Montag, 31. Oktober 2011

Tipitina

Tipitina war der Name der ersten Katze, die ich je betreut habe. Sie gehörte dem Schriftsteller Andrei Codrescu, der für seine Romane, Gedichte, Essays, Radiofeuilletons über New Orleans bekannt ist, oder vielmehr gehörte sie seiner Frau Laura Rosenthal. Tipi, so ihr Spitzname, war groß, schwarz und immer hungrig. Wahrscheinlich wolle sie meine Loyalität testen, meinte Andrei damals. Dabei ist doch Loyalität mein zweiter Vorname („my middle name“), wie man in Amerika sagt! Meine eigene schwarze Katze aus Louisiana lebt seit 11 Jahren bei mir, und sie testet mich auch immer noch.
„Tipitina“ heißt aber vor allem ein bekanntes Musikstück der New Orleanser Legende Professor Longhair (1918-1980), das inzwischen unzählige Male aufgenommen wurde (so auch von Hugh Laurie). Für den Folkloristen Nick Spitzer, u.a. Moderator der Radiosendung American Routes (die NPR Berlin leider nicht ausstrahlt), vereint „Tipitina“ mehr von New Orleans in sich, als man in vielen Worten sagen könnte: klassische Musik, alte Hochkultur, französische, spanische, angloamerikanische Elemente, Côtillion-Musik, Ballmusik, Parlormusik, Soul, R & B und Jazz. Ihm, und auch mir, gefällt besonders die Version des großen Allen Toussaint.
Tipitina’s heißt auch ein unscheinbarer, aber famoser Musikklub an der Ecke Napoleon Avenue und Tchoupitoulas Street, ungefähr zwei Minuten von meiner letzten Wohnung entfernt. Von der Eröffnung 1977 bis zu seinem Tod soll Professor Longhair dort häufig gespielt haben. Innen gibt es eine kleine Bühne und einen ersten Rang, und alles, was in New Orleans etwas auf sich hält, tritt dort auf. Jeden zweiten Sonntag ab halb sechs ist dort Cajun Fais Do Do, d.h. live Cajun-Musik, zu der man die traditionellen louisianischen Tänze vom Lande tanzt (Und das macht Spaß!!).
Die Tipitina’s Foundation (Stiftung) ist seit dem Hurrikan Katrina besonders aktiv, um betroffene Musiker zu unterstützen, die häufig in den überschwemmten Gebieten lebten und alles verloren hatten. Fats Domino soll die Erlöse seiner letzten Platte gespendet haben, und der Schauspieler und Satiriker Harry Shearer hat in einer Quizsendung 50.000 Dollar für die Stiftung gewonnen.
Manche Leute haben noch einen Koffer irgendwo stehen. Ich hatte lange nach meiner Rückkehr noch eine schöne (rund 300 Dollar werte) Gitarre in Louisiana. Bei meinem vorletzten Besuch 2007 habe ich sie der Tipitina's Foundation vermacht. Und wer weiß, vielleicht ist sie ja inzwischen schon mal im Tipitina’s aufgetreten?

Freitag, 28. Oktober 2011

Lyrik in Louisiana

Letzte Woche sprach ich mit der (großartigen, in Berlin lebenden) Lyrikerin Donna Stonecipher darüber, dass New Orleans zwar immer eine große Inspiration für die Prosa war und ist, ich aber keine ganz große und bekannte Poesie kenne. Das sei typisch für den Süden generell, meinte sie.
Just da erhielt doch am 21. Oktober 2011 der Lyriker Yusef Komunyakaa in New York den mit 100.000 Dollar dotierten Wallace Stevens Award. Komunyakaa (geboren 1947) wuchs in Bogalusa, rund 120 Kilometer nördlich von New Orleans, auf und diente im Vietnam-Krieg. Seine Poesie gilt als eine der besten über Vietnam; er verarbeitete aber auch Themen der Bürgerrechtsbewegung, Afrika und hat mit Jazzlyrik experimentiert. Geprägt durch seine Zeit als Lehrer, Professor und Lyriker in der Stadt, gilt er zumeist als New Orleanser Lyriker. Derzeit ist er Professor für Kreatives Schreiben an der New York University. Jetzt habe auch ich endlich einige seiner Gedichte gelesen; eines davon will ich gleich nächste Woche mit meinen Studenten besprechen. Hier eine Hörprobe.
Am Sonnabend, den 29. Oktober findet das Louisiana Book Festival in Baton Rouge statt, mit unzähligen Lesungen und Workshops über den Tag und die Stadt verteilt. Teilnehmen werden auch Lyriker aus dem ganzen Bundesstaat, darunter auch Poet Laureate Julie Kane (die für mehrere Jahre offiziell ernannte Staatsdichterin, die das Bewusstsein für die Lyrik erhöhen soll. Gibt es auch auf nationaler Ebene und ist dem Hofdichter in England nachempfunden). Beim Festival wird auch der Louisiana Writer Award verliehen, dieses Mal an den Romanautor James Wilcox; 2007 hatte ihn Yusef Komunyakaa erhalten.
Jetzt auch in Louisiana und an der Louisiana State University sehr aktiv ist die Lyrikerin Laura Mullen, ursprünglich aus Los Angeles. Über New Orleans und die Lyrik bald mehr.

