New Orleans ist--- hell und
dunkel, sowohl als auch.
Lieblingsort in New Orleans:
Der Musikklub Spotted Cat. Mein eigenes Haus und Grundstück. Die Frenchman
Street und das Faubourg Marigny am Fastnachtsdienstag.
Lieblingsgebäude: Zu viele.
Lieblingsessen: Austern, in jeglicher Zubereitungsform. Auch Butterkrabben, paniert
und frittiert oder gedünstet.
Lieblingsmusiker: Panorama Brass Band, Rebirth Brass Band, Ingrid Lucia hat eine sehr
schöne Stimme, die New Orleans Jazz Vipers, usw.
Lieblingstext: Das Buch Degas in New
Orleans; Das Erwachen mag ich auch sehr. Rising Tide
ist auch hervorragend.
Lieblingsfilm: Die HBO-Serie, Treme, und Benjamin Buttons.
Lieblingswort oder -ausdruck: Second line.
Passendster Spitzname für New
Orleans: Ich kenne keinen. “THE
BIG EASY” und “THE CITY THAT CARE FORGOT” treffen es irgendwie nicht. Dazu gehört viel mehr.
Es sind Sätze, die von Leuten
geprägt werden, die nicht in der Stadt leben, die es von außen betrachten (als
eine Stadt, wo sie sich betrinken können, spielen, sich nicht an das
Ungleichgewicht von Arbeit/Freizeit halten müssen, wie in den restlichen USA.) Für Amerikaner von anderswo ist New
Orleans eine Stadt, wo sie sich gehen lassen können.
Lieblingspersönlichkeit/figur
aus New Orleans: Ich hätte Uncle
Lionel Batiste gesagt, aber der ist gerade gestorben.
Ich mag Kermit Ruffins
sehr. Er ist immer gut gelaunt und
locker und hat eine fantastische Band.
Dave Brinks ist ein ganz
erstaunlicher Mensch: Dichter, Urheber
der Dichterszene (Die Serie 17 Poets im Goldmine Saloon), Impresario, Verleger,
Historiker und Unterstützer der Künste und Künstler von überall her. Ihm gehört
eine Bar im French Quarter, die das Herz des Dichterlebens in der Stadt
ist. Er ist das, was man einen
großzügigen Mann nennt, einzigartig, ein New-Orleans-Original.
Lieblings, hier nicht erwähnte -sache in New Orleans: Die wenigen
Male, die es geschneit hat (zwei Mal, im Dezember) ---der Schnee auf den
Ingwerpflanzen und Palmen war völlig surreal. Sazerac-Cocktails in der Carousel
Bar an einem kalten Dezembertag.
Wer sollte der Bürgermeister
von New Orleans sein? Landrieu ist
gut, aber er hat die Polizeikultur nicht im Griff. Sonst weiß ich niemanden.
Wie kann die Stadt ihre
Mordrate senken? Ein Anfang: Gut
bezahlte Polizisten, die gezwungen sind auf der Straße und sichtbar zu sein,
wie in den Neunzigern, als die Kriminalitätsrate stark gesunken war. Den
Polizisten war es zu beschwerlich, die ganze Zeit auf der Straße zu sein, wie
das in der Zeit von Bürgermeister Morial in den Neunzigern war. Sein
Polizeipräsident war Pennington.
Er war aus Washington D.C., und hatte eine “Null-Toleranz”-Linie wie damals
in New York. Die Kriminalität ist gesunken. Jetzt haben wir wieder die Politik der Ära vor Morial.
So wie es jetzt ist,
verdienen die Polizisten in einer Ära mit hoher Kriminalität sogar mehr, weil
sie mehr “details” haben, also private Verdienstmöglichkeiten als
Sicherheitsbeamte nebenbei. Das ist für Polizeibeamte eine
Haupteinnahmequelle. Dieses System
ist so eingefahren, dass Landrieu es scheinbar nicht durchbrechen kann – oder,
da er seitens der Polizei viel Unterstützung erfährt, keine Motivation hat zu
durchbrechen. Wegen der Korruption hat das Justizministerium die Polizeibehörde
übernommen und besteht darauf, dass diese “details” aufhören – die Polizisten
vergeben diese zusätzlichen Aufträge innerhalb ihrer Abteilungen und erweisen
einander Gefallen usw. mit solchen „Boni“. Korruption, Bestechung und
Nachlässigkeit sind das Ergebnis.
