Dienstag, 26. Februar 2013

Fats Domino

Fats Domino wird heute 85 Jahre alt (hier im Südkurier). Bekannt ist er wohl vor allem für Titel wie "Blueberry Hill" oder "I'm Walkin'". Eigentlich heißt er Antoine, ist kreolischer Abkunft und wie der Name sagt ein wenig rundlich. Während Hurrikan Katrina hatte man ihn für tot gehalten, bis er mit dem Hubschrauber aus seinem überfluteten Haus in der Lower Ninth Ward gerettet wurde. Nach Katrina veröffentlichte er die Platte Alive and Kickin' (Mopsfidel?), deren Erlöse der Tipitina Foundation zugute kommen. 
In der dritten Staffel der Fernsehserie Treme hat er einen kleinen improvisierten Auftritt in seinem Bürogebäude. Sein durch Katrina ramponierter Flügel ist jetzt im Louisiana State Museum im Cabildo im French Quarter ausgestellt, siehe hier (wo in den Eingangsarkaden auch ein Boot steht, mit dem jemand Katrinaopfer gerettet hat; wer habe ich leider vergessen).
Im Herbst habe ich ein Foto von seinem Haus gemacht, das vielleicht doch nur sein Büro ist. Es heißt, dass er jetzt in einem Vorort lebt.


Sonntag, 24. Februar 2013

Chicago



Ende Januar wurde in Chicago die 15-jährige Hadiya Pendleton erschossen. Einfach so auf der Straße geriet sie, gemeinsam mit anderen, vermutlich in die Schusslinie einer Fehde zwischen konkurrierenden Gangs. Schlagzeilen machte ihr Tod nicht nur, weil Hadiya eine Bestschülerin mit vielen Träumen und Ambitionen war. Sie war auch wenige Tage zuvor mit der marching band (Marschorchester) ihrer Schule bei der Amtseinführung von Präsident Obama aufgetreten und stammte aus der Heimatstadt der Obamas, aus Chicago (hier). Michelle Obama flog zu ihrer Beerdigung. Als Präsident Obama Mitte Februar in der Hyde Park Career Academy im Süden von Chicago unter anderem über Hadiya Pendleton und über seine Bemühungen zur Verschärfung der Waffengesetze sprach, saß unweit von ihm die 14-jährige Schwester von Janay McFarlane, einer 18-jährigen Mutter, die am selben Abend „aus Versehen“ erschossen wurde (hier). Allein im Januar sind in Chicago mehr als 40 Menschen durch Schusswaffen getötet worden.
So ist es auch kein Wunder, dass im Radio plötzlich ständig über die Gewalt in Chicago gesprochen wird. Zum Beispiel habe ich in einem Beitrag über ein Programm gehört, das einkommensschwachen Familien hilft, in bessere Viertel zu ziehen, um damit die Zukunftschancen für die Kinder zu verbessern -- und sehr oft ist das erfolgreich. In der Sendung This American Life, die in Chicago produziert wird, läuft derzeit eine interessante zweiteilige Serie über die Harper High School in einem armen Teil der South Side of Chicago. Dort werden viele Schüler Opfer von Waffengewalt; ein Schüler hat aus Versehen seinen kleinen Bruder erschossen. Es wird berichtet, dass man, ob man es will oder nicht, einer Gang angehört, einfach abhängig davon, wo man wohnt. Dass man nicht allein von der Schule nach Hause gehen kann, weil es zu gefährlich ist, aber auch nicht zu zweit, sondern am besten mit zwei Mädchen ein paar Meter hinter einem. Dass ein Schüler sich deshalb, abgesehen von der Schule, nicht mehr aus dem Haus traut. Wie sich die engagierte Direktorin und die Sozialarbeiterinnen an der Schule um Normalität bemühen. Dass sogar ein Polizist einsieht, dass man gar nicht umhin kommt, in einer Gang Mitglied zu sein. In diesen Tagen läuft der zweite Teil.
Auch Michelle Obama betont gern, dass sie von der South Side kommt, „the real side of Chicago“ (der wirklichen Seite von Chicago). Allerdings wuchs sie in zwar einfachen, aber doch in Verhältnissen der Mittelklasse auf. Vor vielen Jahren hatte ich mal einen jungen Studenten von der South Side, Kevin, der in Ohio bei mir Deutsch lernte. Einmal, als ich vor Weihnachten zu einer Konferenz nach Chicago fuhr, habe ich ihn im Auto mitgenommen. Kevin wollte nicht nach Hause gefahren, sondern an einer Straßenecke abgesetzt werden, vielleicht weil er nicht mit mir gesehen werden wollte? Weil ich sein Zuhause und Umfeld nicht sehen sollte? In so einem ausgedehnten, armen, afroamerikanischen Viertel war ich noch nie gewesen, in New Orleans nicht und selbst in St. Louis nicht.
Forbes-Magazine hat gerade wieder eine Rangliste der schrecklichsten Städte der USA veröffentlicht. Auf Platz 1 steht Detroit, Michigan; Chicago ist auf Platz 4, auch wegen der langen Arbeitswege, Wetter und anderen Parametern. Dann gibt es noch weitere Listen: wo jetzt alle hinziehen, die gefährlichsten Städte und die besten Städte für Business und Karriere. New Orleans taucht in keiner dieser Listen auf.
Dafür hat es den traurigen Ruhm immer regelmäßig und konstant als die Stadt mit der meisten Gewalt die Statistiken anzuführen (hier). Laut Centers for Disease Control (Zentren für Krankheitsbekämpfung) beträgt die Rate von Toden durch Schusswaffen 69,1 auf 100.000 Menschen im Vergleich zu 41,4 in Detroit. Bei Selbstmorden mit Schusswaffen taucht New Orleans nicht unter den ersten auf (es führt Las Vegas), aber bei Tötungsverbrechen sind es 62,1 auf 100.000 Menschen, dahinter wieder abgeschlagen Detroit mit 35,9. Chicago erscheint in diesen Statistiken nicht unter den ersten Plätzen.
Als ich im Herbst mit einer Kreolin sprach, die im Besucherzentrum der Kirche Our Lady of St. Guadelupe arbeitet, sagte sie mir, dass New Orleans die beste Stadt sei. Trotz der Gewalt? Die Gewalt betreffe nur Drogen und Schwarz auf Schwarz, mit uns habe das nichts zu tun. Als sie nach Katrina einige Zeit in Las Vegas gelebt habe, habe sie mehr Angst gehabt.
Insgesamt stehen die USA bei den Toden durch Schusswaffen auf Platz 9 weltweit, bei den (demokratischen) Industrieländern ganz vorn (hier). 2012 nahm die Gewalt in Chicago und Detroit rapide zu, in New York und Washington, D.C. hingegen ab (hier). Dabei war DC bis vor einigen Jahren auch noch für seine Gewalt berüchtigt.
Der New Yorker-Autor Malcolm Gladwell vertritt übrigens in seinem Buch Outliers (Überflieger) die These, dass Fehden und Ehrenmorde besonders in Kulturen verankert sind, die ehemals Hirten waren und Vieh zu bewachen und verteidigen hatten, zum Beispiel aber nicht unter Ackerbauern. Doch auch zwischen den Gangs in Chicago und anderswo wird aus Rache und verletzter Ehre und wegen schiefen Blicken gemordet, und manche der jungen Menschen dort denken, dass sie ohnehin nicht alt werden und machen sich also keine Gedanken und auch keine Hoffnungen über die Zukunft. Wie erklären Sie das, Herr Gladwell? Und vor allem: Was kann man dagegen tun?

