Wenn eine Stadt so elementar auf ihre Elemente
zurückgeworfen ist wie New Orleans, das jetzt gerade langsam wieder zu sich
kommt, je mehr die Lichter angehen, dann scheint es irgendwie trivial und oberflächlich, über Bücher, Filme und andere eher schöne Dinge zu schreiben. Die Dämme haben
gehalten, und dieses Mal können die New Orleanser das Gefühl haben, dass sich
ihr Land um sie gekümmert hat, sie wichtig findet. Andere Regionen, gleich
außerhalb der Stadt, wie zum Beispiel LaPlace, wo die lange Autobahnbrücke über
das Wasser beginnt, auf der die Schlüsselszene von Jeff, der noch zu Hause
lebt spielt, sind hoffnungslos überschwemmt, und in Baithwaite wurden sogar zwei Tote gefunden. Dann liest man gleich
Kommentare im Internet, was für eine Verschwendung von Geldern das sei (14
Milliarden Dollar für die Dämme) und wie unverantwortlich und dumm von den
Leuten, überhaupt in solchen Gegenden zu wohnen.
Für viele Menschen ist es eben seit ein, zwei oder auch mehr Jahrhunderten ihre Heimat und das was man im Englischen als „resilience“
bezeichnet, die erstaunliche Standhaftigkeit und Ausdauer, der Pragmatismus,
Optimismus und Mut, mit dem sie diese Situationen immer wieder hinnehmen und
durchstehen, ist bewundernswert. Selbst wenn man davon absieht, dass New
Orleans und die Region mit dem Hafen, mit dem Öl, mit dem Fluss, mit seinem
Grund und Boden für das ganze Land von entscheidender politischer und
wirtschaftlicher Bedeutung ist (Stichwort: nationale Sicherheit) und schon dafür viel mehr
Schätzung und Förderung erfahren müsste, so kann man natürlich die Stadt und die
Region auch schon allein deshalb nicht entvölkern und aufgeben, weil das Land und die Welt
New Orleans als vagen Sehnsuchtsort brauchen und der funktioniert, anders als vielleicht Vineta, Atlantis, Pompeji, nur mit einer realen Stadt. Man braucht
die reale Stadt auch, um dort Krimis und andere Geschichten spielen zu lassen, zum
Beispiel Die Stadt der Toten. Ein Fall für die beste Ermittlerin der Welt von Sara Gran.
Erst einmal: Es macht mir absolut keinen Spaß, Fehler in Büchern zu entdecken oder Verrisse oder Kritisches zu schreiben, weil ich mich dann selbst mies fühle. Als mir also
ein Leser die Information über diesen Krimi zukommen ließ, den Titel und
Untertitel so reißerisch ankündigen, habe ich erst mal ein bisschen
recherchiert. Heutzutage schreibt ja fast jeder ein Buch, das in New Orleans
spielt, aber Sara Gran hat tatsächlich auch dort gelebt und wird also wissen, so dachte ich mir, wovon sie schreibt.
Sie weiß, wovon sie schreibt, und das macht Spaß. Aber der Reihe nach.
Eingeführt wird die etwas verrückte Detektivin Claire
DeWitt, die bei einer anderen großen Detektivin in New Orleans in die Schule
gegangen ist. Beide entsprechen nicht dem typischen Bild von Detektiven: Die
Koryphäe war eine Grande Dame mit einer Villa im Garden District. Claire
ist eine tollpatschige, ungeschmeidige Person, die sich überall unbeliebt macht, und dennoch irgendwie ihre Fälle aufklärt. Sie kehrt nach New Orleans zurück, um
das rätselhafte Verschwinden und den mutmaßlichen Tod von Vic Willing, einem Staatsanwalt,
aufzuklären, der seit Katrina vermisst wird. Ihre Recherchemethoden sind
ungewöhnlich: Sie setzt auf Intuition und Beobachtung, aber auch auf zufällige
Begegnungen, Träume und alle anderen Arten von Zeichen. Sie trifft zum Beispiel
immer wieder einen jungen Schwarzen, Andray, und dessen Freund, rettet ihnen sogar das Leben, und diese beiden stellen sich am Ende tatsächlich als
entscheidende Figuren bei der Lösung des Falls heraus. Doch bevor es so weit
kommt, begegnet sie ihnen immer wieder – und konsumiert mit ihnen und ohne sie
jede Menge legale und illegale Drogen, was dann auch schon mal etwas langweilig
wird.
