Dieser Tage habe ich Das Wagnis, die Welt in Worte zu fassen
zu Ende gelesen, das Skript einer dreiteiligen Vortragsserie der Schriftstellerin
Eudora Welty an der Harvard University. Der englische Titel One Writer’s
Beginnings drückt besser aus, worum es geht: um ihre kurzweilige
Kindheitsgeschichte, die Herkunft der Eltern und ihre Reifung zur
Schriftstellerin. Eudora Welty (1909-2001) ist vor allem für ihre
Kurzgeschichten und den Pulitzer Prize-prämierten Kurzroman The Optimist’s
Daughter bekannt, war allerdings auch eine begabte Photographin (das Ogden Museum of Southern Art in New Orleans hatte letztes Jahr eine Ausstellung mit
Podiumsdiskussion dazu).
Den größten Teil ihres Lebens verbrachte sie in ihrem
Elternhaus in Jackson, Mississippi, der Hauptstadt des Bundesstaats, die ich
als selten hässliche Stadt in Erinnerung habe. Diesen Essay über ihren
schriftstellerischen Ursprung endet sie mit den Worten: „Wie sie gesehen haben,
bin ich eine Schriftstellerin, die einem behüteten Leben entstammt. Auch ein
behütetes Leben kann abenteuerlich sein. Denn jedes echte Wagnis geht von innen
aus.“ (In der leichtfüßigen Übersetzung von Karen Nölle in der Edition Fünf von
2011.) Der letzte Satz ist zum geflügelten Wort geworden, und im Original
klingt er noch etwas wagehalsiger: „All serious daring starts from within“.
The Optimist’s Daughter spielt zum Teil in einem Krankenhaus
in New Orleans, und auch die Kurzgeschichte „No place for you, my love“ von
1952, über die sie berichtet, spielt in der Stadt. Sie zitiert auch eine Passage aus The Optimist’s
Daughter, in der die Hauptfigur von einer Zugfahrt von Chicago nach Mississippi
träumt und schreibt über eigene Zugfahrten, die sie von Jackson nach New York unternahm, um ihre Kurzgeschichten dort vorzustellen. Von
Meridian, Mississippi, fuhr ein Zug für 17,50 Dollar von New Orleans kommend
nach New York, zwei Nächte und drei Tage.
Dieser Zug fährt auch
heute noch täglich, the Crescent, der 30 Stunden unterwegs ist. Ich bin damit schon mal nach Tuscaloosa, Alabama, gefahren, was wegen Überschwemmungen 8 oder 10 statt 6 Stunden dauerte. Es gibt auch noch den Sunset Limited von New Orleans nach Los Angeles über Texas, New Mexico und Arizona, der dreimal die Woche verkehrt und 48 Stunden unterwegs ist. Der berühmteste aber ist der City of New Orleans nach
Chicago über Memphis, Tennessee. Er fährt täglich, die Fahrt dauert 19 Stunden, und es gibt mehrere Lieder gleichen Titels, eins davon in der Interpretation
von Arlo Guthrie.
Die Eisenbahn, Amtrak, ist im Autofahrerland USA nicht
besonders ausgebaut, sondern verkehrt nur auf großen, wichtigen
Überlandstrecken oder auch als commuter trains, Pendlerzüge, in den
Ballungsgebieten an der Ost- und Westküste. Dabei ist Eisenbahnfahren in den
USA ein echtes Erlebnis: diese hohen, wuchtigen, schweren Wagen, in die man über ein
Treppchen steigt, das einem der Schaffner bereitstellt, die Geräumigkeit und
Stille und Kühle in den Waggons, und natürlich die wilden amerikanischen
Landschaften, die man am besten aus dem Panoramawaggon gemächlich vorbeiziehen
sieht, nix da mit unangenehmen ICE- oder gar TGV-Geschwindigkeiten.
Gerade heute habe ich gelesen, dass Amtrak bald „writer’s
residencies“ an Bord einiger Züge anbieten wird, wo Schriftsteller umsonst über
Land fahren dürfen und schreiben. (Hier.) Ich finde das eine tolle Idee. Und irgendwie
denke ich mir, Eudora Welty hätte das auch gut gefunden.