Samstag, 16. Februar 2013

Richard Ford


Heute ist der Geburtstag des Schriftstellers Richard Ford (*1944), der ursprünglich aus Jackson, Mississippi stammt, wo er schräg gegenüber von der großen Eudora Welty aufwuchs. Einen Teil der Kindheit verbrachte er auch bei den Großeltern in Arkansas, und kennen gelernt hat er Eudora Welty erst viel später, als er auch schon Bücher veröffentlicht hatte. Sie freundeten sich an und nach ihrem Tod wurde er ihr Nachlassverwalter und war Mitherausgeber einer Gesamtausgabe ihrer Werke.
Bekannt ist er für seine Romane The Sportswriter (1986, Der Sportreporter), Independence Day (1995, Unabhängigkeitstag), The Lay of the Land (2006, Die Lage des Landes) und Kanada (2012, Canada) sowie für seine Kurzgeschichten. 
Ich kenne nur einige davon, denn er schreibt nicht nur mit einer kühlen Traurigkeit (oder traurigen Kühle?), sondern gehört auch zur ästhetischen Bewegung des „Dirty Realism“ (schmutziger Realismus), wo fast alle mit Leuten schlafen, mit denen sie eigentlich nicht schlafen sollten, oder einander weh tun, verletzen, töten, und seltsam wortlos durchs Leben gehen. Das alles schreibt er wiederum in einer glasklaren, weichen Sprache, und als mein eigenes Leben noch turbulenter war, habe ich in diesen Schicksalen auch, ja, Trost gelesen.
Richard Ford lebte längere Jahre in New Orleans, wo zum Beispiel einige seiner Erzählungen aus A Multitude of Sins (2002, Eine Vielzahl von Sünden) spielen. Während die Katrina-Katastrophe in New Orleans noch in vollem Gange war, veröffentlichte er am 4. September 2005 eine „Elegy for my city“ (Elegie für meine Stadt) im britischen Guardian, die sehr bewegend ist.
Nach dem Tod des Autors Barry Hannah übernahm er 2010 dessen Professur an der Ole Miss, der University of Mississippi in Oxford, wo William Faulkner fast sein ganzes Leben lang lebte. Seit 2012 ist er Professor an der Columbia University in New York.
Seine Frau Kristina Ford, eine promovierte Stadtplanerin, ist jetzt auch Professorin bei Columbia, und zwar in der School of International and Public Affairs (Institut für Internationale und Öffentliche Angelegenheiten). Ab 1992 war sie Direktorin für Stadtplanung in New Orleans, gewann Preise und veröffentlichte ausgiebig. 2010-2011 arbeitete sie für den Stellvertretenden Bürgermeister als Verantwortliche für öffentliche Einrichtungen, Infrastruktur und Gemeinwesenentwicklung. Ein Ergebnis ihrer Arbeit in New Orleans ist ihr Buch The Trouble with City Planning: What New Orleans Can Teach Us (2011, Das Problem mit der Stadtplanung: Was wir von New Orleans lernen können). Ich habe es noch nicht gelesen, aber man bescheinigt ihr den Stil einer Romanschriftstellerin. Vielleicht kein Wunder, wo sie doch Richard Fords erste Leserin ist.
Happy Birthday und eine schöne Feier! 

