Freitag, 31. August 2012

Sara Gran: Die Stadt der Toten


Wenn eine Stadt so elementar auf ihre Elemente zurückgeworfen ist wie New Orleans, das jetzt gerade langsam wieder zu sich kommt, je mehr die Lichter angehen, dann scheint es irgendwie trivial und oberflächlich, über Bücher, Filme und andere eher schöne Dinge zu schreiben. Die Dämme haben gehalten, und dieses Mal können die New Orleanser das Gefühl haben, dass sich ihr Land um sie gekümmert hat, sie wichtig findet. Andere Regionen, gleich außerhalb der Stadt, wie zum Beispiel LaPlace, wo die lange Autobahnbrücke über das Wasser beginnt, auf der die Schlüsselszene von Jeff, der noch zu Hause lebt spielt, sind hoffnungslos überschwemmt, und in Baithwaite wurden sogar zwei Tote gefunden. Dann liest man gleich Kommentare im Internet, was für eine Verschwendung von Geldern das sei (14 Milliarden Dollar für die Dämme) und wie unverantwortlich und dumm von den Leuten, überhaupt in solchen Gegenden zu wohnen.
Für viele Menschen ist es eben seit ein, zwei oder auch mehr Jahrhunderten ihre Heimat und das was man im Englischen als „resilience“ bezeichnet, die erstaunliche Standhaftigkeit und Ausdauer, der Pragmatismus, Optimismus und Mut, mit dem sie diese Situationen immer wieder hinnehmen und durchstehen, ist bewundernswert. Selbst wenn man davon absieht, dass New Orleans und die Region mit dem Hafen, mit dem Öl, mit dem Fluss, mit seinem Grund und Boden für das ganze Land von entscheidender politischer und wirtschaftlicher Bedeutung ist (Stichwort: nationale Sicherheit) und schon dafür viel mehr Schätzung und Förderung erfahren müsste, so kann man natürlich die Stadt und die Region auch schon allein deshalb nicht entvölkern und aufgeben, weil das Land und die Welt New Orleans als vagen Sehnsuchtsort brauchen und der funktioniert, anders als vielleicht Vineta, Atlantis, Pompeji, nur mit einer realen Stadt. Man braucht die reale Stadt auch, um dort Krimis und andere Geschichten spielen zu lassen, zum Beispiel Die Stadt der Toten. Ein Fall für die beste Ermittlerin der Welt von Sara Gran.
Erst einmal: Es macht mir absolut keinen Spaß, Fehler in Büchern zu entdecken oder Verrisse oder Kritisches zu schreiben, weil ich mich dann selbst mies fühle. Als mir also ein Leser die Information über diesen Krimi zukommen ließ, den Titel und Untertitel so reißerisch ankündigen, habe ich erst mal ein bisschen recherchiert. Heutzutage schreibt ja fast jeder ein Buch, das in New Orleans spielt, aber Sara Gran hat tatsächlich auch dort gelebt und wird also wissen, so dachte ich mir, wovon sie schreibt.
Sie weiß, wovon sie schreibt, und das macht Spaß. Aber der Reihe nach.
Eingeführt wird die etwas verrückte Detektivin Claire DeWitt, die bei einer anderen großen Detektivin in New Orleans in die Schule gegangen ist. Beide entsprechen nicht dem typischen Bild von Detektiven: Die Koryphäe war eine Grande Dame mit einer Villa im Garden District. Claire ist eine tollpatschige, ungeschmeidige Person, die sich überall unbeliebt macht, und dennoch irgendwie ihre Fälle aufklärt. Sie kehrt nach New Orleans zurück, um das rätselhafte Verschwinden und den mutmaßlichen Tod von Vic Willing, einem Staatsanwalt, aufzuklären, der seit Katrina vermisst wird. Ihre Recherchemethoden sind ungewöhnlich: Sie setzt auf Intuition und Beobachtung, aber auch auf zufällige Begegnungen, Träume und alle anderen Arten von Zeichen. Sie trifft zum Beispiel immer wieder einen jungen Schwarzen, Andray, und dessen Freund, rettet ihnen sogar das Leben, und diese beiden stellen sich am Ende tatsächlich als entscheidende Figuren bei der Lösung des Falls heraus. Doch bevor es so weit kommt, begegnet sie ihnen immer wieder – und konsumiert mit ihnen und ohne sie jede Menge legale und illegale Drogen, was dann auch schon mal etwas langweilig wird.
Der Tonfall des Romans und der Hauptfigur ist schnoddrig und frech und das ist charmant und reißt mit. Über Claire zeigt die Autorin, wie gut sie New Orleans kennt; geradezu genüsslich und mit feiner Ironie platziert sie die Indizien dafür überall im Buch: Hubig’s Pasteten, der Radiosender WWOZ, der lokale Akzent: Yat, die Autoren Julie Smith, Poppie Z. Brite, James Lee Burke, Mardi Gras Indians, das Blau am Himmel der Veranden der alten Häuser, selbst die niedlichen grünen Mönchssittiche, die sich seit Katrina besonders verbreitet haben. 
Damit scheint sie irgendwie auch direkt an und für die New Orleanser zu schreiben, die es müde sind, ihre Stadt ständig falsch dargestellt und falsch gedeutet zu sehen. Bei aller Flapsigkeit fallen einige Spitzen ab: dass man in der Stadt nicht leben, dass man dort nicht glücklich sein kann, wie arm und vernachlässigt bestimmte Stadtteile und Menschen sind... Dann gibt es aber immer wieder Momente, wo sich eine tiefe Liebe für die Stadt zeigt, die der Einwohner, aber auch die der Hauptfigur und der Autorin. Obwohl Hurrikan Katrina nur den Hintergrund für das Verbrechen und die Geschichte bietet, erinnert es durchgehend an dieses Trauma. Der Tod des Opfers, den Claire tatsächlich aufklärt, ist ein zwiespältiger Tod, nicht gerecht, aber vielleicht in gewissem Maße gerechtfertigt.
Es wird auch aus der Biografie der Detektivin erzählt und somit Vorlagen für mindestens zwei weitere Krimis gegeben, denn die Leserin fragt sich: Wer hat Claires Mentorin getötet? Und was ist mit ihrer Schulfreundin Tracy aus Brooklyn geschehen? Claire ist ungehobelt und beziehungsgestört, aber ihr Witz und ihre Schlauheit machen Lust auf mehr.
Spaß machen auch die Verweise auf ihre theoretische Ermittlungsgrundlage: Jacques Silette und sein Buch Détection (reine Erfindung das, aber was für eine!). Immer wieder sind Sentenzen und Zitate aus dem Werk in den Text eingesprenkelt und schaffen damit scheinbare, fast philosophisch-meditative Momente des Innehaltens, die mich an die Samuraisprüche aus dem Film Ghost Dog erinnerten, nur dass jene echt waren, und diese eher mit Schalk und Augenzwinkern serviert werden.
Die deutsche Übersetzung von Eva Bonné liest sich so frisch und frei wie sicher das Original auch: ein reines Vergnügen. Gestutzt habe ich über den „Folksender WWOZ“, denn der Heimatsender vieler New Orleanser spielt vor allem Jazz, Rhythm & Blues, Funk, Musik aus New Orleans eben, aber es kann durchaus sein, dass Claire ihn deshalb als Folk bezeichnet. Für den architektonischen Baustil der „Creole Cottage“ ist Kreolenhäuschen keine schöne Entsprechung, aber eine bessere fällt mir auch nicht ein, ist aber zu überlegen.
Das Buch ist poppig-floral mit abgerundeten Ecken im Orange der frühen 2000’er Jahre aufgemacht, als ob es besonders junge Frauen ansprechen will. Diese (aber vielleicht auch Frauen anderen Alters und junge und alte Männer) lesen in diesem Buch auch, dass New Orleans – auch nach Katrina – genau so eine Stadt ist: lebendig, verrückt, kompliziert, und liebenswert. Ein wirklich unterhaltsames Buch.

