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Samstag, 22. Februar 2014

Vom Schreiben und Zugfahren


Dieser Tage habe ich Das Wagnis, die Welt in Worte zu fassen zu Ende gelesen, das Skript einer dreiteiligen Vortragsserie der Schriftstellerin Eudora Welty an der Harvard University. Der englische Titel One Writer’s Beginnings drückt besser aus, worum es geht: um ihre kurzweilige Kindheitsgeschichte, die Herkunft der Eltern und ihre Reifung zur Schriftstellerin. Eudora Welty (1909-2001) ist vor allem für ihre Kurzgeschichten und den Pulitzer Prize-prämierten Kurzroman The Optimist’s Daughter bekannt, war allerdings auch eine begabte Photographin (das Ogden Museum of Southern Art in New Orleans hatte letztes Jahr eine Ausstellung mit Podiumsdiskussion dazu). 
Den größten Teil ihres Lebens verbrachte sie in ihrem Elternhaus in Jackson, Mississippi, der Hauptstadt des Bundesstaats, die ich als selten hässliche Stadt in Erinnerung habe. Diesen Essay über ihren schriftstellerischen Ursprung endet sie mit den Worten: „Wie sie gesehen haben, bin ich eine Schriftstellerin, die einem behüteten Leben entstammt. Auch ein behütetes Leben kann abenteuerlich sein. Denn jedes echte Wagnis geht von innen aus.“ (In der leichtfüßigen Übersetzung von Karen Nölle in der Edition Fünf von 2011.) Der letzte Satz ist zum geflügelten Wort geworden, und im Original klingt er noch etwas wagehalsiger: „All serious daring starts from within“. 
The Optimist’s Daughter spielt zum Teil in einem Krankenhaus in New Orleans, und auch die Kurzgeschichte „No place for you, my love“ von 1952, über die sie berichtet, spielt in der Stadt. Sie zitiert auch eine Passage aus The Optimist’s Daughter, in der die Hauptfigur von einer Zugfahrt von Chicago nach Mississippi träumt und schreibt über eigene Zugfahrten, die sie von Jackson nach New York unternahm, um ihre Kurzgeschichten dort vorzustellen. Von Meridian, Mississippi, fuhr ein Zug für 17,50 Dollar von New Orleans kommend nach New York, zwei Nächte und drei Tage.
Dieser Zug fährt auch heute noch täglich, the Crescent, der 30 Stunden unterwegs ist. Ich bin damit schon mal nach Tuscaloosa, Alabama, gefahren, was wegen Überschwemmungen 8 oder 10 statt 6 Stunden dauerte. Es gibt auch noch den Sunset Limited von New Orleans nach Los Angeles über Texas, New Mexico und Arizona, der dreimal die Woche verkehrt und 48 Stunden unterwegs ist. Der berühmteste aber ist der City of New Orleans nach Chicago über Memphis, Tennessee. Er fährt täglich, die Fahrt dauert 19 Stunden, und es gibt mehrere Lieder gleichen Titels, eins davon in der Interpretation von Arlo Guthrie.
Die Eisenbahn, Amtrak, ist im Autofahrerland USA nicht besonders ausgebaut, sondern verkehrt nur auf großen, wichtigen Überlandstrecken oder auch als commuter trains, Pendlerzüge, in den Ballungsgebieten an der Ost- und Westküste. Dabei ist Eisenbahnfahren in den USA ein echtes Erlebnis: diese hohen, wuchtigen, schweren Wagen, in die man über ein Treppchen steigt, das einem der Schaffner bereitstellt, die Geräumigkeit und Stille und Kühle in den Waggons, und natürlich die wilden amerikanischen Landschaften, die man am besten aus dem Panoramawaggon gemächlich vorbeiziehen sieht, nix da mit unangenehmen ICE- oder gar TGV-Geschwindigkeiten.
Gerade heute habe ich gelesen, dass Amtrak bald „writer’s residencies“ an Bord einiger Züge anbieten wird, wo Schriftsteller umsonst über Land fahren dürfen und schreiben. (Hier.) Ich finde das eine tolle Idee. Und irgendwie denke ich mir, Eudora Welty hätte das auch gut gefunden.

Mittwoch, 12. Juni 2013

Rerun: Dear Universe


This is an entry I wrote on a sunny, louvered porch in Donaldsonville, Louisiana, last fall.

