Aber damit Ihr nicht völlig darben müsst, biete ich Euch hier ein Schmankerl, so hoffe ich: Meine Übersetzung einer Karnevalsgeschichte von Alice Dunbar-Nelson (1875-1935), einer auf Deutsch noch unentdeckten kreolischen Autorin, Journalistin, politischen Aktivistin aus New Orleans, die u.a. mit der Harlem Renaissance verbandelt war.
Die Geschichte „Odalie“ veröffentlichte sie im Alter von 20 Jahren, deshalb mag man ihr die Melodramatik nachsehen. Sie beschreibt einen Karneval ihrer Zeit im French Quarter von New Orleans und erzählt von einem jungen Mädchen noch vor ihrer Zeit, für die zum Karneval und auch an den anderen Tagen definitiv nicht die Post abging (und das Leben von Frauen thematisiert sie auch in ihren späteren Texten. Hier also eine Weltpremiere: „Odalie“ von Alice Dunbar-Nelson erstmals auf Deutsch. Das Original findet sich hier.
Alice Dunbar-Nelson
ODALIE
Dann und wann kommt der Karneval zur Zeit des guten Sankt
Valentin und manchmal kommt er erst spät in den warmen Märztagen, wenn der
Frühling schon da ist und das Grün des Grases das Grün der königlichen
Standarten aussticht.
Viele Tage vor dem eigentlichen Karneval gewandet sich New
Orleans in sein Festkleid. Hier und dort erscheinen die Karnevalsflaggen mit
ihrem leuchtenden Grün, Violett und Gelb, und dann, wie von Zauberhand,
erflammen die Straßen und Gebäude und platzen aus den Knospen wie der Mohn, in
ein herrliches Feuerwerk der Farben, das die Sinne in eine wohlige Akzeptanz
von Wärme und Schönheit tunkt.
Am Fastnachtsdienstag, wie Sie wissen, ist es eine Stadt,
die von all der Narretei toll geworden ist. Ein riesiger Maskenball, der sich
bei Tageslicht auf die Straßen ergießt, eine Stelldichein aller Nationen auf
gemeinsamen Boden, ein Potpourri aus jeder erdenklichen menschlichen Zutat –
all das kann es nur vage beschreiben. Es gibt Musik und Blumen, Schreie und
Gelächter und Lieder und Frohsinn, und niemals ein schmerzendes Herz, das
seinen Kummer zeigt oder das Glück der Straßen trübt. Eine wundersame Sache,
dieser Karneval!
Aber die alten Freunde da im Französischen Viertel, die
alles wissen und manch eine Geschichte kennen, berichten von einem trauernden
Herzen zur Fastnacht vor vielen Jahren. Natürlich war es ein Frauenherz, denn
„Il est toujours les femmes qui sont malheureuses“* geht ein altes Sprichwort,
und vielleicht stimmt das. Diese Frau – anderswo würde man sie ein Kind nennen,
außer in diesem Land der tropischen Fülle und der Frühreife – verlor ihr Herz
an einen, der nichts davon wusste, übrigens durchaus eine übliche Geschichte,
die aber ihr Vater, der hochmütige Richter, für ziemlich geschmacklos gehalten
hätte, hätte er davon gewusst.
Odalie war schön. Odalie war auch stolz, aber gütig genug
gegen jene, die ihrem zarten Gemüt gefielen. In dem alten französischen Haus
auf der Royal Street, mit seinen altertümlichen Fenstern und dem spanischen
Hof, grün und kühl und durch das Plätschern einer Fontäne und das Trillern von
Vögeln in ihren Käfigen mit Musik erfüllt, lebte Odalie in klosterähnlicher
Abgeschiedenheit. Monsieur le Juge war darauf bedacht, dass kein Falke in den
Käfig eindringen und sein Täubchen stehlen konnte, und so gab es zwar keine
Mutter, doch eine strenge Tante wachte als Anstandsdame über das Mädchen.
Ach, die Vorkehrungen der Tante! Leuchtende Augen auf der
Suche nach anderen leuchtenden Augen, in denen der Geist der Jugend und des
Übermuts lauert, halten überall Ausschau, selbst in der Kirche. Pflichtbewusst
brachte man Odalie jeden Sonntag zur Messe in die Kathedrale, und Tante Louise,
die über ihren Perlen fromm mit dem Kopf nickte, bemerkte das Erröten und die
bedeutungsvollen Blicke nicht, einen ganzen Code aus Signalen, die zwischen
Odalie und Pierre, dem mittellosen, jungen Gerichtsbeamten, hin und hergingen.
Vielleicht liebte Odalie, weil es nicht viel Anderes zu tun
gab. Wenn man in einem großen französischen Haus mit der grimmigen, schläfrigen
Tante und ohne Kameraden seines Alters eingeschlossen ist, wird das Leben
stumpf und man wartet auf irgendein neues Gefühl, vor allem wenn in den Adern
das ungestüme spanisch-französische Blut tost, auf das Monsieur le Juge so
stolz war. Also hielt Odalie an den Wochentagen das Traumbild ihres Pierre fest
in den Armen und spielte ihm bebende, kleine Liebeslieder, wenn la Tante in der
Dämmerung über ihrem Andachtsbuch döste, und sonntags bei der Messe gab es
wieder Blicke und Erröten und vielleicht in einem besonders in Erinnerung
gebliebenen Augenblick, während la Tante ihren letzten Kniefall machte, das
Berühren von Fingerspitzen am Weihwasserbecken.