Donnerstag, 30. August 2012

Bilder

Die Deiche um New Orleans scheinen erst einmal zu halten. Überflutungen und Evakuierungen östlich und nördlich und südlich von New Orleans (Braithewate, Mandeville, Madisonville) und an der Golfküste in Mississippi. 700.000 Menschen ohne Strom.
Isaac-Fotos hier, 12 Stunden Videoaufnahmen der Canal Street in New Orleans auf 1,50 Minute zusammengekürzt hier.

Mittwoch, 29. August 2012

Stimmen aus dem Sturm

Meine Freundin Lil auf Facebook: vor 10 Stunden
Uns geht's gut. Wir sitzen den ganzen Tag herum und warten, dass der Wind stärker wird. Der Sturm ist nicht annähernd so schlimm, wie sie angekündigt hatten.
We're fine. We've been sitting around all day, waiting for the wind to pick up. The storm is not nearly as bad as they thought it would be.
Bill Lavender (der kürzlich aus Budgetgründen geschasste, von vielen geschätzte Direktor von UNO Press): vor 9 Stunden
Wie ich es liebe, wenn die Stadt heruntergefahren und stillgelegt wird, an Schulzonen die Ampeln auf die leeren Straßen blinken. Dann fällt der Strom aus und alles wird dunkel. Ich glaube, was uns wirklich trennt, ist nicht links gegenüber konservativ, sondern die Kluft zwischen denen, die sich nach diesen Momenten sehnen, und denen, die sie fürchten.
how I love it when the city shuts down, school zone lights blinking on empty streets. then the power goes off and all goes dark. i think the real division among us isn't liberal vs conservative but the gulf between those who yearn for these moments and those who fear them.
Schriftstellerin Moira Crone: vor 8 Stunden
Was die New Orleanser über Sturmzeiten für sich behalten: was für ein Wunder es ist. Der Strom geht, das elektrische Sirren verstummt, das Essen im Kühlschrank wird nur ein paar Tage halten, all der persönliche Kram ist eigentlich ein großes Hindernis für das spirituelle Überleben -- Wir müssen uns auf alte Lebensweisen zurückbesinnen, außerhalb unseres modernen Kokons -- Jetzt ist es die Güte von Freunden und in ein paar Tagen vielleicht die Güte Fremder, wir können es nicht wissen -- die uns weitermachen lässt. Das riesige, geraunte, Geheimnis -- unsere phänomenale Verwundbarkeit, das ganze Risiko des Am-Leben-Seins. Diese Stadt lehrt und lehrt und lehrt uns immer wieder -- (Ich muss los -- jetzt kommt der Wind, die Lichter werden schwächer...)
The thing New Orleanians keep to themselves about storm times: the wonder of it. The power leaves, the electric buzz dissolves, the food in the fridge is only going to last a few days, all your stuff is really a great impediment to your spirit's survival--We have to retreat to the old modes of living, outside the modern cocoon--now it's the kindness of friends, and in a few days, it might be the kindness of strangers, we don't know--that will keep us going. The vast, whispered, secret-- our phenomenal vulnerability, the whole risk of being alive. This place teaches and teaches and teaches us--(have to go--here comes the wind, there the lights dim...)
Hier ein paar Fotos von Menschen im Sturm, tagsüber, und auf diesen Live-Webcams kann man im Moment meditative Regen- und Nachtbilder sehen (solange der Strom nicht ausfällt): am French Quarter, an der Mississippi-Brücke, am Fluss.
Erste Nachrichten melden überflutete Straßen und auf Stromleitungen geknickte Bäume. Im Landkreis Plaquemines Parish ist das Dach des Hauses von Landkreispräsident Billy Nungesser abgedeckt worden.

