Tatwort. Die Übersetziade
Am 29. November 2013 war
unser erster Entscheid für Tatwort. Die Übersetziade, ein feines, warmes und
fröhliches Fest des Übersetzens. Wir hatten elf Einsendungen erhalten. Zu
übersetzen war ein Prosagedicht aus Donna Stoneciphers preisgekröntem
Gedichtband The Cosmopolitan (Coffee House Press 2008, National Poetry Award).
Donna Stonecipher hatte anonym den Gewinner des Autorinnenpreises ausgewählt
und der Publikumspreis wurde nach Abstimmung vergeben.
Das Original:
Donna Stonecipher
Inlay 22 (Elfriede Jelinek,
by way of Lenin)
1. In Cologne we bought
cologne. In Morocco we bought morocco. In Kashmir we bought cashmere. Then, our
suitcases stuffed, we flew back home to New York City, where we drank manhattan
after manhattan until ill-advisedly late into the evening.
2. “I’m an anarchist,” said
the poet. “You’re spoiled,” said his girlfriend. A line of people in masks
paraded by. And then the lights dimmed, and the one true anarchist was suddenly
spot-lit in the crowd: a little girl with an ice cream sandwich melting in her
bag.
3. The beautiful people
wanted to go only to places where there were other beautiful people, in cafés
and restaurants and bars, and puffed nervously on their cigarettes when the
number of ugly people shown to tables seemed to be reaching critical mass.
4. You like to be told what
to do. You like to be shown to your plug and to glow in it like a nightlight.
You like to be clued in, strapped on, knuckled under. You like to be held down
and liquored up. You like to be scooped out, bowled over, seen through.
“Trust is fine, but control
is better”
5. Forking over our dollars,
we hatched a grand plan for the overlapping economy: Let the French take care
of the perfumes; the Dutch of the tulips; and the Italians of the leather
shoes. Each would be a department in the department store in the Great Mall.
6. She wrote, I want to be
seen through. He wrote, But you are deliberately opaque. She wrote, I want
people to want to work hard to see through my (really quite superficial)
opacity. He wrote nothing back. She waited, but he wrote nothing back.
7. You like to go from room
to room drowning yourself in dahlias. You like to stand in a crowd and implode
and implode till all your individuality melts. You like to be underneath, on
top, afloat. But it thrills you to hear your name in a stranger’s mouth.
8. Was it good or bad when
the foreigner was said to be “more French than the French”? She of the huge
hats and humble origins was “more bourgeois than the bourgeois.” And the
cosmopolitan was more cosmopolitan than the cosmos itself.
9. We bought china in China.
We bought tangerines in Tangier. You bought turquoise in Turkey, and I bought
an afghan in Afghanistan. I bought india ink in India, and you bought an
indiaman in India. But nowhere did we relinquish any little bit of ourselves.
Der Autorinnenpreis:
Lars-Arvid Brischke: Einlage
22 (Elfriede Jelinek, ursprünglich von Lenin)
1. In Köln kauften wir
Kölsch. In Marokko kauften wir Moloko. In Kashmir kauften wir Kasimir. Dann
flogen wir mit vollgestopften Taschen zurück nach Hause nach New York und
tranken bis der Doktor kam einen Manhattan nach dem anderen.
2. „Ich bin ein Anarchist“,
sagte der Dichter. „Du bist verdorben“, sagte seine Dirne. Eine Reihe Maskierter
paradierte vorbei. Dann dunkelte es und die einzige echte Anarchistin in der
Menge stand plötzlich im Rampenlicht: Ein Dirndl mit einem schmelzenden
Sandwich-Eis im Säckel.
3. Die Schönen wollten nur an
Orte gehen wo es andere Schöne gab, in Cafes und Restaurants und Bars, und
zogen nervös an ihren Zigaretten wenn die Zahl der Hässlichen, denen Tische
gezeigt wurden, eine kritische Masse zu erreichen schien.
4. Du magst es, wenn dir
einer sagt wo’s langgeht. Du magst es, wenn dir einer deinen Stecker zeigt, in
dem du glimmst wie ein Nachtlicht. Du willst im Bilde sein, angeschnallt,
untergebuttert. Du magst dich
ausgebremst und schnapserfüllt. Willst ausgehöhlt sein, umgestoßen,
durchschaut.
„Vertrauen
ist gut, Kontrolle ist besser“
5. Wir hauten unsre Dollars
auf den Kopf und schmiedeten den Plan für eine überlappende Ökonomie: Sollen sich die Franzosen um
Parfums, die Holländer um Tulpen und die Italiener um schicke Lederschuhe
kümmern. Jeder wäre eine Ware eines Warenhauses in der großen Einkaufszone.
6. Sie schrieb, ich will
durchschaut werden. Er schrieb, du bist absichtlich undurchsichtig. Sie
schrieb, ich möchte, dass Leute sich bemühen mögen, bei meiner (eigentlich echt
nur oberflächlichen) Undurchsichtigkeit durchzublicken. Er antwortete nichts.
Sie wartete, doch er antwortete nichts.