Mittwoch, 26. Oktober 2011

James Lee Burke in eigenen Worten

James Lee Burke (geboren 1936) lebt in New Iberia, Louisiana, und Missoula, Montana: New Iberia ist warm, feucht, üppig, überwuchernd und Montana (so entnehme ich es seinen Geschichten und so stelle ich es mir vor) ist weit, trocken, karg, einsam. Nach Hurrikan Katrina sprach James Lee Burke in seinen Büchern, Artikeln und Interviews über die Ausnutzung und mangelnde Hilfeleistung für New Orleans und die Region. Hier einige Zitate; die Übersetzungen sind unautorisiert und von mir, die genauen Quellen stehen unten.

„New Orleans ist keine Stadt. Es ist ein petrarkisches Sonett. Es gibt auf unserem Planeten keine andere Stadt wie diese. Ich glaube, es ist von Südamerika abgesägt und von Passatwinden über die Karibik geblasen worden, wo es sich an den südlichen Rand der Vereinigten Staaten geheftet hat.“ (1)


„Eigentlich hat ein Hurrikan einen Anfang und ein Ende. Er reißt die Erde auf, erfüllt die Luft mit fliegenden Bäumen und Ziegeln und Tieren und manchmal sogar Menschen, man rollt sich unter dem Tisch zusammen und betet, bis man Bluttropfen auf der Stirn hat, dann hört es auf und man kann hinterher aufräumen, so als hätte jemand der ganzen Stadt einen bösen Streich gespielt. Aber dieser hier funktionierte nicht so. Er tötet allmählich.“ (2)

„Es ist nicht einfach nur eine regionale Geschichte, sondern es hat mit der Nutzung und Ausbeutung der Naturressourcen zu tun, der Geschichte der petrochemischen Industrie, der tief verankerten Trennung der Rassen—all dem, was auch auf nationaler Ebene passiert.“ (3)

„Die Barriere-Inseln vor der Küste Louisianas sind schon lange von der Erosion abgetragen oder weggebaggert und auf Kähne gehäuft und als Parkplatzschotter verkauft worden. Die petrochemischen Betriebe haben ungefähr sechzehntausend Kilometer Kanäle durch die Feuchtgebiete gezogen, wodurch Salzwasser eindringt, das die Süßwassermarschen von Plaquemines Parish bis Sabine Pass vergiftet und absterben lässt. Die Deiche des Mississippi River schleudern Hunderte Tonnen Schlamm über den Rand des Kontinentalschelfs, so dass er nicht nach Westen an der Küste entlang fließt, wo er am meisten gebraucht wird. Louisianas Feuchtgebiete verschwinden mit einer Geschwindigkeit von einhundertzweiundzwanzig Quadratkilometern pro Jahr.“ (4)

„New Orleans wurde systematisch zerstört, und diese Zerstörung begann Anfang der achtziger Jahre mit der bewussten Halbierung der Bundesfinanzierung für die Stadt und der gleichzeitigen Einführung von Crack in die Sozialwohnsiedlungen. Für die unterlassene Reparatur der Dämme vor Katrina und dafür, dass Zehntausende ihrem Schicksal überlassen wurden, gibt es Gründe, die andere klären sollen. Doch in meinen Augen bleibt es eine unumstößliche Tatsache, dass wir gesehen haben, wie eine amerikanische Stadt am südlichen Rand der Vereinigten Staaten zu Bagdad wurde. Sollte es das, was in New Orleans passiert ist, in unserer Geschichte schon einmal gegeben haben, dann ist mir das entgangen.“ (5)

„Die Technik kann alles. Kann San Fran vor einem Erdbeben gerettet werden? Oder Los Angeles? Oder NYC vor einem weiteren Terroranschlag? Es hat den Anschein, dass man nur New Orleans rot durchstreichen will.“ (6)

(1) Burke, James Lee: „The City of Saints and Sancho Panza.“ Los Angeles Times. 18. September 2005. http://www.jamesleeburke.com/content/5 Abgerufen 12.1.2008 16:03.
(2) Burke, James Lee: „Jesus Out to Sea.“ Jesus Out to Sea. New York, 2007. S. 235
(3) Baker, Jeff: „From Montana’s Heartland: Redemption for New Orleans.“ Interview mit James Lee Burke. The Oregonian. 26. August 2007. www.oregonlive.com Abgerufen 28.8.2007 14:53.
(4) Burke, James Lee: The Tin Roof Blowdown. A Dave Robicheaux Novel. New York, 2007. S. 28.  
(5) Ibid., S. 369.
(6) Hood, John: „Hard Livin’ in the Big Easy. Two Years After Katrina, James Lee Burke
Doubles Up.“ The Miami Sun Post. http://miamisunpost.com/0823bound.htm Abgerufen 12.1.2008 16:05.

