erinnerten, nur dass jene echt waren, und diese eher mit Schalk und Augenzwinkern serviert werden.
Die deutsche Übersetzung von Eva Bonné liest sich so frisch und frei wie sicher das Original auch: ein reines Vergnügen. Gestutzt habe ich über den „Folksender WWOZ“, denn der Heimatsender vieler New Orleanser spielt vor allem Jazz, Rhythm & Blues, Funk, Musik aus New Orleans eben, aber es kann durchaus sein, dass Claire ihn deshalb als Folk bezeichnet. Für den architektonischen Baustil der „Creole Cottage“ ist Kreolenhäuschen keine schöne Entsprechung, aber eine bessere fällt mir auch nicht ein, ist aber zu überlegen.
Das Buch ist poppig-floral mit abgerundeten Ecken im Orange der frühen 2000’er Jahre aufgemacht, als ob es besonders junge Frauen ansprechen will. Diese (aber vielleicht auch Frauen anderen Alters und junge und alte Männer) lesen in diesem Buch auch, dass New Orleans – auch nach Katrina – genau so eine Stadt ist: lebendig, verrückt, kompliziert, und liebenswert. Ein wirklich unterhaltsames Buch.

Montag, 27. August 2012

Das Herz...

...ist mir schwer, liebe Leser. Zum siebenten Jahrestag von Katrina steuert Hurrikan Isaac auf New Orleans zu und soll vermutlich am Dienstag auftreffen. Gouverneur Jindal hat bereits Warnungen ausgesprochen, Bürgermeister Landrieu den Notstand ausgerufen und alle Bürger aufgefordert, ihre Häuser sturmfest zu machen. Alle Pumpstationen in der Stadt werden rund um die Uhr besetzt sein, das Army Corps of Engineers wird letzte Ausbesserungen an den Deichen vornehmen. Die küstennahen Landkreise sind bereits von Zwangsevakuationen betroffen. Derzeit ist die Rede von Kategorie 1 (gegenüber 5 bei Katrina), aber je nachdem, ob er während Flut oder Ebbe anlandet, kann das Wasser bis zu knapp 20 Kilometer ins Landesinnere vordringen. Hoffen wir das Beste.

Dienstag, 14. August 2012

Stadt, Kultur und Gesellschaft

Jetzt in den Semesterferien wird eine Magisterstudentin aus einem meiner Kurse mit Wohnmobil und Freund kreuz und quer durch die USA reisen. Fest geplant ist auch ein Halt in New Orleans, und zwar weil sie sich über ein Doktorprogramm informieren will.
Die Tulane University zählt durchaus zu den renommierten privaten Universitäten der USA, vor allem für Humanwissenschaften, Französisch und Italienisch, dachte ich. Im Internet habe ich gesehen, dass manche es als „Harvard des Südens“ bezeichnen, was sicher etwas übertrieben ist, und andere als „Jewlane“, weil wohl ein großer Anteil der Studenten aus reichen jüdischen Familien stammt. Tulane ist teuer, hat einen gepflegten, mit Lebenseichen beschatteten Campus (Foto) gleich an der St. Charles Avenue und die Bibliothek ist sicherlich die best bestückte im Staate Louisiana und vermutlich in Mississippi, Alabama und Arkansas noch gleich mit und steht auch der Öffentlichkeit (mir zum Beispiel) offen.
Was ich aber bisher nicht wusste, ist, dass Tulane auch eine School of Social Work hat (eine Fakultät für Soziale Arbeit), die allerdings nur Magister- und Doktorstudiengänge anbietet. Darunter gibt es sehr interessante Kombinationen, wie Magister in Sozialer Arbeit mit Public Health (Volksgesundheit), mit Zertifikat in Disaster Mental Health (psychische Gesundheit bei Katastrophen) und einen Magister in Globaler Sozialer Arbeit, der, so heißt es, besonders für die Arbeit beim Roten Kreuz, der UNO, im Peace Corps usw. ausbildet.
Die Studentin interessiert sich für ein Doktorat in einem von zwei interdisziplinären Programmen, die ebenfalls in Folge von Hurrikan Katrina aufgelegt wurden. Das eine ist in Aging Studies (Altersstudien) und das andere heißt City, Culture, and Community (Stadt, Kultur und Gemeinschaft/Gesellschaft) und integriert Lehrkräfte aus der Soziologie und Urbanen Studien, Architektur, Recht, Human- und Naturwissenschaften. Das Programm befasst sich mit den Zusammenhängen zwischen der physischen und der bebauten Umwelt und sozialen, wirtschaftlichen und politischen Institutionen und Prozessen, die für städtische Räume prägend sind. New Orleans, vor allem nach Katrina, bietet natürlich jede Menge Anschauungsmaterial.
So gibt es zum Beispiel, davon ganz unabhängig, ein Sommerprogramm für New Orleanser Schüler, das die nichtkommerzielle Organisation Kids Rethink New Orleans Schools (Kinder überdenken New Orleans’ Schulen – Rethink) seit 2006 ausrichtet. Dabei treffen sich sechs Wochen lang Grund- und Mittelschüler aus New Orleans und erarbeiten Vorschläge für ihre Schulen, besonders auch was die Schulkantine und das Essen betrifft. 2007 konnten die Rethinkers durchsetzen, dass die Sporks abgeschafft wurden (eine Kombination aus Löffel und Gabel), die sie als entwürdigend empfanden. Inzwischen haben sie so einige Verbesserungen erzielen können, aber die Einführung von Metallbesteck wird „aus Sicherheitsgründen“ weiterhin nicht erfolgen. (Mehr hier.)
Solche und andere Programme gibt es natürlich viele und bestimmt wird auch an der Tulane University über ihren Nutzen geforscht. Das Studium ist teuer, aber es gibt Stipendien und Assistenzstellen und eine unvergessliche Lebenserfahrung. Und ich hätte vielleicht schon nächstes Jahr einen neuen Kaffeeklatschkontakt in New Orleans...