7. Du gehst so gern von Raum
zu Raum, ertränkst dich in Dahlien. Du stehst gern in der Menge, brichst
zusammen, brichst zusammen bis dein ganzes Wesen schmilzt. Du bist gern unter
uns, obenauf, im Fluss. Doch es erregt dich, deinen Namen aus fremdem Mund zu
hören.
8. War es gut oder schlecht,
den Ausländer „französischer als einen Franzosen“ zu nennen? Sie mit ihren
großen Hüten und ihren bescheidenen Wurzeln war „spießiger als die Spießer“.
Und der Kosmopolit war kosmopolitischer als der Kosmos.
9. Wir kauften Kobaltblau in
China. Wir kauften Orange in Tanger. Du kauftest Türkis in der Türkei und ich
kaufte einen Affen in Afghanistan. Ich kaufte Indigo in Indien und du kauftest
ein Individuum in Indien. Aber nirgends gaben wir auch nur das Mindeste von uns
preis.
Der Publikumspreis:
Sven Scheer: nach Donna
Stonecipher (entschuldige)
Durchschuss 22 (Elfriede
Jelinek mit Lenin im Beiwagen)
1. In Gouda kauften wir
Gouda. In Roquefort kauften wir Roquefort. In Cheddar kauften wir Cheddar.
Dann, der Koffer miefend, ging’s heim nach Pilsen, wo wir Pilsener auf Pilsener
tranken, bis sich der Sternenhimmel vor unseren Augen drehte.
2. „Ich bin ein Spießer“,
sagte der Dichter. „Bild dir bloß nichts ein“, sagte seine Freundin. Eine
Polonaise der Masken zog vorüber. Die Lichter verloschen, und die Aura des
Dichters spießte ein unschuldiges kleines Mädchen auf. Unschuldig? Aus ihrer
Tasche tropfte Eiscreme.
3. Die Schönen sagten: O
Herr, lass strahlend Schöne neben mir sein. Überall, im Café, im Restaurant und
in der Bar. Nervös aßen sie ihre Zigaretten auf, als mehr und mehr Hässliche
neben ihnen Platz nahmen. Die Apokalypse nahte.
4. Du willst ständigen
Empfang. Du willst in die Steckdose gesteckt werden und wie ein Smartphone
leuchten. Du willst chatten, whats-appen, twittern. Du willst eins aufs Maul
und abgefüllt werden. Du willst, dass deine Festplatte ausgebaut, gelöscht,
re-booted wird.
„Vertrauen gut und schön,
Kontrolle besser und schöner.“
5. Wir packten die Euro auf
den Tresen und erklärten der Wirtschaft dahinter unseren Masterplan: Erst mal
ein Jever aus Jever, dann eine Berliner Bulette, zum Schluss einen kurzen
Klaren aus Nordhausen. Und das alles, ohne einen Fuß vor die Tür zu setzen.
6. Sie schrieb: Vertrau mir
nicht. Er schrieb: Das hatte ich auch nicht vor. Sie schrieb: Du spinnst wohl,
vertrau mir jetzt sofort. Er schrieb nicht mehr. Es klopfte, und sie erschrak,
als ein Lichtstrahl durch den Türspalt drang.
7. Noch bevor er dich
erreicht, ertrinkt er im Dahlienmeer deines Zimmers. Du stiefelst auf ihm
herum, bis er ein einziger Brei ist, Persönlichkeit und alles. Du hast die
volle Kontrolle und beseitigst alle Spuren, bis nichts mehr übrig ist als dein
Name auf seinem Mund.
8. War es gut oder schlecht,
als man von dem Fremden sagte, er sei angeschickerterer als die Schickeria? Und
sie aus der Bettenburg, sie mit den Zahnkronen, blauer als jedes Blaublut,
rief: Der Cosmopolitan hier ist der beste der Milchstraße!
9. Wir kauften eine blaue Briefmarke
in Mauritius. Wir kauften Indianer in Amerika. Du kauftest eine Wiener in
Frankfurt, und ich kaufte eine Frankfurter in Wien. Dazu Dijon du weißt schon
woher. Und trotz allem blieb es dabei: Mia san mia, alles andere ist Käse.
Die übrigen Übersetzungen in
der Reihenfolge des Einsendedatums:
Thies Thiessen: Einlegearbeit 22 (Elfriede
Jelinek, über Lenin)
1. In Köln kauften wir Echt Kölnisch. In Marokko
maroquinisch. In Kaschmir Kaschmir. Dann waren die Koffer voll und wir flogen
heim, nach New York City, Manhattan. Mann, hätten wir das bloß nicht bis in den
Abend getrunken, uns war übel.
2. „Ich bin ein Anarchist“
sagte der Dichter. “Du bist
verzogen” sagte seine Freundin. Hintereinanderweg paradierten Menschen in
Masken vorbei. Es wurde dunkel, und auf einmal erstrahlte der einzig echte
Anarchist in der Menge: ein kleines Mädchen mit einer Eiscremewaffel, die in
seiner Tasche schmolz.
