Montag, 29. August 2011

Notizen über die Leerung einer Stadt

Am heutigen Montag jährt sich der Hurrikan Katrina zum sechsten Mal. In den Tagen und Wochen danach wurde die Überflutung von Teilen von New Orleans auch hier zum Medienereignis – rund um die Uhr. Seitdem reißt das Interesse nicht ab – erst kamen die Dokumentarfilmer (auch Profilierungssuchende), dann folgten Spielfilme, dann fiktionale und andere Bücher, die zum Teil schon auf dem deutschen Markt sind. Jetzt erreichen uns hier auch künstlerische Verarbeitungen: im September 2010 die Floodwall-Ausstellung von Jana Napoli auf dem Kurierschiff, im März 2011 ein Kunstfest namens NOLA Pearls im Direktorenhaus (allerdings ohne Katrina-Schwerpunkt).
Die schockierend-faszinierenden Bilder von der unglaublichen, von Menschenhand gemachten Katastrophe haben dem Mythos als Stadt des Jazz und des Voodoo und vielleicht der Vampire ein real und aktuell erscheinendes Gesicht hinzugefügt und in ihrer Tragik und Ungeheuerlichkeit tief berührt. Viele der hier lebenden Amerikaner erfüllt die Angelegenheit, glaube ich, mit Scham. New Orleans, scheint es, ist hier bei eben so vielen Menschen auf dem Radarschirm wie New York, London oder Paris.
Am Donnerstag Abend zeigte der Künstler Ashley Hunt in der Buchhandlung pro qm seine Performance Notes on the Emptying of a City (Notizen über die Leerung einer Stadt). An einem hohen Tisch mit Schreibtischlampe sitzend verlas er einen nachdenklichen, eloquenten Text (hier eine frühere Fassung)  und zeigte einige Standbilder und kurze Videosequenzen. Ashley Hunt hat irgendwann mal im French Quarter gelebt und kam gleich nach dem Sturm in die Stadt, um dort zu filmen. Zu Beginn der Performance dröhnte mir das „We’re all Katrina’d out!“ (Wir haben genug von Katrina!) im Kopf herum, das ich 2009 bei meinem letzten Besuch in New Orleans gehört hatte. Dann gewann er dem Ganzen aber doch eine neue Dimension ab, dazu unten mehr. 
Der Vortrag befasste sich einerseits mit einer Right To Return-Kundgebung, wo sich vor allem schwarze Aktivisten für das Recht auf Rückkehr aussprachen (die vielen Leuten aus verschiedenen Gründen erschwert oder verweigert wird) sowie mit Pressekonferenzen und -erklärungen zum Schicksal der Häftlinge im Gefängnis von New Orleans, die während und vor allem nach dem Hurrikan tagelang sich selbst überlassen blieben. Einige Aktivisten erzählen über Polizeiwillkür, besonders auch rassistisch motiviert, in jenen Tagen. Hunt berichtet, wie er bei einer Pressekonferenz abgewimmelt wird und beschreibt minutiös, wie zwei weiße Polizisten einen schwarzen Passanten in der leeren Stadt schikanieren. Er selbst war im Auftrag der Organisation Critical Resistance in New Orleans, die sich gegen die Ausbreitung des „gefängnisindustriellen Komplexes“ in den USA einsetzt, was also den besonderen Fokus erklärt.
Wenn man Ashley Hunt Widerstand entgegensetzt, so erzählt er, dann setzt er einen optimistischen, erwartungsvollen Blick auf und wartet ab, was dann bedeutet: „Sie werden mir sicher gleich etwas Besseres anbieten.“ So ähnlich verläuft auch die anschließende Diskussion als Teil der Performance: Ruhig und ausführlich beantwortet er alle Fragen und wartet leise lächelnd, auch als viele Leute schon aus dem engen, stickigen Raum stürzen. Er berichtet von Auftritten an verschiedenen Orten in den USA und in Puerto Rico und dass die Zuhörer sich oft an ihre eigene Situation erinnert fühlen. 
So gesehen erinnert mich die Entmächtigung der Bewohner, die Übernahme ganzer Stadtteile durch Gentrifizierung schon ein wenig an den Prenzlauer Berg. Doch wie auch in New Orleans ist das nicht nur eine einfache Ost-West- bzw. Schwarz-Weiß-Konstellation. Der Rassismus, der sich in den Bildern von den Zurückgelassenen oder in der Polizeigewalt oder auch in der „Bereinigung“ und Gentrifizierung bestimmter Stadtteile zeigt und zeigte, dieser systemische und politische Rassismus ist nicht spezifisch für New Orleans und geht zumindest hier nicht allein von Weißen aus, und das macht die Sache noch komplizierter und brisanter.
Seit mehreren Jahrzehnten sind viele der Stadtoberen in New Orleans Schwarze und Kreolen, und viele der Projekte, die ganze Stadtteile säubern und gentrifizieren, wurden unter dem letzten Bürgermeister Ray Nagin (einem Afroamerikaner) angenommen. Der angesehene New Orleanser Kongressabgeordnete William Jefferson ist berühmt für die 90.000 Dollar Bestechungsgeld, die in seinem Tiefkühlschrank gefunden wurden, und der beliebte Stadtratsabgeordnete Oliver Thomas wurde 2007 wegen Bestechung verurteilt.
Was ich an diesem Abend als neu empfinde, ist Ashley Hunts ausführliche Reflektion über die Rolle des Berichterstatters im Bericht selbst. Er entscheidet sich bewusst für die des Künstlers, die ihm als die offenste erscheint. Mir gefällt das und ich möchte diese auch gern für diesen Blog beanspruchen. Eine Rolle also, in der ich mich New Orleans offen, neugierig, nachdenklich und liebevoll nähere, was natürlich vor Fehlern nicht feit. Und vor allem möchte ich Klischees nicht unbesehen übernehmen oder festgezurrte Wahr- und Weisheiten einfach wiederholen. Und da bin ich mir nicht sicher, ob Ashley Hunt das durchgehend gelungen ist. 

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