Außerdem brauchen wir mehr
Mentoren und Hilfe für junge Männer, damit sie nicht zu Drogendealern werden.
Immer mehr Schulen und Ausbildungsprogramme, um jungen Männern andere
Möglichkeiten zu eröffnen. Drogen sollten auch legalisiert werden, so dass das
Dealen nicht mehr lukrativ ist.
In den letzten zwei Jahren
war ich drei Mal Geschworene. In zwei Fällen waren es Verbrechen im
Zusammenhang mit Drogen, und einmal ein Mord unter sehr jungen Männern. Der
Mörder hatte den Drogendealer hauptsächlich aus Übermut und Angst angegriffen.
Keiner der Geschworenen, egal von welcher sozialen Klasse oder Rasse, war der
Meinung, dass die Drogengesetze so bleiben sollten, wie sie sind. Zu viele
Gefängnisstrafen, zu viele Verhaftungen für Bagatellverbrechen, zu viele
Anreize, Drogen zu verkaufen und Teil dieser Subkultur zu werden.
Warum ich in New Orleans
lebe: Vor allem lebe ich in New Orleans, weil die Leute hier von Natur aus
kreativ sind. Egal, wen man
trifft, alle betreiben irgendeine Kunst. Der Baufirmenbesitzer hat eine Band,
der Augenarzt ist ein guter Fotograf, die reiche Dame ist Freiluftmalerin, der
Bezirksstaatsanwalt ist Jazzmusiker, der Barkeeper schreibt Krimis, der
Kneipenbesitzer ist Dichter, der junge Mann, der im Supermarkt arbeitet, ist
Rapper. Kreativ zu sein ist hier nicht mit Stigma behaftet, eine „Kunst“ zu
betreiben oder eine „re“kreative Beschäftigung, wie Mitglied in einer
Karnevalskrewe zu sein, sich zu maskieren, in Karnevalsumzügen mitzulaufen. Man
wird hier dazu animiert, bei Festlichkeiten völlig seine Persönlichkeit
abzulegen. Allgemein sind ja die Südstaaten sehr protestantisch geprägt, ich
meine hier den Bible Belt
(Bibelgürtel): sehr sittsam. Ich bin im Mittleren Süden aufgewachsen und dort
assoziierte man das Künstlerdasein mit emotionaler Instabilität, usw., als
verrückt, unnormal. Vielleicht ändert sich das gerade, aber in New Orleans gab
es diese Ansicht noch nie. Man kann auch Amateur sein, das ist kein
Problem. Mehr als eine Kunst zu
betreiben, ist auch gut.
In New Orleans gibt es auch
ein sehr tiefes afrikanisches Akzeptieren des Todes und man besteht darauf, dass
Leben zu feiern, was ja das Thema des Second-Line-Tanzens nach den Beerdigungen
ist. Dieses Verständnis, dass jeder Moment einen neuen Tanz braucht und das
Annehmen und Bestehen auf Freude und etwas Neuem – Improvisation – im Angesicht
des Verfalls und des Todes, das ist die Grundidee in New Orleans.
Was ich an New Orleans am
wenigsten mag: Dieses Gefühl der Ausweglosigkeit von manchen, die in Armut
leben, die tief verankerte Verzweiflung, die manche Menschen empfinden. Die
Gewalt, die das mit sich bringt. Die Afroamerikaner sind zutiefst
traumatisierte Menschen, die manchmal keine Hoffnung haben. Sie können in einen
absoluten Nihilismus verfallen, wegen der Vergangenheit: das kann natürlich
jeden betreffen, aus jeder Bevölkerungsgruppe, aber unter den Schwarzen in New
Orleans ist das sehr latent. Die Sklaverei war ein furchtbarer Anschlag gegen
das Menschsein und überall finden sich noch die Narben. Die Auswirkungen der
starken Traumatisierung einer ganzen Bevölkerung, die über Generationen vererbt
wird, bringt viele soziale Probleme mit sich – denn das Familiengedächtnis, die
Narben der eigenen Eltern und Großeltern, die extrem entwürdigende und absolut
grausame Behandlung in der Vergangenheit, darüber wurde noch nie gesprochen,
das wurde nicht aufgedeckt und nicht verarbeitet. Wut und Paranoia überkommen
Schwarze manchmal in Situationen, die Weiße gar nicht wahrnehmen, weil sie
nicht auf diese Weise verletzt sind. Das führt zu vielen Missverständnissen.