Donnerstag, 14. Februar 2013

Mardi Gras in den Medien

Heute ist schon Donnerstag, der Tag nach Aschermittwoch, wo schon längst alles vorbei ist. Hier aber einige Berichte aus den Medien, die den diesjährigen Super Gras (d.h. Super Bowl und Mardi Gras zusammen) natürlich vor dem Hintergrund der Zerstörung durch Katrina sehen.
Hier ein Bericht im Österreichischen Radio oe1; hier einige Fotos auf News.at (aus denen deutlich erkennbar ist, dass der Fotograf auf falsche Blondinen steht) -- man sollte einfach ignorieren, dass hier durchgängig von St. Louis, New Orleans die Rede ist.
In der Süddeutschen Zeitung war gestern ein schöner Artikel, allerdings mit einigen Ungenauigkeiten. Meine Leser-E-Mail kommt irgendwie technisch dort nicht an, deshalb hier:
Danke für den schönen Beitrag. Zwei kleine Korrekturen: Die 'throws' (Geworfenes) können auch Plastikbecher, Perlenketten oder anderer Tinnef sein und Frauen müssen nicht die Brüste zeigen, aber einige Touristinnen im French Quarter tun es scheinbar gern.
Die Krewe sind historisch nach der ethnischen Herkunft getrennt. 1991 wurde eine Verordnung erlassen, dass die Krewes auch Menschen anderer Hautfarbe aufnehmen müssen. Darauf hin stellten einige Krewes ihre Umzüge ein, darunter The Knights of Momus (Die Ritter des Momus), die bis heute nur noch interne Maskenbälle abhalten. Die Mardi Gras Indians sind übrigens keine Indianer, sondern Afroamerikaner, die sich in farbenprächtigen indianischen Kostümen verkleiden und deren Vereine untereinander konkurrieren.
Auch in der Süddeutschen einige Fotos vom Karneval hier.

Dienstag, 12. Februar 2013

Odalie

Es ist Fastnacht, Mardi Gras, und in New Orleans, Südlouisiana, in Teilen von Mississippi und Alabama wird heute die Post abgehen! Wir hier in Berlin essen aus Anlass des Tages einen Pfannkuchen.
Aber damit Ihr nicht völlig darben müsst, biete ich Euch hier ein Schmankerl, so hoffe ich: Meine Übersetzung einer Karnevalsgeschichte von Alice Dunbar-Nelson (1875-1935), einer auf Deutsch noch unentdeckten kreolischen Autorin, Journalistin, politischen Aktivistin aus New Orleans, die u.a. mit der Harlem Renaissance verbandelt war.
Die Geschichte „Odalie“ veröffentlichte sie im Alter von 20 Jahren, deshalb mag man ihr die Melodramatik nachsehen. Sie beschreibt einen Karneval ihrer Zeit im French Quarter von New Orleans und erzählt von einem jungen Mädchen noch vor ihrer Zeit, für die zum Karneval und auch an den anderen Tagen definitiv nicht die Post abging (und das Leben von Frauen thematisiert sie auch in ihren späteren Texten. Hier also eine Weltpremiere: „Odalie von Alice Dunbar-Nelson erstmals auf Deutsch. Das Original findet sich hier.

