Montag, 12. März 2012

Kate Chopin: Das Erwachen

Die Franzosen haben Madame Bovary von Gustave Flaubert, wir haben Effi Briest von Theodor Fontane und die Amerikaner haben Das Erwachen von Kate Chopin: Romane des 19. Jahrhunderts, in denen die gelangweilte Frau des Bürgertums mit ihrer Sehnsucht nach einem Leben in Liebe und Erfüllung thematisiert ist. 
Und doch trennen diese Romane Welten, denn Kate Chopin ist eine Frau. Vielmehr: Sie ist diese Frau des Bürgertums und was für eine! Sie nimmt sich Freiheiten ganz ähnlich derer ihrer Heldin und sie stellt Fragen nicht nur zu Ehe und Liebe. Und so ist denn ihr Roman nicht nach der Hauptfigur Edna Pontellier betitelt, sondern nach dem was ihr geschieht.
Ich las das Buch kurz vor meiner endgültigen Rückkehr aus Louisiana, mit viel Wehmut, denn die versuchte Selbstfindung der Heldin findet in der träumerisch-verführerischen Sommerfrische auf Grand Isle ihren Ausgang und ihr Ende, wo auch ich gern in der Sommer- oder Winterfrische weilte, und spielt auch im entspannten und doch weltläufigen New Orleans des späten 19. Jahrhunderts.
Eigentlich wollte ich mir nur kurz ein Bild von der neuen deutschen Ausgabe machen und wurde doch wieder ganz aufs Neue gefesselt. Das Buch ist gut geschrieben (und übersetzt) und schildert die Suche und Verzweiflung seiner Heldin plastisch und nachvollziehbar, ihren Überdruss an den Pflichten von Ehe, Mutterschaft, Frausein und aber auch ihren Mut und Eigensinn, der – das weiß ich aus einer Biographie von Kate Chopin  – dem der Autorin gleicht. Edna Pontellier sucht keine Liebesbeziehung für ihr Glück, doch es ist die Freundschaft und die (ungelebte) Liebe zu einem jungen Mann, die ihre Lebensgeister weckt und sie sich bewusst werden lässt. Sie erschließt sich neue Welten, indem sie Freundschaften pflegt, sich in Musik vertieft, schwimmen lernt, malt, zu Pferderennen geht, müßig geht und ein eigenes kleines Haus bezieht. Doch wie die anderen Heldinnen scheitert auch sie letztendlich.
Es ist das Problem des "goldenen Käfigs", wie es anderswo heißt, denn eigentlich steht sich Edna nichts aus: Sie ist finanziell abgesichert und lebt in einigem Luxus, und für den Haushalt und die Kinderbetreuung hat sie Personal, das sie anweisen soll.
Eine zweite Dimension des Romans ist die des historischen Dokuments, in dem das Aufeinandertreffen und der Kontrast zwischen einheimischen Französischsprachigen und zugezogenen Amerikanern (wie übrigens Edna auch) beschrieben wird. An einer Stelle heißt es: „Ihre ganze Lebensart mutete Edna sehr französisch, sehr exotisch an.“ Auch diese fremde, französisch geprägte und karibisch angehauchte Lebensart erlaubt es Edna, aus den vorgefertigten Bahnen auszubrechen. Die eingestreuten französischen und louisianischen Ausdrücke signalisieren diese gewisse Fremdheit und sind mehr als Lokalkolorit.
Die kleine editionfünf, ein Zusammenschluss aus vier Frauen und dem Vertriebspartner Edition Nautilus, veröffentlicht seit 2010 jeden Herbst fünf Bücher von Frauen, die die Betreiberinnen selbst gern im Schrank stehen hätten. Kate Chopins Erwachen war der zweite Band der ersten, Aufbruch betitelten Runde. Die (von einem Frauenkollektiv angefertigte) Übersetzung aus dem Jahr 1978 wurde von Karen Nölle und Christine Gräbe bearbeitet und in eine äußerst lesbare Form gebracht. In seiner Gestaltung, dem handlichen Format, dem roten Leineneinband mit leuchtend grüner Banderole ist das Buch ein wahres Schmuckstück. Zum Bestellen!
Kleine Ungenauigkeiten der ersten Fassung sind allerdings unbesehen übernommen worden (bonbon zum Beispiel bedeutet eben nicht Bonbon sondern Praline oder Konfekt). Da es, anders als in den ebenfalls sehr lesenswerten Kurzgeschichtensammlungen Die Seidenstrümpfe und Der Sturm, kein Glossar gibt, habe ich unten stehend eins angefertigt.
Der Roman, wie auch die Kurzgeschichten, erstaunt wegen seiner Kühnheit, die für die Zeit ungewöhnlich und skandalös war. Die Fragen, die Kate Chopin aufwirft, sind auch heute noch lange nicht beantwortet. 


Das kurze Nachwort von Barbara Vinken scheint das Buch übrigens auf die schmerzliche Erkenntnis zu reduzieren, dass Männer anders lieben als Frauen. Aber stimmt das überhaupt? Discuss!

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