Dienstag, 28. August 2012

Warten auf Isaac


New Orleans und die Golfküste bereiten sich auf den großen Sturm vor. Hier ein kleines Video von den Winden am Lake Pontchartrain heute morgen. Jetzt heißt es abwarten, hoffen, dass man gut vorbereitet ist, die Fenster ordentlich vernagelt und das Wichtigste eingekauft hat. Manche Leute gehen der Gefahr gleich aus dem Wege und fahren zu Freunden und Verwandten nach Norden. Andere bleiben immer zurück und bringen den Sturm zu Hause hinter sich („ride out the storm“ nennt man das), und von diesen laden einige zu Hurrikan-Parties ein, vor allem im French Quarter, bei denen man der Bedrohung einfach mit Ausschweifung trotzen kann. 
Gwen Thomkins berichtete gerade im Radio (auf Talk of the Nation), dass es auch ein Moment der Besinnung ist, wo man zum Beispiel überlegt, wen man überhaupt auf die lange Evakuation im Auto mitnehmen würde. Man überlegt, ob die Papiere in Ordnung sind, legt die Versicherungspolice heraus, den Pass und anderes. Man entscheidet, welche Dinge man unbedingt retten will. Im Fall von Gwen Thomkins ist es ein signiertes Exemplar von Louis Armstrongs Autobiographie My Life in New Orleans, genau dem Buch, in dem ich (als Kind, auf Deutsch) zum ersten Mal über New Orleans gelesen habe. Möge Isaac sanft über New Orleans und die Golfküste hinweggehen.

Montag, 27. August 2012

Das Herz...

...ist mir schwer, liebe Leser. Zum siebenten Jahrestag von Katrina steuert Hurrikan Isaac auf New Orleans zu und soll vermutlich am Dienstag auftreffen. Gouverneur Jindal hat bereits Warnungen ausgesprochen, Bürgermeister Landrieu den Notstand ausgerufen und alle Bürger aufgefordert, ihre Häuser sturmfest zu machen. Alle Pumpstationen in der Stadt werden rund um die Uhr besetzt sein, das Army Corps of Engineers wird letzte Ausbesserungen an den Deichen vornehmen. Die küstennahen Landkreise sind bereits von Zwangsevakuationen betroffen. Derzeit ist die Rede von Kategorie 1 (gegenüber 5 bei Katrina), aber je nachdem, ob er während Flut oder Ebbe anlandet, kann das Wasser bis zu knapp 20 Kilometer ins Landesinnere vordringen. Hoffen wir das Beste.

Sonntag, 26. August 2012

Das Ozonloch


Vor einigen Jahren, als wir noch eine Diskussion um die Klimakatastrophe und das Ozonloch hatten, da versprach man uns hier die Versteppung Brandenburgs (und damit auch Berlins) und ein italienisches Klima. Bis jetzt hat das noch nicht so ganz geklappt, und die Sommer fallen eher frisch aus.
Die USA wiederum werden von einer Hitzewelle nach der anderen überrollt. So wie unser Aprilwetter hier im Sommer ist die Hitze dort anscheinend eine direkte Auswirkung des Klimawandels.
Auf den immer früher einsetzenden Frühling werden zum Beispiel die Brände zurückgeführt, die vor allem im Westen der USA wüten, vor kurzem noch in Arizona und Colorado, jetzt vor allem in Nordkalifornien und Idaho. Dieses Jahr ist bei 1423 Waldbränden im Lande bereits eine Fläche von mehr als 12.065 Quadratmeilen (d.h. ca. 31.250 Quadratkilometer) abgebrannt. Mehr auf der Seite des Forest Service des US Department of Agriculture (Landwirtschaftsministerium).
Ein anderes Problem, das ebenfalls auf milde Winter und den frühen Frühling zurückgeführt wird, ist der Westnilvirus, der auch in Louisiana gehäuft auftritt. Dieses Jahr sind bereits 1118 Menschen durch Infektion damit erkrankt (Meningitis, Enzephalitis usw.) und 41 insgesamt sind gestorben. 75% der Erkrankungen traten in 5 Staaten auf: Texas, Mississippi, Louisiana, South Dakota und Oklahoma), fast die Hälfte aller Fälle in Texas. In Louisiana gab es bisher 6 Todesopfer. Gegen den Virus hat man vor einigen Wochen in Dallas aus der Luft Mückenmittel versprüht, nicht ganz unumstritten. 
Mich erinnerte das an die kleinen Transporter, die in Baton Rouge im Frühjahr und Sommer immer durch mein mit hohen Bäumen bestandenes Wohnviertel fuhren und Insektentod versprühten. Auch vielleicht nicht gesund, aber wirksam. Das Center for Disease Control empfiehlt verschiedene Mücken abweisende Wirkstoffe, von denen ich unter den von der Stiftung Warentest geprüften und für gut befundenen Produkten nur DEET gefunden habe, was auch Gesundheitsrisiken birgt. Also am besten: drinnen aufhalten, langarmige Sachen tragen, stehendes Wasser und andere Mückenbrutplätze beseitigen.
Die Erwärmung hat auch dazu geführt, dass der Mississippi so einen niedrigen Wasserstand hat wie nie und weiter nördlich unweit von Greenville, Mississippi, nicht schiffbar ist, so dass sich dort Mitte des Monats 97 Schiffe angestaut hatten, nachdem ein Schleppkahn auf Grund gelaufen war. (Hier.) Wenn aber der Mississippi niedrig steht und weniger Wasser in den Golf von Mexiko einströmt, dann fließt Salzwasser aus dem Golf in den Mississippi zurück, dessen unterer Lauf unter dem Meeresniveau liegt, und zwar um ungefähr eine Meile pro Tag (1,6 km). Normalerweise kommt das alle 8-10 Jahre vor, aber dass es jetzt scheinbar häufiger wird, hat auch damit zu tun, dass die Fahrrinne des Flusses weiter nördlich immer mehr tiefer ausgehoben wird, um größeren Schiffen die Durchfahrt zu ermöglichen. Neben anderen negativen Auswirkungen beeinträchtigt das auch die Trinkwassergewinnung.
Plaquemines Parish, die direkt an den Golf grenzt und von diversen Hurrikanen (Katrina, Rita, Gustav und mehr) und der Ölkatastrophe direkt betroffen war, kauft jetzt Trinkwasser aus New Orleans, holt aber auch in Schleppkähnen weiter nördlich welches. Jetzt ist auch New Orleans bedroht. (Hier.)
Außerdem hat Hurrikan Isaac Kuba und Haiti überquert und ist jetzt auf dem Weg nach Südflorida mit den Key-Inseln (darunter Key West), bevor er sich weiter in Richtung Golfküste aufmacht. (Hier.) Aktuelle Evakuationsrouten für New Orleans sind schon festgelegt.
Insofern sollte ich wohl froh sein, mitten im August zwar mit dicken Socken und Strickjacke aber eben doch ganz entspannt und unbedroht von Naturkatastrophen hier am Schreibtisch sitzen zu dürfen.

