Das Studio im Wald liegt hinter den Bergen bei den sieben
Zwergen, so scheint es, obwohl es in Louisiana kaum Berge gibt. Auf der circa halbstündigen Fahrt von New Orleans geht es über die lange, sehr befahrene,
tatsächlich hügelartige Crescent City Connection-Brücke
(Halbmondstadtverbinder) auf die andere Seite des Mississippi, dann hält man
sich rechts, dann links auf dem General de Gaulle Boulevard durch die
zersiedelte Westbank, dann über eine weitere hohe und in sich geschwungene
Brücke über den Intracoastal Waterway hinweg zu einer verlassenen Straße, die
gleich am Fuße des Deiches einer der großzügigen Kurven des Mississippi folgt,
die hier, das sieht man auf der Landkarte, eigentlich eher eine Öse ist. Die
Straße endet vor den Toren des Audubon Center for Research und einige Meter davor zeigt rechts ein verwittertes
Schild auf die zugewachsene Einfahrt zum Studio in the Woods.
Organisch in die Bäume eingefügt steht ein lichtes hölzernes
Haus mit großzügiger, gazeumzäunter Veranda. Die Koordinatorin Cammie
Prewitt-Hill empfängt mich mit Flipflops und langem fließenden Rock. Wir treten
in eine große Küche mit Fenstern an drei Seiten, die in ein wirres, gemütliches
Wohnzimmer und hinten einen Arbeitsplatz übergeht. Ich sage: Das sieht aus wie
jemandes Haus. Cammie sagt: Ist es ja auch.
Und das kommt so:
Joe und Lucianne Carmichael kamen 1968 als frisch verliebtes
Paar manchmal an diese Stelle zum Picknicken, bis sie 1969 zufällig hier ein
Grundstück erwarben. Neben ihrem „richtigen“ Beruf waren beide Künstler – sie
arbeitet mit Ton, er mit Holz – und so bauten sie aus den im umliegenden Wald
und anderswo anfallenden Materialien bis 1977 nach und nach das Haus. Er
zimmerte einen langen Tisch für die Veranda, sie brannte die Fliesen für den
Fußboden. Dann legten sie einen kleinen Teich an, doch das umliegende Dickicht
ließen sie fast unberührt, sahen es vielmehr als Inspiration für ihre Arbeit,
denn sie hatten sich auch Künstlerstudios gebaut. Sie luden Schulklassen
zu Ausflügen ein und gewährten manchmal informelle Künstleraufenthalte,
leiteten Workshops.
1998 begann die Suche nach einem wohlwollenden Hausbesitzer.
Im Dezember 2004 übergaben sie A Studio in the Woods in die Obhut der Tulane University New Orleans, wo
es zum Center for Bioenvironmental Research (Zentrum für umweltbiologische Forschung) gehört. Zum Studio gehört auch der
Umweltkurator Dave Baker, der die Natur beobachtet und pflegt, zum Beispiel den
Chinesischen Liguster entfernt, der den gesamten Süden der USA zu überwuchern
droht. Seit 2003 werden im Studio in the Woods Aufenthaltsstipendien für
Künstler angeboten, nach Katrina und Rita vor allem auch
Restaurationsaufenthalte für von den Hurrikanen betroffene Künstler, darunter
der Komponist und Musiker Michael White, der in dem Film The Sound of
the Storm beschrieb, wie er hier wieder
anfing zu arbeiten. Jedes Jahr im Januar werden Aufenthaltsstipendien für
jeweils 6 Wochen ausgeschrieben, die an Künstler verschiedener Sparten vergeben
werden: bildende Künstler, Autoren, Filmemacher, Musiker.
Wenige Tage vor meinem Besuch war die junge Jazzfolksingerin, Musikerin und
Liedermacherin Sarah Quintana aus New Orleans gerade als Stipendiatin
eingezogen, von deren Musik, wie Cammie berichtete, die ganze Jury sofort in
den Bann gezogen war. Beeinflusst sicher auch durch ihr Leben in Frankreich, wo
sie auch eine Fangemeinde hat, ist es eine Musik mit ungewöhnlichen Tönen und
viel Raum und Zeit. Ihre erste Platte The World Has Changed hat sie übrigens per Crowdfunding
finanziert.
Sarah erzählt, wie sie die Geräusche der Natur aufnimmt, die
sie porös und aufnahmefähig machen, wie wohl sie sich in der Nähe der
Waschbären, Armadillos, und Waldtiere fühlt, wie der fruchtbare Mississippi sie
inspiriert. Dass sie den
Mississippi, der wie sie meint, wegen der Umweltprobleme wütend auf uns
ist, konsequent mit dem weiblichen „sie“ bezeichnet, mag mit
ihrem traurigen, aber wunderschönen Lied „Mama Mississippi“ zu tun haben: Sarah
Quintana auf der Kaffeetasse ihrer Großmutter. Hört es Euch hier an! Im Dezember soll ihr Album mit den Stücken aus dem Studio erscheinen, The Delta Demitasse.
Begleitet war mein Besuch von einer Geräuschkulisse aus Industrielärm, der über den Deich drang: Quietschen, Knarren,
Schlagen, Schiffs- und Hafengeräusche, wie ich sie aus Donaldsonville kenne, wo
ich gleich am Mississippi gewohnt habe. Als ich später auf den Deich kletterte,
sah ich sie liegen, die riesigen Ozeanfrachter, vielleicht auf Reede,
einer hinter dem anderen, in der ganz unromantischen Flusslandschaft. Das Studio in the Woods ist also nicht einfach eine Naturoase für die Künstlerseele,
sondern ein Ort, der dem sich Kunst und Realität verbinden, an dem die Idylle
eben auch von chinesischem Liguster und Industrie gebrochen ist, wo man in der
Natur und doch ganz mit der aktuellen Zeit verbunden ist.
Zum Abschluss meines Besuches sprach ich noch kurz mit
Lucianne Carmichael, die meinte, ich solle mich doch einmal auf einen
Aufenthalt bewerben. Mach' ich, sehr gern.
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