Alice Dunbar-Nelson
ODALIE
Dann und wann kommt der Karneval zur Zeit des guten Sankt Valentin und manchmal kommt er erst spät in den warmen Märztagen, wenn der Frühling schon da ist und das Grün des Grases das Grün der königlichen Standarten aussticht.
Viele Tage vor dem eigentlichen Karneval gewandet sich New Orleans in sein Festkleid. Hier und dort erscheinen die Karnevalsflaggen mit ihrem leuchtenden Grün, Violett und Gelb, und dann, wie von Zauberhand, erflammen die Straßen und Gebäude und platzen aus den Knospen wie der Mohn, in ein herrliches Feuerwerk der Farben, das die Sinne in eine wohlige Akzeptanz von Wärme und Schönheit tunkt.
Am Fastnachtsdienstag, wie Sie wissen, ist es eine Stadt, die von all der Narretei toll geworden ist. Ein riesiger Maskenball, der sich bei Tageslicht auf die Straßen ergießt, eine Stelldichein aller Nationen auf gemeinsamen Boden, ein Potpourri aus jeder erdenklichen menschlichen Zutat – all das kann es nur vage beschreiben. Es gibt Musik und Blumen, Schreie und Gelächter und Lieder und Frohsinn, und niemals ein schmerzendes Herz, das seinen Kummer zeigt oder das Glück der Straßen trübt. Eine wundersame Sache, dieser Karneval!
Aber die alten Freunde da im Französischen Viertel, die alles wissen und manch eine Geschichte kennen, berichten von einem trauernden Herzen zur Fastnacht vor vielen Jahren. Natürlich war es ein Frauenherz, denn „Il est toujours les femmes qui sont malheureuses“* geht ein altes Sprichwort, und vielleicht stimmt das. Diese Frau – anderswo würde man sie ein Kind nennen, außer in diesem Land der tropischen Fülle und der Frühreife – verlor ihr Herz an einen, der nichts davon wusste, übrigens durchaus eine übliche Geschichte, die aber ihr Vater, der hochmütige Richter, für ziemlich geschmacklos gehalten hätte, hätte er davon gewusst.
Odalie war schön. Odalie war auch stolz, aber gütig genug gegen jene, die ihrem zarten Gemüt gefielen. In dem alten französischen Haus auf der Royal Street, mit seinen altertümlichen Fenstern und dem spanischen Hof, grün und kühl und durch das Plätschern einer Fontäne und das Trillern von Vögeln in ihren Käfigen mit Musik erfüllt, lebte Odalie in klosterähnlicher Abgeschiedenheit. Monsieur le Juge war darauf bedacht, dass kein Falke in den Käfig eindringen und sein Täubchen stehlen konnte, und so gab es zwar keine Mutter, doch eine strenge Tante wachte als Anstandsdame über das Mädchen.
Ach, die Vorkehrungen der Tante! Leuchtende Augen auf der Suche nach anderen leuchtenden Augen, in denen der Geist der Jugend und des Übermuts lauert, halten überall Ausschau, selbst in der Kirche. Pflichtbewusst brachte man Odalie jeden Sonntag zur Messe in die Kathedrale, und Tante Louise, die über ihren Perlen fromm mit dem Kopf nickte, bemerkte das Erröten und die bedeutungsvollen Blicke nicht, einen ganzen Code aus Signalen, die zwischen Odalie und Pierre, dem mittellosen, jungen Gerichtsbeamten, hin und hergingen.
Vielleicht liebte Odalie, weil es nicht viel Anderes zu tun gab. Wenn man in einem großen französischen Haus mit der grimmigen, schläfrigen Tante und ohne Kameraden seines Alters eingeschlossen ist, wird das Leben stumpf und man wartet auf irgendein neues Gefühl, vor allem wenn in den Adern das ungestüme spanisch-französische Blut tost, auf das Monsieur le Juge so stolz war. Also hielt Odalie an den Wochentagen das Traumbild ihres Pierre fest in den Armen und spielte ihm bebende, kleine Liebeslieder, wenn la Tante in der Dämmerung über ihrem Andachtsbuch döste, und sonntags bei der Messe gab es wieder Blicke und Erröten und vielleicht in einem besonders in Erinnerung gebliebenen Augenblick, während la Tante ihren letzten Kniefall machte, das Berühren von Fingerspitzen am Weihwasserbecken.