3. Die Schönen wollten nur
dahin, wo auch andere Schöne waren, in Cafés und Restaurants und Bars, und sie zogen
nervöser an ihren Zigaretten, sobald die sichtbar Hässlichen bedrohlich mehr
wurden und die kritische Masse zu erreichen schienen.
4. Du magst, dass man Dir
sagt, was du tun sollst. Du möchtest gefasst sein, in deiner Fassung still
glimmen wie ein Nachtlicht. Du magst, wenn man dich hinweist, festmacht, beugt.
Du möchtest runtergehalten werden und saufgebaut. Leergelöffelt, überschüsselt,
durchgesichtet, das willst Du sein.
“Vertrauen ist gut. Kontrolle
ist besser.”
5. Wir gaben unsere Dollars
aus und brüteten einen Plan aus für eine allumfassende Wirtschaft: Lasst die
Franzosen sich ums Parfum kümmern,
die Holländer um die Tulpen und die Italiener um die Lederschuhe. Für
jeden eine Abteilung im Angebot des Großen Warenhauses.
6. Sie schrieb: „Ich möchte
durchsichtig werden“. Er schrieb: „Aber du bist nun einmal undurchschaubar“.
Sie schrieb: „Die Menschen sollen
sich bemühen, dass sie meine (wirklich oberflächige) Oberfläche durchschauen.
Er schrieb nichts. Sie wartete, aber er schrieb nichts.
7. Du möchtest von Raum zu
Raum gehen, dich in Dahlien versenken, ertränken. Du möchtest in der Menge
stehen und implodieren, implodieren, bis alles was du bist, dahinschmilzt. Du
möchtest drunter sein und drüber, schwimmen. Aber es erregt dich, deinen Namen
zu hören aus eines Unbekannten Mund.
8. War das gut oder schlecht,
als es hieß, der Fremde wäre „französischer als die Franzosen“? Die mit den
übergroßen Hüten und der niedrigen Herkunft „spießiger als jeder Spießer?“ Und der in aller Welt Gewandte
weltgewandter als die Welt?
9. In China kauften wir
Chinoiserien. Perser kauften wir
in Persien. Du kauftest Türkise in der Türkei, und ich einen Afghanen in
Afghanistan. Ich kaufte Indigo in Indien,
und du als Indienfahrer einen Indienfahrer. Aber nirgends haben wir
gaben wir von uns auch nur das kleinste bisschen preis.
Alexander Zuckschwerdt: Intarsie 22 (Lenin, über Elfriede
Jelinek)
1. In Köln haben wir
Kölnischwasser gekauft. In Marokko haben wir Maroquin gekauft. In Kaschmir
haben wir Kaschmir gekauft. Dann, mit vollbeladenen Koffern, sind wir nach New
York zurückgeflogen, wo wir bis unvernünftig spät Manhattan um Manhattan
tranken.
2. „Ich bin ein Anarchist“,
sagte der Dichter. „Du bist verzogen“, sagte seine Freundin. Eine Reihe
Menschen in Masken marschierte vorbei. Und dann wurden die Lampen gedimmt, und
das Rampenlicht fiel plötzlich auf den wahren Anarchisten in der Menge: ein
kleines Mädchen, in dessen Täschchen ein Waffeleis dahinschmolz.
3. Die Schönen wollten nur
dort hingehen, wo auch andere Schöne waren, in Cafés und Restaurants und Bars,
und zogen nervös an ihren Zigaretten, als die Zahl der Hässlichen, die man an
den umstehenden Tischen platzierte, eine kritische Höhe zu erreichen schien.
4. Du magst es, wenn man dir
sagt, was du zu tun hast. Du magst es, wenn man dich an deine Dose führt, wo du
dann glimmen kannst wie ein Nachtlicht. Du magst es, aufgeklärt, angebunden,
unterworfen zu werden. Du magst es, niedergehalten und abgefüllt zu werden. Du
magst es, ausgenommen, umgehauen, durchschaut zu werden.
„Vertrauen ist gut, Kontrolle
ist besser.“
5. Wir klaubten unser Geld
zusammen und heckten einen grandiosen Plan für die übergreifende Wirtschaft
aus: Lasst die Franzosen sich um die Duftwässer kümmern, die Holländer um die
Tulpen und die Italiener um die Lederschuhe. Jeder wäre eine Abteilung
innerhalb des großen Konsumtempels.
6. Sie schrieb: Ich will
durchschaut werden. Er schrieb: Aber du bist so verschlossen. Sie schrieb: Ich
will, dass die Menschen etwas dafür tun wollen, meine (wirklich nur
oberflächliche) Verschlossenheit zu durchschauen. Er schrieb nichts zurück. Sie
wartete, doch er schrieb nichts zurück.
7. Du magst es, von Raum zu
Raum zu gehen, in Dahlien zu versinken. Du magst es, in einer Menge zu stehen
und zu implodieren und zu implodieren, bis deine gesamte Individualität
zusammenschmilzt. Du magst es, untendrunter, obenauf, über Wasser zu sein. Aber
du liebst es, deinen Namen aus dem Munde eines Fremden zu hören.