Samstag, 28. Juli 2012

Hubig's Pies

Am Freitagmorgen, 27. Juli 2012, gegen 5 Uhr früh ist Hubig’s Pie Factory völlig niedergebrannt. Sie befand sich in der Dauphine Street nördlich des French Quarters im Faubourg Marigny. Hubig’s Pies gibt es seit 1922 in New Orleans und gehören zu den absolut essentiellen lokalen Eigenheiten der Stadt. Es sind mit Fruchtmus gefüllte Teigtaschen, die einzeln abgepackt sind. Die Figur eines fröhlichen Pie-Bäckers auf der Verpackung heißt Savoury Simon (Schmackhafter Simon) und ist das Maskottchen. 40 Angestellte backten ca. 28.000 Pies pro Tag.
Nach Hurrikan Katrina war es ein Hoffnungszeichen, wenn nach und nach vertraute Dinge wieder auftauchten, wie die erste funktionierende Ampel oder die Müllabfuhr oder eben, dass es wieder Hubig’s Pies zu kaufen gab. Die Fabrik hatte nur einige Sturmschäden erlitten, eröffnete jedoch erst im Februar 2006 wieder, als Gas, Strom usw. normal funktionierten. In der HBO-Serie Treme zieht aber eine Köchin schon im November 2005 einen Hubig’s Pie aus der Tasche und bevor überhaupt erst ein Gewitter der Richtigstellungen auf ihn einstürmte, erklärte Produzent David Simon sich seinen New Orleanser Zuschauern in einem offenen Brief.
Als gestern das Gebäude in Flammen aufging, sagte der Feuerwehrchef Charles Parent einem örtlichen Fernsehsender: „Diese Firma hat unsere Einsatzkräfte nach Katrina verpflegt. Unsere Jungs haben das mit Tränen in den Augen gelöscht.“ Einer der Besitzer, Andrew Ramsey, versprach: „Wir kommen wieder.“ (Hier.)
Mein Freund Rex schrieb auf Facebook: „Für die von Euch, die Filme sehen, in denen sie den Akzent von New Orleans immer völlig falsch wiedergeben, hier ist zu hören, wie sich ein authentischer New Orleans-Yat-Akzent anhört, im Gespräch über Hubig’s Pie-Fabrik, die gerade abgebrannt ist. Eine Zeitlang habe ich von diesen kleinen Pies gelebt.“ (For those of you who have been watching movies that get the New Orleans accent way wrong, here's what an authentic New Orleans 'yat accent sounds like, talking about how Hubig's pie company just burned. I lived on those little pies for a while.)  
Die Nachbarin, die den Brand beobachtet hat, berichtet, dass sie seit 66 Jahren in ihrem Haus lebt und die Tochter eines Jazzmusikers, Chick Johnston, ist. (Siehe hier.)