Dann kam die Karnevalszeit und ein kleines Herz schlug schneller, als das graue Haus auf der Royal Street seine bunten Fahnen heraushängte und die trostlose Fassade mit leuchtenden Farben schmückte. Es sollte eine Zeit der Freude und der Muße werden, wo alle überall hingehen konnten und man auf der Straße sprechen konnte, mit wem man wollte. Unbewusst wurden Pläne formuliert und die kleine Odalie war glücklich, je näher die Zeit rückte.
„Stell dir doch mal vor, Tante Louise,“ rief sie, „was das für eine glückliche Zeit sein wird!“
Aber Tante Louise brummte nur irgendetwas, wie es ihre Art war.
Endlich war Fastnacht gekommen und schon früh hörte Odalie durch das Fenster das Klingeln der närrischen Glocken an den Kostümen der Maskierten, das Klimpern von Musik und den Widerhall von Liedern. Hoch zu ihren Ohren drang das Gelächter der älteren Maskierten und das Kreischen der kleinen Kinder, die sich vor ihrem eigenen Anblick unter der Maske und dem Dominomantel fürchteten. Was für eine Aufregung, draußen in dem kunterbunten, fröhlichen Gedränge zu sein, die Royal Street zur Canal Street hinabzuschreiten, wo das Leben und die Welt war!
Es waren müde Augen, mit denen Odalie schließlich auf das heitere Treiben blickte, müde, Pulk über Pulk Maskierter und Unmaskierter zu beobachten, in die Wagenladungen singender Musikanten und in die Kutschen der Feiernden zu schielen, in der Hoffnung auf einen Blick auf Pierre den Treuen. Die Umzugswagen mit ihren rot drapierten Pferden rumpelten vorbei und verloren langsam ihren Charme, die Kostüme sahen billig aus, sogar die Fahnen in fröhlichen Farben flatterten Odalie traurig zu.
Fastnacht war doch ein ermüdender Tag, seufzte sie, und Tante Louise stimmte ihr ausnahmsweise zu.
Es war sechs Uhr, die Zeit, wo alle Masken abgenommen werden müssen. Die langen roten Strahlen der untergehenden Sonne funkelten quer über die bunten Kostüme der Karnevalisten, die demaskiert Richtung Heim zogen, um sich vor dem letzten wilden Tollen der Nacht auszuruhen.
Die Toulouse Street herunter kam die fröhlichste aller Scharen. Junge Männer und Frauen im zarten, feenhaften Gewand, Tänzer und Kleider des malerischen Empires, ein oder zwei Schmetterlinge und ab und zu eine Dame mit gepudertem Haar und der Anmut alter Zeiten. Mit unmaskierten Gesichtern sangen sie, tanzten Richtung Tante Louise und Odalie. Da stand sie mit glänzenden und tränenschweren Augen, denn ganz vorn lief Pierre, Pierre der Treulose, die Arme um die schlanke Taille eines Schmetterlings geschlungen, dessen flitterndes gepudertes Haar über die Spitzenrüschen seines Empirerocks floss.
“Pierre!” rief Odalie leise. Niemand hörte sie, denn es war nur ein schwacher Hauch, der unbeachtet verhallte. Die lachende Schar bewarf sie mit Blumen und Naschereien und ging ihres Wegs, und selbst Pierre sah sie nicht.
Wissen Sie, wenn man hinter den düsteren Wänden eines Hauses auf der Royal Street eingesperrt ist, mit niemandem außer einer Tante Louise und einem verbitterten Richter, wie soll man da lernen, dass es auf der Welt Treulose gibt, die einem bei der Messe zärtlich in die Augen schauen und mit liebkosenden Fingern das Weihwasser reichen, ohne Hals über Kopf verliebt zu sein? Es gab niemanden, der das Odalie hätte erklären können, und so saß sie an diesen matten ersten Tagen der Fastenzeit zu Hause und hätschelte ihre kostbare tote Liebe und trauerte, wie es Frauen seit undenklichen Zeiten immer wieder tun, über die Untreue eines Mannes. Und als sie eines Tages darum bat, ins Ursulinenkloster zurückkehren zu dürfen, wo sie ihre Kindheitstage verbracht hatte, allerdings jetzt als Nonne, da befanden es Monsieur le Juge und Tante Louise durchaus als das Schicklichste und Günstigste für sie; denn wie sollten Sie um das Geheimnis jener Fastennacht wissen?
Übersetzt von Ina Pfitzner