8. War es gut oder schlecht,
wenn man von dem Ausländer sagte, er sei „französischer als ein Franzose“? Die
mit den großen Hüten und dem bescheidenen Hintergrund war „großbürgerlicher als
ein Großbürger“. Und der Kosmopolit war kosmopolitischer als der Kosmos selbst.
9. Wir haben Chili in Chile
gekauft. Wir haben einen USB-Stick in Usbekistan gekauft. Du hast Türkis in der
Türkei gekauft, und ich habe ein Mosaik in Mosambik gekauft. Ich habe Tsatsiki
in Tadschikistan gekauft, und du hast Maronen in Marokko gekauft. Aber nirgends
haben wir auch nur ein winziges Stück von uns gelassen.
Karen Braun: Intarsie
22 (Elfriede Jelinek, unter Zuhilfenahme von Lenin)
1. In Köln erwarben wir
Duftwasser. In Marokko genarbtes Leder. In Kaschmir die zarteste Wolle der
Ziegen. Mit berstenden Koffern flogen wir hinterher heim nach New York, tranken
dort massenweise Manhattans, unbesonnen, bis tief in die Nacht.
2. „Ich bin Anarchist“,
sprach der Dichter. „Du bist ein verzogener Fratz“, sagte seine Freundin. Dann
schritt bei gedämpfter Beleuchtung ein Aufzug von Masken vorbei; ein
Scheinwerfer holte aus der Menge die einzige echte Gesetzlose ans Licht: ein
kleines Mädchen, dem im Rucksack das Eis aus der Waffel schmolz.
3. Die strahlend Schönen
strebten stets nur an Orte, wo ihresgleichen sich aufhielt, in Cafés, Restaurants
und Bars. Voller Unmut zogen sie an ihren Zigaretten, sobald die Anzahl der
Hässlichen das ihnen genehme Maß zu übersteigen drohte.
4. Du liebst
Handlungsanweisungen. Du möchtest die Hand spüren, die den Stecker in die Dose
schiebt, die Tischlampe sein, das dann leuchtet. Du wirst gerne eingeführt,
vorgeführt, abgeführt. Niedergehalten, hochgeputscht. Erschöpft, überwältigt,
durchschaut.
„Vertrauen ist gut, Kontrolle
ist besser“
5. Beim Bezahlen schmiedeten
wir den ultimativen Plan für eine übergreifende Ökonomie: Sollen sich die
Franzosen um die Düfte kümmern, die Holländer um die Tulpen und die Italiener
um die ledernen Schuhe. Für jeden eine Abteilung im großen Kaufhaus des
Westens.
6. Sie schrieb: Ich möchte
durchschaut werden. Er schrieb: Du bist aber aus Milchglas, absichtlich. Sie
schrieb: Ich will, dass man sich Mühe gibt mit meiner Undurchsichtigkeit. Die
ist doch bloß im Vordergrund. Er antwortete nicht. Sie wartete, aber er schrieb
nicht zurück.
7. Gern gehst du von Zimmer
zu Zimmer, ertränkst dich in Dahlien. Stehst inmitten von Menschen, zerbirst
und zerspringst in dir, bis alles zerfließt, was dich ausmacht. Bist mit
Vorliebe drunter und drüber, im Oberwasser. Doch erregt dich der Klang deines
Namens im Mund eines Fremden.
8. War es gut oder schlecht,
als man den Ausländer einen „besseren Deutschen“ hieß? Die Dame mit Tellerhut,
niedriger Herkunft, war „edler als alle von Adel“. Und der Weltbürger in mehr
Welten daheim als das Weltall selbst.
9. Wir kauften Chinarinde in
China. Granatäpfel in Granada. Du Türkise in der Türkei, ich einen
Perserteppich in Persien. In Indien erstand ich die typische Tusche, du
besorgtest das Schiff für die Heimfahrt. An keinem Ort allerdings gaben wir
auch nur einen Hauch von uns selbst preis.
Marion Oechsler:
Zwischenspiel 22 (Lenin, entdeckt bei Elfriede Jelinek)
1. In Köln kauften wir
Kölnisch Wasser. In Marokko kauften wir Maroquin. In Kaschmir kauften wir
Kaschmir. Und als unsere Koffer schließlich vollgestopft waren, flogen wir
zurück nach New York City, wo wir einen Manhattan nach dem anderen tranken, bis
alles zu spät war.
2. „Ich bin Anarchist“, sagte
der Dichter. „Du bist verwöhnt“, sagte seine Freundin. Eine Parade von Menschen
in Masken zog vorüber. Dann wurden die Lichter gedimmt, und die eine wahre
Anarchistin stach plötzlich hell erleuchtet aus der Menge hervor: ein kleines
Mädchen mit einem Eis, das in ihrer Tüte vor sich hin schmolz.
3. Die schönen Menschen
wollten sich nur an Orten aufhalten, an denen auch andere schöne Menschen waren,
in Cafés, Restaurants und Bars. Nervös zogen sie an ihren Zigaretten, sobald
sich die Zahl der hässlichen Menschen, die an ihre Tische gewiesen wurden, zu
einem Mob auszuwachsen drohte.
