Donnerstag, 29. März 2012

Zwei Beiträge in der Frankfurter Rundschau

Der Journalist Mohamed Amjahid ist in der Frankfurter Rundschau auf Wahlkampfreise durch die USA. Aus New Orleans berichtet er über Rassismus und HIV. Ich habe ein bisschen Senf dazugegeben.

Samstag, 24. März 2012

Von Literatur und historischen Verwerfungen

Sonntag ist der letzte Tag des Tennessee Williams New Orleans Literary Festival, das seit Mittwoch läuft. Seminare, Lesungen, Veranstaltungen mit unzähligen Autoren aus den gesamten USA. Dabei ist auch eine junge afroamerikanische Autorin Gwen Thompkins, ursprünglich aus New Orleans, die sich wie so viele zuerst in der Tageszeitung New Orleans Times-Picayune ausprobierte, bevor sie Redakteurin und Ostafrikakorrespondentin für National Public Radio war. Vor kurzem habe ich von ihr eine Radiokolumne über politische Meinungsverschiedenheiten gehört. Der Eintritt zum Festival ist teuer geworden und es gibt unglaublich viele Vortragende und Vorträge. Morgen endet es mit dem bereits beschriebenen Stanley and Stella Shouting Contest.
Dieser Tage hörte ich auch noch über ein anderes Literaturfestival: Das Internationale Poesie-Festival Meridian Czernowitz, das vom 6. bis 9. September 2012 stattfindet und nach Paul Celans Büchnerpreisrede von 1960 benannt ist. Das ehemals habsburgische, dann rumänische, heute ukrainische Czernowitz war ja die Heimatstadt von Paul Celan, Rose Ausländer, Gregor von Rezzori und vielen anderen, und auch von Joseph Schmidt, dem Sänger von „Ein Lied geht um die Welt“. In den neunziger Jahren rückte die Stadt in dem Film Herr Zwilling und Frau Zuckermann auf den deutschsprachigen Radarschirm und seit 2005 können wir dorthin visafrei reisen. 
Ich fühlte mich dort wie im falschen Film, eine historische Stadt mit den falschen Menschen. Doch seit damals beeindruckt es mich, wie man versucht, an die dort vergessene Vergangenheit anzuknüpfen, eben zum Beispiel mit diesem Festival. Die Teilnehmer kommen vor allem aus der Ukraine, Polen und deutschsprachigen Ländern. Es kommen auch Pierre Joris aus den USA und Hans-Michael Speier aus Berlin.
Was das mit New Orleans zu tun hat? Hier Auszüge aus einem Exposé, das ich 2006 schrieb:
Nach der Aufhebung der Visumpflicht für die Ukraine 2005 beschloss ich, von Krakau aus nach Tscherniwzy zu fahren, auf den Spuren von Paul Celan. In strömendem Regen stapfte ich durch die Straßen und suchte nach dem mythischen Czernowitz, nach Zipfeln seiner farbenreichen und schmerzlichen Geschichte. Doch ich fand, so schien es, nur Gebäude, Gedenktafeln, Grabsteine...
Kurz nach meiner Rückkehr Ende August 2005 kamen schlechte Nachrichten aus New Orleans: Hurrikanwarnung, Evakuation, Erleichterung, als Katrina an der Stadt vorbeizog, dann die gebrochenen Dämme, die Überflutung und Verwüstung, die Verzweiflung und Not der Flüchtlinge, die ausbleibende Hilfe.
