Dass New Orleans eine Großstadt mit menschlichem Maß ist,
eine eher zweistöckige Gartenstadt, mit ein paar Hochhäusern im Central Business District und Hotelblöcken an der Canal Street und somit auch ein paar
Straßenschluchten, das habe ich hier schon beschrieben. Harry Shearer
beschreibt aber eine echte Gemeinschaft, wo die Menschen eine tiefe
Verbindung zu ihrer Stadt, zu einander und zur Vergangenheit haben. Vor
Hurrikan Katrina war New Orleans die amerikanische Stadt mit der höchsten
„Nativitätsrate“, d.h. dem höchsten Anteil von dort geborenen Einwohnern. Die
Feiertage (Karneval) und andere besondere Tage strukturieren den Kalender und
man schätzt Institutionen wie die Times-Picayune. Diese hätte beispielsweise nach Ende des Amtsenthebungsverfahrens
gegen Bill Clinton als einzige Tageszeitung nicht mit diesem sondern mit dem
König der Rex-Parade getitelt, schließlich war Mardi Gras! Dazu gehört auch,
dass es in der Stadt selbst nur wenige der großen nationalen Handelsketten
gibt, dafür aber lokale Läden, Bars, Clubs.
Vor zwei Wochen legte Bürgermeister Mitch Landrieu einen Fünf-Punkte-Plan zur Bekämpfung der Kriminalität vor, die im Jahr 2010 sieben
Mal so hoch wie der nationale Durchschnitt war. Dass davon vor allem junge Afroamerikaner
betroffen sind, ist ein alter Hut. In der investigativen Serie der Times-Picayune zu Gefängnissen in Louisiana wurde ein Viertel in Central City gezeigt (hier), in dem die Mehrzahl der jungen Männer im Gefängnis sitzt und der
Pastor über den Mangel an Chancen und Infrastruktur sprach.
Da wurde mir
schlagartig klar: Die Stadt, über die ich hier im Blog schreibe, ihre Kultur,
Tradition, Filme, Essen, Literatur, auch Musik, ist für diese Menschen nicht
die Stadt, in der sie leben. Es ist eine völlig andere Welt, die von diesen
schönen Dingen abgeschnitten ist, sicher eigene schöne Dinge hat, aber vor
allem auch Armut, Überlebenskampf, Gewalt, zerstörte Familien und Beziehungen,
Verbrechen, Tod. Es ist eine Welt, mit der ich (und viele andere New Orleanser)
fast nie in Kontakt gekommen bin, zum Glück. Eine Welt, die eine alternative
Zeitung aus den USA von 1989 als „Dritte Welt“ bezeichnete. Ich wünsche es New
Orleans sehr, dass Mitch Landrieus Plan auch in jener Welt etwas bewegen kann.
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