Sonntag, 22. Juli 2012

Ein Abriss

Heute früh 8 Uhr Ortszeit: Das Grand Palace Hotel an der Ecke Canal Street und South Claiborne Street wurde gesprengt. Das Gebäude entstand 1950-51 als Claiborne Towers und hatte 1.000 Wohneinheiten und Büros auf 17 Geschossen. Im Laufe der Jahre hatte es verschiedene Verwendungszwecke und Eigentümer, u.a. als Ramada Hotel. Ab 2003-2004 gab es Beschwerden wegen Schimmelbefall, rostigem Wasser, Ratten, und seit Hurrikan Katrina war das Hotel geschlossen und die Eigner meldeten Bankrott an. Jetzt wich der Bau einem milliardenteuren, umstrittenen University Medical Center, das hier entstehen soll.
Bürgermeister Mitch Landrieu hat sich das Spektakel heute angesehen und meinte: “Ein altes Gebäude für etwas Neues abzureißen, das ist ein Symbol für den Wiederaufbau der Stadt.” (Zur Geschichte hier.)
Nicht alle sehen das so, denn dem Neubau fallen auch private, meist historische Holzhäuser in dem Viertel zum Opfer, und das traditionsreiche Charity Hospital wird deshalb, trotz Protesten, nicht wiedereröffnet. Charity Hospital wurde 1736 gegründet (zum Vergleich: die Berliner Charité 1710); der aktuelle Art-Déco-Bau ist von 1939 und soll wohl als Denkmal erhalten werden. Charity war eine Universitätsklinik und eines der Krankenhäuser, wo man erst einmal behandelt wurde und dann irgendwann oder nie bezahlen konnte (ich war 1990 mit einem entzündeten Fuß dort). Während Katrina war es teilweise überschwemmt worden und die Patienten wurden heldenhaft evakuiert.
Dieser Neubau ist Teil der großen Umstrukturierung, die New Orleans seit 2005 erlebt. Wessen großer Plan genau das ist, kann ich nicht sagen, aber ich finde, dass man die paar Steine, die Katrina aufeinander ließ, nicht auch noch unbedingt wegreißen muss, dass man auf ein Trauma nicht noch mehr Trauma draufsetzen muss.
Sicher, das heute abgerissene Gebäude war nichts fürs Auge, keines, vor dem nachfolgende Generationen voller Ehrfurcht stehengeblieben wären und auch mir wird es bei meinem nächsten Besuch sicher nicht fehlen. Aber es geht ums Prinzip. Und so faszinierend die Bilder von dem Einsturz auch sind, mich erinnern sie auch ein bisschen an das World Trade Center. (Fotos und ein kurzer Film.)

Donnerstag, 24. Mai 2012

Lokal, preisgekrönt

Dieser 100. Eintrag (tatatataaa!) ist endlich der Times-Picayune gewidmet, der New Orleanser Tageszeitung, auf deren Webseite einige meiner aktuelleren Beiträge aufbauen. Sie ist nicht die New York Times: vom kreativen und intellektuellen Anspruch her, von der Schärfe und Genauigkeit der politischen Analyse, von der Reichweite, vom Budget und so weiter. Und doch ist sie ein treuer und zuverlässiger Begleiter, den ich, anders als die New York Times, jeden Tag lesen oder überfliegen könnte.
Ihren Namen verdankt die Zeitung dem ursprünglichen Preis von 1 Picayune (einer spanischen Währungseinheit) bei ihrer Gründung 1837 und der Fusion mit dem Konkurrenzblatt Times-Democrat 1914. Bereits seit den 60er Jahren hat sie das lokale Zeitungsmonopol inne. Wikipedia bewertet sie als gemäßigt-konservativ, wobei ich sie einfach immer nur als schlicht und seriös und vielleicht nicht übermäßig progressiv gelesen habe.
1992 verfasste ich für ein Fulbright-Einführungsprogramm meine erste akademische Arbeit auf Englisch: ein Vergleich der New York Times, der Los Angeles Times, des St. Louis Post-Dispatch und der New Orleans Times-Picayune bezüglich ihrer Berichterstattung über Deutschland. Dabei schnitt sie gar nicht schlecht ab.
Während Hurrikan Katrina arbeitete die Redaktion (Internet- und Druck-) heroisch weiter, zuerst in den eigenen Gebäuden, dann auf dem Campus der Louisiana State University, mit Schlafsäcken und Luftmatratzen. Drei Tage lang gab es nur Internetausgaben, danach wurde wieder gedruckt. Auch in dieser Zeit der Medienhysterie zeichnete sie sich durch besonnene Berichterstattung vor Ort aus und war für viele Leser, auch in der Evakuation im ganzen Land verteilt, eine emotionale und informative Verbindung nach Hause. Für diese Berichterstattung erhielt sie verschiedene Preise, darunter auch den Pulitzerpreis. Auch mit den Ereignissen nach Katrina setzte sich die Times-Picayune kritisch auseinander, vor allem auch mit der FEMA, der Katastrophenmanagementagentur, die grandios versagt hatte. Auch sonst wendet sie sich immer mit investigativen Serien brisanten Themen, wie jetzt gerade zur Gefängniskultur in Louisiana.
Einige jetzt bekannte Autoren haben früher für das Blatt gearbeitet, darunter William Faulkner, Chris Rose, der für seine Katrina-Kolumnen bekannt wurde (1 Dead in Attic), James Gill, Lolis Eric Elie (der bei der Fernsehserie Tremé mitarbeitet), die Literaturkritikerin Susan Larson und Gwenn Thompkins von NPR.
Gerade heute las ich, dass die Zeitung in eine neue Firma überführt wird und ab Herbst nur noch drei Mal wöchentlich gedruckt erscheint (also nicht mehr Sonntag früh zum Zeitungsautomaten an der Ecke schlendern, einen Croissant beim französischen Bäcker daneben kaufen und den Sonntag gemächlich Zeitung lesend einläuten). Mein Freund Rex schrieb dazu auf Facebook: „Erst K&B (eine alteingesessene Drogeriekette, die vor ein paar Jahren verschwand), dann Katrina und jetzt das.“ Auch mich macht das tieftraurig. Und so ist aus dieser kleinen Lobeshymne fast ein Nachruf geworden.