Auf den ersten Blick scheinen Czernowitz/Tscherniwzy und New Orleans nichts gemeinsam zu haben. Die eine Stadt liegt auf dem eurasiatischen Kontinent, mit entsprechendem Klima und Vegetation, galt als vielsprachig und multikulturell und wechselte allein in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts mehrmals die nationale Zugehörigkeit, Kultur und Sprache. Die andere ist eine subtropische Hafen- und Touristenstadt am Golf von Mexiko, gilt als rein englischsprachig und gehört seit 1803 zu den USA. Die eine war die Hauptstadt eines Landes, in dem „Bücher und Menschen“ lebten und ist der Ursprungsort der „Todesfuge“; die andere ist bekannt als „the Big Easy“ und die Geburtsstätte des Jazz. Die eine gilt als „verschollene Stadt“; von der anderen meinen einige, daß sie nicht wieder aufgebaut werden sollte. Das Trauma, das die beiden Städte – um 60 Jahre versetzt – erlitten haben, ist nicht vergleichbar: Czernowitz wurde vom Zweiten Weltkrieg und von der Shoah heimgesucht und darin ausgelöscht. New Orleans versank in den menschengemachten Folgen des Hurrikans. Und doch gibt es Parallelen.
Vor der Katastrophe waren sowohl Czernowitz als auch New Orleans stolz auf ihre einzigartige „Persönlichkeit“ und Identität. Beide verstanden sich als Vorposten einer Kultur und als Hort der kulturellen Differenz: Czernowitz als mitteleuropäisch innerhalb von Osteuropa und New Orleans als karibisch/kreolisch in Nordamerika. Beide Städte waren multikulturell, fortschrittlich und emanzipiert in einem unterentwickelten traditionellen Umland. Und tatsächlich waren es Kulturstädte, in denen die Beschäftigung mit und die Ausübung von Kultur zum Alltag gehörten, in Form von Hochkultur, die genossen und geschätzt wurde, die aber auch Bestandteil der eigenen, gelebten, „ethnischen“ Kultur war. Widmete man sich in Czernowitz vor allem der Literatur, so lebte und atmete man in New Orleans Musik. Ihre jeweilige Katastrophe hatte eine dramatische Veränderung der Bevölkerungsstruktur zu Folge, die im Ergebnis ähnlich ist: Die jüdischen Bewohner von Czernowitz, die während des Zweiten Weltkriegs und der Shoah vertrieben bzw. vernichtet wurden, sind durch Ukrainer und Russen ersetzt worden, während in New Orleans mexikanische Tagelöhner die Arbeitsstellen der zuvor meist afroamerikanischen Arbeiter (oft Kreolen) übernommen haben, die wegen des Mangels an erschwinglichem Wohnraum und funktionierenden Schulen nicht aus der Evakuierung zurückkehren konnten. Dies sind aber genau die Bevölkerungsgruppen, deren kulturelle Ausdrucksformen (d.h. Literatur bzw. Musik) die Kultur und die Identität ihrer Städte und die Selbstwahrnehmung ihrer Bewohner besonders geprägt haben. Nach der Katastrophe haben beide Gruppen ihre Städte aus der Ferne besungen, beschrieben und beklagt. Jetzt scheinen sie beide nur noch als Legende, in der Erinnerung und in der Literatur oder Musik zu existieren: Das historische Czernowitz verschwand mit dem Zweiten Weltkrieg, so heißt es, und möglicherweise erleben wir gerade den Untergang von New Orleans."
So schrieb ich 2006. Vieles davon ist immer noch wahr, doch New Orleans lebt weiter, das weiß ich jetzt. Viele seiner Bewohner fehlen immer noch, aber es überlebt auch dank seiner Feste und Traditionen (Mardi Gras und auch das Tennessee Williams Festival wurden gleich 2006 wieder gefeiert) und dank seiner Kunst und Kultur. Czernowitz wünsche ich, dass es - auch durch dieses Festival - seine Seele, seine Vergangenheit wieder findet. Es ist auf einem guten Weg, glaube ich. 