Dienstag, 25. Oktober 2011

Mord in Louisiana

So hieß zum Glück dieses Mal nur ein Film, der gestern Abend im Zweiten Deutschen Fernsehen lief, eine französisch-amerikanische Koproduktion, die zuerst 2009 auf der Berlinale gezeigt wurde und dann als DVD auf Deutsch erschien. Es ist die Verfilmung der Romanvorlage In the Electric Mist (etwa „Im elektrischen Dunst“, 1993) von James Lee Burke, die mit einigen Verweisen auf den Hurrikan Katrina aktualisiert wurde. Um den Held des Films, den gerechtigkeitssuchenden, müden Cajun-Detektiv Dave Robichaux (sprich: Robicho), gespielt von Tommy Lee Jones, gibt es inzwischen eine ganze Serie von Romanen (genauer gesagt 18, der letzte heißt The Glass Rainbow). Da Dave Robichaux Cajun ist, spielen die Filme tief im Cajun Country von Louisiana, wie gestern in New Iberia oder in Jeanerette, ca. 200 Kilometer westlich von New Orleans.
Mir sind Burkes Bücher eigentlich zu brutal und blutrünstig (auch gestern ging es um Zerstückelungen usw.), doch mit Leidenschaft gelesen habe ich den zornigen Post-Katrina-Krimi The Tin Roof Blowdown von 2007, in dem Dave Robichaux auch einmal in New Orleans ermittelt und noch wütender als sonst ist, über Kriminelle, die das Elend der Leute nach dem Hurrikan ausnutzen. Auch in dem Kurzgeschichtenband Jesus Out to Sea (2007) geht es in der Titelgeschichte um die Verheerungen in New Orleans.
Zwar wurde in dem gestrigen Film gemordet, geschossen und geschlagen und trotzdem plätscherte er, von vager Cajun-Musik unterlegt, angenehm elegisch dahin (oder war es, weil es schon so spät war?). Ein elektrisierender Dunstschleier hing über den Bildern und mir war, als spürte ich die weiche Wärme des louisianischen Herbstes, die hier ein bisschen fehlt. Fotos finden sich hier.

Sonntag, 23. Oktober 2011

Kriminalität

In der letzten Woche wurde die Polizei allein am Mittwoch innerhalb von sechs Stunden zu vier Mordopfern gerufen. Somit erhöhte sich die Zahl der Morde in jener Woche auf neun. In der Nacht zum Sonntag war der Augenarzt Brent Hachfeld aus dem Vorort Slidell im French Quarter niedergeschlagen und wahrscheinlich beraubt worden, bevor er im Krankenhaus verstarb. Jetzt glaubt die Polizei auf einem Überwachungsvideo einen Verdächtigen gesehen zu haben und bittet um Mithilfe. Gestern wurden eine 36-jährige Frau und ihr 13-jähriger Sohn in ihrem Haus in der 7th Ward erschossen aufgefunden, verhaftet wurde ihr 45-jähriger Exfreund, bei dem man sechs Schusswaffen und eine Kiste mit Munition zu Hause gefunden hatte.
Sonnabend vor einer Woche wurde Curtis Matthews erschossen, der aus South Carolina nach New Orleans gekommen war, um für seinen Bruder dessen Jazz Daiquiri Lounge weiter zu führen. Auf den Bruder, John Matthews, war vor einem Jahr zu Hause siebzehn Mal geschossen worden, da er Hauptzeuge in einem Mordfall vor der Daiquiri Lounge war. Durch seine Aussage wurde letzte Woche Telly Hankton verurteilt, der 2008 einen Mann nach einer Autojagd mit 8 Kugeln getötet hatte. Diesen und einen anderen Mann, den er erschoss, als er auf Kaution frei war, hatte er wiederum als Rache für den Mord an seinem Cousin 2007 getötet. Für die Schüsse auf John Matthews wurde Thomas Hankton, der Cousin des Verurteilten angeklagt, nach dem Mörder von Curtis Matthews wird noch gesucht. 
Am Dienstag schaltete sich Bürgermeister Mitch Landrieu ein und erklärte bei einer kleinen Pressekonferenz auf dem neutral (Mittelstreifen) vor der Daiquiri Lounge, dass er 10.000 Dollar aus seinem Kampagnenfonds als Belohnung für die Ergreifung des Mörders stellen würde. Dabei warnte er ausdrücklich die ausgedehnte Familie von Telly Hankton und erklärte, er sei ein Symbol für Leute geworden, die meinten, sie könnten die Kids auf der Straße einschüchtern.
Als ich noch in Baton Rouge wohnte, wurde ich bei einer kleinen Party in meinem Garten Ohrenzeugin einer Schießerei, ohne--anders als meine amerikanischen Freunde, die sich sofort in Sicherheit brachten--gleich zu wissen, dass es Schüsse waren, die ich hörte. Man erzählte mir später, dass es das Ende eines misslungenen Drogendeals gewesen war. Ein Jahr später war ich als Zeugin vor Gericht geladen. Nach einigem Warten erklärte man mir dort, dass ich nach Hause gehen könnte, da der Hauptzeuge, das gelähmte Opfer, in der Nacht zuvor erschossen worden wahr. Irgendwie ist das schon ganz schön einschüchternd. 

