In den letzten arbeitswütigen Tagen habe ich für das Museum
of Modern Art übersetzt, dessen Sammlung auch virtuell besucht werden kann,
unter diesem Link. Auch aus (oder über) Louisiana finden sich dort Werke, vor
allem auch Fotografien aus New Orleans von Henri Cartier-Bresson, Lee
Friedlander und Walker Evans und natürlich von E.J.Bellocq, der für seine Fotos
aus Storyville Anfang des 20. Jahrhunderts bekannt ist. Etwas Malerei ist auch
dabei und – Film, so Robert Flahertys (1884-1955) Dokudrama-Klassiker Louisiana Story von 1948. In diesem Schwarzweißfilm zeigt die Kamera die wilde und
exotische, damals noch unberührte, Landschaft Louisianas und die wilden und
exotischen Cajuns, die sie bewohnen. Aus ihrer Armut und ihrem autarken Leben
werden diese durch die Ankunft der Ölindustrie herausgerissen, die
Erkundungsbohrungen durchführt. Natürlich sind die Ölarbeiter alle freundlich
und helfen den naiven Cajuns aus ihrem Elend (der Film wurde von Standard Oil
gesponsort). Zu sehen ist die aufregende Beziehung zwischen moderner Technik
und Fortschritt und dem Naturreichtum der Region, aber es gibt auch einen
Moment der Wehmut, denn es ist auch ein Abschied und ein Eintritt in eine neue
Welt.
65 Jahre später ist das alles längst Alltag. Vor kurzem hat
die BP-Ölkatastrophe weite Teile des Golfs von Mexiko verseucht und die Folgen
sind immer noch spürbar. Abgesehen davon verliert Louisiana ständig an Boden,
mit jedem Hurrikan noch viel mehr, unter anderem weil die Explorationskanäle
der Ölfirmen die Marschen zerstören und das eindringende Salzwasser die
rettende Natur (Pflanzen und auch Tiere) auffrisst.
Insofern ist der Film Beasts of the Southern Wild, den Ihr
auch alle sehen müsst, eine moderne Fortsetzung der Louisiana Story, denn hier geht es genau darum, dass die Menschen ihre Heimat an das Wasser verlieren und aber partout nicht gehen wollen.. Auch vor
Ort mit Laiendarstellern gedreht und ebenso ein gewissermaßen politischer Film,
mit einer Aussage, der sich der Zuschauer nicht entziehen kann. Vor allem aber
ist ein großer, aufwühlender Film mit packenden Bildern, in dem ein kleines
Mädchen namens Hushpuppy ihr Leben in den Kontext ihres Landes, das sie
vergessen hat, in den globalen Kontext mit Erderwärmung und aber auch in die
Menschheitsgeschichte einordnet.
Das ist für einen Debütfilm (von Benh Zeitlin – sollte man
sich merken) ein starkes Stück und gelingt irgendwie auch. Der Film ist experimentell und independent, ohne
zynisch oder sarkastisch zu sein, sondern leidenschaftlich und ja, vielleicht
auch pathetisch. Das Bild von Louisiana ist nicht authentisch: nein, auch dort
wohnen die Menschen nicht in Verschlägen, die nach einem Tobsuchtanfall genauso
aussehen wie vorher usw. Aber er baut auch nicht auf Klischees, sondern
vielmehr auf kulturelle Praktiken, die man für den hiesigen Zuschauer
vielleicht erklären müsste.
Mein Begleiter, der mich sogar vor langen Jahren in
Louisiana besucht hat, empfand den Film zunächst wie eine Glorifizierung der
Unterschicht, auch weil in den Untertiteln ein Übersetzungsfehler war (es ging
nicht darum, dass man dort mehr frei hat und ergo weniger arbeitet als irgendwo
auf der Welt, sondern darum, dass es mehr Feste gibt -- im Hintergrund war ein
glanzloser Mardi-Gras-Umzug zu sehen). Die Krebse und Krabben werden natürlich
vor dem Verzehr gekocht, in großen Töpfen mit Kartoffeln und Gemüsen und
scharfen Gewürzen, und dann auf mit Zeitungen bedeckten Tischen aufgehäuft, man
isst mit der Hand und das ist nicht fein. Die ganz Harten saugen auch den Kopf
aus. Nach meinem ersten Crawfish boil träumte ich, dass mir Krebse innerhalb
meiner Jeans an den Beinen entlangliefen.
Der Schauplatz The Bathtub (Die Badewanne) ist ein
erfundener Ort, doch nach Katrina wurde auch New Orleans als „Metropole in Form
einer Badewanne, ohne Stöpsel“ bezeichnet. Inspiriert wurde die Geschichte aber
auch von der kleinen Insel Isle de Jean Charles in Terrebonne Parish, einem
Indianerreservat, das mit jedem Jahr mehr im Wasser versinkt und wo die Einwohner
sich trotzdem nicht vertreiben lassen. Hier ein Ausschnitt aus einem aktuellen
Dokumentarfilm darüber, Last Stand on the Island.
Biester oder Bestien, wie im Titel genannt, gibt es
verschiedene. Zunächst wären da die Kreaturen, die immer laut schnaufend durch
die Träume der kleinen Hauptfigur Hushpuppy ziehen; ich hielt sie den ganzen
Film lang für überdimensionierte Wildschweineber, aber es sollten wohl doch
Auerochsen sein. Dann wären da die Tiere, mit und von denen die Menschen dort
leben und dann sind sie aber auch selbst irgendwie Tiere, zumindest in den
Augen der Behörden, die sie retten wollen. Ein Hinweis darauf ist auch die eine Szene, in der die kleine Hushpuppy versucht, beim Essen eine Krabbe zu zerteilen, und ihr Vater und schließlich auch die anderen Dorfbewohner sie anfeuern, indem sie ihr "Beast it" zubrüllen, (also in etwa: Mach's mit roher Gewalt).
Freunde meinten zu mir, es sei ein Film über den
Freiheitsdrang und dem Wunsch nach Autarkie. Für mich ist es aber auch
gewissermaßen ein Heimatfilm, der die eigene bedrohte Heimat in
einen größeren Kontext stellt und der die Kraft von gewachsenen Beziehungen und
Gemeinschaften besingt. Wegen der Bilder sollte man den Film auf einer großen
Leinwand sehen und sehr lange läuft er wohl nicht mehr. Für die beiden
Hauptdarsteller, die auch in Sundance und in Cannes dabei waren, ist jetzt
wieder Normalität eingekehrt. Die winzige Quvenzhané Wallis ist eine kleine
Glamourdame geworden und ihr Filmvater Dwight Henry betreibt eine gut gehende
Bäckerei in New Orleans. Hier und hier Interviews mit ihnen.
Im Gambit Weekly wurde der Film zu einem der besten von 2012 gekürt (und für mich ist er das auch). Dort heißt es: New Orleans filmmaker Benh
Zeitlin and his ragtag crew made history with a magical and utterly original
work of Louisiana art.
Happy New Year allerseits!