Mittwoch, 4. Dezember 2013

Louisiana --> DDR und zurück

In der MDR-Mediathek ist vermutlich nur noch für kurze Zeit der Mitschnitt eines Konzerts mit Louis Armstrong & His All Stars zu sehen (hier noch mehr). Das Besondere: Es ist vom 22. März 1965 im Friedrichstadt in Berlin (Hauptstadt der DDR). Ich war da noch nicht geboren, aber ich habe viel darüber gehört, weil mein Vater nämlich da war, da sein musste, weil er ein großer Fan war. Es ist die Art Jazz, die viele Leute heute noch mit New Orleans assoziieren, und den es immer noch gibt und immer geben wird, aber nicht nur. Es war ganz sicher noch im alten Friedrichstadtpalast gleich neben dem Berliner Ensemble, der in den achtziger Jahren abgerissen wurde. Die Aufnahmen sind schwarz-weiß, die Band ist es auch, sie tritt nach und nach vor einen glitzernden weißen Vorhang und alles sieht irgendwie klein und altmodisch aus. Und dann holt Armstrong seine Trompete hervor und bläst los und es ist unglaublich, rein, klassisch, grandios!
Zwischendurch ist er immer wieder der liebenswürdige Teddybär-Entertainer, der niemandem etwas zu Leide tun kann. Das hat man ihm oft vorgeworfen: In den USA fanden Afroamerikaner, dass er sich zu sehr anbiedert und nicht für ihre Sache eintritt, und als er in 17 Städten in der DDR spielte (und in anderen sozialistischen Ländern), da warfen ihm westliche Journalisten vor, dass er so unpolitisch sei. Darauf sagt er im Interview: "Ich geh da hin und spiele, wo mich mein Manager hinschickt, und immer bin ich willkommen." Und genau so einfach ist es. Der Jazzmusiker und Musikjournalist Karlheinz Drechsel, der ihn damals begleitet hat, erzählt (Interview hier), dass er sich nicht nur in die Herzen der Menschen gespielt hat, sondern auch dem Jazz die Türen in der DDR geöffnet hat. Was viele Leute sich nämlich nicht vorstellen können, ist, dass niemand möchte, dass jemand von weit her kommt und einem sagt, wie beschissen man es hat, denn letztendlich ist alles Leben, und in der DDR hatte man Frieden und Arbeit und zu essen und das war damals noch seeehr viel wert. Als später in den achtziger Jahren Bob Dylan zum Konzert kam, da wollten wir auch nicht, dass er uns erzählt, wie doof es bei uns ist, aber wir hätten uns gefreut, wenn er irgendetwas gesagt hätte, irgendwie erwähnt hätte, wie besonders es war, dass er überhaupt bei uns war und spielen konnte. 
Im Interview mit Louis Armstrong hört man, dass er nicht besonders gebildet ist und vermutlich auch nicht in komplexen Zusammenhängen dachte, aber das brauchte er auch nicht. Er war Musiker. Er spielte mit einer Lebensfreude und tiefen Wertschätzung für das Leben und für andere Menschen, und das übertrug sich in seiner Musik und, wenn man es will, erreicht es uns heute noch.
Themenwechsel: Vor kurzem habe ich mal wieder den Film Schultze gets the Blues gesehen, mit Horst Krause in der Hauptrolle. Er ist einer der Schauspieler, die nur eine Rolle beherrschen, glaube ich, und die spielt er sehr gut, als Landpolizist zum Beispiel. In diesem Film ist sie ein wenig abgewandelt, denn es ist einer dieser deutschen Filme mit langen, schweigsamen Einstellungen, die bedeutungsschwer die Geschichte vorantreiben. Aber vieles ist auch außergewöhnlich. Zum Beispiel, dass der Film in Sachsen-Anhalt spielt und das Leben dieser einfachen Bergmänner mit leichtem Humor gezeigt wird, ohne sie zu denunzieren. Horst Krause (hier Schultze) ist also einer von drei Männern, die in den Vorruhestand geschickt werden, und dann nicht so recht etwas mit sich anfangen können. Immerhin spielt Schultze gelegentlich Akkordion, mindestens einmal im Jahr auf dem Dorffest, immer dasselbe Stück, das schon sein Vater gespielt hat.
Doch eines Abends hört er im Radio Zydeco, die schnelle, rhythmische Musik der kreolisch-afroamerikanischen Landbevölkerung in Louisiana, bei der ein Akkordion immer mitspielt (sehr ähnlich der Musik der Cajuns, die allerdings langsamer ist.). Allerdings hört er nur ein paar Riffe und schaltet dann wieder aus, aber diese spielt er schnell nach und übt sie immer wieder. Zum Befremden der meisten im Dorf spielt er sie auch auf dem Dorffest. Er kocht Jambalaya für seine beiden Kumpels und jobbt nebenher für einen Flug nach Louisiana. Dann wird er für den Austausch mit der Partnerstadt New Braunfels in Texas ausgesucht, wo er sich allerdings nur kurz aufhält und schnell vor der dort praktizierten Deutschtümelei flüchtet.
Er nimmt sich ein kleines Boot und fährt durch die Sümpfe und Bayous nach Louisiana (auf der Karte sieht man, dass das von New Braunfels aus nicht so ohne weiteres geht, aber es ist ein Film, Mensch!). Dort wird er von der freundlichen Küstenwache abgeschleppt, gerät in einen Cajun-Tanzabend auf dem Lande, wo er auch gleich tanzt, und schließlich, wie im Traum, trifft er in den Sümpfen auf ein großes Boot mit einer sanften schwarzen Frau und ihrer Tochter, die gerade Krabben kocht und ihn zum Essen einlädt. Dann, beim Tanzen im Rock 'n' Bowl in New Orleans bricht er zusammen und stirbt später ganz still auf dem großen Boot in den Sümpfen. Das ist traurig und berührend, aber es ist auch schön, zeigt die raue und unpolierte Schönheit Louisianas, das schöne Licht, die lauten Grillen- und andere Geräusche in der Luft. Ein Louisiana, das zwar auch märchenhaft ist, aber abseits von Klischees.
In der Schlussszene sieht man die Beerdigung. Die Blaskapelle spielt einen Trauermarsch und bricht dann in genau den Zydeco-Riff aus, mit dem seine Faszination begann. Und dann marschiert sie vor dem Horizont mit seinen trostlosen Windrädern von rechts nach links und die Trauernden ziehen und tanzen hinter her. Und ganz plötzlich hat das was von einer Second Line in New Orleans und Schultze ist nicht nur in das verlockende Märchenland gereist, sondern hat es seltsamerweise durch seinen Tod mit in sein Leben zu Hause gebracht. 
Und auf irgendeine Weise schließt sich hier für mich ein Kreis aus Musik und Louisiana und dem Osten.

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