Samstag, 22. Oktober 2011

New Orleans Film Festival

Gestern ging das 22. New Orleans Film Festival zu Ende, das, so die organisierende New Orleans Film Society, bereits letztes Jahr Besucherrekorde verzeichnete und dieses Jahr endgültig nicht mehr nur ein Festivals für Filmfreaks war. Gespielt wurde an 14 Aufführungsorten, darunter vor allem auch dem Prytania Theatre in Uptown und dem Zeitgeist in Central City.
Bereits letzten Sonntag wurden die acht Preise vergeben, darunter solche für Dokumentar-, Kurz- und Trickfilme. Einzigartig sind die Kategorien „Best Louisiana Feature“ und „Best Louisiana Short“ für Filme von Künstlern, die seit Januar 2010 in Louisiana leben. Es gewannen in diesem Jahr The Experiment von Ben Lemoine über die öffentlichen Schulen nach dem Hurrikan Katrina und Chasing Dreams: A Leah Chase Story über die „Königin der kreolischen Küche“ und Aktivistin Leah Chase.
Eröffnungsfilm war der Dokumentarfilm The Big Fix über die BP-Ölkatastrophe 2010 und die historisch enge Beziehung zwischen Politik und Ölfirmen in Louisiana. Der Film wurde von Tom Robbins und Peter Fonda produziert und von den Aktivisten Josh Tickell (aus Mandeville, Louisiana) und Rebecca Harrell Tickell gefilmt. Während er dieses Jahr in Cannes nur spärlich besucht war, waren die Vorstellungen in New Orleans ausverkauft.
Das Filmfestival war auch Anlass für die Rückkehr von Paul Gailiunas, Arzt und Witwer der Filmemacherin und Aktivistin Helen Hill, die 2007 in ihrem Haus in ihrer Wahlheimat New Orleans ermordet wurde. Und zwar zu einer Zeit, wo Leute wie dieses junge Paar versuchten, der Stadt nach Katrina wieder auf die Füße zu helfen, und die hohe Mord- und Kriminalitätsrate einige für immer aus der Stadt vertrieb. Paul Gailiunas war bei dem Überfall selbst verwundet und später sogar des Mords verdächtigt worden. Mit Zögern und Unruhe kehrte er jetzt in die Stadt zurück, um den Film vorzustellen, den Helen Hill begonnen und er fertig gestellt hat. The Florestine Connection, nur 31 Minuten lang, erzählt die Geschichte der Kleidermacherin Florestine Kinchen, aber auch die Geschichte von Helen Hill und New Orleans, so heißt es. Der Film wurde zuerst im Contemporary Arts Center gezeigt. In der nachfolgenden Fragestunde ging es noch einmal um das Verbrechen selbst und darum, was Helen Hill und ihr Mann für die Stadt bedeutet haben. Und schließlich, so berichtet die Times-Picayune, sagte ein Mann in der letzten Reihe: „Es ist vielleicht anmaßend, aber New Orleans heißt Sie wieder herzlich willkommen.“ Also, mich bewegt so etwas.



Donnerstag, 20. Oktober 2011

Im Kid Creole in Friedrichshagen

Anfang Oktober, genauer gesagt am Nationalfeiertag, war ich im Kid Creole in Berlin-Friedrichshagen zum Essen eingeladen. Das ist nicht einfach nur ein Restaurantbesuch, es ist ein Ausflug, eine S-Bahn-Fahrt mit viel Grün und Sonnenschein; dann flaniert man die alleenhafte Bölschestraße entlang und isst zuvor noch ein Eis (mein Tipp: Sesam öffne dich, wirklich eine kleine Eröffnung).
Dann kehrt man in einen verwunschenen Hof ein, wo ich es schon sehnsuchtsvoll beäugt hatte: das Kid Creole. Man lümmelt unter Bäumen auf Korbmöbeln oder sitzt drinnen an geöffneten Glastüren. Das Haus ist alt und vielleicht wurde ein Geschoss herausgenommen, denn das Dach ist hoch und spitzwinklig und mit Balken. Die Wände sind ockerfarben und mit Sumpfszenen bemalt. Alles ist mit Kerzen ausgeleuchtet; es läuft dezente Countrymusik, und die Bedienung trägt dunkel mit langen Schürzen.
In der Speisekarte steht eine ganz ähnliche Einleitung wie im Louisiana Kid vor ein paar Wochen; auch einige Gerichte sind ganz ähnlich (Spinat mit Bananenscheiben!) und ich ahne, wer hier vom Kid Creole abgeschrieben hat. (Note to Self: Muss endlich mal den Unterschied zwischen Creole und Cajun erklären.). Wir bestellen Jambalaya und Shrimp Etouffée und einen Rosé-Wein, der dann doch sehr lieblich ist. Das Jambalaya ist einen Hauch zu tomatenmarkig. Es gibt zwar Rezepte mit Tomaten, aber der Hauptgeschmack ist normalerweise vor allem scharf und nicht tomatig. Ein Etouffée kenne ich als cremig und mit Krebsen und eher labbrig, während die Soße hier tiefbraun und sehr würzig und mit Sojasoße versetzt zu sein scheint. Doch wir lassen uns jeden Bissen auf der Zunge zergehen, und ich bestelle noch eine Extraportion Reis, weil es so gut schmeckt, in dem stimmigen Raum mit Blick auf die letzten Herbstsonnenstrahlen. Die Bedienung ist aufmerksam und alles irgendwie ruhig und liebevoll.
Dann fegte ein älteres Ehepaar an den Nebentisch, und ER fing an eifrig zu fotografieren, während SIE an immer anderen Plätzen nachdenklich oder lächelnd oder aufblickte oder in der Speisekarte blätterte. Als die Tochter mit Baby im Bauch und dessen Vater am Arm hereinkam, waren wir dann schon weggeblitzt. Im Nebenzimmer hatte sich eine Gruppe junger Leute zusammengefunden, und als ich so wartete, sah ich sie an der Decke: die Fahne Louisianas mit einem Pelikan und seinen Jungen und der Losung „Union, Justice & Confidence“ (Einheit, Gerechtigkeit & (Selbst)vertrauen). Hehre Wünsche, immer noch.
Das machte es dann doch echt und ernsthaft, ein rührend aufrichtiges Bemühen um ein Stückchen Louisiana in Berlin. Bei unserem Spaziergang zur Bahn gerieten wir in eine bizarre Demo gegen die Nachtflüge des neuen Flughafens, und also zurück nach Berlin. Trotzdem: Ein Ausflug nach Friedrichshagen, in wieder ein imaginäres Louisiana—jederzeit wieder!