Die Weißen müssen das sehen,
nicht einfach nur behaupten, dass Schwarze grundlos labil oder ängstlich oder
gewalttätig sind, und die Schwarzen müssen die Wurzeln für den Zorn, den
Selbsthass und die Angst besser verstehen, die manchmal ihre Sicht auf die Welt
prägen. Durch die Gewalt bleiben diese anderen Traumata immer weiter
bestehen—auch das muss aufhören.
Was mir an New Orleans auch
nicht gefällt, ist die Einstellung der Touristen und wie sie sie zeigen – dass
die Stadt nur zu ihrem Vergnügen da ist, dass sie ein Witz ist, ein alberne
Stadt, nicht ernsthaft, eine Stadt zum Trinken und Pissen.
Was die meisten nicht über
New Orleans wissen: Gegenüber den restlichen USA ist es oft nicht
rückschrittlich – wie alle immer sagen – sondern einen Schritt voraus. Damit
meine ich, dass Dinge, die im Rest des Landes kulturell und politisch
geschehen, in New Orleans und Louisiana zuerst geschehen, nicht zuletzt. Das
betrifft natürlich die Musik – Jazz – aber auch in der Politik und beim Essen.
Es gibt in New Orleans eine progressive Strömung, die ganz und gar nicht
typisch für die Südstaaten ist.
Zum Beispiel, die Bemühungen,
die Rassentrennung (die Jim-Crow-Gesetze) aufzuheben, der erste zivile
Ungehorsam in diesem langen Kampf, fand in New Orleans statt und führte zu dem
Urteil Plessy vs. Ferguson, „separate but equal“ (getrennt aber gleichwertig),
das natürlich die Bürgerrechte um Generationen zurückgeworfen hat. Aber es war
der erste Versuch, das erste Mal, dass die Rassentrennung in einem
vorsätzlichen, geplanten Akt des Widerstands in Frage gestellt wurde – um ein
Urteil zu einem Gesetz herauszufordern. Das passierte in New Orleans.
Vieles, was später
uramerikanisch wurde, Dinge, die die Sicht der USA auf sich selbst geändert
haben, gab es zuerst in New Orleans.
Meine New
Orleans-Expertise: Ich bin 1995
nach New Orleans gezogen und lebe seit 17 Jahren dort. In Louisiana lebe sich
seit 1981 und von 1983 bis 2009 habe ich an der Louisiana State University
Kreatives Schreiben unterrichtet.
Glossar:
Faubourg Marigny: Französisch
für Marigny-Vorstadt, ein Stadtteil gleich neben dem French Quarter. Spotted
Cat und Frenchmen Street sind im Faubourg Marigny (the Marigny).
Degas in New Orleans: von Rosary Hartel O’Neill
Das Erwachen: The Awakening von Kate Chopin, siehe meine Rezension.
Rising Tide: The Great
Mississippi Flood of 1927 and How it changed America von John Barry
Treme: Serie von David Simon und Eric Overmyer, deren
dritte Saison ab 23. September ausgestrahlt wird. Ab August soll die Serie auf
Deutsch bei Sky Atlantic HD gezeigt werden.
Benjamin Buttons: Film nach einer Kurzgeschichte von Francis Scott
Fitzgerald mit Brad Pitt und Cate Blanchett (2008).
Second line: eigentlich
„zweite Reihe“ ist das Marschieren und Tanzen hinter einer Marching Band, die
zum Beispiel bei einer Jazzbeerdigung aufspielt. Typisch und nur in New
Orleans.
Carousel Bar: im historischen
Hotel Monteleone im French Quarter
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