4. Du hast es gern, wenn man
dir sagt, was du zu tun hast. Wenn man dir zeigt, wo du dich einstöpseln
kannst, um wie ein Nachtlämpchen in seiner Steckdose zu glühen. Du lässt dich
gern einweihen, aufbuckeln, unterbuttern. Du magst es, dich überrennen und
volllaufen zu lassen. Es gefällt dir, wenn du ausgekratzt, umgehauen,
durchschaut wirst.
„Vertrauen ist gut, Kontrolle
ist besser.“
5. Während wir unwillig
unsere Scheine rausrückten, brüteten wir einen Masterplan für die übergreifende
Wirtschaft aus: Sollten sich die Franzosen doch um die Parfums kümmern, die
Holländer um die Tulpen und die Italiener um die Lederschuhe. Sie würden dann
jeweils einen Verkaufsraum im Kaufhaus im Großen Einkaufszentrum bekommen.
6. Sie schrieb Ich will
durchschaut werden. Er schrieb Aber du bist doch absichtlich undurchsichtig.
Sie schrieb Ich will, dass die Leute sich anstrengen wollen, meine
(zugegebenermaßen ziemlich oberflächliche) Undurchsichtigkeit zu durchschauen.
Darauf schrieb er nichts zurück. Sie wartete, aber er schrieb nichts zurück.
7. Es gefällt dir, von einem
Zimmer ins nächste zu gehen und dabei in Dahlien zu ertrinken. Du magst es, in
einer Menschenmenge zu stehen und zu implodieren, immer weiter, bis der letzte
Funke deiner Individualität erlischt. Du bewegst dich gern unterhalb, obenauf,
mit dem Strom. Aber du bist hin und weg, wenn du deinen Namen aus dem Mund
eines Fremden hörst.
8. War es gut oder schlecht,
als sie von dem Ausländer meinten, er sei „französischer als die Franzosen“?
Sie mit den riesigen Hüten und ihrer niederen Herkunft war „bürgerlicher als
alles Bürgerliche“. Und der Kosmopolit war kosmopolitischer als der Kosmos
selbst.
9. Wir kauften Chinos in
China. Wir kauften Seetang in Tanger. Du kauftest Türkis in der Türkei, ich
kaufte einen Afghanen in Afghanistan. Ich kaufte Indigo in Indien, du kauftest einen
Indienfahrer in Indien. Aber nirgends haben wir auch nur einen winzigen
Bruchteil unserer selbst abgetreten.
Dusty-Anne Rhodes und Agnes
Bethke: Intarsie 22 (Elfriede
Jelinek nach Lenin)
1. In Panama kauften wir Panamas. In
Norwegen kauften wir Norweger. In Kaschmir kauften wir Kaschmir.
Mit vollgestopften Koffern
flogen wir dann nachhause, zurück nach New York City, wo wir Manhattan auf
Manhattan tranken bis unvernünftig spät in die Nacht.
2. „Ich bin Anarchist“, sagte der Dichter. „Du bist verwöhnt“,
sagte seine Freundin. Eine Reihe von Menschen in Masken zog vorbei. Und dann
wurden die Lichter gedimmt, und der eine wahre Anarchist wurde plötzlich in der
Menge angestrahlt: ein kleines Mädchen mit einem Sandwich-Eis, das in seiner
Tasche schmolz.
3. Die schönen Leute wollten
nur an Orte gehen, wo andere schöne Leute waren, in Cafés und Restaurants und
Bars, und sie zogen nervös an ihren Zigaretten, wenn die Anzahl hässlicher
Leute, die an Tische geführt wurden, eine kritische Masse zu erreichen schien.
4. Du magst, wenn man Dir
sagt, was Du tun sollst. Du magst, wenn man dich zu deiner Steckdose führt und darin zu
glimmen wie ein Schlummerlicht.
Du magst, ins Bild gesetzt, unterworfen zu werden. Du magst, festgehalten
und abgefüllt zu werden. Du magst, ausgehöhlt, umgehauen
und durchschaut zu werden.
„Vertrauen ist gut, Kontrolle
ist besser.“
5. Während wir unsere Dollars
hinblätterten, heckten wir
einen grandiosen Plan für die eng verzahnte Wirtschaft aus: Lass
die Franzosen sich ums Parfum kümmern, die Holländer um Tulpen, und die
Italiener um Lederschuhe. Jeder wäre eine eigene Abteilung im Kaufhaus in der großen Shopping Mall der Welt.
6. Sie schrieb, Ich will
durchschaut werden. Er schrieb, Aber du bist gewollt undurchsichtig.
Sie schrieb, Ich will, dass
Menschen sich richtig anstrengen wollen, durch meine (doch recht
oberflächliche) Undurchdringlichkeit hindurchzuschauen.
Er schrieb nichts zurück. Sie wartete, aber er schrieb nichts zurück.