Dienstag, 18. Oktober 2011

Gouverneur wird man nicht schwör?

Diese Woche, am Sonnabend, den 22. Oktober 2011, findet in Louisiana der erste Wahlgang für die Gouverneurswahl statt. Es gilt als fast sicher, dass der amtierende republikanische Gouverneur im Amt bestätigt wird. Eine Fernsehdebatte der Kandidaten wurde vom Sender abgesagt, und er selbst scheint sich so sicher zu sein, dass er einer Debatte an der Louisiana State University mit den anderen Kandidaten in der letzten Woche fernblieb.
Interessant ist vielleicht, dass der amtierende und vielleicht zukünftige Gouverneur Piyush „Bobby“ Jindal (sprich: Dshindel) heißt, gerade mal 40 Jahre alt ist und indischer Abstammung, was man auch in Louisiana nicht so häufig hat. Bei einigen Republikanern wird er als Präsidentschaftskandidat der Zukunft gehandelt.
Doch in Louisiana wählt man zumeist eher demokratisch, von 1877 bis 1980 sogar ohne Unterbrechung. Jindal löste 2008 die vorherige Gouverneurin Kathleen Blanco ab, eine Demokratin, mit der man bei ihrer Wahl große Hoffnungen verbunden hatte. Doch—wie der New Orleanser Bürgermeister Ray Nagin—wurde sie beim Hurrikan Katrina und dessen Folgen „gebrochen“ und stellte sich damals sich gar nicht erst zur Wiederwahl.
Jung, ethnisch, dynamisch ist Bobby Jindal, aber auch katholisch und konservativ. Er regiert mit eiserner Hand, kürzt, wo es geht, vor allem auch im Hochschulbereich, will altehrwürdige Institutionen zusammenlegen. Er setzt sich für erneuerbare Energien und die Verantwortlichkeit von Ölfirmen ein (bei der BP-Ölpest 2010 war er auch sehr präsent), hat aber andererseits ein Gesetz unterzeichnet, dass Lehrer an öffentlichen Schulen neben der Evolution auch den Kreationismus unterrichten dürfen (was zu nationalen Protesten führte). Jindal reist viel im Staat und anderswo herum und wird dafür auch kritisiert.
Die Hauptstadt von Louisiana ist übrigens Baton Rouge. Am Anfang war es natürlich New Orleans, dann kurz Donaldsonville (zwischen den beiden Städten am Mississippi gelegen, jetzt ca. 7.500 Einwohner), dann wieder New Orleans, und 1849 wurde die Hauptstadt endgültig nach Baton Rouge verlegt. In der Stadt sollen damals nur ca. 2.250 Menschen gelebt haben, gegenüber mehr als 100.000 in New Orleans, das damals die viertgrößte Stadt der USA war. Grund für die Verlegung war die Angst, dass sich in der größten Stadt des Staates zu viel Macht konzentrieren könnte. Dem ist äußerst erfolgreich entgegengewirkt worden: Einen Gouverneur aus New Orleans gab es seit 1939 nicht mehr, und bis heute herrscht ein gewisses Misstrauen zwischen den beiden Städten.
Gegen Bobby Jindal treten einige demokratische und einige unabhängige Kandidaten an. Der zweite Wahlgang ist am 19. November.

Mittwoch, 12. Oktober 2011

Oktoberfest in New Orleans

Dieses und nächstes Wochenende richtet das Deutsche Haus. The German Presence in New Orleans sein Oktoberfest aus, dieses Mal in dem westlichen Vorort Kenner. Dort gibt es natürlich Bier, Sauerkraut, Bratwurst, Kartoffelsalat und andere typische Köstlichkeiten (oder muss es heißen „köstliche Typischkeiten“?). Außerdem "live Polka and oompah music, and the now-famous German chicken dance", d.h. live Polka- und Umptata-Musik und der jetzt berühmte Ententanz. 
Ja, das Bild der deutschen Kultur in den USA hat mir schon immer großes Unwohlsein verursacht. Im Mittelwesten ist ja die deutsche Präsenz viel stärker, in St. Louis (Missouri), Chicago (Illinois), Cincinnati (Ohio). Dort kommen auch die deutschsprachigen Zeitungen voller Nazimief her, die noch nicht mitbekommen haben, dass das jetzt hier zum Glück ein anderes Land ist. Deutsche Kultur in den USA ist vor allem bayrisch und sehr konservativ.
Glücklicherweise gibt es noch die Goethe-Institute, die gerade die moderne deutsche Kultur vermitteln. In Cincinnati bemühte man sich zum Beispiel, die sozial schwache (und vorwiegend schwarze) Bevölkerung des angrenzenden Viertels "Over the Rhine" (Über den Rhein) in die Arbeit des Goethe-Instituts einzubinden. Aber ach, Cincinnati wurde geschlossen; das Goethe-Institut in Houston, Texas, wo ich Thomas Brussig kennen gelernt habe, auch, St. Louis usw. Gerade in St. Louis gibt es aber wiederum ein herausragendes Deutsch-Institut an der Washington University und eine spektakuläre Expressionismussammlung im Kunstmuseum.
Die kleine deutsche Gemeinde in New Orleans ist sicherlich harmlos. Ich erinnere mich an ein Oktoberfest in den neunziger Jahren im Washington Square Park im Marigny, das schon durch den malerischen, mit hohen Bäumen bestandenen Platz und die lauen Abende traumhaft war. In den letzten Jahren fand es wohl im Deutschen Haus selbst in Mid-City statt. Dieses Haus (seit 1928) musste jetzt geräumt werden, da das gesamte Gebiet (auch eins mit Geschichte) zugunsten eines riesigen und äußerst umstrittenen Krankenhausprojekts abgerissen wird. Insofern hat es auch eine gewisse Brisanz. Deshalb, trotz Männerdiskutierklub und "Saengerchor": Happy Oktoberfest, New Orleans!