Tuesday, 18 September 2012
Dear Universe,

You’re probably wondering why my ecological footprint has exploded over the past two weeks, why I’m trampling the environment with gigantic shoes. The answer is simple: I’m in the USA. And because I’m just visiting, I can’t arrange things the way I’d like them.
First, the transportation: airplanes brought me and my baggage here, more than 8,200 kilometers (some 5,100 miles), and hopefully they’ll bring me back the more than 8,500 kilometers (some 5,300 miles) in one piece. In the process, they release incredible amounts of emissions directly into the vulnerable sky. Fortunately I do this very rarely, and the next time I get paid, I’ll make a donation and ask for atonement. 
Then I’ve got a little rental car, which I don’t use every day, since I’m spending time staying with lots of nice people, but it is covering a considerable distance (around 1,000 miles so far). Unfortunately this is essential, because otherwise I’d be dependent on other people chauffeuring me around to an extent that perhaps famous writers could reckon with. And while I’m here I can’t be so strict about my vegetarian diet, and so the airplanes will have a heavier load to take back, and countless animals, above all cows, will have died for my sake, of course not without previously releasing large quantities of methane into the atmosphere. (Forgoing meat and milk products, I recently heard in an episode of Freakonomics on NPR, hereis the surest way to eat an environmentally friendly diet. Unfortunately, this show doesn’t run on NPR Berlin.)
And then the trash: all the disposable cups and silverware and packaging used on the flight alone, even though it supposedly gets recycled! Here all the coffee shops serve everything with paper cups, plates and bags, and when I ask for tap water, I’m given it in a thin, transparent cup that tastes obnoxiously of plastic the very second time you use it. At least I do without the straws now.
Then there’s the air conditioning, always running and usually much too cold for me. At a reading in the Baton Rouge Gallery on Sunday it was set at 71° Fahrenheit, when it was about 96° outside! Now I’m sitting completely un-air conditioned on a screened-in veranda, and after just a few days in Louisiana I feel that I have a sort of fresh glow. Not because of the air conditioning, but despite it…
I admit that there’s also a certain clandestine attraction to living as carelessly and excessively as most Americans. But in just a week, dear Universe, I’ll be good again, saving and recycling, riding my bike, walking, running to the train and riding it and letting countless animals live. See you then!
Translated by Isabel Cole

Mittwoch, 14. November 2012

Reisen + Freizeit

Die Zeitschrift Travel + Leisure hat New Orleans in diesem Jahr zur "Besten Stadt Amerikas" (America's Best City) gekürt. Die Stadt rangierte in mehr als der Hälfte der Kategorien unter den ersten fünf. Dazu gehören die "zivilisierten" Vergnügungen wie gepflegtes Essen, Architektur und Antiquitäten, wie auch die "ausgelassenen" Pläsierchen wie Musik und illustre Leute beobachten. Wie es eine Leserin der Zeitschrift bemerkte: New Orleans ist der Inbegriff von Seele: starke Menschen und gutes Essen gemischt mit leidenschaftlichen Melodien. ("New Orleans is the epitome of soul: strong people and satisfying food mixed with passion-fueled tunes.") 
Komischerweise zählen die New Orleanser laut dieser Umfrage nicht zu den attraktivsten Bewohnern der USA (während San Juan, Puerto Rico, gar nicht schlecht wegkam. Dabei gibt es in New Orleans auch viele Puertorikaner). Hier kann man übrigens verschiedene Städte der USA ihrer Beliebtheit nach vergleichen.

