Es war einmal ein junger weißer Englischprofessor aus
Nebraska namens Robert Hemenway, der las so gegen Ende der sechziger Jahre Their
Eyes Were Watching God und war hingerissen.
Also wollte er mehr über die afroamerikanische Autorin Zora Neale Hurston
(1891-1960) in Erfahrung bringen. Doch er merkte schnell, dass sie nicht nur
nahezu vergessen war, sondern dass auch viele widersprüchliche Informationen
über ihr Leben kursierten. So packte er seine Sachen, kaufte sich einen Pickup-Camper
(einen Pickup-Truck mit Schlafaufsatz) und reiste kreuz und quer durch die
östliche Hälfte der USA auf den Spuren seiner Autorin. 1977 erschien dann seine
wegweisende Biografie über sie, die eine ganze Welle der Wiederentdeckung auslöste.
(Mich erinnert diese Geschichte ein klein wenig an den
großartigen Film Sugarman, den ich vor
ein paar Wochen gesehen habe, nur dass es dort um einen mexikanischstämmigen
Musiker aus Detroit ging, der sogar noch lebte, und durch seine
Wiederentdeckung und dann noch mal durch den Film einen späten Ruhm und
Anerkennung erleben durfte. Zora Neale Hurston war eine schwarze Frau, noch
dazu aus dem Süden, interessierte sich für die einfachen Menschen und ihre
Sprache und Bräuche. Sie starb verarmt und unbekannt.)
Zunächst einmal begannen die African American Studies-Leute,
sich für sie zu interessieren, allen voran die noch heute sehr aktive Koryphäe, der Harvardprofessor Henry Louis Gates. Dann machte sich die Schriftstellerin
Alice Walker auf die Suche, die sich aus womanistischer Sicht für sie
interessierte. In ihrem Essayband In Search of Our Mother’s Gardens von 1973 berichtet Walker über ihre fast erfolglose
Suche nach dem verwilderten Grab von Zora Neale Hurston in Florida. (Darin erwähnt
sie auch, wie sie bei ihrem Anflug auf Orlando vom Fenster aus Sanford,
Florida sah. Das ist der Ort, in dem vor einem Jahr der Jugendliche Trayvon Martin
erschossen wurde und wo jetzt der viel beachtete und kontroverse Prozess gegen
George Zimmerman läuft, der seinen Tod auf dem Gewissen hat.) Dieser Essay ist
übrigens in der deutschen Ausgabe Auf der Suche nach den Gärten
unserer Mütter (Übersetzt von Gertraude
Krueger, Frauenbuchverlag 1987) nicht enthalten, dafür in einen zweitem Band, Die Erfahrung des Südens. Good Morning Revolution (Übersetzt von Thomas Lindquist und Helga Pfetsch, Frauenbuchverlag 1988 bzw. Goldmann), in dem es zwei Essays zu der Autorin gibt. Es sind "Zora Neale Hurston: Eine Geschichte mit Moral und eine parteiische Ansicht" und "Auf der Suche nach Zora".
Seitdem also steht Zora Neale Hurston bei den African
American Studies, bei den Frauen und bei den American Literature-Leuten auf der
Leseliste. Zu Recht. Doch in den offiziellen Kanon der amerikanischen Literatur
hat sie es noch nicht geschafft, so scheint es mir: zu schwarz, zu eigenwillig,
zu südlich.
Zora Neale Hurston war ja nicht nur Autorin der Harlem
Renaissance und Schriftstellerin, sondern auch Ethnologin, und so reiste sie
durch die Gegend und sammelte Geschichten und Sprache „ihrer“ Leute. Sie tat
das mit einer Selbstverständlichkeit, wie sie auch heute noch nicht unbedingt
selbstverständlich ist. Möglicherweise hat das damit zu tun, dass sie in
Eatonville, Florida, aufwuchs, einer der wenigen ausdrücklich
afroamerikanischen Gründungen, wo ihr Vater lange Zeit Bürgermeister war und wo man
sich lange Zeit nur unter Schwarzen bewegte und mit Weißen gar nicht groß
abgeben musste. Heute gibt es in Eatonville ein Zora Neale Hurston National
Museum of Fine Arts.
Hurston studierte an der renommierten schwarzen Howard
University in Washington, D.C., dann bei Columbia in New York. Sie lebte in New
York, forschte zum Hoodoo in New Orleans, reiste durch die Karibik und
veröffentlichte Kurzgeschichten, Romane und ethnologische Studien und
Sammlungen. In Their Eyes Were Watching God
(1937) lässt sie ihre afroamerikanischen Figuren in der örtlichen Mundart
sprechen. Ihre (männlichen) Kollegen nahmen ihr das übel, hielten es vermutlich
für eine Art Verrat an den Schwarzen, allen voran Richard Wright, Autor des
Protestromans Native Son (1941),
der darin Rassismus, Unterdrückung und Lynchjustiz thematisiert und wo die
Gewalt und Stigmatisierung, wie auch in If He Hollers Let Him Go (1946) von Chester Himes, stark sexualisiert ist.
