Dienstag, 11. Oktober 2011

Neutral

In New Orleans sind einige Dinge anders als anderswo und oft hat das mit der besonderen Geschichte zu tun. Bei Lafcadio Hearn (1870er Jahre), der den Mythos von New Orleans erschaffen haben soll, liest man, dass New Orleans damals – vor Eisenbahn, Autos und Flugzeugen – vor allem mit dem „Spanish Main“, also dem Golf von Mexiko und der (spanischsprachigen) Karibik, verbunden war. Bei seinem Zeitgenossen George Washington Cable, einem Anglo, der über die Kreolen und ihre Bräuche und Sprache schrieb, versteht man, dass die Stadt viele Jahrzehnte nach dem Louisiana Purchase (dem Kauf Louisianas durch die Amerikaner) immer noch französisch kultiviert war. Der Bürgerkriegsschinken Traum von Louisiana (Wild is the River) von Louis Bromfield zeigt, dass es auch um den Konflikt der unterschiedlichen Kulturen und Temperamente ging.
Im French Quarter (dem französischen Viertel) oder Vieux Carré wohnten damals die französischsprachigen Kreolen, während sich die zuziehenden Amerikaner jenseits der Canal Street im heutigen Central Business District ansiedelten. Der Streifen, der die Grenze zwischen den verfeindeten Bevölkerungen markierte, soll der Legende nach der Mittelstreifen auf der Canal Street gewesen sein, dass was man in den restlichen USA „median (strip)“ (Mittelstreifen) nennt. In New Orleans ist das der „neutral“ oder „neutral ground“ (sprich: njutrel).
Vor allem der neutral auf der St. Charles Avenue ist heutzutage äußerst belebt: die Straßenbahn rattert hin und her, zwischendurch wird gejoggt, der Hund ausgeführt, rauchend telefoniert usw. Zum Karneval stellt man dort Picknickstühle und Stehleitern entlang der Umzugsrouten auf. Viele der großen Straßen in New Orleans haben neutrals. Und „Amerikaner“ und Kreolen verstehen sich jetzt meistens eigentlich ganz gut.

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