Sonntag, 20. Oktober 2013

Tatwort. Die Übersetziade

Hier die Einladung zu unserem Übersetzerwettbewerb:


Es ist so weit! Das Übersetzerstudio, unser monatlicher Workshop für Übersetzungen ins Deutsche, feiert mit Tatwort. Die Übersetziade sein drittes Jahr. Wir treten in die Spuren von Translation Idol. Deutschland sucht den Superübersetzer, dem Übersetzungswettbewerb der Online-Zeitschrift www.no-mans-land.org, wo vor kurzem zum fünften Mal die beste Übersetzung eines Textes gekürt wurde.
Wir meinen: Das können wir auf Deutsch doch auch! Noch dazu in der Weltheimat der Übersetzung und der Hauptstadt der deutschsprachigen Übersetzer.
Die Aufgabe:
Um teilzunehmen, sendet uns Eure Übersetzung des unten stehenden Textauszugs (aus The Cosmopolitan von Donna Stonecipher) per E-Mail als Word- oder rtf-Datei an kontakt[AT]inapfitzner.net. Schreibt uns auch Eure Kontaktdaten und ein paar Informationen über Euch selbst. Einsendeschluss ist der 24. November 2013.
Übersetzt, wie Ihr wollt – frei oder treu, spielerisch oder prägnant, laut oder leise, respektvoll oder egoistisch, im Dialekt, in Denglisch, in Versen, nach Goethen oder Jelinek. Ob Greenhorn oder alter Hase: Probiert Euch aus, ganz ohne Lektor, Verlag oder Vertreter.
Der Entscheid selbst ist am 29. November 2013 in der Privatwirtschaft, Immanuelkirchstraße 21 in Prenzlauer Berg, Beginn: 20 Uhr. Im Idealfall tragt Ihr Eure Übersetzung persönlich vor oder Ihr lasst sie uns in irgendeiner elektronisch zu hörenden Form zukommen, sonst lesen wir sie vor. Danach wird über den Publikumspreis abgestimmt, und außerdem vergibt die Autorin Donna Stonecipher den Autorenpreis. Zu gewinnen gibt es jede Menge Ruhm, Ehre, Spaß und ein paar Preise sowie die Veröffentlichung auf der No-Man's-Land-Webseite.
Der Text:
Zu übersetzen ist ein Prosagedicht aus Donna Stoneciphers preisgekröntem Gedichtband The Cosmopolitan (Coffee House Press 2008, National Poetry Award), laut Rückentext: „Ornate miniature travelogues full of adventure and philosophical intrigue.“ Alle Gedichte enthalten ein „inlay“ in Form eines Zitats (in diesem Fall von Lenin, bei Elfriede Jelinek aufgestöbert).
Donna Stonecipher ist auch Autorin von Souvenir de Constantinople (2007) und The Reservoir (2002). Sie lebt in Berlin.
Über die vorhergehenden Translation Idol-Wettbewerbe lest Ihr hier: http://www.no-mans-land.org/ sowie im Blog von Katy Derbyshire http://lovegermanbooks.blogspot.de/



Donna Stonecipher

Inlay 22 (Elfriede Jelinek, by way of Lenin)

            1.
            In Cologne we bought cologne. In Morocco we bought morocco. In Kashmir we bought cashmere. Then, our suitcases stuffed, we flew back home to New York City, where we drank manhattan after manhattan until ill-advisedly late into the evening.

            2.
            “I’m an anarchist,” said the poet. “You’re spoiled,” said his girlfriend. A line of people in masks paraded by. And then the lights dimmed, and the one true anarchist was suddenly spot-lit in the crowd: a little girl with an ice cream sandwich melting in her bag.

            3.
            The beautiful people wanted to go only to places where there were other beautiful people, in cafés and restaurants and bars, and puffed nervously on their cigarettes when the number of ugly people shown to tables seemed to be reaching critical mass.
           
4.
            You like to be told what to do. You like to be shown to your plug and to glow in it like a nightlight. You like to be clued in, strapped on, knuckled under. You like to be held down and liquored up. You like to be scooped out, bowled over, seen through.


“Trust is fine, but control is better”


            5.
            Forking over our dollars, we hatched a grand plan for the overlapping economy: Let the French take care of the perfumes; the Dutch of the tulips; and the Italians of the leather shoes. Each would be a department in the department store in the Great Mall.