Freitag, 23. März 2012

Kaffee

Bevor die großen Ketten den guten Kaffeegeschmack verbreiteten, war der Kaffee in den USA eine Katastrophe und ist es in Diners und normalen Restaurants immer noch. Anfang der neunziger Jahre besuchte mich eine Freundin und wir reisten quer durch das Land, und um ihr Jammern und unsere Erwartungen zu besänftigen, schlug ich ihr vor, das Ganze plastisch als „braunes Wasser“ zu bezeichnen. Das trifft es denn auch recht gut, ist spottbillig und wird nach Belieben endlos nachgeschenkt.
In New Orleans schmeckt natürlich auch der Kaffee schon immer besser als anderswo. Er wird stärker gebrüht und ist traditionell mit Zichorienwurzel (Chicory) versetzt, die direkt mit Endiven, Chicoree und Radicchio verwandt sein soll. Angeblich haben die Deutschen den Zichorienkaffee irgendwann erfunden und die Franzosen übernahmen ihn unter Napoleon oder er kam während der französischen Revolution auf; auf jeden Fall brachten ihn die Franzosen in die USA. Zu DDR-Zeiten, habe ich gelesen, wurden während der „Kaffeekrise“ in den siebziger Jahren Zichorie und andere pflanzliche Stoffe zugesetzt. Ich trank damals noch keinen Kaffee, aber an den Begriff „Mischkaffee“ kann ich mich noch vage erinnern.
Die lokalen Coffeeshop-Ketten sind übrigens Community Coffee aus Baton Rouge (die allerdings auch mit The Genuine Flavor of New Orleans – Dem originalen Geschmack von New Orleans werben)  und PJ’s aus New Orleans.
Meine Büchse Coffee with Chicory aus dem Café du Monde ist jetzt gerade zu Ende gegangen. Dies tippte ich mit Hilfe von handgemahlenem, „türkisch“ gebrühtem Fairtrade-Kaffee aus dem Supermarkt. Die Tasse ist von WWNO, dem National Public Radio-Sender in New Orleans.
Leider seitenverkehrt...

Montag, 19. März 2012

Randy Newman

Der Komponist Randy Newman gab letzte Woche ein Konzert im Berliner Admiralspalast. Er ist eigentlich eher der Mann hinter den Kulissen, der tolle Stücke schreibt, die dann in Versionen von anderen Musikern bekannt werden, oder er komponiert die Filmmusik, die wohl vor allem auffallen würde, wenn sie nicht da wäre. So ähnlich verhält es sich vielleicht mit seiner zweiten Heimat New Orleans, denn Randy Newman ist zwar aus Kalifornien, aber dass er die Sommer seiner Kindheit in NOLA verbrachte und auch heute oft dort ist, ist wohl weniger bekannt.
Der Disney-Trickfilm The Princess and the Frog (Auf Deutsch: Küss den Frosch, 2009), für den er die Filmmusik komponierte, spielt in New Orleans und zwei Stücke daraus, so „Down in New Orleans“, wurden für einen Oskar nominiert. Hier noch einmal mit etwas tieferer Stimme er selbst.
Nach Hurrikan Katrina wurde sein Lied „Louisiana 1927“ von seinem Album Good Old Boys (1974) wieder oft gespielt. Darin geht es um eine zerstörerische Flut von 1927, die wegen bestimmter, möglicherweise politisch motivierter Entscheidungen immer noch umstritten ist. Damals sollen 700.000 Menschen in Louisiana und Mississippi obdachlos geworden sein. Auf dem Benefiz-Album Our New Orleans ist das Stück mit den Louisiana Philharmonikern und einigen Musikern aus New York eingespielt. Bekannt ist es auch in einer Version von Aaron Neville.
Schon am 9. September 2005, als die Überflutungen in New Orleans noch in vollem Gange waren, interviewte NPR ihn zu diesem Stück. Die Interviewerin fragte ihn unter anderem, woran es liege, dass Louisiana so sehr zur „dreamscape of the American mind“ (die Traumlandschaft der Amerikaner) geworden ist. „Es ist anders,“ meinte er, "sorglos, unachtsam" und andere Dinge, die schon oft gesagt wurden. Und er sagte auch: „It’s not a place to get your car fixed.“ (Kein Ort, wo man sein Auto reparieren lässt.), weil dort eben alles etwas uneffektiver sei. 
Ob das ganz genau so stimmt oder ob da nicht auch ein bisschen Mythos wieder beschworen wird, kann ich nicht genau sagen. Aber in der Tat: Auch ich habe mein Auto nie in New Orleans reparieren lassen. Gestorben ist es dann bei einer Fahrt nach Baton Rouge an einem festgefahrenen Motor, zum Glück, nachdem ich die langen Brücken über die Sümpfe schon überquert hatte. Ein liebenswerter, kleiner blauer Toyota namens Tamiko...