Donnerstag, 23. August 2012

Ideal und Wirklichkeit


Ich bin immer wieder überrascht, wie New Orleans auch in deutschsprachigen Landen zelebriert wird. So bin ich im Internet auf Restaurants gestoßen, die es in verschiedenen Städten gibt. 
Das New Orleans in Bielefeld, Markt 17, bietet zum Beispiel Gumbo und Jambalaya, Hurricane-Cocktails und Eigenkreationen wie einen French Quarter Salad mit Garnelen, Zwiebeln und Kräutern. Auch in Bad Oeynhausen gibt es ein Restaurant mit Namen New Orleans und in Herford lädt die Musikkneipe New Orleans zu einer reichhaltigen Karte mit Burgern und Chicken-Dingsbums und Ofenkartoffeln. Aufgefallen ist mir ein Dessert mit Namen „Blueberry Hill“, ein Eierkuchen mit Blaubeerfüllung. In Wismar befindet sich ein Hotel New Orleans mit einem Restaurant und einem French Quarter Café. Die Webseite schwärmt von der südlouisianischen Küche: „pralle Sandwiches, saftige Steaks, knusprige Chicken, knackige Salate und vieles mehr.“ 
Dann die Festivals. Das New Orleans Festival in Innsbruck ist sicherlich das „authentischste“, denn Innsbruck hat seit 1995 eine Städtepartnerschaft mit New Orleans. Dazu gibt es auch ein reges Austauschprogramm mit der University of New Orleans, dessen europäische Tour ich zwei Sommer jeweils 2-3 Tage lang in Berlin begleitet habe. Das Festival nahm im Juni vier Tage lang die Innenstadt von Innsbruck in Beschlag, mit jeweils einer „Marching Band“ um 15 Uhr und nachfolgenden Konzerten mit Tiroler Musikern und dem Gitarristen Les Getrex (der früher mit Fats Domino musiziert hat) und seiner Band Creole Cooking. Es war das 14. Festival und es ging am Sonntag mit einer Gospelmesse im Dom zu St. Jakob und einem Gospelbrunch auf dem Marktplatz zu Ende.
Ende Mai fand auch das 13. Fürther New Orleans Festival statt, bei dem über drei Tage vor allem lokale „amerikanische“ Bands aufspielten und aus New Orleans niemand angekündigt war.
Tja, und dann gibt es noch New Orleans meets Zofingen, ein Städtchen in der Schweiz mit 11.000 Einwohnern. Das Festival fand am 2. Juli, einem Montag, ab 17 Uhr in der Altstadt statt, auch vor allem mit lokalen Musikern. Als ich dann auf das Organisationskomitee klickte und das Foto sah, hat es auch bei mir KLICK gemacht. 
Wer kennt sie nicht, die schmerbäuchigen Dixielandbands, die „authentischen“ New Orleans Jazz spielen und sich und ihre Fans in irgendeine heile Fantasiewelt mit festen, immer wiederholten Noten und Formeln, mit einer schöneren Vergangenheit transportieren. Bei all diesen Festivals, Restaurants, oft auch in Krimis und Fantasy-Büchern geht es nämlich um New Orleans als Mythos und nicht als reale Stadt. Dieser Mythos setzt sich aus Musik, Küche, eventuell auch Architektur und anderem zusammen, greifbareren, auch eher reproduzierbaren, konsumierbaren und vermarktbaren Dingen als zum Beispiel Liebe und Eleganz (Paris) oder Großstadtchaos, Tempo, Wolkenkratzer, Feuerleitern (New York). Deshalb vielleicht ist er so stark und so verbreitet.
Meine ursprüngliche Faszination für New Orleans hatte sicherlich auch ein wenig mit dem Mythos zu tun. Aber als ich dann in der realen Stadt war, und zwar nicht als klassische Touristin, habe ich mich ganz neu verliebt. New Orleans selbst erliegt auch immer wieder seinem Mythos, und nicht nur die freundlichen Herren mit grauem Haar. Doch ist die Stadt nie statisch, nie festgeschrieben, immer im Werden, Machen und Entstehen, immer in der Improvisation. 
Es ist natürlich Unsinn, einen Mythos gerade rücken zu wollen, wie ich es hier auch immer wieder versucht habe. Es ist nämlich genau das Prinzip des Mythos, dass er unverrückbar ist, dass er, so wie er ist, den ihn Beschwörenden etwas gibt, ihnen Freude bereitet und sie irgendein Wohlbefinden damit assoziieren. Ein Mythos, und also auch der Mythos New Orleans, gehört allen und sie haben ein gutes Recht darauf.
PS: 28. August: In Frankfurt am Main gibt es auch ein New-Orleans-Restaurant, das King Creole.

