Die amerikanischen Künste sind genial, wegweisend
und frisch, wenn sie aus ihrem eigenen Kulturhumus schöpfen, der reich an
Einflüssen und Zutaten und Dünger ist und deshalb schneller reift (ja, ich
denke hier an einen Komposthaufen in Louisiana, der innerhalb weniger Monate
„durch“ ist, während er hierzulande mehr als ein Jahr braucht). In einigen
amerikanischen Kunstmuseen findet man auch das, was herauskommt, wenn
amerikanische Künstler versucht haben, europäisch zu malen – altmodisch und in
der Ausführung nicht präzise. Doch als sie anfingen, mit Selbstbewusstsein
und einer gewissen Unbekümmertheit zu schöpfen, wurden sie auf allen
Gebieten Weltklasse. Außer vielleicht bei der klassischen Musik.
Möglicherweise gilt ja der Komponist Louis Moreau Gottschalk
hier in der Nation Bachs und Beethovens gar nicht so recht als klassische
Musik, sondern als Salonmusik; jedenfalls genügte seine Herkunft aus der Neuen
Welt, um ihm die Aufnahme ins Pariser Konservatorium zu verwehren. Ein guter
Komponist wurde er trotzdem und war mit Bizet, Saint-Saëns, Chopin, Offenbach,
Meyerbeer bekannt. Für mich ist er eine Entdeckung, eine Musik, die mich tief bewegt.
Geboren wurde Gottschalk 1829 in New Orleans, wo er auch
aufwuchs. Sein Vater war ein von spanischen Juden abstammender Engländer, seine
Mutter Französin, deren Familie über Santo Domingo in die Stadt kam. In der Familie wurde, so wie in New Orleans überhaupt, Französisch gesprochen, und das Umfeld bot reichlich kreolische, afrikanische und spanische Inspirationen. Gottschalk verbrachte viele Jahre in Frankreich und Spanien,
lebte in der Karibik und fünf Jahre in Kuba. Als er 1862 nach New York
zurückkehrte, war der amerikanische Bürgerkrieg ausgebrochen und er stellte
sich klar auf die Seite der Union, also der Nordstaaten.
Es scheint, dass er ein Tausendsassa und Frauenheld war, aber auch ein viel beschäftigter und innovativer Künstler, der mit
ungewöhnlichen Konzertanordnungen experimentierte, z.B. mit 14 Klavieren oder
einem Orchester und Chor aus 900 Personen. In seinem Stück „The Union“ hat er
„The Star-Spangled Banner“ und andere Lieder verarbeitet; seine Komposition
„Banjo“ wird sogar als Vorläufer des Jazz gehandelt. Ich habe hier eine CD
„Classiques des Amériques“ mit Musik von Ignatio Cervantes, Manuel Saumell und
Gottschalk, die man mir mit den Worten schenkte: „Du weißt doch, dass Louisiana
mal von Havanna aus regiert wurde“, und es stimmt, dass die
Spanier für einige Jahrzehnte die Verwaltung von den Franzosen übernommen hatten.
Die Stücke auf der CD tragen so neuweltliche Namen wie „Le bananier“ (Der
Bananenbaum), „Les yeux créoles“ (Kreolische Augen), „Bamboula“ usw. Eines der
bewegendsten heißt „Morte!“ und soll seinem kleinen verstorbenen Sohn oder
einer verstorbenen Geliebten gewidmet sein.
Gottschalk selbst starb mit erst 40 Jahren 1869 in Rio de
Janeiro, an Malaria und Chininüberdosis.
Berlioz lobte ihn u.a. mit diesen Worten: „Alle Welt in Europa kennt die 'Bamboula', den 'Bananenbaum'... und zwanzig weitere geistreiche Phantasien, wo die Unbekümmertheit der Melodien der Tropen so sanft unsere Unruhe und unersättliche Gier nach Neuem stillt...“
Auf Youtube finden sich verschiedene Aufnahmen und Interpretationen, „The Banjo“, „Grande Tarantelle“ und viele andere. Das letzte Werk des Romanautors Howard Breslin Concert Grand von 1963 basiert auf dem Leben von Louis Moreau Gottschalk. Etwas ausführlichere Biografien auf Deutsch hier und auf Englisch hier. Im österreichischen Radio OE1 gab es vor einem Jahr eine Sendung über ihn unter dem Titel Chopin der Kreolen.
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