Montag, 12. März 2012

Kate Chopin: Das Erwachen

Die Franzosen haben Madame Bovary von Gustave Flaubert, wir haben Effi Briest von Theodor Fontane und die Amerikaner haben Das Erwachen von Kate Chopin: Romane des 19. Jahrhunderts, in denen die gelangweilte Frau des Bürgertums mit ihrer Sehnsucht nach einem Leben in Liebe und Erfüllung thematisiert ist. 
Und doch trennen diese Romane Welten, denn Kate Chopin ist eine Frau. Vielmehr: Sie ist diese Frau des Bürgertums und was für eine! Sie nimmt sich Freiheiten ganz ähnlich derer ihrer Heldin und sie stellt Fragen nicht nur zu Ehe und Liebe. Und so ist denn ihr Roman nicht nach der Hauptfigur Edna Pontellier betitelt, sondern nach dem was ihr geschieht.
Ich las das Buch kurz vor meiner endgültigen Rückkehr aus Louisiana, mit viel Wehmut, denn die versuchte Selbstfindung der Heldin findet in der träumerisch-verführerischen Sommerfrische auf Grand Isle ihren Ausgang und ihr Ende, wo auch ich gern in der Sommer- oder Winterfrische weilte, und spielt auch im entspannten und doch weltläufigen New Orleans des späten 19. Jahrhunderts.
Eigentlich wollte ich mir nur kurz ein Bild von der neuen deutschen Ausgabe machen und wurde doch wieder ganz aufs Neue gefesselt. Das Buch ist gut geschrieben (und übersetzt) und schildert die Suche und Verzweiflung seiner Heldin plastisch und nachvollziehbar, ihren Überdruss an den Pflichten von Ehe, Mutterschaft, Frausein und aber auch ihren Mut und Eigensinn, der – das weiß ich aus einer Biographie von Kate Chopin  – dem der Autorin gleicht. Edna Pontellier sucht keine Liebesbeziehung für ihr Glück, doch es ist die Freundschaft und die (ungelebte) Liebe zu einem jungen Mann, die ihre Lebensgeister weckt und sie sich bewusst werden lässt. Sie erschließt sich neue Welten, indem sie Freundschaften pflegt, sich in Musik vertieft, schwimmen lernt, malt, zu Pferderennen geht, müßig geht und ein eigenes kleines Haus bezieht. Doch wie die anderen Heldinnen scheitert auch sie letztendlich.
Es ist das Problem des "goldenen Käfigs", wie es anderswo heißt, denn eigentlich steht sich Edna nichts aus: Sie ist finanziell abgesichert und lebt in einigem Luxus, und für den Haushalt und die Kinderbetreuung hat sie Personal, das sie anweisen soll.
Eine zweite Dimension des Romans ist die des historischen Dokuments, in dem das Aufeinandertreffen und der Kontrast zwischen einheimischen Französischsprachigen und zugezogenen Amerikanern (wie übrigens Edna auch) beschrieben wird. An einer Stelle heißt es: „Ihre ganze Lebensart mutete Edna sehr französisch, sehr exotisch an.“ Auch diese fremde, französisch geprägte und karibisch angehauchte Lebensart erlaubt es Edna, aus den vorgefertigten Bahnen auszubrechen. Die eingestreuten französischen und louisianischen Ausdrücke signalisieren diese gewisse Fremdheit und sind mehr als Lokalkolorit.
Die kleine editionfünf, ein Zusammenschluss aus vier Frauen und dem Vertriebspartner Edition Nautilus, veröffentlicht seit 2010 jeden Herbst fünf Bücher von Frauen, die die Betreiberinnen selbst gern im Schrank stehen hätten. Kate Chopins Erwachen war der zweite Band der ersten, Aufbruch betitelten Runde. Die (von einem Frauenkollektiv angefertigte) Übersetzung aus dem Jahr 1978 wurde von Karen Nölle und Christine Gräbe bearbeitet und in eine äußerst lesbare Form gebracht. In seiner Gestaltung, dem handlichen Format, dem roten Leineneinband mit leuchtend grüner Banderole ist das Buch ein wahres Schmuckstück. Zum Bestellen!
Kleine Ungenauigkeiten der ersten Fassung sind allerdings unbesehen übernommen worden (bonbon zum Beispiel bedeutet eben nicht Bonbon sondern Praline oder Konfekt). Da es, anders als in den ebenfalls sehr lesenswerten Kurzgeschichtensammlungen Die Seidenstrümpfe und Der Sturm, kein Glossar gibt, habe ich unten stehend eins angefertigt.
Der Roman, wie auch die Kurzgeschichten, erstaunt wegen seiner Kühnheit, die für die Zeit ungewöhnlich und skandalös war. Die Fragen, die Kate Chopin aufwirft, sind auch heute noch lange nicht beantwortet. 