            6.
            She wrote, I want to be seen through. He wrote, But you are deliberately opaque. She wrote, I want people to want to work hard to see through my (really quite superficial) opacity. He wrote nothing back. She waited, but he wrote nothing back.

7.
            You like to go from room to room drowning yourself in dahlias. You like to stand in a crowd and implode and implode till all your individuality melts. You like to be underneath, on top, afloat. But it thrills you to hear your name in a stranger’s mouth.

8.
            Was it good or bad when the foreigner was said to be “more French than the French”? She of the huge hats and humble origins was “more bourgeois than the bourgeois.” And the cosmopolitan was more cosmopolitan than the cosmos itself.

            9.
            We bought china in China. We bought tangerines in Tangier. You bought turquoise in Turkey, and I bought an afghan in Afghanistan. I bought india ink in India, and you bought an indiaman in India. But nowhere did we relinquish any little bit of ourselves.



Montag, 14. Oktober 2013

Das seltsame Leben des Benjamin Button (The Curious Case of Benjamin Button)

Ich habe den Film zu Recherchezwecken gesehen: Es geht um Benjamin Button, der als winziger alter Mann geboren wird und im Laufe seines Lebens immer jünger wird. Hier ein paar andere Gründe, warum man sich den Film ansehen könnte.

1. New Orleans
Der Film spielt, das hat mich überrascht, zu großen Teilen in New Orleans. Auch die Filmemacher sollen überrascht gewesen sein, die sich wegen der Steuer- und anderer Begünstigungen entschieden hatten, dort zu drehen -- darüber, wie gut alles zu erreichen ist usw. Auch die Rahmenhandlung, in der die große Liebe von Benjamin Button als alte Frau in einem Krankenhaus stirbt, während Hurrikan Katrina herannaht, fügt sich ganz gut in die Geschichte. Zu sehen gibt es: natürlich die Bäume und die louisianische Landschaft, majestätische Häuser auch in Innenansichten, Blicke auf den Lake Pontchartrain, meist bei Sonnenuntergang, Straßenszenen aus dem French Quarter, immer wieder die Straßenbahn auf der St. Charles Avenue, einmal fahren Cate Blanchett und Brad Pitt auch ganz verliebt damit, ein Spielplatz an der Napoleon Avenue und Magazine Street, wo ich gleich um die Ecke gewohnt habe und die bizarren Südstaatenakzente der Schauspieler (wobei viele den von Brad Pitt sehr liebenswürdig finden, aber die finden bestimmt alles an Brad Pitt liebenswürdig).
In Russland beginnt Brad Pitt eine Affäre mit Tilda Swinton, Frau eines britischen Diplomaten oder Geschäftsmannes. 
Als sie ihn fragt, wo er herkomme, sagt er: „New Orleans. Louisiana.“ 
Und sie: „I didn’t know there was another.“ 
Indeed!

2. Francis Scott Fitzgerald
Falls man schon immer mal eine Geschichte von ihm lesen wollte und es nicht geklappt hat, wäre das ein Einstieg. Allerdings unterscheidet sich die Vorlage, die ich noch nicht kenne, sehr vom Film, bis auf den Titel und die generelle Idee. Wie ich Fitzgerald kenne, ist seine Kurzgeschichte sicherlich wesentlich lakonischer und weniger sentimental. Fitzgerald selbst stammte aus Minnesota und lebte im Januar 1920 für ein paar Wochen in New Orleans, in der 2900 Prytania Street. (Seine Geschichte spielt 1860 in Neuengland.) Von dort aus besucht er seine zukünftige Frau Zelda Sayre, später Fitzgerald, die nicht nur viele seiner Werke inspirierte, sondern selbst tolle Kurzgeschichten schrieb (manche sagen, er hätte bei ihr abgeschrieben). Sie war eine richtige Southern Belle aus Alabama nur zwei Bundesstaaten weiter und war bestimmt mal in New Orleans. 

3. Die Handlung
Im Film hat alles ein bisschen Märchencharakter. Es beginnt damit, dass ein Uhrmacher in New Orleans nach dem 1. Weltkrieg 1918 eine Uhr baut, die rückwärts geht, in der Hoffnung, dass sein im Krieg gefallener Sohn und andere wieder zurückkommen. Das hat mit der eigentlichen Filmhandlung wenig zu tun. Der daraufhin als winziger alter Mann geborene Benjamin wird von seinem leiblichen Vater ausgesetzt und von der schwarzen Betreiberin eines Altersheims und ihrem Lebensgefährten aufgenommen. Manche der schnellen Handlungswechsel und die warmen und bunten Farben haben mich ein bisschen an den Film Amélie erinnert. Ansonsten ist der Film vor allem eine Liebesgeschichte, natürlich einer großen Liebe, die das ganze Leben andauert, aber eben nicht so sein kann. Wenn man „große Gefühle“ nicht scheut und gern mal ein bisschen weint, ist das sehr schön.