Freitag, 17. August 2012

Im Radio

Ende des Monats jährt sich der Hurrikan Katrina mit nachfolgender Überflutung zum siebenten Mal und auch NPR wird wohl wieder darüber berichten, vielleicht auch, wie jedes Jahr, dieselbe Familie in New Orleans anrufen, um zu sehen, wie es so steht.
Anfang dieser Woche gab es auch einige kleine Berichte aus New Orleans:
& Tell Me More sprach mit der Autorin und Journalistin Gwen Thompkins, die seit einiger Zeit für den lokalen NPR-Sender eine neue Sendung macht, Music Inside Out (Musik in- und auswändig). Dafür interviewt sie Musikmenschen aus Louisiana: Musiker, Autoren, Komponisten, Produzenten usw. Dabei waren bisher Irma Thomas, Allen Toussaint und die Opernsängerin Givonna Joseph mit der Opéra Créole. Das vollständige Interview findet sich hier
Bei der Gelegenheit habe ich noch ein ganz neue NPR-Sendung in New Orleans entdeckt: Out to Lunch (Zu Tisch), wo ein Finanzprofessor der Tulane University neue Unternehmer im Commander’s Palace zum Mittagessen trifft, darunter jemanden, der für seine Kunden in Houston, Texas, bei IKEA einkauft und die Möbel auch zusammenbaut (Bluebag), einen Fitnessguru und das Geschäft The Occasional Wife (Die gelegentliche Ehefrau), die man anheuern kann, damit sie den Haushalt und das Familienleben organisiert.
& Marketplace berichtete, dass der Posaunist Stafford Agee von der Rebirth Brass Band seit einem halben Jahr auch Blasinstrumente repariert, in seiner Firma Rebirth Instrument Repair. Er erzählt, dass das besonders für die Schüler in den Schulorchestern wichtig ist, weil ein gut funktionierendes Instrument ihre Motivation erhöht. Das erinnert mich an den jungen Musiker Dinerall Shavers, (2007 erschossen; ich habe hier über ihn geschrieben), der meinte, dass man, wenn man ein Instrument in der Hand hat, keine Waffe in der Hand haben kann. Es ist sozusagen Stafford Agees Flügelschlag des Schmetterlings. Abends steht er weiterhin mit der wohl beliebtesten Band der Stadt auf der Bühne. Das Unternehmen finanziert sich zu einem Teil aus Spenden. Das Gespräch ist hier.
& Noch einmal auf Tell Me More ging es um den Botanischen Garten von New Orleans, der sich im City Park befindet und natürlich in den Fluten auch verwüstet wurde. Der Direktor Paul Soniat, der einer alten New Orleanser Familie entstammt, spricht über die große Hilfsbereitschaft, die dem Botanischen Garten einen Neuanfang ermöglichte. Die Interviewerin fragt den Direktor auch noch über sein Hobby, das Musikmachen, und schließlich wird sein bekanntestes Stück, Below the Waterline, eingespielt, das in Folge von Katrina entstand. Nur in New Orleans, oder? Das Gespräch ist hier.