Dann kam die Karnevalszeit und ein kleines Herz schlug
schneller, als das graue Haus auf der Royal Street seine bunten Fahnen
heraushängte und die trostlose Fassade mit leuchtenden Farben schmückte. Es
sollte eine Zeit der Freude und der Muße werden, wo alle überall hingehen
konnten und man auf der Straße sprechen konnte, mit wem man wollte. Unbewusst
wurden Pläne formuliert und die kleine Odalie war glücklich, je näher die Zeit
rückte.
„Stell dir doch mal vor, Tante Louise,“ rief sie, „was das
für eine glückliche Zeit sein wird!“
Aber Tante Louise brummte nur irgendetwas, wie es ihre Art
war.
Endlich war Fastnacht gekommen und schon früh hörte Odalie
durch das Fenster das Klingeln der närrischen Glocken an den Kostümen der
Maskierten, das Klimpern von Musik und den Widerhall von Liedern. Hoch zu ihren
Ohren drang das Gelächter der älteren Maskierten und das Kreischen der kleinen
Kinder, die sich vor ihrem eigenen Anblick unter der Maske und dem Dominomantel
fürchteten. Was für eine Aufregung, draußen in dem kunterbunten, fröhlichen
Gedränge zu sein, die Royal Street zur Canal Street hinabzuschreiten, wo das
Leben und die Welt war!
Es waren müde Augen, mit denen Odalie schließlich auf das
heitere Treiben blickte, müde, Pulk über Pulk Maskierter und Unmaskierter zu
beobachten, in die Wagenladungen singender Musikanten und in die Kutschen der
Feiernden zu schielen, in der Hoffnung auf einen Blick auf Pierre den Treuen. Die
Umzugswagen mit ihren rot drapierten Pferden rumpelten vorbei und verloren
langsam ihren Charme, die Kostüme sahen billig aus, sogar die Fahnen in
fröhlichen Farben flatterten Odalie traurig zu.
Fastnacht war doch ein ermüdender Tag, seufzte sie, und
Tante Louise stimmte ihr ausnahmsweise zu.
Es war sechs Uhr, die Zeit, wo alle Masken abgenommen werden
müssen. Die langen roten Strahlen der untergehenden Sonne funkelten quer über
die bunten Kostüme der Karnevalisten, die demaskiert Richtung Heim zogen, um
sich vor dem letzten wilden Tollen der Nacht auszuruhen.
Die Toulouse Street herunter kam die fröhlichste aller
Scharen. Junge Männer und Frauen im zarten, feenhaften Gewand, Tänzer und Kleider
des malerischen Empires, ein oder zwei Schmetterlinge und ab und zu eine Dame
mit gepudertem Haar und der Anmut alter Zeiten. Mit unmaskierten Gesichtern
sangen sie, tanzten Richtung Tante Louise und Odalie. Da stand sie mit
glänzenden und tränenschweren Augen, denn ganz vorn lief Pierre, Pierre der
Treulose, die Arme um die schlanke Taille eines Schmetterlings geschlungen,
dessen flitterndes gepudertes Haar über die Spitzenrüschen seines Empirerocks
floss.
“Pierre!” rief Odalie leise. Niemand hörte sie, denn es war
nur ein schwacher Hauch, der unbeachtet verhallte. Die lachende Schar bewarf
sie mit Blumen und Naschereien und ging ihres Wegs, und selbst Pierre sah sie
nicht.
Wissen Sie, wenn man hinter den düsteren Wänden eines Hauses
auf der Royal Street eingesperrt ist, mit niemandem außer einer Tante Louise
und einem verbitterten Richter, wie soll man da lernen, dass es auf der Welt
Treulose gibt, die einem bei der Messe zärtlich in die Augen schauen und mit
liebkosenden Fingern das Weihwasser reichen, ohne Hals über Kopf verliebt zu
sein? Es gab niemanden, der das Odalie hätte erklären können, und so saß sie an
diesen matten ersten Tagen der Fastenzeit zu Hause und hätschelte ihre kostbare
tote Liebe und trauerte, wie es Frauen seit undenklichen Zeiten immer wieder
tun, über die Untreue eines Mannes. Und als sie eines Tages darum bat, ins
Ursulinenkloster zurückkehren zu dürfen, wo sie ihre Kindheitstage verbracht
hatte, allerdings jetzt als Nonne, da befanden es Monsieur le Juge und Tante Louise durchaus als das Schicklichste und Günstigste für sie; denn wie sollten Sie um das Geheimnis jener Fastennacht wissen?
Übersetzt von Ina Pfitzner
Übersetzt von Ina Pfitzner
* Es sind immer die Frauen, die unglücklich sind.
** Monsieur le Juge: der Herr Richter
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