Zu dieser heißt es in der Ankündigung: „Die Zeitung ist seit Mitte des 19. Jahrhunderts Material
und Gegenstand der Kunst“. 56 internationale
Künstler haben dazu Position bezogen. Das nahm ganz unterschiedliche Formen an:
zusammengeschnürte Packen Zeitungen, die in den Ecken herumlagen, ein iranisch-französischer
Künstler hatte stapelweise kleine Teppiche wie in einem Teppichladen ausgelegt,
von denen die oberen Titelblätter verschiedener Illustrierter darstellten. Ein
ganzer Raum, vor allem auch der Fußboden, war mit vielfach vergrößerten Zeitungsartikeln
zum Thema Migration ausgelegt. Zeitungen waren zerknüllt, wehten im Windzug
eines Ventilators, zu Collagen verarbeitet, in Skulpturen integriert –
Zeitungen in allen Formen.
Auf der Galerie war eine Seite der Bild-Zeitung
gezeigt und wenn man sie mit dem bereitstehenden Tablet anvisierte, dann
lief dazu ein Videonachrichtenbeitrag. Auch auf der Galerie hingen Tablet-Computer an kleinen
Säulen die jeweils ein historisches Gemälde zeigten: von
Honoré Daumier über Otto Dix und Max Beckmann, George Grosz, Georges Bracque
bis zu Edgar Degas’ Bild von der Baumwollbörse in New Orleans.
Es ist das stimmungsvolle Bild, wo inmitten eifrigen
Treibens ein Mann sitzt und mit ausgebreiteten Armen in aller Ruhe eine Zeitung
liest (deren Titel so nicht zu erkennen ist), wie man eben so Zeitung liest. An
welchem Wochentag Degas das Bild gemalt hat, wissen wir nicht und es auch nicht
so wichtig, denn 1873 hatte New Orleans noch eine Tageszeitung. Doch würde
jemand ab Herbst ein solches Bild malen wollen, dann könnte er am Montag,
Dienstag, Donnerstag oder Sonnabend nur jemanden mit einem iPhone oder einem
Tablet oder einem Computer darstellen. Genau auf diese Entwicklung sollten
übrigens die Tablets mit den Darstellungen der klassischen Werke verweisen und
sie haben eine wichtige Funktion, aber die alte Kulturform der Zeitung (und
andere) kann es nicht ersetzen.
Und es geht vieles verloren: Der Moment, wenn man im
Morgenmantel auf die Veranda tritt, um die in eine Plastefolie gerollte Zeitung
zum Frühstück reinzuholen, die ein Zeitungsjunge in aller Herrgottsfrühe dort
hinauf geschleudert hat. Mit einem Tablet kann man nicht furchtlos frühstücken,
den Kaffee nicht darauf abstellen, das Kreuzworträtsel oder Sudoku nebenbei
lösen, nicht zu Ende gelesene Artikel herausreißen oder zusammenfalten und
mitnehmen. Man würde nicht mehr verführt werden, ungezielt Dinge zu lesen, die
auch mit auf der Seite sind, Kolumnen, kleine lokale Ankündigungen, Nachrufe.
Das vertraute Layout, das Papier, den Geruch genießen. Man kann Tablets nicht
im Café auslegen und damit Atmosphäre schaffen, man kann sie nicht in der Bahn
liegen lassen, danach im Papierkorb suchen, man kann keine Bücher darin
einschlagen oder die Schränke damit auslegen. Wie sollen Erpresser ihre Nachrichten
verfassen, wenn nicht aus Zeitungsbuchstaben, worin sollten sich Obdachlose
einhüllen, wie sich in der Bahn damit ein paar Mark verdienen? Und eine solche
Ausstellung würde dann nur noch virtuell sein, ein wirres Flimmern, nichts zum
Anfassen.
Eine Stadt, die ihre lebendige Kultur durch viel Unbill
hindurch gerettet hat, soll bald keine Tageszeitung mehr haben, die Teil dieser
Kultur ist? Und noch dazu eine, die von 60% der Bewohner gelesen und geschätzt
wird? Und wieder soll das anderswo von Nichteinheimischen verfügt und
durchgezogen werden? Rettet die Times-Picayune!