4. Die Schauspieler
Cate Blanchett – hat einfach immer Klasse. Brad Pitt – sieht nett aus und ist nett. Tilda Swinton – wie immer ungewöhnlich. Im Film hat sie übrigens ein besonderes Hobby: Langstreckenschwimmen. Mir gefielen auch die Darsteller der Ersatzeltern von Benjamin: Taraji P. Henson und Mahershalalhashbaz Ali.

5. Die Musik...
war auch ganz schön.

Ein Grund, den Film nicht zu sehen, ist sicherlich die Länge, knapp 160 Minuten. 
Ansonsten gar nicht schlecht.

Donnerstag, 3. Oktober 2013

David Bowie und New Orleans


Der Londoner Independent hat gestern eine Liste von David Bowies hundert Lieblingsbüchern veröffentlicht. Erstaunlich, nicht nur weil man bei nicht allen Popstars davon ausgehen kann, dass sie lesen, sondern auch, weil er mehr als hundert gelesen hat und einige davon richtig anspruchsvoll, auch theoretisch, sind! Noch dazu sagt Bowie, wenn er nicht Musiker geworden wäre, dann wäre er Schriftsteller geworden, und er verstehe seine Lieder als kleine Romane. Die Liste wurde von seinem Kurator für eine Ausstellung mit dem Titel David Bowie Is zusammengestellt, die vom Victoria and Albert Museum in London jetzt nach Kanada in die Art Gallery of Ontario in Toronto gewandert ist, wo sie bis zum 27. November 2013 zu sehen ist. Auch die Münchener Abendzeitung berichtete darüber. Als er jung war, soll Bowie immer mit demonstrativ herumgetragenen Büchern in der U-Bahn angegeben haben, und bei Dreharbeiten in der Wüste hatte er eine ganze Truhe voller Bücher mit. Ob er jetzt E-Bücher liest, ist nicht erwähnt, aber angeben konnte man damit wirklich nur ganz kurz vor ein paar Jahren, als sie noch neu waren, finde ich.
Auf der Liste finden sich die Klassiker wie Camus’ Der Fremde oder George Orwells’ 1984, aber auch Überraschungen wie Christa Wolfs Nachdenken über Christa T. oder Alfred Döblins Berlin Alexanderplatz. Auch auf der Liste sind einige Bücher oder Autoren, die ich hier schon rezensiert habe: On the Road von Jack Kerouac und Kaltblütig von Truman Capote, aber auch African American Studies-Klassiker wie Richard Wrights Autobiografie Black Boy und Nella Larsons Passing (auf Deutsch unter dem Titel Seitenwechsel), über ihr ganz persönliches Thema einer Mulattin, die als weiß „durchgeht“. Außerdem sind einige von meinen Lieblingsbüchern dabei, zum Beispiel Room at the Top  (Der Weg nach oben) von dem Angry Young Man John Braine.
Überrascht hat mich aber vor allem John Kennedy Tooles Confederacy of Dunces (Die Verschwörung der Idioten), das Bowie Anfang der 2000er Jahre gelesen hat, vielleicht ja in Vorbereitung auf ein Konzert in New Orleans? Auf mehreren Touren ist er dort aufgetreten, und man findet im Internet die Setlisten für die Konzerte am 30. April 2004 im Saenger Performing Arts Theater an der Canal Street (hier) und am 6. Oktober 1987 im Louisiana Superdome (hier). Bowies Titel Time ist wohl 1974 während eines Tourneestops in New Orleans entstanden. 
Übrigens war das wunderschöne Saenger, wo ich vor langer Zeit mal den Fiedler auf dem Dach gesehen habe, seit Hurrikan Katrina geschlossen. Heute wird es mit einer Gala eröffnet und noch im Oktober kommen Garrison Keillor mit dem Prairie Home Companion, Wynton Marsalis und Orchester, Diana Ross usw. Für die folgenden Monate sind auch der Satiriker Bill Maher und der Musiker Dave Matthews angekündigt. Und wer weiß, vielleicht schaut David Bowie jetzt auch mal wieder vorbei.