* Es sind immer die Frauen, die unglücklich sind.
** Monsieur le Juge: der Herr Richter

Sonntag, 10. Februar 2013

Nachrichten vom Mardi Gras

Am Sonnabend kam es auf der Bourbon Street im French Quarter zu einer Schießerei, bei der zwei Frauen und zwei Männer verletzt wurden, einer davon schwer. Die Polizei vermutet, dass es zwischen Touristen zu Auseinandersetzungen kam. (Amerika: Noch Fragen, warum die Beschränkung von Schusswaffen eine gute Idee sein könnte?) Das ist natürlich im French Quarter besonders beängstigend, weil sich dort in den engen Straßen die Massen drängen wie sonst vielleicht in Rio. Im zweiten Teil des Videos ein Bericht über eine Massenpanik beim Karneval in Rio. Hier.
Bei der Endymion-Parade am Sonnabend Abend kam es zu einem kleinen Zwischenfall. Das viel erwartete Mega-Float "Pontchartrain Beach Then and Now", 111 Meter lang und aus 9 Teilen bestehend, kam an der Kreuzung Orleans Avenue und North Carrollton Avenue nicht um die enge Ecke und musste in zwei Teile zerlegt werden, was den Umzug um 15 bis 20 Minuten verzögerte. Hier.
Hier noch die Möglichkeit per Livecam einige Paraden mitzuverfolgen, wenn gerade welche sind. Den nervigen Audiokommentar kann man zum Glück herunterdrehen.
Ich erinnere mich übrigens noch daran, dass zur Fastnacht im French Quarter auch immer Demonstranten unterwegs waren, die die Ausschweifenden mit ihren Transparenten daran erinnerten, dass Jesus sie liebt usw. Aber am Aschermittwoch ist doch sowieso alles vorbei...

Donnerstag, 7. Februar 2013

Gottschalk


Die amerikanischen Künste sind genial, wegweisend und frisch, wenn sie aus ihrem eigenen Kulturhumus schöpfen, der reich an Einflüssen und Zutaten und Dünger ist und deshalb schneller reift (ja, ich denke hier an einen Komposthaufen in Louisiana, der innerhalb weniger Monate „durch“ ist, während er hierzulande mehr als ein Jahr braucht). In einigen amerikanischen Kunstmuseen findet man auch das, was herauskommt, wenn amerikanische Künstler versucht haben, europäisch zu malen – altmodisch und in der Ausführung nicht präzise. Doch als sie anfingen, mit Selbstbewusstsein und einer gewissen Unbekümmertheit zu schöpfen, wurden sie auf allen Gebieten Weltklasse. Außer vielleicht bei der klassischen Musik.
Möglicherweise gilt ja der Komponist Louis Moreau Gottschalk hier in der Nation Bachs und Beethovens gar nicht so recht als klassische Musik, sondern als Salonmusik; jedenfalls genügte seine Herkunft aus der Neuen Welt, um ihm die Aufnahme ins Pariser Konservatorium zu verwehren. Ein guter Komponist wurde er trotzdem und war mit Bizet, Saint-Saëns, Chopin, Offenbach, Meyerbeer bekannt. Für mich ist er eine Entdeckung, eine Musik, die mich tief bewegt.
Geboren wurde Gottschalk 1829 in New Orleans, wo er auch aufwuchs. Sein Vater war ein von spanischen Juden abstammender Engländer, seine Mutter Französin, deren Familie über Santo Domingo in die Stadt kam. In der Familie wurde, so wie in New Orleans überhaupt, Französisch gesprochen, und das Umfeld bot reichlich kreolische, afrikanische und spanische Inspirationen. Gottschalk verbrachte viele Jahre in Frankreich und Spanien, lebte in der Karibik und fünf Jahre in Kuba. Als er 1862 nach New York zurückkehrte, war der amerikanische Bürgerkrieg ausgebrochen und er stellte sich klar auf die Seite der Union, also der Nordstaaten.
Es scheint, dass er ein Tausendsassa und Frauenheld war, aber auch ein viel beschäftigter und innovativer Künstler, der mit ungewöhnlichen Konzertanordnungen experimentierte, z.B. mit 14 Klavieren oder einem Orchester und Chor aus 900 Personen. In seinem Stück „The Union“ hat er „The Star-Spangled Banner“ und andere Lieder verarbeitet; seine Komposition „Banjo“ wird sogar als Vorläufer des Jazz gehandelt. Ich habe hier eine CD „Classiques des Amériques“ mit Musik von Ignatio Cervantes, Manuel Saumell und Gottschalk, die man mir mit den Worten schenkte: „Du weißt doch, dass Louisiana mal von Havanna aus regiert wurde“, und es stimmt, dass die Spanier für einige Jahrzehnte die Verwaltung von den Franzosen übernommen hatten. Die Stücke auf der CD tragen so neuweltliche Namen wie „Le bananier“ (Der Bananenbaum), „Les yeux créoles“ (Kreolische Augen), „Bamboula“ usw. Eines der bewegendsten heißt „Morte!“ und soll seinem kleinen verstorbenen Sohn oder einer verstorbenen Geliebten gewidmet sein.
Gottschalk selbst starb mit erst 40 Jahren 1869 in Rio de Janeiro, an Malaria und Chininüberdosis.
Berlioz lobte ihn u.a. mit diesen Worten: „Alle Welt in Europa kennt die 'Bamboula', den 'Bananenbaum'... und zwanzig weitere geistreiche Phantasien, wo die Unbekümmertheit der Melodien der Tropen so sanft unsere Unruhe und unersättliche Gier nach Neuem stillt...“
Auf Youtube finden sich verschiedene Aufnahmen und Interpretationen, „The Banjo“, „Grande Tarantelle“ und viele andere. Das letzte Werk des Romanautors Howard Breslin Concert Grand von 1963 basiert auf dem Leben von Louis Moreau Gottschalk. Etwas ausführlichere Biografien auf Deutsch hier und auf Englisch hier. Im österreichischen Radio OE1 gab es vor einem Jahr eine Sendung über ihn unter dem Titel Chopin der Kreolen