Dienstag, 25. September 2012

Erntemond

Die Zeit vergeht wie im Fluge, außer natürlich während des Fluges, vor allem über den Atlantik, endlose Minuten und Stunden, wo die Beine zu lang sind und der Kopf zu schwer und umgekehrt, wo man zu müde ist, um zu lesen oder einen Film zu sehen, und zu wach, um zu schlafen, und wo das Tablett mit der willkommenen und längst aufgegessenen Abwechslung, wie es scheint, stundenlang nicht weggeräumt wird.
Mittwoch vor einer Woche war ich beim Harvest the Music-Fest auf dem Lafayette Square gleich vor dem Bundesgerichtsgebäude. Es spielten die Iguanas (siehe auch hier). Das Volk stand herum und redete und die Kinder kletterten auf einer Skulptur herum. Speisen und Getränke gab es auf Marken an Ständen, aber es wurde auch Schmuck und anderes verkauft. Neben der Bühne tanzten junge Elfen mit blinkenden Hulahup-Reifen. Es war ein Sommerabend, wie wir ihn in Berlin den ganzen Sommer nicht hatten, die Iguanas spielten, es wurde dunkel, und die Welt war ganz in Ordnung. Ich hatte mich gleich in ein T-Shirt verguckt und habe es nach langem Zögern doch gekauft.
Morgen ist wieder Harvest the Music auf dem Lafayette Square. Es spielt Dr. John. Ich werde nicht da sein, aber meine Freunde werden an mich denken und auf mich anstoßen. Aber so ein November in Berlin im September hat doch auch seinen Reiz?
Am 30. ist hier wieder Vollmond, schon am 29. in New Orleans - dort ist es der sogenannte Harvest Moon, Erntemond. Hier ist der vom letzten Jahr (am Lake Pontchartrain, mit Grillenzirpen im Hintergrund).
Das T-Shirt mit Kofferknitterung.

Mittwoch, 12. September 2012

In Missouri

Wenn man wissen möchte, was mit „middle America“ gemeint ist, sollte man unbedingt nach Missouri reisen. Nach St. Louis oder wie ich nach Branson, wo vor allem das „middle America“ im Rentenalter hinfährt, in den Ozarks, einem Mittelgebirge im Südwesten von Missouri, gelegen. Man fährt nach Branson, um sich für unerhört hohe Eintrittspreise irgendwelche „Shows“ anzusehen, Schnulzensänger, Komiker, chinesische Akrobaten, die alle ihre eigenen Theater haben. Ich habe auch Werbung gesehen für „Southern Gospel“, fünf weiße Männer in Anzügen, für zwölf Tenöre aus Kentucky, auch für Cajun-Bands. Entlang der hügeligen Straßen reiht sich Kettenrestaurant an Kettenhotel und Theater an Rummelattraktion. Einen Damm mit einem künstlichen See gibt es auch, den Table Rock Lake, den das US Army Corps of Engineers betreibt und wo es sich in einem Besucherzentrum erklärt. Branson ist ein Urlaubsort, wo das Künstliche gefeiert wird.
Wir haben uns wieder einmal das klassische Freilufttheaterstück „Shepherd of the Hills“ (Schäfer der Berge) angesehen, das vor 100 Jahren in den Ozarks spielt. Am Anfang wird die Nationalhymne gespielt und die Reiter laufen mit Pferden und Fahnen eine Choreographie ab, während alle aufstehen und die Hand aufs Herz legen. Dann werden die Veteranen gebeten aufzustehen. Es wird noch ein wenig herumgescherzt, mit uns wenigen Besuchern an einem Montag im September, und dann fängt es ganz einfach und nahtlos irgendwie an. Es geht um böse Banditen, die alle terrorisieren, ein schönes Mädchen, das mehrere Männer begehren, um Liebe, Tod, Vergebung und Rache. Es geht einigermaßen glimpflich aus, aber vorher wird herumgeballert und geschrieen, getanzt und darüber philosophiert, was eine Lady ausmacht. Eine wichtige Rolle spielen die Pferde, mit denen man auf die Bühne gefegt kommt, als Reiter oder in einer Kutsche, oder die Maultiere, die mit den Pferden am Rand herumstehen, und vor allem auch die kleine Schafherde, die an einer Stelle mit Karacho von links nach rechts über die Spielfläche jagt. Eine Hütte wird auch in Brand gesetzt. Das alles ist so spannend, dass man kaum bemerkt, wie es dunkel geworden ist und die Sterne am klaren Himmel funkeln.