7. Du magst es, von Raum zu
Raum zu gehen und in Edelpelargonien zu ertrinken. Du magst, in einer Menschenmenge zu stehen und zu implodieren und
zu implodieren, bis all Deine Einzigartigkeit schmilzt. Du magst es unten
drunter, obenauf, im Wasser treibend. Aber
es gibt Dir einen Kick, wenn du deinen Namen aus dem Mund eines Fremden hörst.
8. War es gut oder schlecht,
als vom Ausländer gesagt wurde, er sei „französischer als die Franzosen“? Sie
mit den großen Hüten und den bescheidenen
Anfängen war
„spießiger als die Spießbürger“. Und der Kosmopolit war kosmopolitischer als
der Kosmos selbst.
9. Wir kauften Chinin in
ChinaWir kauften Tabak in Tobago. Du kauftest
Türkise in der Türkei und ich kaufte einen Perser in Persien. Ich kaufte arabische
Gewürze und Du kauftest einen Araber. Aber nirgendwo gaben wir auch nur ein bisschen
von uns selbst preis.
Michael
Karjalainen-Dräger: Inlay
twenty-two (Elfriede Jelinek via Lenin)
1. In Köln kauften wir
Kölnischwasser. In Kaschmir kauften wir Kaschmir. Dann flogen wir mit
vollgestopften Koffern heim nach New York City, wo wir einen Manhattan nach dem
anderen soffen bis idiotisch lang in die Nacht hinein.
2. „Ich bin ein Anarchist“, sagte
der Dichter. „Du bist verdorben“, sagte seine Freundin. Eine Reihe maskierten
Volks marschierte vorbei. Und dann wurden die Lichter gedimmt, und die
Scheinwerfer fielen auf den einzig wahren Anarchisten im Gedränge: ein kleines
Mädchen mit einem Eiscreme-Sandwich, das in ihrer Tasche schmolz.
3. Die Schönen wollten
ausschließlich an Orten sein, wo andere Schöne waren, in Cafés und Restaurants
und Bars; sie pafften nervös ihre Zigaretten während die Zahl der Hässlichen,
die an die Tische geführt wurden, die kritische Masse zu erreichen schien.
4. Du liebst es, wenn man dir
sagt, wo’s langgeht. Du liebst es, wenn man deinen Zündschlüssel dreht und dich
zum Vorglühen bringt. Du liebst es, wenn man dir Anweisungen gibt, wenn du
festgeschnallt wirst und kuschen musst. Du liebst es, wenn man dich klein hält
und dir einschenkt. Du liebst es, wenn man dich schlaucht, wenn du sprachlos
bist und wenn du durchschaut wirst.
„Vertrauen ist gut, Kontrolle
ist besser.“
5. Während wir unser Geld beim Fenster hinaus warfen,
brüteten wir einen großartigen
Plan für die überbordende Wirtschaft aus: die Franzosen sollen sich um die
Parfums kümmern; die Niederländer um die Tulpen; und die Italiener um die
Lederschuhe. Für jeden ein Laden an der Great Mall.
6. Sie schrieb, sie wolle
durchschaut werden. Er schrieb, sie würde sich mit voller Absicht
undurchschaubar geben. Sie schrieb, sie wolle, dass sich Menschen anstrengten,
um ihre (wirklich total oberflächliche) Undurchschaubarkeit zu durchschauen. Er
schrieb nicht zurück. Sie wartete, er aber schrieb nicht zurück.
7. Du liebst es, wenn du von
Raum zu Raum gehst, dich im Duft von Dahlien ertränkst. Du liebst es, wenn
du in der Menge stehst und
implodierst und implodierst bis deine ganze Individualität ausgelöscht ist. Du
liebst es, wenn du unten-drunter, über-drüber, obenauf bist. Aber es erregt
dich, wenn ein Unbekannter auf seinen Lippen deinen Namen trägt.
8. Ist es gut oder schlecht,
wenn von Fremden gesagt wird, dass sie „französischer als die Franzosen“ wären?
Sie war, mit ihren gigantischen Hüten und ihrer niedrigen Abstammung
„bürgerlicher als die Bürger“. Und der Weltbürger war weltbürgerlicher als die
Welt selbst.
9. Wir kauften
China-Porzellan in China. Wir kauften Tangerinen in Tanger. Du kauftest Türkis
in der Türkei und ich kaufte eine Afghan-Decke in Afghanistan. Ich kaufte
indische Tinte in Indien, und du kauftest dort einen Indienfahrer. Aber
nirgendwo gaben wir auch nur ein kleines bisschen von uns selbst preis.
Jan Imgrund: Intarsie 22 (Elfriede Jelinek,
ursprünglich Lenin)
1. In Köln kauften wir
Kölnisch Wasser. In Shiraz kauften wir Shiraz. In Kaschmir kauften wir
Kaschmir. Dann flogen wir mit Übergepäck heim nach New York City, und dort
tranken wir einen Manhattan nach dem anderen, bis tief in die Nacht.
2. „Ich bin Anarchist“, sagte
der Dichter. „Du bist verwöhnt“, sagte seine Freundin. Maskierte Menschen zogen
vorbei. Dann dimmte das Licht herunter, und plötzlich richtete sich ein
Scheinwerfer auf den einzigen echten Anarchisten in der Menge: es war ein
kleines Mädchen, und in ihrer Tasche schmolz ein Eiskonfekt.