Dienstag, 11. Oktober 2011

Neutral

In New Orleans sind einige Dinge anders als anderswo und oft hat das mit der besonderen Geschichte zu tun. Bei Lafcadio Hearn (1870er Jahre), der den Mythos von New Orleans erschaffen haben soll, liest man, dass New Orleans damals – vor Eisenbahn, Autos und Flugzeugen – vor allem mit dem „Spanish Main“, also dem Golf von Mexiko und der (spanischsprachigen) Karibik, verbunden war. Bei seinem Zeitgenossen George Washington Cable, einem Anglo, der über die Kreolen und ihre Bräuche und Sprache schrieb, versteht man, dass die Stadt viele Jahrzehnte nach dem Louisiana Purchase (dem Kauf Louisianas durch die Amerikaner) immer noch französisch kultiviert war. Der Bürgerkriegsschinken Traum von Louisiana (Wild is the River) von Louis Bromfield zeigt, dass es auch um den Konflikt der unterschiedlichen Kulturen und Temperamente ging.
Im French Quarter (dem französischen Viertel) oder Vieux Carré wohnten damals die französischsprachigen Kreolen, während sich die zuziehenden Amerikaner jenseits der Canal Street im heutigen Central Business District ansiedelten. Der Streifen, der die Grenze zwischen den verfeindeten Bevölkerungen markierte, soll der Legende nach der Mittelstreifen auf der Canal Street gewesen sein, dass was man in den restlichen USA „median (strip)“ (Mittelstreifen) nennt. In New Orleans ist das der „neutral“ oder „neutral ground“ (sprich: njutrel).
Vor allem der neutral auf der St. Charles Avenue ist heutzutage äußerst belebt: die Straßenbahn rattert hin und her, zwischendurch wird gejoggt, der Hund ausgeführt, rauchend telefoniert usw. Zum Karneval stellt man dort Picknickstühle und Stehleitern entlang der Umzugsrouten auf. Viele der großen Straßen in New Orleans haben neutrals. Und „Amerikaner“ und Kreolen verstehen sich jetzt meistens eigentlich ganz gut.

Sonntag, 9. Oktober 2011

A Studio in the Woods

In dem deutschen Dokumentarfilm The Sound after the Storm, der Anfang des Jahres hier in einigen Kinos lief, erzählt der Klarinettist, Jazzhistoriker und Universitätsprofessor Dr. Michael White, wie er im Hurrikan Katrina sein Haus und sein Jazzarchiv verloren hat, darunter ein Mundstück von Sidney Bechet, eine Originalnotenschrift von Jelly Roll Morton und 4.000 Bücher. Ein einmonatiger Aufenthalt 2007 in A Studio in the Woods, so erzählt er, habe ihm damals geholfen, wieder arbeiten zu können. Das Ergebnis war eine neue CD Blue Crescent (unter click here gibt's dort eine Hörprobe).
A Studio in the Woods (Ein Studio im Wald) ist ein Programm der renommierten Tulane University in New Orleans, inmitten von ca. 3 Hektar Waldgebiet am anderen Ufer von New Orleans (der West Bank) am Mississippi gelegen. Die frühere Zuckerrohrplantage ist seit zehn Jahren eine Residenz für Künstlerstipendiaten. Das Besondere ist die kreative Stille und Ferne zur Großstadthektik, kombiniert mit der intimen Nähe zu dieser einzigartigen südlousianischen Natur, zum Mississippi und zum Wald. Teile des Waldes sind seit 30 Jahren nicht betreten worden; Ziel ist es, in den nächsten 50 bis 75 Jahren den Urzustand wieder herzustellen. Eine einzigartige Kombination also aus Kreativität und Umweltschutz. 
Die Autorin Sheryl St. Germain berichtet in einem kürzlich veröffentlichten Essay von ihrem Aufenthalt im Mai 2005, unter schwierigen persönlichen Bedingungen, und über einen Spaziergang, den sie im Jahr darauf nach Katrina dort mit dem Umweltkurator David Baker unternahm. Er machte sie einerseits auf die Zerstörungen aufmerksam, der Baumkronen und der Pflanzen, und zeigte ihr andererseits, dass diese auch Chancen für andere Pflanzen bietet, für die Zurückdrängung einer chinesischen Parasitenpflanze. Selbstheilungskraft der Natur eben.
Im Frühjahr 2011 gab es die letzte Ausschreibung zum Thema Ebbe und Flut für mehrere 60-tägige Aufenthalte. Die Filmemacherin Rebekka Snedeker war jetzt im September dort, der Lyriker Benjamin Morris ist es wohl jetzt gerade, beide aus New Orleans. Am Freitag begann eine Ausstellung zum 10. Jahrestag des Bestehens in der Carroll Gallery auf dem Campus der Tulane University: „10 years, 47 artists“.
Ich war noch nie in A Studio in the Woods. Aber ich träume...