Nur um dieses Stück ein zweites Mal zu sehen, bin ich natürlich nicht nach Branson gefahren. Ungefähr zehn Meilen nördlich der Stadt befindet sich das Bonniebrook-Museumshaus für die Künstlerin Rose O’Neill, die dort mit ihren Eltern und Geschwistern, zeitweise auch mit Ehemännern und Künstlerfreunden bis 1944 lebte. Etwas versteckt in den dichten Laubwäldern der Ozarks liegt das Haus an einem Bach, den sie Bonniebrook nannte. Rose O’Neill ist die Erfinderin und Schöpferin der „Kewpie Dolls“, die in der ersten Hälfte des Jahrhunderts ein Renner waren, als Puppen, als Illustrationen, als Comic, auf Tellern usw. Nur wegen der „hässlichen Puppen“, wie sie mein Onkel etwas nonchalant bezeichnete, muss man natürlich nicht dorthin fahren. Doch mit ihren Kewpies traf Rose O’Neill den Geschmack der Zeit, konnte ihre eigene finanzielle Unabhängigkeit sichern und über Jahrzehnte hinweg für ihre gesamte Familie sorgen. Ursprünglich aus Omaha, Nebraska, zog sie nach New York, studierte in Paris und unterhielt neben anderen ein Haus auf Capri. Sie war eine gefragte Illustratorin für den Cosmopolitan und viele andere Zeitschriften, schuf auch Bilder mit weiblichen Sagengestalten, im Jugendstil, ebenso wie Skulpturen. Sie war nicht nur eine unabhängige Frau, die sich in ihrer Kleidung nicht dem Modediktat unterwerfen wollte und frei schaffen wollte, sie setzte sich auch mit ihrer Arbeit massiv für das Frauenwahlrecht ein. Salons unterhielt sie auch. Und dann ist das Haus einfach wunderschön (wenn auch, nachdem es 1947 abgebrannt war, erst in den 1990er Jahren wieder aufgebaut), mit vielen Fenstern und tiefen Erkerfenstern an eingebauten Sitzbänken zum Lesen, einer großen, lichten Küche, und vielen vielen (Schlaf-)zimmern für Familie und Gäste, insgesamt 14. Beeindruckend ist ihr Studio ganz unter dem Dach, große Fenster unter großen Bäumen, mehrere Balkone, eine einladende Liege für kreative Nickerchen. Die Bonniebrook Historical Society wurde von einem älteren Herrn aus Arkansas vertreten, der uns herumführte und schnell außer Atem geriet, und von einer distinguierten Dame aus Connecticut, die die Kasse und den Empfang bediente. Nicht zu vergessen die kleine getigerte Katze „Bonnie“, die uns auf dem Rundgang begleitete.
Am Wochenende des 21. und 22. September gibt es in Bonniebrook das Third Annual Faerie Gathering and Sweet Monsters Ball (am Freitag Kostümball mit Preis für das beste Kostüm; am Sonnabend kommen verschiedene Künstler und es werden wohl wieder winzige Feenhäuschen gebaut werden). Nur für den Fall, dass es jemanden in die Gegend verschlagen sollte...

Mittwoch, 5. September 2012

Auf Reisen


Ich reise gern. Weniger spektakulärer Landschaften oder Berg- oder Strandwanderungen wegen, sondern weil ich auf fremde Länder und Leute neugierig bin. Wenn ich allein reise, kann ich ganz anonym sein, nur Augen und gelegentlich Mund, muss nichts leisten oder beweisen oder irgendwie sein: BIN einfach. Das mag ich.
Das versüßt auch die beschwerliche Reise in die USA (16-17 Stunden) ein wenig. Doch weil es meine zweite Heimat ist, ist es nicht irgendeine Reise. Ich war jetzt seit drei Jahren nicht dort und nach so langer Zeit frage ich mich, ob mir das Geld und die kleinen Dinge des Alltags wieder vertraut sein werden. Mich nerven die Einreiseformalitäten noch viel mehr als sonst (die wollen gar nicht, dass man sie besucht!), und ich habe zum ersten Mal wirklich Angst vor der Kriminalität, vor allem in New Orleans.
Was ich aber völlig vergessen hatte ist der veränderte Bewusstseinszustand vor der Reise, wo ich gedanklich und emotional nicht mehr hier, aber natürlich auch noch nicht angekommen bin. Eine Art Trance, so etwas wie umgekehrtes Jet Lag; früher hatte ich das vor den Reisen zurück nach Berlin. Dieses Mal hat es besonders zeitig eingesetzt, wohl weil ich mich so intensiv mit Hurrikan Isaac beschäftigt habe.
Morgen in aller Frühe fliege ich los. Die große Rezension der großen Lillian-Hellman-Biografie wird warten müssen. Es wird erst einmal ruhig werden hier im Blog, denn ich werde auftanken. Auch das mag ich am Reisen: Dass die Zeit stehen bleibt, das Leben für einen Moment angehalten wird. In diesem Sinne: Bis danach, mit Klarheit und wieder ganz hier!