Donnerstag, 29. September 2011

Tennessee-Williams-Jahr?

In Berlin war dieses Jahr eine Art inoffizielles Tennessee-Williams-Jahr zum 100. Geburtstag des Dramatikers. Thomas Lanier Williams (1911-1983) wuchs in Columbus, Mississippi, auf—dem, was eigentlich mit dem „tiefen Süden“ gemeint ist. Er studierte in St. Louis, Missouri, und begann dort zu schreiben. Er nannte sich Tennessee, weil die Familie väterlicherseits von den ersten Pionieren dort abstammte und vermachte später sein Erbe an die Alma Mater seines Großvaters in Sewanee, Tennessee. Doch als er 1939 nach New Orleans kam, sollte ihn die Stadt nie mehr loslassen und wurde Schauplatz seiner bekanntesten Stücke. Hier blühte er auf, fand seine Stimme, begann seine Homosexualität offen zu leben, wurde weltberühmt.
Das English Theatre in Berlin zeigte im Frühjahr Summer and Smoke (Sommer und Rauch, 1948) mit der beeindruckenden Carrie Getman als Alma Winemiller, Tochter eines Pastors (wie auch TWs Großvater). Sie gab ganz passend die propere Debütantin und southern belle (Südstaatenschönheit), bei der es unter dem zarten Teint brodelt und deren Liebe nicht stattfinden kann, weil der lebensfreudige Dandy ihr nichts entgegenzusetzen hat (und ein bisschen galt das auch für die Inszenierung). 
Im Berliner Ensemble lief Endstation Sehnsucht (A Streetcar Named Desire, 1947) in der Regie von Thomas Langhoff, die Geschichte zwischen Blanche und Schwager Stanley und ihrer jüngeren Schwester Stella. Es spielte Dagmar Manzel, die für meine Begriffe zu viel „manzelt“. Vages New-Orleans-Gefühl mit einer kleinen Band, aber das Ganze irgendwie bemüht, unglaubwürdig, seltsam unberührend.
Und dann war da noch Die Glasmenagerie (The Glass Menagerie, 1944) im Maxim-Gorki-Theater, in der Inszenierung von Milan Peschel, wo sich eine tragische Konstellation aus Bruder, behinderter Schwester, neurotischer Mutter in purem Slapstick, Klamauk und Siebziger-Jahre-Design auflöste.
Die Stücke und ihre Figuren sind verschroben, schmerzlich und zutiefst wahr. Vor allem die intensiven Frauenfiguren haben eine Dringlichkeit, einen existentiellen Schmerz, der sie an den männlichen Figuren scheitern lässt. Und auch New Orleans, das sonst meist für Ausschweifungen und Frohsinn steht, ist in diesen und anderen Stücken von Tennessee Williams eine weltschmerzende Dame.
Doch zeigen uns die deutschen Aufführungen nicht, was uns der Dichter heute und hier zu sagen hat. Dabei gibt es noch immer Frauen und Männer, die mit sich, mit einander, mit der Welt kämpfen. Und New Orleans, wo Endstation Sehnsucht und Die Glasmenagerie spielen, ist in den letzten Jahren auf besondere Weise ins Bewusstsein der Welt gerückt. Eine gut gemeinte und doch halbherzige Hommage? 


In New Orleans ist übrigens jedes Jahr Tennessee-Williams-Jahr. Seit 1987 findet Ende März immer das Tennessee Williams Literary Festival im French Quarter statt, mit Lesungen, Vorträgen, Theater und verschiedenen Wettbewerben: Der Lyrik-Wettbewerb für das nächste Jahr ist schon geschlossen, aber für Belletristik und Einakter sind Einreichungen noch bis zum 15. bzw. 1. November möglich. Es winkt die VIP-Teilnahme am nächsten Festival (21. bis 25. März 2012), Flug, Übernachtung im French Quarter...

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