Das kurze Nachwort von Barbara Vinken scheint das Buch übrigens auf die schmerzliche Erkenntnis zu reduzieren, dass Männer anders lieben als Frauen. Aber stimmt das überhaupt? Discuss!

Das Erwachen von Kate Chopin: ein Glossar

Grand Isle: Wörtlich „große Insel“, ist die größte der so genannten Barriereinseln im Golf von Mexiko, ca. 3 Stunden Autofahrt von New Orleans. Die Insel lebt vor allem von Touristen, die hierher zum Fischen kommen (es gibt einen kleinen Bootshafen), im Naturpark campen und Pelikane und gegebenenfalls Delfine beobachten oder an Festivals teilnehmen wollen. Deshalb findet man im Internet keine Informationen über die Ölraffinerie, die sich auch auf der Insel befindet. Es gibt auch viele private Ferienhäuser, die auf meterhohen Stelzen stehen. Als Barriereinsel ist es sozusagen die Aufgabe von Grand Isle, die Wucht der Hurrikane aufzunehmen und abzufangen. Laut Wikipedia ist die Insel alle 2,68 Jahre von einem Hurrikan betroffen und alle 7,88 Jahre direkt der Breitseite eines Hurrikans ausgesetzt. Als ich 2009 das letzte Mal auf Grand Isle war, war die Auswirkung von Katrina und Rita (beide 2005) deutlich zu sehen: Viele Geschäfte und Hotels gab es nicht mehr und die geographische Form der Insel war völlig verändert und verkleinert. Es war außerdem eine ganz neue Zufahrt zu der Insel gebaut worden.

Chénière Caminada: Das französische Wort chêne bedeutet Eiche, während das Wort chénière meines Wissens in Frankreich nicht bekannt sondern eine typische Cajun-französische Bildung in Louisiana ist und in etwa „mit Eichen bewachsener Kamm“ bedeutet. Auch Chénière Caminada gehört zu den Barriereinseln, obwohl sie technisch eine Halbinsel ist. Ich bin unwissentlich schon zig Mal darüber gefahren, denn die Staatsstraße 1 durchquert sie auf dem Weg nach Grand Isle. Chénière Caminada war schon 1893 von einem auch von Kate Chopin beschriebenen Hurrikan stark betroffen. Es befindet sich westlich von Grand Isle und ist über eine knapp 2 Kilometer lange Brücke mit der Insel verbunden. Bei der Anfahrt nach Grand Isle fährt man ungefähr die letzte Stunde durch Marschen, wo im Wasser immer wieder einzelne Bäume und Grasbüschel stehen. Eine scheinbare statische, aber doch lebendige, bizarre Landschaft.

Piroge: einfaches Holzboot in Einbaumform, das die Cajuns gern benutzen. Das Wort kam über das Französische aus dem Spanischen (piragua) ins Deutsche und Englische (Pirogue).

Quadroon: vom Spanischen cuarterón, vom Lateinischen quartus bezeichnet eine Person, die zu einem Viertel schwarze Vorfahren hat. Dementsprechend bezeichnet Octoroon jemanden mit einem Achtel schwarzer Vorfahren, die zumeist aus unehelichen Beziehungen von Schwarzen und Weißen hervorgingen. Im New Orleans der Vergangenheit waren Quadroons und Octoroons oft frei und nicht versklavt, was sich dann durch den Louisiana Purchase 1803 änderte. Diese Begriffe werden heute nur noch im historischen Zusammenhang verwendet.

Griffe: bezeichnete eine Person mit drei Viertel schwarzen Vorfahren und einem Viertel weißen oder indianischen Vorfahren. Siehe oben.

Bayou Brulow: In meinem Atlas von Louisiana ist es nicht verzeichnet und auch im Internet nicht zu finden. Vielleicht existiert es nach den vielen Hurrikanen nicht mehr? Ein Bayou ist ein stehender oder träge fließender Wasserarm, der durch Marschen und Sümpfe in einen See, Fluss oder Golf fließt. Der Begriff stammt vermutlich aus dem Choctaw-Indianischen und wird nur in Louisiana und angrenzenden Gebieten verwendet. Somit denkt man bei Bayou an eine exotische, ländliche, aber auch rückschrittliche Gegend, wo Cajuns leben. In den siebziger Jahren machten Linda Ronstadt und Paola (auf Deutsch) den Roy-Orbison-Hit Blue Bayou berühmt.