Mittwoch, 15. August 2012

Jeff, der noch zu Hause lebt

Diesen Film habe ich auf Empfehlung eines Lesers gesehen (Dankeschön!), eine Independentkomödie der Brüder Jay und Mark Duplass aus New Orleans (Webseite hier). Es geht um zwei ungleiche Brüder, die beide ihr Leben nicht so recht im Griff haben, wenn auch auf sehr unterschiedliche Weise. Der genannte Jeff ist 30 und wohnt bei seiner Mutter, wo er die Tage im Keller verbringt und auf ein kosmisches Zeichen wartet, dass ihm zeigt, wohin sein Leben gehen soll. Der andere, Pat, klopft gern Sprüche und glaubt, alles im Griff zu haben und durch den Spontankauf eines silbernen Porsches zum Beispiel seine Ehe zu pflegen. Eine halbe Stunde später ist der Porsche jedoch im Eimer und seine Ehe beinahe auch. Währenddessen ist Jeff unterwegs, eigentlich um für seine Mutter etwas zu besorgen, aber als er den verschiedenen Zeichen folgt, wird er ausgeraubt und trifft dann immer wieder auf seinen Bruder. Pat und seine Frau treffen sich jeweils mit einem Freund zum Mittagessen, um sich über ihre Ehe zu beklagen. Die Mutter der beiden, Susan Sarandon, die seit dem Tod ihres Mannes allein ist, hat indessen im Großraumbüro so eine Art Verehrer.
Das Ganze ist ganz witzig, zum Teil auch ein bisschen albern, aber sehr sympathisch. Mir standen auch ein paar Tränen in den Augen, denn es geht doch um den Sinn des Lebens und von Beziehungen. Gedreht wurde der Film in New Orleans bzw. dem Vorort Metairie, soll aber das eher zersiedelte Baton Rouge darstellen, und so sehen wir Tankstellen, Townhouses, Hooter’s Restaurants, Vorgärten, Telefonzellen, wie es sie überall in den USA gibt. Und doch habe ich viele der Straßen wiedererkannt und an der einen hatten sie einen knallroten Aufsteller für den Advocate, die Lokalzeitung von Baton Rouge, hinter dem sich Pat versteckt.
Die Showdown-Sequenz kurz vor Schluss, in der die Familie in einem dramatischen Un-/Zwischenfall wieder zueinander findet, spielt auf der langen Brücke der Autobahn I-10 zwischen LaPlace und Kenner, die viele viele Minuten lang über Sümpfe und Wasser hinweg führt und über die ich im Herbst 1990 zum ersten Mal nach New Orleans kam, übernächtigt und verschlafen in einem eisgekühlten Greyhoundbus. Wenn ich demnächst wieder dort im Stau stehe oder, wie alle anderen auch, in die Stadt brettere, werde ich es sicher mit anderen Augen tun.
Wie der Titel es schon andeutet, ist der Film kein feinziseliertes und durchkomponiertes Kammerspiel, sondern eher mit den Händen in den Taschen und Zigarette im Mundwinkel gedreht. Durchaus sehenswert, auch wenn er sich bestimmt nicht lange in den deutschen Kinos hält.
Das einzige wirkliche Problem benennt ein Leserkommentar zu dem Artikel in der Times Picayune„He lives in the basement? But New Orleans homes don't have basements. Maybe it should be, Jeff, Wo Lives Under the House.
--Er wohnt im Keller? Aber die Häuser in New Orleans (und übrigens auch in Baton Rouge) haben keine Keller. Vielleicht sollte es besser heißen: Jeff, der noch unter dem Haus wohnt.

Dienstag, 14. August 2012

Stadt, Kultur und Gesellschaft

Jetzt in den Semesterferien wird eine Magisterstudentin aus einem meiner Kurse mit Wohnmobil und Freund kreuz und quer durch die USA reisen. Fest geplant ist auch ein Halt in New Orleans, und zwar weil sie sich über ein Doktorprogramm informieren will.
Die Tulane University zählt durchaus zu den renommierten privaten Universitäten der USA, vor allem für Humanwissenschaften, Französisch und Italienisch, dachte ich. Im Internet habe ich gesehen, dass manche es als „Harvard des Südens“ bezeichnen, was sicher etwas übertrieben ist, und andere als „Jewlane“, weil wohl ein großer Anteil der Studenten aus reichen jüdischen Familien stammt. Tulane ist teuer, hat einen gepflegten, mit Lebenseichen beschatteten Campus (Foto) gleich an der St. Charles Avenue und die Bibliothek ist sicherlich die best bestückte im Staate Louisiana und vermutlich in Mississippi, Alabama und Arkansas noch gleich mit und steht auch der Öffentlichkeit (mir zum Beispiel) offen.
Was ich aber bisher nicht wusste, ist, dass Tulane auch eine School of Social Work hat (eine Fakultät für Soziale Arbeit), die allerdings nur Magister- und Doktorstudiengänge anbietet. Darunter gibt es sehr interessante Kombinationen, wie Magister in Sozialer Arbeit mit Public Health (Volksgesundheit), mit Zertifikat in Disaster Mental Health (psychische Gesundheit bei Katastrophen) und einen Magister in Globaler Sozialer Arbeit, der, so heißt es, besonders für die Arbeit beim Roten Kreuz, der UNO, im Peace Corps usw. ausbildet.
Die Studentin interessiert sich für ein Doktorat in einem von zwei interdisziplinären Programmen, die ebenfalls in Folge von Hurrikan Katrina aufgelegt wurden. Das eine ist in Aging Studies (Altersstudien) und das andere heißt City, Culture, and Community (Stadt, Kultur und Gemeinschaft/Gesellschaft) und integriert Lehrkräfte aus der Soziologie und Urbanen Studien, Architektur, Recht, Human- und Naturwissenschaften. Das Programm befasst sich mit den Zusammenhängen zwischen der physischen und der bebauten Umwelt und sozialen, wirtschaftlichen und politischen Institutionen und Prozessen, die für städtische Räume prägend sind. New Orleans, vor allem nach Katrina, bietet natürlich jede Menge Anschauungsmaterial.
So gibt es zum Beispiel, davon ganz unabhängig, ein Sommerprogramm für New Orleanser Schüler, das die nichtkommerzielle Organisation Kids Rethink New Orleans Schools (Kinder überdenken New Orleans’ Schulen – Rethink) seit 2006 ausrichtet. Dabei treffen sich sechs Wochen lang Grund- und Mittelschüler aus New Orleans und erarbeiten Vorschläge für ihre Schulen, besonders auch was die Schulkantine und das Essen betrifft. 2007 konnten die Rethinkers durchsetzen, dass die Sporks abgeschafft wurden (eine Kombination aus Löffel und Gabel), die sie als entwürdigend empfanden. Inzwischen haben sie so einige Verbesserungen erzielen können, aber die Einführung von Metallbesteck wird „aus Sicherheitsgründen“ weiterhin nicht erfolgen. (Mehr hier.)
Solche und andere Programme gibt es natürlich viele und bestimmt wird auch an der Tulane University über ihren Nutzen geforscht. Das Studium ist teuer, aber es gibt Stipendien und Assistenzstellen und eine unvergessliche Lebenserfahrung. Und ich hätte vielleicht schon nächstes Jahr einen neuen Kaffeeklatschkontakt in New Orleans...