Samstag, 8. Oktober 2011

Nachrichten

1
Die „Occupy Wall Street“-Bewegung (Besetzt Wall Street) hat am Donnerstag, 6. Oktober, New Orleans erreicht. Um Mittag versammelten sich wohl etwas 400 Protestierende unter dem Motto „Occupy NOLA“ (Besetzt New Orleans, Louisiana) und marschierten vom Gerichtsgebäude am Rathaus vorbei durch das Central Business District. Es wurde skandiert und musiziert, wie man in einem Videoclip unten auf der Seite der New Orleans Times-Picayune sehen kann. Man hörte und sah auf einem Transparent: Who dat? (Who is that? – Wer ist das?), den Schlachtruf der Fans des American Football-Clubs New Orleans Saints der letzten Saison. Die Antwort auf dem Transparent lautet: We dat 99% (Wir sind die 99%), d.h. gegenüber den 1% Reichen des Landes.
Bürgermeister Mitch Landrieu wurde am Freitagmorgen gesehen, wie er in dem daraufhin besetzten Duncan Plaza bei den Protestierenden vorbeiging und Hallo sagte

2
Beim New Orleans Seafood Festival vor einigen Wochen wurde es versichert und in einem Radiointerview sagte kürzlich auch ein Professor von meiner Alma Mater, Louisiana State University, dass alles gut aussehe, ein Jahr nach der durch BP verursachten Ölpest im Golf von Mexiko, direkt vor der Küste Louisianas. Aber jetzt zeigt eine Studie, so das Medienzentrum von LSU, dass zwar kaum noch Ölspuren im Wasser zu finden sind und die Fische in den Marschen „sicher für den Verzehr“ sind. Sie weisen aber alarmierende biologische Veränderungen (z.B. an den Kiemen) auf, die das Überleben und die Fortpflanzung der Fische gefährden. Aus den Erfahrungen der Exxon-Valdez-Ölkatastrophe 1989 vor Alaska, weiß man, dass dies Vorboten für langwierige Folgewirkungen sind. Vorbei ist es also noch lange nicht.

Donnerstag, 6. Oktober 2011

Gestern Abend im Zosch

Das Zosch ist eine Kneipe in der Tucholskystraße in Berlin-Mitte, wo ich auch schon mal einen Tee getrunken habe. Steigt man aber zum Beispiel am Mittwoch ab 22 Uhr die gebogene Treppe hinab und geht dort, wo es nicht mehr weiter zu gehen scheint, nach links hinten durch, dann kommt man in ein mit Stimmen und Menschen brodelndes Kellergewölbe. 
Mittwochs spielt die Band La* Foot Creole New Orleans Jazz, und mittwochs ist Stammtisch des Goethe-Instituts. Eine äußerst charmante Kombination. Die Musiker spielen ganz locker und improvisiert vor sich hin und raunen sich dabei auch mal was zu oder meckern sich an oder schrauben an ihrem Instrument herum; indessen lernen sich die jungen Goethe-Studenten intensiv kennen, und es wird kräftig geraucht. 
In der Pause erzählt mir der Bandleader (auf dem Foto hinten rechts mit Trompete und hellblauem Hemd), dass er in den siebziger Jahren in New Orleans tags auf dem Bau gearbeitet und abends in den Klubs gespielt hat, u.a. in der Preservation Hall mit berühmten, jetzt schon nicht mehr lebenden Musikern. Wie so viele andere, fragt er mich, ob New Orleans überhaupt noch stehe. (Na klar, das bleibt. Darüber ein andermal.) 
Im zweiten Set lässt er mich fragen, was ich mir wünsche. Ich, perplex, sage schnell Basin Street Blues. Und schon wechselt der Rhythmus und sie spielen ihn, den Blues, und als er dann noch anfängt zu singen, ein bisschen von Louis Armstrong inspiriert, da stoßen sich die jungen Goethe-Studenten gegenseitig in die Seiten und machen: Psst und schsch! Und ich werde ganz bestimmt wieder einmal am Mittwoch ins Zosch gehen.
*La ist hier sicher der Post-Abkürzung für Louisiana nachempfunden.