Grand Terre: Wörtlich „großes Land“, eine nordöstlich an Grand Isle anschließende Barriereinsel, die wie diese die Barataria Bay (Barataria-Bucht) zum Golf von Mexiko hin begrenzt. Auf der Insel befinden sich die Ruinen des Fort Livingston sowie ein Meereslaboratorium des Louisiana Department of Wildlife and Fishery und eine Station der Küstenwache. Es ist heute nur mit dem Boot zu erreichen. Auf dieser wie auch anderen Inseln war Anfang des 19. Jahrhunderts der legendäre Pirat Jean Lafitte aktiv, nach dem heute noch viele Orte benannt sind, so auch der Jean Lafitte National Historical Park and Preserve. Von der BP-Ölkatastrophe waren die Inseln natürlich auch betroffen.

Louisianamoos: Dieses deutsche Wort für Spanish moss („spanisches Moos“, Tillandsia usneoides) habe ich erst aus Das Erwachen gelernt. Es wächst in den Südstaaten an den Bäumen, besonders wo es feucht ist, und gleicht langen Bärten oder wahlweise Hexen- oder Prinzessinnenhaaren, die im Winde wehen. Es macht die Landschaft besonders verwunschen oder auch „gotisch“. Früher wurde Lousianamoos als Polster- und Verpackungsmaterial verwendet, zum Mulchen oder zum Ausstopfen von Voodoopuppen (laut Wikipedia). Es ranken sich Legenden darum und es gibt Lieder und Geschichten. Wichtig war es auch für den Bau von Wohnhäusern der Cajuns für die Herstellung von Bousillage (einer Mischung aus Spanischmoos und Lehm) als Material für die Wände zwischen den Holzpfosten. Die Verwendung von Bousillage in Louisiana ist ab Anfang des 18. Jahrhunderts nachgewiesen.

Akadier: Im Englischen Acadian, vom Französischen acadien, heute Cajun (sprich: Kejdschin). Nachfahren der französischen Siedler aus Akadien (der kanadischen Provinzen Nova Scotia, New Brunswick, Prince Edward Island), die zwischen 1755 und 1763 von den Briten deportiert wurden und sich vor allem im französischsprachigen Louisiana ansiedelten, wo sie auch ihre ländliche und auf Fischerei basierende Kultur fortführen konnten. Die Sprache der Cajuns hat seit den sechziger Jahren einen Wiederaufschwung erlebt, während die Kultur (Musik, Tänze, Essen, Karneval) ohnehin lebendig war. Heute sollen ca. 5 Prozent der Bevölkerung noch Französisch oder Cajunfranzösisch zu Hause sprechen.

Kreolen: Eigentlich die Nachfahren der Franzosen oder Spanier, so wie Kate Chopin oder ihr Ehemann. Heute bezeichnet kreolisch oft auch die Nachfahren französischsprachiger Schwarzer, die z.B. aus Haiti oder anderen Ländern der Karibik zugewandert oder aus anderen Gründen eine französische Kultur hatten. Die europäischstämmigen Kreolen verwahren sich oft gegen diese Verwendung.

Kate Chopin: Schriftstellerin (1850-1904) aus St. Louis, Missouri, einer damals wohl auch noch kreolisch geprägten Stadt, in der sich inzwischen vor allem der deutsche Einfluss durchgesetzt hat. 1870 heiratete sie Oscar Chopin und lebte mit ihm in New Orleans, nach seinem Bankrott in Cloutierville, Louisiana. Sie hatten sechs Kinder. 1882 starb ihr Mann und zwei Jahre später zog sie nach St. Louis zurück, wo sie zu schreiben begann und einen literarischen Salon betrieb. Das Erwachen rief einen Sturm der Empörung hervor und Kate Chopin starb, ohne den verdienten Ruhm genießen zu können. Das Wohnhaus und Museum in Cloutierville ist vor ein paar Jahren abgebrannt.

