Dienstag, 17. September 2013

Lesen -- Vergangenheit und Zukunft?


Letzte Woche war ich bei zwei Veranstaltungen. Die erste war eine Lesung mit Gernot Wolfram in Britta Gansebohms Salon in der Z-Bar. Es ging um seinen schmalen Essayband Der leuchtende Augenblick – Über Menschen und Orte des Lebens, jetzt bei Hentrich & Hentrich erschienen, aus dem er mehrere Kapitel las: Über das Lesen in der Synagoge und in der jüdischen Tradition überhaupt, über die Bibliothek des Kunsthistorikers und Kulturwissenschaftlers Aby Warburg, der seine Bücher immer wieder nach neuen Gesichtspunkten ordnete, über das Lesen im Warschauer Ghetto und in der DDR, und weil wir nicht „so düster in die Pause“ entlassen werden sollten, las Gernot noch schnell das Kapitel über die Kaffeehäuser. Im Pausengespräch unter uns befanden wir, dass im Alltag das Lesen gar nicht so sehr vom Ort geprägt ist  – darin sind wir vielleicht privilegiert  –,  auch wenn sich bestimmte Bücher nicht für das Unruhige und immer wieder Unterbrechende von U- und S-Bahn eignen oder, wie ein Gast später meinte, es ungünstig ist, Uwe Tellkamps Der Turm auf einer Südamerikareise lesen zu wollen. Übrigens habe ich in der DDR nicht mit permanenter Angst vor der Stasi in den seltenen Lesungen gesessen, und ich habe auch nicht bei jeder Lektüre zwischen den Zeilen gesucht.
In der anschließenden Diskussion gaben viele Diskutanten ihren Senf über Lektürevorzugsorte zum Besten; es ging auch um das Café Oberholz mit der dort arbeitenden Cybergeneration – sehen und gesehen werden, auf die Lektüre angesprochen werden. Ein Buch also, das in interessanten, kleinen Vignetten ein Thema ins Bewusstsein rückt, zu dem viele Menschen eigene Erfahrungen und fast alle etwas zu sagen haben. Faszinierend war für mich vor allem die jüdische Perspektive, eben Warburgs Bibliothek oder das Lesen und Schreiben im Warschauer Ghetto oder die Synagoge in der Brunnenstraße. Allerdings war der Ort eben dieser Lesung – ein fensterloser, schlecht beleuchteter und belüfteter Kinosaal – dem Abend nicht zuträglich. Das Buch soll auch als E-Book erhältlich sein.
Am Tag darauf ging es im Literaturhaus in der Fasanenstraße um einen ganz anderen Ort des Lesens, nämlich, wo sich das Buch eigentlich befindet, in diesem Falle im E-Book. Es war eine Veranstaltung der Bücherfrauen unter dem Titel „Talkin’ about a revolution“ mit der Kulturmarketingberaterin Martina Tittel und der Webagentin Silke Buttgereit. Am Beginn stand eine kurze Erhebung unter den Anwesenden: von den ca. 40 Zuhörern besaßen vier selbst ein E-Book, die meisten anderen waren neugierige Silberhaarige so wie ich. Berichtet wurde über die unterschiedlichen Varianten von E-Books, die Verbreitung, die derzeitige Entwicklung, die Angst vor dem E-Book, die viele deutsche Verlage so gelähmt habe, dass sie die Entwicklung verpasst hätten. Beide Referentinnen hielten ein bessere Verkopplung von Papierbuch und E-Book für angeraten, von Internet und Laden, und aus dem Publikum kam der Vorschlag, das E-Book durch zusätzliche Netzangebote, Links usw. aufzumotzen, denn dann wäre der Begriff „revolution“ gerechtfertigt. Es wurden auch ungeklärte Probleme benannt: Zählt das E-Book zum Kulturgut Buch und gilt die Buchpreisbindung? Warum sind deutsche E-Books so teuer?
Immer wieder heißt es, das E-Book hätte neue Leserschichten erschlossen. Ich kann mir vor allem vorstellen, dass es Lesegewohnheiten verändert. Allerdings sehe ich in U- und S-Bahn nicht viele E-Bücher, sondern nur Handys oder andere Geräte, auf denen Patience gespielt oder ge-Facebook-t wird. Ich sehe allerdings wieder mehr Leute, auch junge, die in der Öffentlichkeit Bücher und manchmal auch dicke Wälzer lesen.
Per se finde ich das E-Book interessant und glaube gern, dass es auch praktisch ist. Aber lesen um des Vergnügens willen und umso mehr lesen um des Wissens oder der Arbeit willen werde ich weiter auf Papier und Pappe. Elektronische Rezensionsexemplare? Geht leider nicht. Und das liegt nicht nur an meinen silbrigen Haaren. Es liegt daran, dass lesen für mich privat ist, auch wenn es zu meinem Beruf gehört, und dass ich mit Büchern lebe. Mit einer kalten, leuchtenden Oberfläche am Frühstückstisch, auf dem Sofa, im Bett, das kann ich und will ich nicht (dabei greift der Computer ohnehin zu viel ins Privatleben über). „Der leuchtende Augenblick“ geschieht für mich immer noch in einem guten, alten Buch.

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