Ihren Werken nach zu urteilen, waren die französischen
Surrealisten ein wilder Haufen, mit ihrer Lust auf Sex, Drugs und das
Unterbewusstsein, angestiftet von Übersetzungen der Bücher des Herrn Freud.
Ihre Experimente waren ungewöhnlich und gewagt, ihr Verschleiß an Musen
natürlich groß, obwohl einige davon, Leonora Carrington zum Beispiel, selbst große Künstlerinnen wurden. Dann sieht man aber ein Foto von ihnen
und da stehen sie wie zum Klassenfoto aufgereiht, mit Anzug und Krawatte,
gern auch Tweed, und bloß nicht lächeln. Ganz wie der Gentleman’s Klub, der sie
letztendlich waren, mit Manifesten und Aufnahmeritualen, Ausschlüssen und ihr
Chef, André Breton, brachte es im New Yorker Exil nicht einmal übers Herz,
Englisch zu lernen.
Die Beatniks, USA Ende der vierziger Jahre und fünfziger
Jahre, sind eher eine Generation als eine Kunstrichtung, und
während es immer wieder Hippies, ihre Nachfolger, gibt, so altern Beats eigentlich
nur noch und sterben langsam aus (außer vielleicht
Lawrence Ferlinghetti). Sie lebten das Extrem, experimentierten mit dem Leben,
ähnlich wie der Franzose Boris Vian, der zeitgleich im Dunstfeld der
Existentialisten wirkte (gest. 1954).
In der Person von Jack Kerouac verbinden sich gewissermaßen
Alte und Neue Welt (so wie auch in der Lost Generation um Gertrude Stein und
Ernest Hemingway, die in Paris lebte): Dabei wird gern vergessen, dass der
Verfasser der großen Hymne und des Quasi-Manifests der Beatniks, On the Road, der französischsprachigen Minderheit in Massachusetts
entstammte und also in einer Fremdsprache schrieb. Vor einiger Zeit wurde sein
französischsprachiges Manuskript mit dem Titel Sur le chemin (Unterwegs) entdeckt, das im lokalen Dialekt
geschrieben ist und deshalb erdig und fast kindlich klingt (hier finden sich einige kurze
Ausschnitte).
In dem Film On the Road, der derzeit im Kino läuft,
wird das Französische mehrmals kurz in Szenen mit seiner Mutter angedeutet,
vermutlich wegen der französischen Koproduzenten, denn ansonsten schert das
kaum jemanden. Allerdings gilt in den USA, so mein Eindruck, eher Allen Ginsberg mit dem
Poem Howl als die große Stimme
der Beat Generation.
Anders als das Buch muss sich der Film zur leidigen Kleider-
und Frisurfrage verhalten. Wenn es um lange, anarchische Überlandfahrten,
Drogen, Sex in allen Konstellationen, wilden
jugendlichen Überschuss an Testosteron geht, dann kann man die Darsteller doch nicht
mit Schmachtlocke, kariertem Hemd und Hängeschultern herumlaufen lassen. Oder? Nur Kirsten
Dunst als Deans Frau Camille trägt das Haar in der Nackenrolle der Zeit und
schafft es, authentisch zu wirken und mich mitfühlen zu lassen, eine gute
Schauspielerin, dachte ich mir. Sonst trägt man vor allem H&M-Ähnliches, Kristen Stewart noch dazu ein
gelangweilt-verführerisches Schmollmündchen oder gar nichts, der Darsteller von Dean Moriarty,
alias Neal Cassady, ist überhaupt zu gut und glatt aussehend für die Rolle, Kerouac
wird hier zum schmierigen Mitläufer und Resteabfasser und insgesamt war mir der Habitus der Hauptdarsteller zu modern.
Dem puren
Hedonismus ohne Tiefgang wird immer mal wieder Marcel Prousts Auf der
Suche nach der verlorenen Zeit entgegen
gehalten, allerdings, wie mein Begleiter meinte, eher wie eine Monstranz vor sich
her getragen, als dass man ihnen abnehmen würde, dass es einer von ihnen
wirklich liest. (Mir ist dann auch eingefallen, dass die im Film gezeigte englische Übersetzung In
Search of Lost Time erst 1992 erschienen
ist und Ende der vierziger Jahre noch die erste Übersetzung mit dem kanonischen
Titel Remembrance of Times Past
in aller Munde und Hände war. Fällt das unter "Continuity"?)
So ist jedoch in meiner Erinnerung das Buch: eine rastlose
Suche, ein Aufbruch ohne Ziel, Rebellen auf der Suche nach ihrer Sache (frei nach Rebels Without A Cause). Gelesen habe ich es schon Anfang/Mitte der achtziger Jahre in
der Übersetzung von Bernhard Scheller; für die neue nach der Urfassung war "das Presse-Kontingent erschöpft".
Übrigens: Natürlich fährt die Bande auch nach New Orleans,
und hält sich einige Tage im wunderbaren Landhaus von William Burroughs und
seiner Frau auf. Es befindet sich in Algiers, gleich gegenüber von New Orleans
auf der Westbank (in Bridge City, auch auf der Westbank, gedreht), ein
traumhaftes Plantagenhaus mit hoher Terrasse, umgeben von Bäumen mit
Spanischmoos und lauthals röhrenden Grillen, Licht wie bei Van Gogh, eine warme
Paradies-Oase, ein Innehalten en famille
in diesem ansonsten irgendwie kalten Film.
Trotzdem vergingen die 124 Minuten schneller als befürchtet, die Exzesse machen atemlos und die Kamera zeigt die USA von
weiter, poetischer Schönheit in krisseligen, grellen Bildern wie in den Motorcycle Diaries. Dem Buch wird der Film nicht so recht
gerecht, zu viel Hochglanz, zu viel Hollywood, zu viel kalkulierte
Transgression. Und doch wäre ich neugierig zu sehen, wie die Surrealisten
in einem Film von Regisseur Walter Salles wegkommen würden.
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