Dienstag, 4. Oktober 2011

Anne Rice zum Siebzigsten

Die Vampirkönigin Anne Rice feiert heute ihren 70. Geburtstag. In New Orleans als Howard Allen Frances O'Brien geboren und aufgewachsen, zog sie mit 16 mit ihrem Vater nach Texas. Mit 20 heiratete sie den Lyriker und Maler Stan Rice und ging nach San Francisco. Ihr erster Erfolgsroman Interview with a Vampire (Interview mit einem Vampir, 1976), in dem ein Vampirkind vorkommt, heißt es, sei eine Art Trauerarbeit für den Tod ihrer fünfjährigen Tochter an Leukämie gewesen. Nach dem Riesenerfolg kehrten die Rices nach New Orleans zurück, wo das Buch spielt. Anne Rice schrieb weiterhin Vampirromane, erotische und Schauerromane. 
2004, nach dem Tod ihres Mannes, zog Anne Rice nach Kalifornien in die Nähe ihres Sohnes Christopher Rice (*1978), der jetzt auch als Autor erfolgreich ist. (Seinen Roman A Density of Souls, auf Deutsch Grausame Spiele hatte man mir sehr ans Herz gelegt. Es geht um schaurige New Orleanser Friedhöfe, Mord und wahre, weil nämlich schwule Liebe—ich fand’s unsäglich. Nischenliteratur?) Von Anne Rice habe ich noch nichts gelesen, nur einen Auszug aus dem Film Interview with a Vampire (1994) gesehen: mit Tom Cruise, Brad Pitt und Kirsten Dunst, alle blutjung.
In New Orleans war Anne Rice eine Institution. Ihre historische Villa Rosegate im Garden District (1239 1st Street) öffnete sie für Führungen. Zu Lesungen soll sie in einem von Pferden gezogenen Sarg erschienen sein. 1997 legte sie sich mit dem Unternehmer Al Copeland an, u.a. Begründer des Popeyes Famous Fried Chicken-Imperiums. Copeland hatte auf der majestätischen St. Charles Avenue gleich in der Nähe des Garden Districts ein Restaurant namens Straya California Creole Grand Cafe eröffnet, mit Las Vegas-Miami Beach-Dekor, Palmen, schwarzen Leopardenskulpturen vor den Toiletten und seeeeehr viel Neon.
Anne Rice protestierte mit einer ganzseitigen Anzeige im New Orleans Times-Picayune gegen seinen schlechten Geschmack. Es entspann sich eine Fehde, die auch beim Mardi Gras ausgetragen wurde (Copeland angeblich mit Knoblauchring um den Hals, Anne Rice soll aus einer schwarzen Limousine goldene Gummiratten geworfen haben) und die Krewe de Vieux (sprich: Kru de Viu, eine kleine alternative Karnevalsparade im French Quarter) nahm alle beide auf den Arm. Anstelle des Straya steht jetzt schon lange ein Cheesecake Bistro; Al Copeland ist vor ein paar Jahren gestorben
Letztes Jahr machte Anne Rice wieder von sich reden, als sie ihren Austritt aus der katholischen Kirche bekannt gab. Katholisch aufgewachsen, war sie aus- und später wieder eingetreten. Jetzt erklärte sie, dass sie sich Christus zwar noch immer verpflichtet fühle, aber keine Christin mehr sein und nicht mehr zu dieser „zänkischen, feindseligen, streitsüchtigen und verdientermaßen verrufenen Gruppe“ gehören wolle. Im Moment tourt sie mit ihrem neusten Roman Of Love and Evil (2010).
Die Hinweise auf die jeweiligen Geburtstage verdanke ich übrigens Garrison Keillors Writer's Almanac.

Sonntag, 2. Oktober 2011

„Swingin’ New Orleans“ im Haus der Sinne

Gestern war im Haus der Sinne im Prenzlauer Berg die monatliche Swing & Jive Night unter dem Thema „Swingin’ New Orleans!“. Alle waren eigentlich vor allem zum Swing tanzen gekommen und konnten es auch wirklich. DJ Kuddlemuddle legte ausschließlich Swing aus New Orleans auf und später spielten The Seven End Stompers aus Zehlendorf live. Swing aus New Orleans meinte hier Dixieland oder den sogenannten New Orleans Jazz, das heißt die Musik von Louis Armstrong und seiner Zeit, und davon die Stücke, zu denen man Swing tanzen kann. 
Die Band war siebenköpfig, mit Posaune, Trompete, Klarinette/Saxophon, Klavier, Kontrabass, Banjo und Gesang/Trommel, meist weißhaarige Hasen, aber der singende DJ und der Klarinettist waren jung. Sie spielten den bekannten „Basin Street Blues“ (die Basin Street gleich außerhalb des French Quarters gehörte zum legendären Rotlichtviertel Storyville, wo Louis Armstrong und der Jazz gemacht wurden), „Ain’t Misbehavin’“ und andere Stücke, die mir nicht so geläufig waren. Der DJ hatte wirklich Ahnung, und später legte er auch „Just a Gigolo/I Ain’t Got Nobody“ von Louis Prima auf, der natürlich auch aus New Orleans war. 
Auf die Musik an sich achtete wohl kaum jemand, denn alle waren eifrig und überschwänglich mit Tanzen beschäftigt. Und wie! Viele ganz jung, manche wenige sogar im Look der Zeit, die Dame mit eingerolltem Haar und schwingendem Rock, der Herr mit Anzug und Hut. Und einige mit diesen schwarz-weißen Schuhen. Ob es so etwas auch in New Orleans gibt, weiß ich nicht; authentisch schien es mir wirklich nicht. Aber es war fröhlich und äußerst beswingt, und alle, wirklich alle, genossen den Augenblick.
Und was ist schon authentisch? Inzwischen kann ich mich einfach an der Idee von New Orleans freuen und wie sie hier und anderswo inszeniert wird. Denn diese Idee, von Lebensfreude, Kreativität, Gemeinschaft und so weiter, ist in ihrem Kern absolut authentisch.