Sonntag, 11. März 2012

Make-It-Right-Benefizgala

Gestern fand im Hotel Hyatt Regency in New Orleans eine exklusive Benefizgala für Brad Pitts Wiederaufbauprojekt Make It Right statt. Der Star selbst war natürlich anwesend, ebenso wie die Komikerin Ellen DeGeneres (aus New Orleans, sehr witzig, mit eigener Talkshow)* und der Footballspieler Drew Brees. Die Gäste bezahlten zwischen 1000 und 2500 Dollar für die Teilnahme und erhielten dafür ein Vier-Gang-Menü von lokalen Kochkoryphäen wie Emile Lagasse, ein Kulturprogramm mit Rihanna, Sheryl Crow, Seal und dem New Orleanser Jazzpianisten Dr. John sowie eine After-Party mit Kanye West, Snoop Dog und anderen. 
Anscheinend kämpft das spektakuläre Projekt ein wenig mit den Mühen der Ebene, jetzt wo circa die Hälfte der 150 geplanten Häuser gebaut sind. Wie ich bereits hier berichtete, sind dies hurrikansichere, energiesparende, ökologische und gestalterisch avantgardistische Entwürfe von weltberühmten Architekten. Aus Kostengründen wurde bei den letzten Häusern bereits auf einige Designeigenschaften verzichtet. In der Mitte dieses Artikels in der New Orleans Times-Picayune findet sich übrigens ein kleines Video, in dem einige der fertiggestellten Häuser zu sehen sind.


* Ellen DeGeneres ist auch als bekennende Lesbierin bekannt. Erst im Februar hatte die konservative Gruppe One Million Moms dagegen protestiert, dass sie jetzt als offizielles Gesicht der Einkaufskette JC Penney firmiert.

Freitag, 9. März 2012

Maler: Degas, Long

Der berühmteste Maler von New Orleans ist vermutlich Edgar Degas (1834-1917). Genau, der Edgar Degas, der impressionistische Maler mit den graziösen, federhaften Tänzerinnen. Seine Mutter stammte aus New Orleans und so nannte er sich selbst einen „fils de Louisiane“ (Sohn Louisianas). Degas kam im Herbst 1872 nach New Orleans und verbrachte fünf Monate hier, in denen es ihm gelang, eine künstlerische Krise zu überwinden. Dabei soll er auch die spätere Schriftstellerin Kate Chopin kennengelernt haben. Heute erinnern noch das Café Degas und das Degas House (ein exklusives Bed & Breakfast, wo man wohl auch heiraten kann) auf der Esplanade Avenue an ihn. Eines seiner berühmtesten Gemälde ist Le bureau de coton à la Nouvelle Orléans (Die Baumwollbörse von New Orleans) von 1873.
Möglicherweise inzwischen ein „Sohn von New Orleans“ ist der Maler Mitchell Long (*1964), mit dem ich befreundet bin. Ursprünglich aus Florida stammend und in Philadelphia u.a. ausgebildet, lebt er seit Mitte der neunziger Jahre in Louisiana und seit ca. 2000 in New Orleans. Seine kraftvollen, kühnen und durchaus impressionistischen Landschaften, Stadtlandschaften und Küchenbilder bewegen mich immer wieder. Ihre Fluidität, ihr Leuchten, ihre Wärme erinnern mich an die Fluidität, das Leuchten, die Wärme von New Orleans. 
Ich habe das Glück, einige Longs zu besitzen, und wenn man im Haus meiner Eltern die Treppe hinaufsteigt, nähert man sich einer Impression von Bayou St. John mitten in New Orleans, wo in den Häusern bei Hurrikan Katrina auch tagelang das Wasser stand. Auch Mitchell hat in den Fluten viele seiner Arbeiten, Dokumente und Materialien verloren. Auf Facebook zeigt der Künstler seine jeweils neusten Werke und auf seiner Webseite kann man sie auch kaufen. So berühmt wie Edgar Degas wird Mitchell vielleicht nicht, aber zu New Orleans gehört er für mich mindestens genau so sehr.

