Samstag, 26. April 2014

Ein Expat-Baum

Vor kurzem wurde bei uns hinter dem Haus ein Baum gefällt, ein Eschenahorn, hieß es. Er war knorrig und nicht recht glücklich. Die Baumfäller waren zwei junge Burschen, die sich über Fitnessstudios und so weiter unterhielten. Das weiß ich, weil ich mir von den ersten abgesägten Ästen ein paar Zweige für einen Osterstrauß abgemacht habe. Später habe ich gesehen, wie der eine oben im Baum an einem großen Ast sägte, während der andere von fern versuchte, diesen mit einem Seil herunterzuziehen und zum Abbrechen zu bewegen. Als das dann endlich gelang, führte er einen kleinen Freudentanz auf.
Meine Zweige machten mich auch nicht so recht glücklich. Seltsame klebrige schwarze Krümel lagen darunter auf dem Tisch und immer wieder starrte die Katze nach oben in die Zweige, wo sich eine grüne Raupe wand, die ich später irgendwo in der Wohnung wieder fand. Vor allem aber waren die sich langsam auffaltenden Blätter sehr seltsam, in einem fremden Grün, gezackt und ein bisschen fedrig.
Seltsam ist auch die Landschaft, in der ich jetzt lebe. Sie ist struppig, nicht wie die typische weite und sanfte Berlin-brandenburgische Wald-Wasser-Wiesen-Landschaft. An den Eschenahornen hängen auch die vertrockneten Früchte vom letzten Jahr und die Bäume haben kaum einen Stamm, sondern bestehen fast nur aus Ästen, die direkt aus dem Boden zu wachsen scheinen.
Auf einer der vielen Besuchertafeln hier in der Umgebung heißt es: Das Gegenteil von Wildnis. Denn die Bäume sehen zwar wild aus, aber so wie ganz Mitteleuropa seit Jahrhunderten eine stark durch den Menschen geprägte Kulturlandschaft ist, so waren die Rieselfelder, die hier früher waren, ein besonders starker Eingriff, der die Gegend zeichnet. Seit den achtziger Jahren versucht man hier wieder „Natur“ entstehen zu lassen, mit wild lebenden Rindern und Pferden und verschiedenen Landschaftsformen: Heide, Kiefernschonungen, Wassergräben und auch Kunst in der Natur usw.
Nicht eingeplant war wohl der Eschenahorn. Er gehört zu den invasiven Neophyten, den nicht heimischen Spezies, die sich ausbreiten und heimische Pflanzen verdrängen (siehe hier) und ist ein äußerst erfolgreicher Pionierbaum (siehe hier). Tatsächlich soll der Acer negundo schon 1688 aus Nordamerika bei uns eingeführt worden sein. In den USA heißt er Box elder oder Boxelder maple usw. und ist vor allem in der östlichen Hälfte bis hoch nach Kanada zu finden, auch in Louisiana, aber da fällt er nicht so auf, weil dort alles wild und struppig aussieht. So habe ich ein bisschen Amerika direkt hinterm Haus. Trotz des fremden Eschenahorns fühlen sich hier jede Menge Wildtiere und Vögel zu Hause. Ich auch. 
Mein neuer Arbeitsplatz. Im Hintergrund auch Eschenahorn.

Freitag, 18. April 2014

Bob Kaufman


Große Lyriker aus den Südstaaten gibt es nicht so viele wie Prosaautoren, das hatten wir schon mal festgestellt. Aber hier ist einer: Der Beat-Dichter Bob Kaufman, der am 18. April1925 in New Orleans geboren wurde. Dort wuchs er, je nach Quelle, als eines von 13 oder 14 Kindern eines deutschstämmigen orthodoxen Juden und einer afroamerikanischen bzw. aus Martinique stammenden Katholikin auf (er schrieb: „my negro suit has jew stripes“). An beider Religionen hatte er als Kind teil, aber später bekannte er sich zum Buddhismus. Seine Großmutter soll Voodoo praktiziert haben. Laut einer Studie wuchs er in der Seventh Ward auf, und beide Eltern gehörten der kreolisch-afroamerikanischen Bevölkerungsgruppe in New Orleans an. Er selbst sprach auch kreolisches Patois. Mit neunzehn ging er zur Handelsmarine und umrundete in 20 Jahren neun Mal die Welt und erlebte vier Schiffbrüche. An Land studierte er kurzzeitig an der New York School, wo er Allen Ginsberg und William Burroughs kennenlernte.
Mit ihnen zog er nach San Francisco, wo er meist in North Beach lebte. Er soll den Terminus „Beatnik“ geprägt haben und war einer der Mitbegründer der Zeitschrift Beatitude. Dass er weniger bekannt ist als die übrigen, liegt daran, dass von ihm nur wenige Gedichte in Lyrikbänden erschienen sind. Er verstand sich als Poet in der mündlichen Tradition und trug seine Gedichte auf den Straßen San Franciscos oder in Kaffeehäusern vor. Oft wurde er dabei für einen Obdachlosen oder Bettler gehalten, und 1959 soll er 39 Mal festgenommen worden sein.
Seine Lyrik ist vom Jazz inspiriert, oft synkopiert und von Musik begleitet („Jazz is an African traitor“ schrieb er in Solitudes) und wird auch als surrealistisch bezeichnet. Deshalb nannte man ihn auch „the original bebop man“ und in Frankreich manchmal „Rimbaud noir“.
Nach dem Attentat auf Präsident Kennedy 1963 erlegte er sich Schweigen auf, das er erst nach dem Ende des Vietnamkriegs mit dem berühmten Gedicht All those ships that never sailed brach. Es ist vermutlich von einem Gedicht von Leonard Cohen inspiriert, siehe hier. (Nicht ungewöhnlich: Paul Celans Todesfuge ist eine Adaption und Perfektionierung eines Gedichts von Immanuel Weissglas.)
Bei Kaufman ist es sein poetisches Verfahren, denn für ihn ist die Welt voller Poesie, die um seinen Kopf herumwirbelt und die er aufgreift. Er wollte auch nicht, dass seine Gedichte abgedruckt werden, und so ist es vor allem seiner Frau Eileen zu verdanken, dass einige überliefert sind, weil sie fleißig mitgeschrieben hat. Bekannt ist er vor allem für sein Abomunist Manifesto, Solitudes Crowded with Loneliness (1982 Deutsch von Udo Breger als Eremit in San Francisco), Golden Sardine und The Ancient Rain. Er starb 1986 im Alter von nur 60 Jahren.
Bob Kaufman ist legendär und sagenumwoben, und über sein Leben ist nicht viel bekannt. Folgerichtig trägt seine Biographie von Mel Clay Jazz Jail and God (Jazz, Gefängnis und Gott) den Untertitel „Impressionistic Biography“. „I want to be anonymous... my ambition is to be completely forgotten,“ hatte Bob Kaufman erklärt. Letzteres hat dann doch nicht geklappt: Gestern gab es in New Orleans im Gold Mine Saloon einen Tribute für ihn mit Brenda Marie Osbey und anderen Dichtern mit einem kleinen Jazzensemble. Hier einige Erinnerungen von A.D. Winans.