Vor knapp zwei Jahren notierte ich mir zu meinem ersten Buch von Lillian Hellman, An Unfinished Woman (Eine unfertige Frau): „So ein
umwerfendes, offenes Buch! New Orleans, New York, Hollywood, Spanischer
Bürgerkrieg, Sowjetunion im Krieg, immer wieder Moskau, die schwierige Liebe zu Dashiell Hammett. Eine Entdeckung!“ Es ist die rasante Autobiografie einer Diva, die während des Bürgerkrieges nach Spanien reist, im 2. Weltkrieg über Alaska und Sibirien nach Moskau und an die Front, Hemingway und anderen großen Namen begegnet und über ihre lange Beziehung zu Dashiell Hammett berichtet. Ich habe das Buch verschlungen und zu einem meiner Lieblingsbücher erklärt. Etwas später versuchte ich es mit Maybe (Vielleicht), doch das war mir zu persönlich und zu viel Klatsch. Als ich dann
las, dass Mary McCarthy über Lillian Hellman meinte: „Jedes Wort, das sie schreibt, ist eine Lüge, einschließlich and und the“, war ich zutiefst enttäuscht. Was mich so begeistert hatte, alles
erlogen?
Sicher auch wegen dieser Bemerkung ist Lillian Hellmanns Ruhm selbst in den USA etwas verblichen. Dabei war sie in der Mitte und zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts
eine bedeutende Theaterautorin, die erste Frau unter den erfolgreichen Dramatikern ihrer Zeit, als noch weniger Frauen
als heute für die Bühne schrieben. Sie tat dies ausdrücklich als Dramatiker
und nicht als Dramatikerin (woman playwright), und bezeichnete ihrerseits Mary
McCarthy als „lady writer“. Auch nicht nett.
Aber so war sie, die Person Lillian Hellman,
die ihre Zeit vermutlich ebenso stark geprägt hat wie die Schriftstellerin. So gibt es auch mehrere Biografien über sie, doch die
Historikerin Alice Kessler-Harris (von der Columbia University) hat ihr jetzt eine ausführliche Biographie
gewidmet, die sich ihrem Leben und Werk aus zeitgeschichtlicher Sicht annimmt. Das Buch heißt
A Difficult Woman. The Challenging Life
and Times of Lillian Hellman (Eine
schwierige Frau. Die Herausforderung des Lebens und der Zeiten von Lillian
Hellman, zum Bestellen bei Bloomsbury hier). Tatsächlich gehörte Lillian Hellman wohl zu jenen Frauen, die mir mit ihrer
Zickigkeit und ihrem Eigensinn eine tiefe Mädchenangst einjagen. Aber als
Persönlichkeit, die sich trotz verschiedenster Anfeindungen ihr Leben lang treu blieb, achte und schätze ich sie.
Lillian Hellman wurde 1905 in New Orleans geboren und
verbrachte ihre Kindheit und Jugend abwechselnd dort und in New York. Sie heiratete
jung, ließ sich wieder scheiden, hatte eine Abtreibung. Durch ihre
Arbeit in einem Verlag, durch die Ehe und Freundschaft mit Schriftstellern und
schließlich auch durch ihre Beziehung zu Dashiel Hammett fand sie selbst zum Schreiben. Zu ihren (hoch moralischen) Theaterstücken gehören The Children's Hour (1934; Kinderstunde), The Little Foxes (1939; Die kleinen Füchse) und Toys in the Attic (1959; Puppenstube).
Nach eigener Aussage blieb sie Südstaatlerin, geprägt
durch ihre schwarze Amme Sophronia, und durch New Orleans, eine Stadt mit einem
intensiven kulturellen Leben, eine Stadt, wo Schwarze und Weiße schon immer enger
zusammenlebten als anderswo. Lillian Hellman war (deutschstämmige)
Jüdin und im Sinne des tief verwurzelten Reformjudentums in New Orleans
aufgewachsen, was sie von den orthodoxen osteuropäischen Einwanderern zweiter
Generation, die in New York ihre Kollegen wurden, grundlegend unterschied.
Unter den
Machoschriftstellern ihrer Zeit behauptete sie sich souverän, und gern band sie, auch verheiratete, auch jüngere, Männer freigiebig sexuell in ihr Leben ein, war sexuell selbstbestimmt und freizügig. Das nahm man ihr immer
wieder übel. Man nahm ihr auch übel, dass sie nicht intellektuell war,
sondern den Geschmack der durchschnittlichen Kulturkonsumenten (middlebrow)
ansprach. Sie schaffte es nicht nur, unabhängig von ihrer
Arbeit als Schriftstellerin zu leben, sondern durch geschickte und sparsame
Verwaltung ihrer Finanzen sogar finanzielle Sicherheit und einigen Wohlstand
für sich zu erwerben, was für Frauen ungewöhnlich war und eigentlich auch oft noch ist. Auch das nahmen ihr manche übel.