3. Die Beautiful People
wollten nur in Locations gehen, wo andere Beautiful People waren, Cafés und
Restaurants und Bars, und zogen nervös an ihren Zigaretten, wenn der Anteil
Ugly People, die man zu ihren Tischen geleitete, eine kritische Masse zu
erreichen schien.
4. Dir gefällt, wenn man dir
sagt, was du tun sollst. Du gefällt es, wenn man dich zu deinem Stecker führt, dass du in ihm glühen
kannst wie ein Lämpchen. Dir gefällt es, betippt, angeschnallt, unterjocht zu
sein. Dir gefällt es, niedergedrückt und eingeflößt zu sein. Dir gefällt es,
abgeschöpft, überwältigt, durchschaut zu sein.
„Vertrauen ist gut, aber
Kontrolle ist besser.“
5. Unsere Dollars
rüberschiebend heckten wir einen Plan für die übergreifende Wirtschaft aus: Die
Franzosen kümmern sich um Parfum, die Holländer um die Tulpen, und die
Italiener um die Lederschuhe.
Jeder hätte seinen Platz in einer Abteilung im Großen Kaufhaus.
6. Sie schrieb: Ich will
durchschaut werden. Er schrieb: aber du bist mit Absicht opak. Sie schrieb: ich
möchte, dass die Leute durch meine (eigentlich recht oberflächliche)
Undurchsichtigkeit hindurchsehen. Er schrieb nichts zurück. Sie wartete, aber
er schrieb nichts zurück.
7. Dir gefällt es, Zimmer
über Zimmer zu durchschreiten, in Dahlien ertrinkend. Dir gefällt es, in einer Menschenmenge zu stehen und zu
implodieren und zu implodieren, bis all deine Individualität schmilzt. Dir
gefällt es, zuunterst zu sein, zuoberst, zu schwimmen. Aber du bist aufgeregt,
wenn ein Fremder deinen Namen in den Mund nimmt.
8. War es gut oder schlecht
wenn es hieß, der Ausländer sei „französischer als die Franzosen“? Die Dame aus
bescheidenen Verhältnissen, mit den riesigen Hüten, war „bürgerlicher als die
Bourgeoisie“. Und der Kosmopolit war kosmopolitischer als der gesamte Kosmos.
9. Wir kauften Hamburger in
Hamburg. Wir kauften Mandarinen in der Mandschurei. Du kauftest Türkise in der
Türkei, und ich kaufte einen Afghanen in Afghanistan. Ich kaufte ein
Englischhorn in England, und du kauftest einen Engländerschlüssel in England.
Aber wir gaben nirgends auch nur das kleinste Stück von uns preis.
Martina Tichy: Donna Stonecipher // Inlay 22 (Elfriede
Jelinek, by way of Lenin)
1. In Köln kauften wir
Kölnisch Wasser. In Muskat kauften wir Muskat. In Kaschmir kauften wir
Kaschmir. Mit randvollen Koffern flogen wir zurück nach New York, wo wir bis
unklug spät in die Nacht Manhattan um Manhattan tranken.
2. „Ich bin ein Anarchist“,
sagte der Dichter. „Du bist verhätschelt“, sagte seine Freundin. Maskierte
zogen im Gänsemarsch vorbei. Dann erloschen die Lichter, und ein Spot zeigte
auf die einzig wahre Anarchistin in der Menge: ein kleines Mädchen mit einem
dahinschmelzenden Eiscremesandwich in der Tasche.
3. Die Schönen wollten immer
nur dorthin, wo noch andere Schöne waren, in Cafés, Restaurants und Bars, und
pafften nervös an ihren Zigaretten, wenn die Anzahl der Hässlichen, denen
Plätze angewiesen wurden, eine kritische Masse zu erreichen schien.
4. Du lässt dir gern sagen,
was du tun sollst. Du lässt dir gern deine Steckdose zuweisen und erglühst
darin wie ein Nachtlicht. Du lässt dich gern einweisen, anbinden, unterbuttern.
Du lässt dich gern niederhalten und abfüllen. Du lässt dich gern ausschaufeln,
umkegeln, durchschauen.
„Vertrauen ist gut, Kontrolle
ist besser.“
5. Wir brachten unsere
Dollars unters Volk und brüteten einen grandiosen Plan für die überlappende
Wirtschaft aus: Die Franzosen kümmern sich um die Parfüms, die Holländer um die
Tulpen und die Italiener um die Lederschuhe. Ein jedes hätte eine Abteilung im
Kaufhaus im Großen Einkaufszentrum.
6. Sie schrieb: Ich will
durchschaut werden. Er schrieb: Aber du bist doch mit Absicht undurchsichtig.
Sie schrieb: Ich will, dass die Leute hart daran arbeiten wollen, meine (nun
wirklich reichlich oberflächliche) Undurchsichtigkeit zu durchschauen. Er
schrieb nichts zurück. Sie wartete, aber er schrieb nichts zurück.