Donnerstag, 1. März 2012

Code Napoléon

In einer Szene in Endstation Sehnsucht setzt Stanley mehrmals an, um seiner Frau Stella – die wie ihre Schwester Blanche und wie Tennessee Williams selbst aus dem Nachbarstaat Mississippi stammt – zu erklären, dass hier im Staate Louisiana der Code Napoléon gelte und deshalb das Eigentum seiner Frau auch seines sei.
Das ist tatsächlich eine Besonderheit, die mit der französisch-spanischen Geschichte Louisianas zusammenhängt: Das Rechtssystem beruht auf dem Napoleonischen Code und ähnelt damit wohl kontinental-europäischen Recht, während es in den übrigen USA auf angelsächsischem Recht (Common Law) basiert. Das bedeutet, dass in Louisiana ausgebildete und zugelassene Anwälte in einem anderen Staat nicht praktizieren können und umgekehrt.
Auch wenn man von Juristerei keine Ahnung hat und nie mit dem Gesetz in Konflikt kam, erfährt man so etwas, wenn man in Louisiana lebt, denn es gehört sozusagen zum selbst beschworenen Mythos, mit dem man gern ein wenig hausieren geht. Und somit passt es zu nur zu gut zu dieser ansonsten eher schlicht gestrickten Figur Stanley, dass er damit besserweiß und klugscheißt.
Habe ich eigentlich schon mal erwähnt, dass beim Tennessee Williams Literary Festival immer ein Stanley and Stella Shouting Contest stattfindet? Ein Wettbewerb also, bei dem die berühmte Szene aus dem Film nachgestellt wird, wo Stella oben bei der Nachbarin Zuflucht gefunden hat und Stanley am Fuße der schmiedeeisernen Treppe herzzerreißend „Stellaaaaaa!“ brüllt. Hier Original und Kopie (im Jahre 2011 gewann eine Frau, Elena Passarello).

Endstation Sehnsucht

Dieser Tage, da der französische Film The Artist bei den Oskars abgeräumt hat, habe ich einen anderen Oskar-Überfliegerfilm gesehen: A Streetcar Named Desire - den Film nach Tennessee Williams' Stück, einen Elia-Kazan-Klassiker, der 1951 für zwölf Oskars nominiert war und vier davon (darunter als bester Film) erhielt. Heute für einen solch sperrigen Stoff schwer vorstellbar: Es geht um das nicht Eingestehenkönnen unerfüllter Sehnsüchte, eine Südstaatendame in der modernen Welt der Arbeiterklasse, Alkoholismus, häusliche Gewalt, Vergewaltigung und schließlich das schrille Zerspringen der gläsernen Hauptfigur Blanche.
Blanche ist vor allem darauf bedacht, die Contenance und Fassade zu bewahren, neulich im Berliner Ensemble grotesk-klamaukig, hier von Vivien Leigh etepetete und sehr nervtötend. Ihre Schwester Stella dagegen steht ganz im Leben und zu ihrem Mann Stanley, von dem sie sich nicht die Butter vom Brot nehmen lässt, hier gespielt von Kim Hunter. Der junge Karl Malden ist Blanches gutmütiger Verehrer Mitch.
Doch das wirklich Aufregende an diesem Film ist Stanley Kowalski oder Marlon Brando, der schon einfach so, blutjung, mit knallengem, verschwitzten T-Shirt beeindruckt, aber dann in seiner Darstellung die urige Männlichkeit, von der sich Blanche zugleich angezogen und abgestoßen fühlt, absolut authentisch und umwerfend verkörpert. (Im Internet habe ich gelesen, dass damit das Method Acting berühmt wurde.) Der Film ist in Schwarz-Weiß und wurde im Studio gedreht. New Orleans wird vor allem durch die eiserne, gewundene Treppe und durch die allgegenwärtigen Fensterläden angedeutet. 120 Minuten Filmgeschichte, die einem wirklich nahe gehen.

Endstation Sehnsucht läuft jetzt auch im Wiener Burgtheater, den beiden Rezensenten im Standard und in der Presse zufolge auf mitteleuropäische Temperaturen heruntergekühlt (dort auch noch einmal gute Zusammenfassungen des Inhalts). Schon wegen eines möglichen Wiener Einschlags (?) würde ich es mir gern ansehen... Die nächsten Termine sind 7., 9., 14., 16. und 26. März 2012, 19.30 Uhr. Im Berliner Ensemble, ich berichtete hier, läuft es das nächste Mal am 11. März um 18 Uhr.