Montag, 4. Februar 2013

Superbowl (Der Morgen danach)

Es hat eine Weile gedauert, bis sich mir die Meldungen auf Facebook erschlossen haben. Beyoncé war toll, tatsächlich live, mit ihren Kolleginnen von Destiny's Child und ist die schönste Frau der Welt. Aber dann nach der Halbzeitpause fiel für 34 Minuten im Superdome der Strom aus! Bei dem wohl wichtigsten Ereignis des Jahres, das bestimmt mehr Menschen gesehen haben als die Präsidenteneinführung!
Die Times-Picayune titelt: "Behörden noch im Dunkeln über die Ursachen für den Stromausfall" und meine Freundin Lil schrieb auf Facebook: "Falls jemand dachte, wir wären keine Bananenrepublik mehr..."

Sonntag, 3. Februar 2013

Superbowl (Oder das Geschäft mit dem Sex)


Heute findet das große Superbowl-Spiel im Superdome von New Orleans statt. Auch hierzulande wurde viel darüber berichtet und New Orleans für seinen Wiederaufbau nach Katrina gelobt, so im Spiegel, in der Wiener Presse, in der NZZ und anderen. Es werden stolze Einwohner zitiert, es ist von den New Orleans Saints die Rede, die nach Katrina große Hoffnungsträger waren und u.a. wegen einer Kopfgeldaffäre jetzt nicht im Finale stehen. Es ist auch von den Gefahren für die Spieler die Rede, die ihren aggressiven Sport möglicherweise im Alter mit Demenz und anderen Spätfolgen bezahlen müssen. Es geht auch um die aufwendigen Werbespots, die gezeigt werden, wobei der VW-Spot für einige etwas rassistisch ausfiel.
Nur die Times-Picayune hat sich jetzt mit der dunklen Kehrseite solcher Großereignisse befasst, über die meist nicht gesprochen wird: die Prostitution. Diese hat fast immer mit Zwang zu tun und oft auch mit Menschenhandel, wie in dem Artikel deutlich wird. Im letzten Jahr wurde im French Quarter das Eden House eingerichtet, das Frauen beim Ausstieg aus der Prostitution unterstützen will. Die Leiterin Clemmie Greenlee berichtet dort von ihrem eigenen Leidensweg: mit zwölf in die Prostitution gezwungen, geschlagen, gruppenvergewaltigt, unter Drogen gesetzt, zu erfüllende Quoten (mal 25, mal 50 Männer am Tag), die Hoffnungs- und Aussichtslosigkeit. Mit 42 schaffte sie es, sich aus ihrer Situation zu befreien.
Clemmie Greenlee stammt nicht aus New Orleans, aber das tun viele der Sexarbeiterinnen auch nicht. Schließlich hat die Stadt ihren Ruf als Sündenbabel weg, und genau deshalb kommen viele hierher: um ihren Körper zu vermarkten oder um andere Körper zu konsumieren. Das fängt ziemlich harmlos damit an, dass die Touristinnen beim Karneval ihre Brüste zeigen (Show you tits!), um ein paar Plasteperlen zugeworfen zu bekommen, die männlichen Touristen und Konferenzteilnehmer in Stripteaseklubs gehen usw. Aber es kommen eben auch viele Frauen, um im einschlägigen Geschäft zu arbeiten.
Was mich besonders stört, ist der verbreitete Mythos, dass das ein freiwillig ausgeübtes Gewerbe sei. Als es vor vielen Jahren noch den Stripklub Big Daddy’s auf der Bourbon Street gab (der mit den neckisch durchs Fenster nach draußen schaukelnden Frauenbeinen), waren die meisten der Tänzerinnen zwar aus den Südstaaten, aber nicht aus Louisiana. Einige waren schon älter, viele auf Drogen, einige verschwanden auch mit Kunden auf der Toilette, was nicht gern gesehen war, und als sich eine beim Tanzen am Fuß verletzte, war sie völlig außer sich, denn sie hatte keine Krankenversicherung. Eine junge, sehr schöne Afroamerikanerin mit langer Perücke ertanzte sich auf diese Weise die Studiengebühr fürs College und wurde jeden Morgen von ihrem Freund abgeholt. Nun waren die sicher alle freiwillig da, aber ob sie abends erfüllt und glücklich ins Bett sanken, daran habe ich meine Zweifel. Viele Prostituierte, das ist auch bekannt, haben eine Missbrauchsgeschichte.