Der Tonfall des Romans und der Hauptfigur ist schnoddrig und frech und das ist charmant und reißt mit. Über Claire
zeigt die Autorin, wie gut sie New Orleans kennt; geradezu genüsslich und mit feiner Ironie platziert sie die Indizien dafür überall im Buch: Hubig’s
Pasteten, der Radiosender WWOZ, der lokale Akzent: Yat, die Autoren Julie
Smith, Poppie Z. Brite, James Lee Burke, Mardi Gras Indians, das Blau am Himmel
der Veranden der alten Häuser, selbst die niedlichen grünen Mönchssittiche, die
sich seit Katrina besonders verbreitet haben.
Damit scheint sie irgendwie auch
direkt an und für die New Orleanser zu schreiben, die es müde sind, ihre Stadt
ständig falsch dargestellt und falsch gedeutet zu sehen. Bei aller Flapsigkeit
fallen einige Spitzen ab: dass man in der Stadt nicht leben, dass man dort
nicht glücklich sein kann, wie arm und vernachlässigt bestimmte Stadtteile und
Menschen sind... Dann gibt es aber immer wieder Momente, wo sich eine tiefe
Liebe für die Stadt zeigt, die der Einwohner, aber auch die der Hauptfigur und
der Autorin. Obwohl Hurrikan Katrina nur den Hintergrund für das
Verbrechen und die Geschichte bietet, erinnert es durchgehend an dieses Trauma.
Der Tod des Opfers, den Claire tatsächlich aufklärt, ist ein zwiespältiger Tod,
nicht gerecht, aber vielleicht in gewissem Maße gerechtfertigt.
Es wird auch aus der Biografie der Detektivin erzählt und somit Vorlagen für mindestens zwei weitere Krimis gegeben, denn die
Leserin fragt sich: Wer hat Claires Mentorin getötet? Und was ist mit ihrer
Schulfreundin Tracy aus Brooklyn geschehen? Claire ist ungehobelt und
beziehungsgestört, aber ihr Witz und ihre Schlauheit machen Lust auf mehr.
Spaß machen auch die Verweise auf ihre theoretische Ermittlungsgrundlage: Jacques Silette und sein Buch Détection (reine Erfindung das, aber was für eine!). Immer
wieder sind Sentenzen und Zitate aus dem Werk in den Text eingesprenkelt und
schaffen damit scheinbare, fast philosophisch-meditative Momente des
Innehaltens, die mich an die Samuraisprüche aus dem Film Ghost Dog erinnerten, nur dass jene echt waren, und diese eher
mit Schalk und Augenzwinkern serviert werden.
Die deutsche Übersetzung von Eva Bonné liest sich so frisch und
frei wie sicher das Original auch: ein reines Vergnügen. Gestutzt habe ich über
den „Folksender WWOZ“, denn der Heimatsender vieler New Orleanser spielt
vor allem Jazz, Rhythm & Blues, Funk, Musik aus New Orleans eben, aber es
kann durchaus sein, dass Claire ihn deshalb als Folk bezeichnet. Für den
architektonischen Baustil der „Creole Cottage“ ist Kreolenhäuschen keine schöne
Entsprechung, aber eine bessere fällt mir auch nicht ein, ist aber zu
überlegen.
Das Buch ist poppig-floral mit abgerundeten Ecken im Orange
der frühen 2000’er Jahre aufgemacht, als ob es besonders junge Frauen
ansprechen will. Diese (aber vielleicht auch Frauen anderen Alters und junge und alte Männer) lesen in
diesem Buch auch, dass New Orleans – auch nach Katrina – genau so eine Stadt
ist: lebendig, verrückt, kompliziert, und liebenswert. Ein wirklich unterhaltsames Buch.