Donnerstag, 9. August 2012

French Film Fest

Morgen beginnt das New Orleans French Film Festival.  Vom 10. bis 16. August werden täglich bis zu drei französische Filme mit englischen Untertiteln gezeigt, sowie ein amerikanischer Film von 1957, Funny Face mit Audrey Hepburn, der in New York und Paris spielt. Die anderen französischen Filme sind durchweg aktuell, so Nathalie küsst (La délicatesse, engl. Delicacy) mit Audrey Tautou, der auch bei uns im Kino lief. 
Selbst gesehen habe ich den Film Die Liebenden – Von der Last, glücklich zu sein (Les bien-aimés, engl. Beloved) mit Catherine Deneuve, Ludivine Sagnier, Chiara Mastroianni und Milos Forman, der von den komplizierten Lieben einer Mutter und ihrer Tochter erzählt, mit Verwirrungen, Weltschmerz und doch einer gewissen melancholischen Leichtigkeit, wobei Prag 1968 auch kurz auftaucht und die Figuren immer wieder anfangen zu singen, wie im Musical. Vielleicht nicht ganz ausgereift (Prostitution ist im französischen Film so nonchalant), aber 1. ist Catherine Deneuve immer sehenswert und 2. gibt es einige kleine Weisheiten über die Liebe.
Ausgerichtet wird das Festival von der New Orleans Film Society gemeinsam mit dem Französischen Konsulat in New Orleans, und das zum 15. Mal. New Orleans ist für Franzosen ein beliebtes Reiseziel, aber das Konsulat engagiert sich auch, um französische Kultur zu vermitteln. Erst im Juli fand in der Historic New Orleans Collection ein Vortrag französischer Schauspieler zu dem französischsprachigen Plantagenbesitzer, Staatsmann, Philanthropen und Dichter Julien Poydras (1746-1824) statt, bei dem auch eines seiner Gedichte zur Wiedereroberung von Baton Touge durch die Spanier verlesen wurde. Das Konsulat selbst befindet sich ganz passend in der Poydras Street im Central Business District.
Ende der neunziger Jahre habe ich einmal den großen französischen Dichter und Philosophen Michel Deguy in meinem kleinen Toyota nach New Orleans chauffiert, wo er ein Treffen mit dem damaligen Konsul hatte. Ich musste unbedingt mit, und Michel Deguy „übersetzte“ mir später aus dem Diplomatischen, dass der Konsul New Orleans zwar ganz okay fände, aber viel lieber in Washington an der Botschaft geblieben wäre. Es gibt übrigens auch zwei Honorarkonsuln in New Orleans; zum Französischlernen gibt es eine Alliance Française
Das Festival findet im Prytania Theatre in Uptown statt, unweit der Creole Creamery, wo man davor oder danach oder davor und danach auf ein traumhaftes Eis einkehren sollte. 

