Sonntag, 6. Januar 2013

New Orleans im neuen Jahr

Seit ich mir einen Google-Alert eingerichtet habe, erfahre ich über erstaunlich viele New-Orleans-Themenveranstaltungen in deutschen Kleinstädten, gern auch Jazz und Gospel in der Weihnachtszeit, und über viele Sportergebnisse. Aber kürzlich haben einige längere Berichte auf New Orleans aufmerksam gemacht. Der Fernsehsender sixx hatte eine Sendung mit Jamie Oliver in New Orleans, die ich mir allerdings wegen der aufgedrehten Synchronisation nicht ansehen konnte. In der FAZ gab es einen Artikel von Arnold Bartetzky über das Make It Right NOLA-Projekt von Brad Pitt und die jetzige Brigitte hat auch einen kleinen Bericht mit Hochglanzfotos und Reisetipps von Till Raether. Fast könnte man meinen, es sei eine kleine Rehabilitationskampagne im Gange (Tenor: Vielleicht ist ja so eine Katastrophe manchmal gar nicht so schlecht), nachdem New Orleans ausgiebig kritisiert und totgesagt worden war. Brad Pitt, der Begründer des Projekts in der Lower Ninth Ward ist dabei zur Lichtgestalt erklärt worden, vielleicht das deutsche Architekturbüro Graft da mit drin hängt?
Tatsächlich habe ich New Orleans bei meinem letzten Besuch zwiespältig wahrgenommen. Einerseits war die rege Aktivität, das neuere, sauberere Image, die Professionalisierung, Kommerzialisierung beeindruckend und versöhnte mich fast mit ebenjenen Tendenzen hier in Berlin. Und andererseits schließt es, ebenso wie hier, immer wieder Alteingesessene aus, zerstört auch Gewachsenes, was vorher da war.
Dem Brad-Pitt-Projekt hatte ich sehr kritisch gegenüber gestanden, da es für mich auf einem Tabula-Rasa-Prinzip beruhte, nämlich davon ausging, dass man in der Lower Ninth Ward auf dem Nichts aufbauen konnte, weil viele Häuser fast völlig zerstört waren. Und so abgehoben und utopisch sehen einige der Hausentwürfe auch aus, die fast nichts von der langen und breiten Architekturtradition der Stadt berücksichtigten, außer vielleicht Begriffe wie Terrasse abhakten. Als wir aber dann vor ein paar Jahren dort vorbeifuhren, standen die ersten paar Häuser inmitten einer Freifläche und davor standen ein paar glückliche Bewohner und winkten uns zu und das ganze Projekt mit seiner Nachhaltigkeit und Umweltfreundlichkeit beeindruckte uns vor allem auch im Vergleich zu den eng gedrängten Holzhäusern im Musician's Village, das die christliche Freiwilligenorganisation Habitat for Humanity erbaut hat.
Dieses Mal standen noch mehr verrückte, bunte Häuser in diesem Nichts und als wir so mit touristischem Blick langsam vorbeifuhren, kam hinter uns eine junge Frau wild hupend angefahren und brauste wütend und mit absurd überhöhter Geschwindigkeit an uns vorbei -- road rage inmitten der Pampa. Meine Begleiterin meinte, sie hätte auch gern so ein Haus, denn die Leute hätten ausgesorgt. All das klingt dann wieder nicht ganz so nachhaltig für mich, und die Nachbarn, Schulen, Läden, Apotheken und was man so braucht, kann auch Brad Pitt nicht herbeizaubern.
Sollte er vielleicht auch nicht, denn die Lower Ninth Ward ist an zwei Seiten von Wasser umgeben und eines der verwundbarsten Viertel der Stadt; deshalb wurde sie auch als eines der letzten Viertel besiedelt... Andere Viertel wie Treme sind lebendig und bunt und gentrifiziert geworden. Im Faubourg Marigny hatte diese Entwicklung schon vor ca. 10 Jahren begonnen, nicht erst nach Katrina, wie der Brigitte-Autor schreibt.
All dies lässt mich auch an Berlin denken, um dessen Zukunft (und noch mehr: um dessen Seele) ich im wild entfesselten Kapitalismus bange. So vieles hat Berlin schon überlebt: den Krieg, dessen Wunden zumindest im Osten noch bis vor Kurzem sichtbar waren, die Teilung, die Wiedervereinigung... Also wird es wohl auch das Schloss und die ausländischen Immobilienhaie überleben? Und New Orleans überlebt sowieso, wenn auch immer anders.
Allerdings: Mit den Jahren ist das Restaurant Coop's Place (mit den besten Creole Green Beans) ohnehin immer touristischer geworden, aber jetzt, wo es selbst in der Brigitte erwähnt wird, kann man da wohl wirklich nicht mehr hingehen...

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