Letzte Woche war ich bei zwei Veranstaltungen. Die erste war eine Lesung mit Gernot Wolfram in
Britta Gansebohms Salon in der Z-Bar. Es ging um seinen schmalen Essayband Der leuchtende Augenblick – Über Menschen und Orte des Lebens, jetzt bei Hentrich & Hentrich erschienen, aus
dem er mehrere Kapitel las: Über das Lesen in der Synagoge und in der jüdischen
Tradition überhaupt, über die Bibliothek des Kunsthistorikers und
Kulturwissenschaftlers Aby Warburg, der seine Bücher immer wieder nach neuen
Gesichtspunkten ordnete, über das Lesen im Warschauer Ghetto und in der DDR,
und weil wir nicht „so düster in die Pause“ entlassen werden sollten, las
Gernot noch schnell das Kapitel über die Kaffeehäuser. Im Pausengespräch unter
uns befanden wir, dass im Alltag das Lesen gar nicht so sehr vom Ort geprägt
ist – darin sind wir vielleicht privilegiert –, auch wenn sich bestimmte Bücher nicht für das Unruhige und immer
wieder Unterbrechende von U- und S-Bahn eignen oder, wie ein Gast später
meinte, es ungünstig ist, Uwe Tellkamps Der Turm auf einer Südamerikareise lesen zu wollen. Übrigens habe ich in der DDR nicht mit permanenter Angst vor der Stasi in den seltenen Lesungen gesessen, und ich habe auch nicht bei jeder Lektüre zwischen den
Zeilen gesucht.
In der anschließenden Diskussion gaben viele Diskutanten
ihren Senf über Lektürevorzugsorte zum Besten; es ging auch um das Café
Oberholz mit der dort arbeitenden Cybergeneration – sehen und gesehen werden,
auf die Lektüre angesprochen werden. Ein Buch also, das in interessanten, kleinen Vignetten ein Thema ins Bewusstsein rückt, zu dem viele Menschen eigene Erfahrungen und fast alle etwas
zu sagen haben. Faszinierend war für mich vor allem die jüdische Perspektive, eben Warburgs Bibliothek oder das Lesen und Schreiben im Warschauer
Ghetto oder die Synagoge in der Brunnenstraße. Allerdings war der Ort eben dieser Lesung – ein fensterloser, schlecht
beleuchteter und belüfteter Kinosaal – dem Abend nicht zuträglich. Das Buch soll auch als E-Book erhältlich sein.
Am Tag darauf ging es im Literaturhaus in der Fasanenstraße um einen ganz anderen Ort des Lesens,
nämlich, wo sich das Buch eigentlich befindet, in diesem Falle im E-Book. Es war
eine Veranstaltung der Bücherfrauen unter dem Titel „Talkin’ about a
revolution“ mit der Kulturmarketingberaterin Martina Tittel und der Webagentin
Silke Buttgereit. Am Beginn stand eine kurze Erhebung unter den Anwesenden: von
den ca. 40 Zuhörern besaßen vier selbst ein E-Book, die meisten anderen waren
neugierige Silberhaarige so wie ich. Berichtet wurde über die
unterschiedlichen Varianten von E-Books, die Verbreitung, die derzeitige
Entwicklung, die Angst vor dem E-Book, die viele deutsche Verlage so gelähmt
habe, dass sie die Entwicklung verpasst hätten. Beide Referentinnen hielten ein
bessere Verkopplung von Papierbuch und E-Book für angeraten, von Internet und
Laden, und aus dem Publikum kam der Vorschlag, das E-Book durch zusätzliche
Netzangebote, Links usw. aufzumotzen, denn dann wäre der Begriff „revolution“
gerechtfertigt. Es wurden auch ungeklärte Probleme benannt: Zählt das E-Book
zum Kulturgut Buch und gilt die Buchpreisbindung? Warum sind deutsche E-Books
so teuer?
Immer wieder heißt es, das E-Book hätte neue Leserschichten
erschlossen. Ich kann mir vor allem vorstellen, dass es Lesegewohnheiten
verändert. Allerdings sehe ich in U- und S-Bahn nicht viele E-Bücher, sondern nur
Handys oder andere Geräte, auf denen Patience gespielt oder ge-Facebook-t wird.
Ich sehe allerdings wieder mehr Leute, auch junge, die in der Öffentlichkeit
Bücher und manchmal auch dicke Wälzer lesen.
Per se finde ich das E-Book interessant und glaube gern, dass es
auch praktisch ist. Aber lesen um des Vergnügens willen und umso mehr lesen um
des Wissens oder der Arbeit willen werde ich weiter auf Papier und Pappe.
Elektronische Rezensionsexemplare? Geht leider nicht. Und das liegt nicht nur an meinen silbrigen Haaren. Es liegt daran, dass lesen für mich privat ist, auch wenn es zu meinem Beruf gehört, und dass ich mit Büchern lebe. Mit einer kalten, leuchtenden Oberfläche am Frühstückstisch, auf dem Sofa, im Bett, das kann ich und will ich nicht (dabei greift der Computer ohnehin zu viel ins Privatleben über). „Der leuchtende Augenblick“ geschieht für mich immer noch in einem guten, alten Buch.
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