Freitag, 13. Juli 2012

The Not Yet von Moira Crone: Auszüge

Hier einige Auszüge, in meiner Übersetzung:

1
Nach ungefähr einer Meile kamen wir an ein bewohntes Haus, dann ein zweites, dann fünf hinter einander. Eigentlich waren es nur die obersten Etagen von alten Zwei- und Dreigeschossern...  Verrottete, fächerförmige Dachfenster von hohen viktorianischen Häuser und die Buckel der Camelbackhäuser waren zu sehen. Die Bewohner waren wohl aus den überfluteten, unteren Geschossen ausgezogen und hatten sie irgendwie abgedichtet. Jetzt bewohnten sie die oberen Zimmer, hatten die Dachböden zu Wohnzimmern umfunktioniert und die oberen Balkone zu Eingangsveranden.  Mit den Geländern und Toren drum herum, die als Liegewiese, Dock und Sicherheitszone dienten, hätte man die verfallenen Häuser für Hausboote halten können. Am Torpfosten des einen hing ein Schild: „Mach Flutwellen, dann machst du nie wieder Wellen.“ Und das Totenkopfzeichen.
Als ich das letzte Mal hier entlang gekommen war, hatten diese Häuser noch auf schlammigen Landfetzen gestanden und dem Meer standgehalten. Jetzt waren sie ihm zum Opfer gefallen. Doch die Bewohner hatten nicht das Weite gesucht. In gewisser Weise war ihre Existenz illegal - verfolgt wurden sie hier nicht, aber helfen tat man ihnen auch nicht.

2
Die Pflasterstraße, die ich gesehen hatte, war gar keine Straße, und ein Ufer war es eigentlich auch nicht, sondern die breite Oberkante einer riesigen, runden Einfassung. Wir hatten am oberen Rand eines Amphitheaters angelegt, einer Glasschüssel, der unregelmäßigen äußeren Begrenzung, die den Alten Fluss abhielt.
Unter uns, ein Wunder.
Zunächst sah ich die bronzenen Dächer mit den steilen Gauben. Daneben Palmenkronen, die ich noch nie von oben gesehen hatte - üppige, grüne Blüten. Darunter Gebäude mit bunten Fensterläden. Die alte Kathedrale, ein historischer Bau, in der Mitte. Ihre Turmspitze durchbohrte den Himmel und ragte als einzige über den Kai hinaus. Das Tageslicht spiegelte sich darin. Alles andere in diesem ins Wasser eingelassenen Tal war in eine nahezu grelle, elektrifizierte Nacht versunken und schimmerte, denn es war mit einer Glasur überzogen. Die Stadt selbst wirkte wie aus Porzellan, als bewahrte man sie einem Riesen zuliebe in einer Vitrine auf. Irgendwie war mir, als verstieß ich gegen irgendein Gesetz: einfach hierher kommen und das Quarter besichtigen, über das man in meiner Kindheit nur im Flüsterton gesprochen hatte.

3
Durch das Glas hatte ich eine gute Sicht auf Re-New Orleans. Es war frisch und pastellfarben und mit Türmchen und Veranden und Pergolas - makellos, sauber, glänzend und modern. Die Häuser standen dicht beieinander und dahinter erkannte man kleine ummauerte Gärten.

4
Es war fast Sonnenuntergang. Der Kanal stank und die von den Dächern bellenden Hunde fanden sich im Chor zusammen: Wenn einer zu heulen anfing, kläfften die anderen als Antwort. Der Lärm der Generatoren mischte sich mit Stimmen und Gelächter. Einige der Besetzer saßen auf ihren Decks und Terrassen. Die Wohnungen sahen improvisiert und provisorisch aus. Wenn man hier wohnt, dachte ich mir, muss man zu jeder Jahreszeit die Bedingungen neu bewerten und mit den Nachbarn andere Möglichkeiten besprechen – Hausboote, trockenes Land nördlich der Enklave. Ich sah ein paar Frauen in der Dunkelheit rauchen, roch gegrilltes Fleisch. Eine der Frauen rief zu mir herüber: „Hey, mach aus,“ sie meinte meinen Motor. „Siehst du nicht, dass wir hier wohnen?“ Dann: „Was willst du denn, Junge? Was guckst du so?“
Es war, als wäre in den letzten einhundertfünfundzwanzig Jahren nichts geschehen – ich kannte ja die Geschichte, jetzt, wo ich kein kleiner Junge mehr war – ich wusste, wie das alles vor langer Zeit ausgesehen hatte, in dunklen Zeiten, der Vor-Enthüllung. Ein paar Kinder winkten mir zu, begeistert von dem Boot und weil sie wohl dachten, es machte mir Spaß, ein verwittertes Schiff durch die Kanäle und Sümpfe und die überschwemmten Häuser zu lenken, dem einzigen, was von einer großartigen Stadt übrig geblieben war. Sie dachten wohl, es wäre ein Abenteuer – ich kenne das. Aber ich hatte genug von Abenteuern. Irgendwie hatte es aber auch etwas Glitzerndes, Niedliches, dieses Viertel und wie seine Einwohner daran hingen. Als ich klein war, hatte ich das nicht gesehen, und auch nicht, als ich vor ein paar Tagen mit Serpenthead hier entlang gekommen war. Aber jetzt fühlte ich, wie das Leben damals war, als alle noch auf demselben wässrigen, unsicheren Boden standen, als alle wussten, dass sich von einem Moment auf den anderen alles ändern konnte, dass alles angreifbar war, und nicht etwa manches völlig angreifbar und manches überhaupt nicht angreifbar. ... In den Augen der Behörden war es ein Ort am Rand, wo man die Vergangenheit verwerfen, vergessen, ignorieren und gelegentlich für einen exotischen Kick aufsuchen konnte. Eine Stadt, die das Glück hatte, oder verdammt dazu war, nicht bedeutend zu sein.


Mit freundlicher Genehmigung der Autorin

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