Donnerstag, 23. August 2012

Ideal und Wirklichkeit


Ich bin immer wieder überrascht, wie New Orleans auch in deutschsprachigen Landen zelebriert wird. So bin ich im Internet auf Restaurants gestoßen, die es in verschiedenen Städten gibt. 
Das New Orleans in Bielefeld, Markt 17, bietet zum Beispiel Gumbo und Jambalaya, Hurricane-Cocktails und Eigenkreationen wie einen French Quarter Salad mit Garnelen, Zwiebeln und Kräutern. Auch in Bad Oeynhausen gibt es ein Restaurant mit Namen New Orleans und in Herford lädt die Musikkneipe New Orleans zu einer reichhaltigen Karte mit Burgern und Chicken-Dingsbums und Ofenkartoffeln. Aufgefallen ist mir ein Dessert mit Namen „Blueberry Hill“, ein Eierkuchen mit Blaubeerfüllung. In Wismar befindet sich ein Hotel New Orleans mit einem Restaurant und einem French Quarter Café. Die Webseite schwärmt von der südlouisianischen Küche: „pralle Sandwiches, saftige Steaks, knusprige Chicken, knackige Salate und vieles mehr.“ 
Dann die Festivals. Das New Orleans Festival in Innsbruck ist sicherlich das „authentischste“, denn Innsbruck hat seit 1995 eine Städtepartnerschaft mit New Orleans. Dazu gibt es auch ein reges Austauschprogramm mit der University of New Orleans, dessen europäische Tour ich zwei Sommer jeweils 2-3 Tage lang in Berlin begleitet habe. Das Festival nahm im Juni vier Tage lang die Innenstadt von Innsbruck in Beschlag, mit jeweils einer „Marching Band“ um 15 Uhr und nachfolgenden Konzerten mit Tiroler Musikern und dem Gitarristen Les Getrex (der früher mit Fats Domino musiziert hat) und seiner Band Creole Cooking. Es war das 14. Festival und es ging am Sonntag mit einer Gospelmesse im Dom zu St. Jakob und einem Gospelbrunch auf dem Marktplatz zu Ende.
Ende Mai fand auch das 13. Fürther New Orleans Festival statt, bei dem über drei Tage vor allem lokale „amerikanische“ Bands aufspielten und aus New Orleans niemand angekündigt war.
Tja, und dann gibt es noch New Orleans meets Zofingen, ein Städtchen in der Schweiz mit 11.000 Einwohnern. Das Festival fand am 2. Juli, einem Montag, ab 17 Uhr in der Altstadt statt, auch vor allem mit lokalen Musikern. Als ich dann auf das Organisationskomitee klickte und das Foto sah, hat es auch bei mir KLICK gemacht. 
Wer kennt sie nicht, die schmerbäuchigen Dixielandbands, die „authentischen“ New Orleans Jazz spielen und sich und ihre Fans in irgendeine heile Fantasiewelt mit festen, immer wiederholten Noten und Formeln, mit einer schöneren Vergangenheit transportieren. Bei all diesen Festivals, Restaurants, oft auch in Krimis und Fantasy-Büchern geht es nämlich um New Orleans als Mythos und nicht als reale Stadt. Dieser Mythos setzt sich aus Musik, Küche, eventuell auch Architektur und anderem zusammen, greifbareren, auch eher reproduzierbaren, konsumierbaren und vermarktbaren Dingen als zum Beispiel Liebe und Eleganz (Paris) oder Großstadtchaos, Tempo, Wolkenkratzer, Feuerleitern (New York). Deshalb vielleicht ist er so stark und so verbreitet.
Meine ursprüngliche Faszination für New Orleans hatte sicherlich auch ein wenig mit dem Mythos zu tun. Aber als ich dann in der realen Stadt war, und zwar nicht als klassische Touristin, habe ich mich ganz neu verliebt. New Orleans selbst erliegt auch immer wieder seinem Mythos, und nicht nur die freundlichen Herren mit grauem Haar. Doch ist die Stadt nie statisch, nie festgeschrieben, immer im Werden, Machen und Entstehen, immer in der Improvisation. 
Es ist natürlich Unsinn, einen Mythos gerade rücken zu wollen, wie ich es hier auch immer wieder versucht habe. Es ist nämlich genau das Prinzip des Mythos, dass er unverrückbar ist, dass er, so wie er ist, den ihn Beschwörenden etwas gibt, ihnen Freude bereitet und sie irgendein Wohlbefinden damit assoziieren. Ein Mythos, und also auch der Mythos New Orleans, gehört allen und sie haben ein gutes Recht darauf.
PS: 28. August: In Frankfurt am Main gibt es auch ein New-Orleans-Restaurant, das King Creole.

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