Dass sie sich nicht mit den Zielen der Frauenbewegung
identifizierte (sexuelle Befreiung, Gleichstellung im Öffentlichen wie im
Privaten), brachte ihr viel Unverständnis ein. Auch hier war ihre
Haltung konsequent: „Ob nun BH oder nicht BH, wer die Töpfe abwäscht, ob man ein
Sexobjekt ist... hat sehr wenig Bedeutung, außer wenn die Frau, die die Tür hinter
sich zuschlägt, sich selbst das Abendessen bezahlen und sich aus dem Winterwind
in Sicherheit bringen kann.“
Sie blieb zeit Lebens unabhängig, und während Dashiell Hammett für seine Überzeugung in der McCarthy-Ära
schweigend ins Gefängnis ging, machte sie sich Feinde, indem sie die Kollegen
heftig kritisierte, die ihrerseits Kollegen und Freunde verraten hatten. Angst hatte
auch sie, aber ihr störrisches Gerechtigkeitsbewusstsein brachte sie dazu, mit
Hilfe ihrer Anwälte einen Brief zu verfassen, der ihr bei der Anhörung vor dem Komitee für Unamerikanische Aktivitäten mit
etwas Glück zum Triumph verhalf.
Kurzfristig war sie auch Kommunistin gewesen und verteidigte die
Sowjetunion noch, als andere sich wegen der Gewalt unter Stalin und wegen seines Vorgehens gegen Juden schon längst abgewandt hatten. Lillian Hellman war kaufsüchtig, eitel, nicht zu
Kompromissen bereit, neigte zu Szenen und Unpässlichkeit, war lautstark und aufmüpfig. Sie war auch eine
liebevolle und großzügige Freundin und Patentante, eine passionierte Dozentin am College, eine
zurückhaltende, sehr feminine Frau.
All das weiß ich aus der umfang- und lehrreichen Biografie
von Alice Kessler-Harris, die ihre unterschiedlichen Facetten in jeweils einem Kapitel betrachtet. Wenn der wissenschaftliche Duktus kurzzeitig das Lesen erschwerte, so ist es doch
so gut geschrieben (und zugleich akribisch zitiert und dokumentiert), dass ein
spannendes Porträt entsteht - der Frau Lillian Hellman, wie auch des Landes, in
der Zeit, in der sie lebte.
Ein ganzes Kapitel (Liar, Liar—Lügnerin, Lügnerin)
befasst sich mit den Anschuldigungen von Mary McCarthy und den nachfolgenden
zermürbenden Gerichtsprozessen. Lillian Hellman mag manches verdreht, falsch zugeordnet
oder übertrieben haben, doch sicher nicht mehr als andere autobiografisch Schreibende. Die Suche nach der Wahrheit war ihr wichtig und immer wieder stellte sie sie in Frage. Die Fehde fand erst mit ihrem Tod 1984
ein Ende; Nora Ephron hat diese in dem Musiktheaterstück Imaginary Friends (Imaginäre Freundinnen) verarbeitet.
Ein wiederkehrendes Thema sind die (oft sehr gehässig formulierten) Aussagen, dass Lillian Hellman nicht schön war und es dennoch geschafft hatte, sich durchzusetzen. Für mich war Lillian Hellman schön genug und mich ärgert so etwas, besonders bei Frauen, wie auch der gegenwärtigen Bundeskanzlerin, deren Beruf Schönheit eigentlich nicht
erforderlich macht und - was kann man schließlich für sein Aussehen? Ich nehme
an, dass diese Beleidigungen zu Hellmans Lebzeiten genau so unverblümt
fielen und dass die Biografin sie dokumentieren wollte. Aber (ver)störend sind
sie dennoch.
In der deutschsprachigen Welt mag Lillian Hellman zu
unbekannt sein, als dass eine solche Biografie ihr Publikum finden würde. Deshalb holt Euch zum Anwärmen, liebe Leser und liebe Leserinnen, ihre Autobiografie Eine unfertige Frau (in zwei verschiedenen Übersetzungen erhältlich) aus
der Bibliothek. Alles, was Lillian Hellman darin beschreibt, hat sie so oder so
ungefähr wahrscheinlich tatsächlich in etwa so erlebt.