Sonntag, 5. August 2012

V/Hoodoo

Ich habe hier noch nicht darüber geschrieben, weil ich nicht genug weiß. Vor langer langer Zeit, als Touristin, war ich im Voodoomuseum im French Quarter. Ich weiß von der sagenhaften Voodoopriesterin Marie Laveau (ca. 1794-1881), die der Legende nach zum letzten Mal gesehen wurde, als sie mit ihrem Haus im Auge eines Hurrikans über den Pontchartrain-See hinweg flog. Ich habe Geschichten mit Voodoo-Riten gelesen, vielleicht bei George Washington Cable? Natürlich habe ich Krimis gesehen, in denen mit Hühnerbeinen und mit Nadeln gespickten Puppen im French Quarter herumgespukt wurde. Und aus einem Interview mit der Autorin Brenda Marie Osbey weiß ich, dass es in New Orleans nicht Voodoo sondern Hoodoo heißt und nicht irgendein Kult sondern eine eigene Form der Religion ist.
Mehr Aufschluss hatte ich mir erhofft aus dem Dokumentarfilm, den ich gestern Abend gesehen habe, The United States of Hoodoo, von dem deutschen Regisseur Oliver Hardt und dem Amerikaner Darius James sozusagen als MC. Wie der Titel schon andeutet, geht der Film davon aus, dass es in den USA eine unterschwellige, einende Spiritualität gibt, die auf afrikanischen Traditionen beruht. Um dies zu untersuchen, werden verschiedene Schauplätze bereist, New York, Kalifornien, Mississippi und zu einem beträchtlichen Teil auch New Orleans. Sehr oft halten wir uns aber auch in dem rumpligen Haus in Neuengland auf, das Darius James von seinem verstorbenen Vater geerbt hat und das voller afrikanischer Masken hängt. Und das ist ein bisschen das Problem des Films: Er zeigt zwar viele interessante Dinge, wie eine afrikanische Grabstätte mitten im Wallstreetviertel in New York, aber er tut das alles über die nicht besonders aufregende spirituelle Suche von Darius James, die ihn zu verschiedenen Freunden und Bekannten führt, die mit ihm über den Musiker Robert Johnson, die Sklaverei und Gumbo-Rezepte reden. Ein Film also, der nicht fundiert und seriös informiert und dessen persönlicher Hintergrund keine spannende Pointe oder Auflösung findet, konzeptuell, inhaltlich nicht überzeugend.
Sehenswert ist er aber schon allein wegen des weichen, warmen Südstaatenlichts, das ich in den Bildern aus dem Mississippidelta wieder erkannt habe und dann erst recht in den grünen Gassen im Bywater-Viertel in New Orleans. Aber auch wegen der Eindrücke von New Orleans (Häuser, Paraden, Beerdigung, Friedhof, Sehenswürdigkeiten), wegen der Bilder von einer Voodoozeremonie und wegen der interessanten Menschen, denen wir auf diese Weise begegnen, darunter auch dem Musiker Hassan Sekou Allen (ursprünglich aus Los Angeles), der, wie die Musiker es so machen, den Rhythmus von New Orleans vorklatscht. Ob die Voodoopriesterin Sallie Ann Glassman in der in New Orleans gewachsenen Tradition steht, bezweifle ich ein wenig, denn sie stammt aus Neuengland und hat ihre Ausbildung in Haiti erfahren.
Das wirklich interessante Thema ist also ein bisschen verschenkt worden und hätte mehr Tiefe verdient. Mein stets sehr kritischen Begleiter bemängelte vor allem die Selbstdarstellung des Erzählers und so sind wir auch nicht zu dem angekündigten Gespräch geblieben. Gesehen haben wir den Film in dem spirituell ausgerichteten Kino & Café am Ufer im Wedding. Ab morgen läuft er in Berlin nur noch im Eiszeit-Kino (19.15 Uhr), sicher auch in vielen anderen Städten, und da er u.a. von ZDF und Arte gefördert wurde, ist er vielleicht auch irgendwann im Fernsehen zu sehen. In dieser Rezension im Spiegel ergeben die verschiedenen Fäden eine logischere Verknüpfung, als es mir gelingen wollte.

Samstag, 4. August 2012

Dieses Wochenende in New Orleans

... kann man sich einiges vornehmen.
Bis morgen noch läuft das 12. Satchmo SummerFest im French Quarter. Satchmo, von Satchelmouth (Umhängetaschenmund), ist der Spitzname von Louis Armstrong (1901-1971), der aus New Orleans stammte. Bei dem Festival gibt es Seminare über ihn und auf zwei Freilichtbühnen Live-Konzerte (von jeweils 12-20 Uhr) mit Brass-Bands und New Orleanser Größen wie Kermit Ruffins, den Preservation Hall All Stars und den kürzlich erwähnten Palmetto Bug Stompers sowie ein Kinderprogramm. Louis Armstrong ist für New Orleans und den Jazz so eine wichtige Persönlichkeit, dass der Flughafen nach ihm benannt ist (falls der neue hier in Schönefeld außerhalb Berlins je fertig wird, soll er Willy-Brandt-Flughafen heißen, nur zum Vergleich). Und seine Autobiographie Mein Leben in New Orleans, die ich im Alter von zwölf Jahren im Buchregal meines Vaters gefunden habe, hat mich neben den Digedags und dem Saxophon bei uns zu Hause so geprägt, dass ich hier heute über New Orleans schreibe. 
Schon lange erwähnen wollte ich einen interessanten Blog, der sich nur mit Louis Armstrong beschäftigt, The Wonderful World of Louis Armstrong. A Celebration of Louis Armstrong’s Life and Music, One Song and Video at a Time. Ohhhhh Yeah! Verfasst wird es von dem Jazzhistoriker Ricky Riccardi (erst 30 Jahre alt), der am Louis Armstrong House Museum in Queens in New York arbeitet, und hier seit 2007 Aufnahmen, Videos, Konzerte dokumentiert. Am 6. Juli 2012 schrieb er über Louis Armstrongs Tod, der an dem Tag vor 41 Jahren „angeblich“, wie der Musiker David Ostwald sagt, gestorben ist. Geboren ist er am 4. August, heute!
Heute Abend von 18-21 Uhr ist im Warehouse District die Whitney White Linen Night, bei der alle Kunstgalerien und Museen um die Julia Street herum geöffnet sind, die Straße wird dafür für den Verkehr gesperrt und auch hier spielen Live-Bands. Ab 21 Uhr ist dann im benachbarten Contemporary Arts Center eine Afterparty. Essen gibt es natürlich auch und da es eine White Linen Night ist, sollte man sicher weiß tragen. Ich erinnere mich gern an die gemeinsamen Galerievernissagen an der Julia Street jeweils am ersten Sonnabend des Monats, und ins CAC gehe ich immer gern.
Dort und in ganz Louisiana ist seit gestern und bis heute noch ein Tax Holiday (Steuerferien), d.h. auf alle Einkäufe unter 2.500 Dollar wird keine staatliche Verkaufssteuer erhoben, nur örtliche Steuern können anfallen. In den USA ist ja der angegebene Verkaufspreis nie der, den man am Ende bezahlt, weil die Steuern immer erst an der Kasse hinzugefügt werden. Da der kleine Buchladen Blue Cypress Books in Uptown sein 4-jähriges Bestehen feiert, wird er auch diese Steuern erlassen.
Schönes Wochenende!