Freitag, 3. Februar 2012

John Kennedy Toole: Die Verschwörung der Idioten

Seit Monaten liegt es hier und will rezensiert werden: Die Verschwörung der Idioten von John Kennedy Toole in der Neuübersetzung von Alex Capus. Doch es verschworen sich die Umstände und ich und dieser große New-Orleans-Klassiker – tja, wir haben es nicht leicht miteinander.
Im Sommer 1989 verliebte ich mich in einen Amerikaner, dem ich von meiner Sehnsucht nach New Orleans berichtet haben muss, denn im Herbst ’89 legte er mir dieses Buch per Post ans Herz. Als DDR-Bürgerin der Wendezeit las ich es mit der zart entstehenden, Schwindel erregenden Hoffnung, New Orleans, die USA und vieles Andere tatsächlich einmal erleben zu dürfen. Vieles an dem Buch war fremd und bizarr für mich, doch ich las mich durch den klamaukigen Humor mit dem schallend lachenden Amerikaner vor Augen.
Das Vorwort zu meiner Ausgabe von A Confederacy of Dunces stammt von Walker Percy, einem der großen katholischen und New-Orleans-Autoren, der auch ins Deutsche übersetzt ist. 1976, als er Professor an der Loyola-Universität in New Orleans war, vertraute ihm die Mutter des Autors hartnäckig das Manuskript ihres Sohnes an. John Kennedy Toole (1937-1969) hatte das Buch Anfang der sechziger Jahre verfasst. Dass es ihm nicht gelang, einen Verleger dafür zu finden, muss u.a. zu seinen schweren Depressionen und zu seinem Selbstmord geführt haben. Auf Betreiben von Walker Percy erschien das Buch schließlich 1980 und wurde schnell zum Kultbuch und Bestseller.
Für Percy ist das Buch eine commedia und die Hauptfigur Ignatius J. Reilly zugleich „ein außergewöhnlicher Chaot, ein verrückter Oliver Hardy, ein fetter Don Quixote, ein perverser Thomas von Aquin“. Diesen Ignatius, hoch gebildet, Boethius und andere Klassiker zitierend, aber letztendlich lebensuntüchtig, plagt ein sich öffnendes und schließendes Magenventil, das ihn zwingt, ganze Tage lesend im Bett oder in der Badewanne zu verbringen. Seine Mutter, bei der er lebt, drängt ihn zur Arbeitssuche. Was er dabei erlebt, ist ein Panorama an Charakteren und Schauplätzen von New Orleans und der Region, die ihn letztendlich alle unberührt lassen. Wäre da nicht Myrna Minkoff, eine radikale, feministische, jüdische Freundin aus New York, mit der er einen intellektuell-engagierten Briefwechsel führt, der sich ebenso wie seine hochtrabenden, herablassenden gelehrten Traktate organisch in den Erzählfluss einfügt. Interessant ist auch Tooles liebevolle und doch nicht verklärende Darstellung der Schwarzen, und wie Ignatius sich einerseits auf ihre Seite stellt und andererseits mit Gemeinplätzen, wie den gern Melone essenden Schwarzen, spielt.
Insgesamt ist es eine karnevaleske, groteske Eugenspiegelgeschichte mit witzigen Dialogen und Momentaufnahmen der Stadt und ihrer Bewohner, eine Gesellschaftssatire (siehe taz, siehe auch Zeit). New Orleanser lieben das Buch, weil es die Stadt und den lokalen Akzent getreu wiedergibt, von kleinen augenzwinkernden Irreführungen abgesehen, wie der, dass die Sonne am Fuße der Canal Street, also Richtung West Bank untergeht, die in New Orleans östlich liegt. (Im Film sprechen New Orleanser mit nachgemachtem Südstaatenakzent, was sich genau so falsch anhört, wie wenn Schauspieler berlinern – das kann man nicht auf der Schule lernen.)
In Westdeutschland war, soweit ich weiß, schon die erste deutsche Fassung Ignaz oder Die Verschwörung der Idioten (1982 bei Klett-Cotta) von Peter Marginter ein Renner. Jetzt hat Klett-Cotta es in einer Neuübersetzung von Alex Capus als Die Verschwörung der Idioten aufgelegt. 
Ich habe mir natürlich die Übersetzungen angesehen. Einige Anspielungen bleiben dem deutschen Leser wohl verborgen, zum Beispiel in den Namen: Der ältere Verehrer der Mutter, Claude Robichaux, verweist auf einen echten Cajun, d.h. ein Land-Ei im Vergleich zu den urbanen New Orleansern (Dave Robichaux heißt auch der Detective in James Lee Burkes Krimis), die Hosenfabrikanten Levy erinnern nicht nur an Levi Strauss, sondern auch an eine typisch jüdische Familie, und mit Wachmann Mancuso, der sich durch das gesamte Buch zieht, entsteht sofort das Bild der Italiener von New Orleans.
Auch der englische Titel A Confederacy of Dunces ist wunderbar vielschichtig, denn die „confederacy“ erinnert an die Südstaatenkonföderation im Bürgerkrieg gegen den Norden und es schwingt ein Zusammenschluss oder auch eine Seilschaft mit. „Dunce“ ist ein altmodisches Wort, wie es der überkanditelte Ignatius verwenden würde, und die Jägerkappe, die er trägt, ist gewissermaßen eine eigene Version der Narrenkappe (dunce cap). 
Peter Marginters Version liest sich gut, aber die neue Fassung von Alex Capus ist noch gefälliger und an einigen Stellen mehr am Original orientiert. Einige kleine sachliche und sprachliche Fehler tauchen in beiden Übersetzungen auf: Bay St. Louis ist der Name eines kleines Städtchens und einer kleinen Bucht am Golf von Mexiko in Mississippi östlich von New Orleans, und "Bucht von St. Louis" erinnert mich eher an die Großstadt St. Louis in Missouri. Carrollton ist kein Bezirk von New Orleans, solche gibt es dort nämlich nicht, sondern einfach ein Viertel in der Nähe der Carrollton Road. An einer anderen Stelle heißt es im Original, dass Ignatius langsam watschelte, während bei beiden von „gemessenem Schritt“ die Rede ist. Jones, der wirklich witzige Schwarze, spickt seine Sprache mit dem Ausruf „Whoa!“, was bei Marginter gar nicht und bei Capus als „Boah!“ (für mich Ruhrgebiet der neunziger Jahre) wiedergegeben ist. Kleinigkeiten, die mir auffallen, aber dem normalen Leser nicht den Lesespaß verderben.
Wenn ich all die kleinen New-Orleans-Typischkeiten aufzähle, durch die bei Toole die Stadt in 3D entsteht – und dabei habe ich die Lucky Dogs noch gar nicht erwähnt – dann ist A Confederacy of Dunces irgendwie doch berührend. Dass Klett-Cotta das Buch mit einer Neuübersetzung beehrt, ist mutig und hochlobenswert. Inspiriert von der Übersetzerin Christa Schuenke heißt das für mich: Spätestens jetzt wird es auch auf Deutsch ein Klassiker.

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