Viele Menschen, die in New Orleans geboren und aufgewachsen
sind, tauchen tief in die Kultur, Geschichte und Tradition – in die Seele – ihrer
Stadt ein. Sie wissen viel und wollen noch mehr wissen, und sie sind froh
dazuzugehören. Ein Beispiel dafür ist die beliebte New-Orleans-Trivia-Kolumne
in der kostenlosen, wöchentlich erscheinenden Programmzeitung The Gambit,
bei der die Leser einem angeblichen Blake Pontchartrain ihre Fragen stellen (Hey
Blake, ...). Der Name ist dem Salzwassersee
Lake Pontchartrain im Norden von New Orleans nachempfunden. Hier einige der
letzten Fragen: Was kannst Du mir über das Carver Theater sagen? Wer war Sam
Bonart? Was ist aus der Straßenlaternenskulptur auf der South Rampart/Ecke
Canal Street geworden? Wo wohnte Truman Capote in seinen ersten Jahren in New
Orleans?
Dann gibt es noch die Radiosendung American Routes von WWNO, in der Nick Spitzer wöchentlich zwei
Stunden lang Musik nicht nur, aber doch oft aus New Orleans spielt. Der
Radiosender WWOZ sendet ausschließlich Jazz, Musik und Interviews aus New Orleans; in der
Preservation Hall spielen aktuelle Musiker traditionellen Jazz. In
den Museen sind Gemälde aus New Orleans zu sehen; die Historic New Orleans
Collection sammelt und erforscht die Geschichte der Stadt und gab mir kürzlich
für eine Übersetzung Auskunft über ein prunkvolles Gebäude, Gallier Court, das es schon seit 1900 nicht mehr gibt und das mein Autor auch noch falsch geschrieben
hatte.
Die Zugezogenen sind manchmal fast noch ein bisschen
passionierter als die Einheimischen. So ist die Deutsche Ina Fandrich eine große
Kennerin vor allem der afroamerikanischen Kultur („In meiner zweiten Woche in
den USA bin ich schwarz geworden...“). Schriftsteller schreiben über ihre
Stadt, auch und vor allem unmittelbar nach der Katrina-Katastrophe: Richard
Ford, Tom Piazza, Andrei Codrescu, James Lee Burke...
Auch auf diese
Schriftstellerin und versierte Expertin bin ich durch
ihren ausführlichen Katrina-Bericht aufmerksam geworden: Mary Gehman. Später habe
ich in dem Band French Quarter Fiction ihre Erzählung „Trompe l’oeil“ entdeckt und gleich übersetzt, und
dann habe ich ihr geschrieben. Seit Katrina wohnt sie im historischen Teil
von Donaldsonville auf dem Lande, wo ich sie inzwischen zwei Mal besucht habe,
denn auch ich habe einmal ein Jahr in Donaldsonville gelebt. Dort betreibt sie
ihren kleinen Ein-Frau-Verlag Margaret Media, der regelmäßig ausschließlich Louisiana-Bücher veröffentlicht:
Geschichtsbücher, Belletristik, Kochbücher, Anthologien. Das letzte Buch heißt Louisiana
Film History: A Comprehensive Overview Beginning 1896 von Ed und Susan Poole. Auch recht neu ist War
of the Pews von dem Pastor Jerome G.
LeDoux, das ich bald lesen werde.
Aber der Klassiker und der Dauerbestseller des Verlags ist
Mary Gehmans kleines Buch zu den Free People of Color of New Orleans von 1994. Darin erzählt sie die so einzigartige
Geschichte der freien Schwarzen von New Orleans, vor allem vor dem Verkauf
Louisianas an die Amerikaner 1803, und über ihre vergleichsweise humane
Behandlung, ihre weitgehenden Rechte und auch Chancen für den sozialen
Aufstieg, die allerdings im Laufe der Geschichte immer wieder durch die
„amerikanische“ Gesetzgebung eingeschränkt wurde. Das sind letztendlich die
vielen Kreolen, die die Stadt geprägt haben, darunter die langjährigen
Bürgermeister Ernest und Marc Morial. Das Buch ist ein Geniestreich, weil es
mit seiner Knappheit und seinem charmanten Format in jede Touristentasche passt
und anhand dieses einen Aspekts praktisch die ganze Geschichte der Stadt gleich
miterzählt. Zum Bestellen hier.
Mary Gehmans eigene bewegte Geschichte begann in
Pennsylvania und führt u.a. auch über ein Studium in Deutschland nach New
Orleans; Spanisch und Mexiko gehören auch in ihr Portfolio. Seit 1970 lebte sie
in New Orleans; seit 1981 forscht sie zu Louisiana. Nicht im akademischen Sinne,
sondern als neugierig Erkundende, und als Leserin mit einer ständig wachsenden, einschlägigen Bibliothek. Mal sehen, vielleicht kommt sie im Sommer mal nach Berlin...
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