Samstag, 15. April 2017

Zwei New-Orleans-Krimis von Joy Castro

Ich habe zwei Krimis von Joy Castro gelesen: Tödlicher Sumpf (Hell or High Water) in der sehr lesbaren Übersetzung von Susanne Wallbaum (dtv 2013) und Nearer Home (St. Martin's Press 2013), den zweiten in der Serie, im Original. Beide spielen in New Orleans und sind spannend, wenn auch eigentlich keine richtigen Krimis. Die Ermittelnde ist hier eine junge Reporterin, Nola Céspedes, die New Orleans aus einer interessanten, Latina-geprägten Perspektive zeigt, eine kulturelle Facette der Stadt, die eigentlich erst nach Katrina so recht an Bedeutung gewonnen hat. Die Autorin weiß, wovon sie redet, und die Stadt und die beschriebenen Schauplätze sind wiederzuerkennen, und nicht nur deshalb habe ich es gern gelesen.
Nola ist eine ungewöhnliche (auf Englisch würde man wohl sagen: unlikely) Heldin. Sie stammt aus einfachen Verhältnissen mit alleinstehender, kubanischer Mutter, lebt in einer WG, ist links, engagiert sich als ehrenamtliche Big Sister für ein Mädchen aus ein mexikanischen Einwandererfamilie, hat eine illustre Freundinnenrunde wie aus Sex and the City und ist eine begabte Journalistin. Dann hat sie noch ein äußerst riskantes, eher sportliches Sexleben, das sich später aus einer Missbrauchgeschichte erklärt. Genau bei einem solchen Abenteuer lernt sie einen Traumprinzen in Form eines fußballspielenden spanischen Umweltwissenschaftler-Gentlemans und Sexhengstes kennen. Und irgendwie sind alle wichtigen kulturellen Eckpunkte abgehakt: Nola hat an der Tulane-University studiert, sie arbeitet bei der New Orleans Times-Picayune, sie fährt nach Grand Isle, wo sie an Kate Chopins Buch Das Erwachen denkt und sich vor Haien fürchtet, die sich dann als Delfine herausstellen; ihr schwuler isrealischer Mitbewohner arbeitet im edlen Columns Hotel auf der St. Charles Avenue.
Dann wäre da noch die eigentliche Krimihandlung, und die überzeugt nur bedingt. In Tödlicher Sumpf recherchiert Nola zur Rehabilitation von Sextätern, durchweg unheimliche und unheilbare, nicht geheilt werden wollende, hoffnungslose Fälle, klärt dabei das Verschwinden einer jungen Frau auf und rettet eine zweite. In Nearer Home entdeckt sie beim Joggen im Park die Leiche ihrer früheren Journalistikprofessorin und fängt an zu ermitteln, wobei sie deren Recherchen zu Korruptionsfällen und den Verzweigungen in der politischen Ebene vertieft. Beides wichtige Themen mit einer politischen Dimension, aber kein stringenter Whodunit.
Der zweite Band ist noch nicht auf Deutsch erschienen, aber auch er liest sich schnell weg. Das umgebende Personal ist weiterhin charmant, aber die Beziehung bröckelt etwas. Doch Nola entwickelt sich persönlich weiter, hadert mit ihrer Beziehung, bleibt aber dran, lernt ihre Mutter und ihre Freundinnen besser kennen usw. Beide Hauptfiguren, die junge Nola Céspedes und New Orleans, sind wirklich gut getroffen. Und vermutlich haben es alle gleich gemerkt, Nolas Vorname ist zugleich ein Kurzwort für New Orleans, Louisiana (LA. ist das Kürzel für Louisiana in der Postanschrift).
Lesbar!

Anhang: Natürlich habe ich mir auch die sehr gelungene Übersetzung angesehen und an einigen Stellen noch etwas weiterrecherchiert.
Virginia-Eichen:  Das ist die deutsche Übersetzung für live oaks, die man im Internet findet, aber ich verwende sie aus mehreren Gründen nicht. Vor allem erinnert „Virginia“ an den Bundesstaat, was ich  irreführend finde, weil der etwa 1600 Kilometer entfernt und deutlich weiter nördlich liegt und diese Eichen dort nicht so häufig, so alt und so für die Landschaft prägend sind wie in Louisiana. Außerdem mag ich die „existentielle“ Komponente des Namens und nenne sie deshalb Lebenseichen. kreolisches Drei-Zimmer-Cottage: Ein Creole Cottage ist ein für Louisiana typischer Haustyp, meist klein, eingeschossig mit Dachboden und symmetrischen Eingängen.
Den Mississippi höre ich nicht:  Darüber habe ich mich gewundert, aber bestimmt steht es so im Original. New Orleans ist eine richtige Stadt, da hört man den Fluss nicht, höchstens an manchen Stellen den Hafen oder  das Hupen der Frachtschiffe.
Esplanade-Grat:  Es geht um den Stadtteil Esplanade Ridge und eine kleine höhere Stelle zwischen den tiefer gelegenen, insgesamt etwa 1,20 – 1,50 Meter höher als das umliegende Gelände. „Grat“ ist vielleicht nicht ganz passend, weil es auch  darum ging, dass N.O. unter dem Meeresspiegel liegt.
Gekochter Crawfish:  Bei einem Crawfish Boil werden auf jeden Fall Krebse gekocht, aber es geht auch um das Drum- und Dran. Es ist eine riesige Sause, meistens im Freien mit vielen Leuten, riesige Pötte mit Crawfish, Kartoffeln und Gemüse, die in Wasser gekocht und dann auf Zeitungspapier auf dem Tisch (meistens langen Biertischen) ausgeschüttet werden. Um den Tisch sitze alle herum,  pulen für sich die Krebse,  fischen das Gemüse heraus und essen mit den Händen.
Momentan läuft der Lokalsender NPR:  National Public Radio ist kein Lokalsender bzw. gar kein eigentlicher Sender. Es ist ein unabhängiges nationales Radio-Verteiler-und Produktions-Netzwerk mit bestimmten Nachrichten- und vielen anderen Sendungen usw., die über lokale Sender ausgestrahlt werden. In New Orleans heißt dieser Sender WWNO und sendet morgens und nachmittags/abends Sendungen von NPR und ansonsten klassische Musik. (Ich habe bei WWNO mal bei einer Spendenkampagne ausgeholfen.) NPR hat nur einen eigenen Sender – hier in Berlin, noch bis Sommer 2017.