7. Du gehst gern von Raum zu
Raum und ertränkst dich in Dahlien. Du stehst gern in einer Menschenmenge und
zerspringst innerlich, bis sich alles auflöst, was dich ausmacht. Du bist gern
drunter, drüber, in der Schwebe. Aber du findest es aufregend, wenn ein Fremder
dich beim Namen nennt.
8. War es gut oder schlecht,
dass es von dem Ausländer hieß, er sei „französischer als die Franzosen“? Die
mit den riesigen Hüten und der niederen Herkunft war „gutbürgerlicher als die
Gutbürgerlichen.“ Und der Kosmopolit war kosmopolitischer als der Kosmos
selbst.
9. Wir kauften Persianer in
Persien. Wir kauften Jersey auf Jersey. Du kauftest Türkise in der Türkei, und
ich kaufte Sardinen auf Sardinien. Ich kaufte Indigo in Indien, und du kauftest
einen Indienfahrer in Indien. Doch nirgendwo gaben wir auch nur das kleinste
bisschen von uns preis.
Jenny Merling: Inlay 22 (Elfriede Jelinek,
by way of Lenin)
1. In Köln haben wir uns
Kölnisch Wasser gekauft. In Marokko Marokkoleder. In Kaschmir Kaschmirwolle.
Dann sind wir mit unseren vollen Koffern zurück nach New York geflogen, haben
dort einen Manhattan nach dem anderen getrunken und sind unvernünftig lange
aufgeblieben.
2. „Ich bin Anarchist“, sagte
der Künstler. „Du bist bloß verwöhnt“, meinte seine Freundin. Menschen mit
Masken zogen in einer langen Prozession vorbei. Dann wurde es schummerig im
Raum. Und plötzlich leuchtete die einzig wahre Anarchistin inmitten der Menge
auf wie von einem Scheinwerfer angestrahlt: ein kleines Mädchen mit einem
geschmolzenen Eis am Stiel in der Tasche.
3. Wunderschöne Menschen
wollen nur in Cafés und Restaurants und Kneipen sitzen, wo auch alle anderen
Menschen wunderschön sind. Fast panisch ziehen sie an ihren Zigaretten, sobald
für ihren Geschmack zu viele hässliche Leute an ihnen vorbei zu ihren Tischen
geführt werden.
4. Du willst, dass man dir
vorschreibt, was du tun sollst. Du willst eine Steckdose zugewiesen bekommen,
in die du dich einstöpseln und dann leuchten kannst wie ein Nachtlicht. Du
willst wissen, was von dir erwartet wird, willst, dass man dich festschnallt,
dich an der kurzen Leine hält. Du willst, dass man dich gegen deinen Willen
betrunken macht. Du willst, dass man dich aushöhlt, dich durcheinander kegelt,
dich durchschaut.
„Vertrauen ist gut, Kontrolle
ist besser.”
5. Während wir noch
widerwillig für die Fehler der anderen zahlten, hatten wir bereits große Pläne,
wie die Wirtschaft zu retten sei: Die Franzosen kennen sich mit Parfum aus, die
Holländer haben ihre Tulpen, die Italiener ihre Designerschuhe – also bekommt
jede Nation einen eigenen Laden in unserem neuen Einkaufszentrum, das so groß
sein wird, dass man es vom Mond aus sehen kann.
6. Sie schrieb: Ich will,
dass man mich durchschaut. Er schrieb zurück: Wieso machst du dann immer einen
auf undurchschaubar? Sie schrieb: Ich will, dass sich jemand die Mühe macht,
meine Undurchschaubarkeit (die ziemlich oberflächlich ist, wenn wir mal ehrlich
sind) zu durchschauen. Er schrieb darauf nichts zurück. Sie wartete, aber er
schrieb nichts mehr.
7. Du wanderst gern durch die
Zimmer und ertrinkst dabei in Dahlien. Du stehst gern in der Menge und
zerbrichst, zerbrichst in immer kleinere Teile, bis alles, was dich ausmacht,
fort ist. Du gehst den Sachen gern auf den Grund, bist gern oben auf, lässt
dich auch gern treiben. Und trotzdem hast du immer noch dieses Kribbeln im
Bauch, wenn jemand Fremdes deinen Namen sagt.
8. War das ein Kompliment
oder eher ein Vorwurf, als jemand über den Ausländer meinte, er sei
„französischer als ein Franzose“? Die Dame aus einfachen Verhältnissen, die mit
den großen Hüten, sei „bourgeoiser als bourgeois“? Und der Kosmopolit
kosmopolitischer als der Kosmos selbst?
9. Aus China haben wir uns
chinesisches Porzellan mitgebracht. Aus der Champagne Champagner. In der Türkei
hast du dir türkischen Honig gekauft und ich mir in Afghanistan Schwarzen
Afghanen. Aus Indien habe ich Indisch-Blau mit nach Hause gebracht, und du dir
einen Ostindienfahrer. Aber im Gegenzug auch von uns selbst etwas dagelassen
haben wir nirgendwo.