Sonntag, 12. Februar 2012

Die Elektrische


Tennessee Williams’ Theaterstück oder vielmehr dessen Titel „Endstation Sehnsucht“ ist allgemein bekannt, vielleicht auch noch der Originaltitel „A Streetcar Named Desire“ (Eine Straßenbahn namens Sehnsucht), aber dass in New Orleans seit dem 19. Jahrhundert fast ununterbrochen eine Straßenbahn fährt, das weiß man wohl weniger.
In den Stadtteil Desire, der jetzt eher für problematische Sozialwohnprojekte (projects) bekannt ist, fährt seit 1948 nur noch ein Bus. Aber besonders auf der alleenhaften St. Charles Avenue fährt die Straßenbahn regelmäßig, zuverlässig und treu wie eh und je, und so war es ein besonderer Einschnitt als sie von August 2005 bis Dezember 2006 nach Hurrikan Katrina wegen zerstörter Oberleitungen usw. gar nicht verkehrte, danach nur auf Teilstücken, und schließlich seit Juni 2008 wieder vollständig. 
Dabei handelt es sich nicht um eine Straßenbahn wie wir sie hier kennen, sondern jeweils um einen einzigen historischen Waggon (ein streetcar eben), auf hohen Rädern, nicht klimatisiert und mit Mechaniklärm nicht nur, wenn die Fahrer mit riesigen Hebeln manövrieren. Es zieht durch die auf beiden Seiten geöffneten Fenster, die Bänke sind eng, hart und etwas abschüssig, und sie fährt auch scheinbar nicht nach einem festen Fahrplan, sondern eben immer mal wieder. Es sind die alten, historischen Wagen im immer gleichen grün-rostfarbenen Anstrich. So wie vielleicht ganz früher hier in Berlin die Elektrische fuhr (die hier erfunden wurde). Wunderbar!
Die Elektrische wird nicht nur von Touristen benutzt, sondern ist ein richtiges, wichtiges Verkehrsmittel. Eine reine Touristenattraktion ist die kurze Riverfront-Linie in Rot und Gelb. Wie überall gab es in New Orleans früher sehr viele Straßenbahnen, von mindestens sechs Betreibern, doch sie wurden ab spätestens Mitte des 20. Jahrhunderts abgeschafft. Unmotiviert liegende Straßenbahnschienen auf verschiedenen Straßen kunden davon. Seit einigen Jahren gibt es eine kleine Renaissance. Die Canal Street-Linie, die lange nur von Bussen befahren wurde, wurde 2004 wieder eingerichtet. Die New Orleans Regional Transit Authority (RTA) plant noch zwei Erweiterungen, von der Canal Street zum Bus- und Eisenbahnhof und eine Linie entlang des French Quarters, die 2012 bzw. 2013 in Betrieb genommen werden sollen.
Zu der Zeit als Tennessee Williams im French Quarter lebte, fuhr übrigens ein einsamer Straßenbahnwagen mit dem Ziel und der Aufschrift Desire (Verlangen, Sehnsucht) linienmäßig durch das French Quarter und gab dem Stück den Titel. Der Wagen Nr. 453 dieser Linie ist konserviert und zu besichtigen.
Diesen und viele andere historische Fakten (warum die New Orleanser Straßenbahn olivgrün ist, wer die erste Straßenbahnfahrerin war usw.) über New Orleans kann man von Blake Pontchartrain erfahren (nach dem Lake Pontchartrain, dem riesigen Salzwassersee im Norden der Stadt), der in der wöchentlichen Programmzeitung Gambit eine Kolumne hat.

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