Mich erinnert das auch an die gegenwärtige Sexismus-Debatte in unserem Land, in der eigenartigerweise manche gleich das ganze Verhältnis der Geschlechter in Frage gestellt sehen. Dabei sind doch viele Männer und Frauen viel weiter als die Politik, und um die geht es ja hier. (Natürlich muss man einen 67-jährigen Politiker fragen dürfen, wie er denn Hoffnungsträger sein will, und er darf niemandem verbal und tätlich an die Wäsche gehen. Natürlich darf dies spätestens in dem Moment publik gemacht werden, indem er eine neue Funktion übernimmt.)
Es erinnert mich auch daran, dass DDR-Frauen seit der Wende nicht mehr so einfach über ihre eigene Schwangerschaft bestimmen können und ihre Rolle als berufstätige Frau und Mutter nicht mehr selbstverständlich, sondern zum Teil in Frage gestellt wird, dass sie überall mit Nacktfotos konfrontiert sind. Dass heutzutage nicht nur politisch, sondern auch medial immer noch Kinder-Küche-Kirche propagiert wird und von abweichlerischen Rabenmüttern die Rede ist, dass eine vergewaltigte Frau in Krankenhäusern abgewiesen werden kann und dass auch ich vor nicht allzu langer Zeit keine Anzeige erstattet habe, weil man es mir ausgeredet hat und weil bekannt war, wie es Opfern sexueller Gewalt vor Gericht erging.
Es erinnert mich daran, dass hierzulande sowie in Österreich und der Schweiz Prostitution als eine wirtschaftliche Tätigkeit wie jede andere angesehen wird. Das ist für die Sexarbeiterinnen natürlich positiv, keine Angst vor strafrechtlicher Verfolgung haben zu müssen, krankenversichert zu sein usw. Aber Schweden, das Land in dem die Männer schon seit Jahrzehnten ganz selbstverständlich die Hälfte der Elternzeit in Anspruch nehmen, hat einen anderen Weg gefunden: dass nämlich Prostitution illegal bleibt und nur die Freier strafrechtlich belangt werden. Offensichtlich ist dieses Modell erfolgreich und die Zahl der Huren und der Menschenhandel haben deutlich abgenommen. Und ich denke irgendwie auch, dass sich das auf das Frauenbild der Gesellschaft auswirkt.
„Glückliche Huren gibt es nicht“, heißt ein Artikel dazu, und ich, so als Frau, kann mir nicht vorstellen, dass die aufgebrezelten jungen Osteuropäerinnen in ihren Skihosen auf der Oranienburger Straße, dass die jungen Schwarzen, die sich in Washington, D.C. barbusig auf dem Autostrich anpreisen, dass die Damen in den Schaufenstern der Antwerpener Altstadt ihren Beruf mit Freude und absolut freiwillig ausüben. Und nicht doch von ihrer Herkunft und von ihrer Wahrnehmung und den Werten der Gesellschaft, in der sie sich bewegen, geprägt sind.
Deshalb bin ich froh, dass die Times-Picayune das thematisiert hat. Die Polizei in New Orleans hat bereits einige Festnahmen durchgeführt, darunter eine junge Texanerin, die mit ihrem vierjährigen Sohn, mit Freundin und Zuhälter angereist war und nach der Aufnahme in ein Obdachlosenasyl das Weite gesucht hat. Clemmie Greenlees Kommentar dazu: „Eigentlich wollen alle raus (aus dem Geschäft).“
Ach ja, in der Halbzeitpause singt wieder Beyoncé und die bessere Mannschaft wird sicherlich gewinnen und im ganzen Land werden unzählige Biere und Pizzen verzehrt werden. Bald dann werden die Einwohner wieder aus ihren Verstecken hervorkommen und sich dem eigentlich Wichtigen zuwenden: dem Karneval.