Richard Wright also warf dem Roman vor, die Schwarzen wie in einer Minstrel
Show lächerlich zu machen. Ein vernichtendes Urteil.
Doch in Their Eyes Were Watching God geht es nicht so sehr um Rassismus, denn Weiße
tauchen gar nicht auf, höchstens ein wenig darum, dass unter den
Afroamerikanern die Hellhäutigen oft als schöner gelten und andererseits auch dafür
verspottet werden. Und es geht auch nicht um Sex, sondern um Liebe. Es geht um
die Hauptfigur Janie, die sich nach einer akzeptierenden, ebenbürtigen Liebe
sehnt und sie, ohne selbst aktiv zu werden, nach allerlei Hindernissen auch
findet, in dem um einiges jüngeren Tea Cake. Mit ihm kann sie das Leben in
vollen Zügen genießen, lernt über Eifersucht und Treue, über Sein und
Seinlassen. Zerstört wird diese Liebe durch einen verheerenden Hurrikan, den
sie am Okeechobee-See in Florida erleben, wo Tea Cake sie in den Fluten vor
einem tollwütigen Hund rettet und selbst von ihm gebissen wird. Um ihr Leben zu
retten, muss Janie ihre große Liebe erschießen. (Die Darstellung von Hurrikanen in der Literatur ist auch noch mal ein Kapitel für sich, siehe Jesmyn Wards Salvage the Bones.)
In der Rahmenhandlung kehrt Janie danach in ihren Heimatort
Eatonville zurück, wo die Nachbarn reden und sich das Maul zerreißen. Denn
einfach eine schwarze Frau zu sein, die wirkliche Liebe sucht und lebt, die
sich mit nicht weniger zufrieden geben will und die sich so anzieht, wie sie
möchte, das passt bis heute nicht so recht in das allgemein vorgesehene
Rollenmuster für schwarze Frauen. Und so ist Zora Neale Hurstons Liebesroman auch schon revolutionär.
Dialekt, Umgangssprache, Mundart in der Literatur ist immer
ungewöhnlich und problematisch. Aber im Deutschen noch viel mehr, wo solche Sprache
nach wie vor stark regional markiert ist und deshalb leicht lächerlich oder
ironisch oder verniedlichend klingen kann. Was macht man also damit in der
Übersetzung? Eines der ersten Beispiele, an das ich mich erinnern konnte, war Simple Speaks His Mind von
Hurstons Harlem-Renaissance-Kollegen Langston Hughes aus den vierziger Jahren.
Darin ist die Gossensprache auch wieder Stilmittel, denn sie charakterisiert
einerseits die Hauptfigur als einfach gestrickt, aber doch mit Weisheit und
Kritikvermögen gerüstet, so dass er soziale Missstände scheinbar unbedarft
karikiert und in Frage stellt. 1960 erschien das Buch zum ersten Mal in der
deutschen Übersetzung von Günther Klotz als Simpel spricht sich aus im Aufbauverlag in der DDR. Günther Klotz ist mir
sonst weiter kein Begriff, aber in seinem Nachwort thematisiert er auch die
Übersetzung: „Mehr als bei anderen Büchern muß die Übersetzung Ersatz sein,
denn sie kann mit der leichten Verschleifung der Hochsprache die eigentümliche
Qualität des Originals nur andeuten.“ Das klingt bescheiden, aber in meiner
Erinnerung tat er das ganz geschickt und lesbar; die Neuübersetzung von Evelyn Steinthaler
im Milena-Verlag scheint neutraler zu sein.
Their Eyes Were Watching God wurde zunächst 1993 von Barbara Henninges für den Ammann-Verlag
übersetzt, als Und ihre Augen schauten Gott. Wie alle Erstübersetzungen ist auch diese
verdienstvoll, denn sie erschließt diesen schwierigen und eigentümlichen Text
furchtlos und korrekt fürs Deutsche, ergänzt ihn durch ein informatives Glossar.
Immer wieder bewundere ich wie Übersetzer das früher ohne Internet gemacht
haben (besonders auch in der DDR ohne Reisemöglichkeiten), denn so gebildet,
belesen und weit gereist man auch sein mag, jeder Text stellt einen doch immer wieder vor neue Schwierigkeiten. Die Mundart bringt die Übersetzerin als Dialekt in unsere
Sprache, für mich liest sie sich nach Ruhrpott, andere sehen sie als
rheinischen Kunstdialekt. Es mag dafür Rechtfertigungen geben -- auch eine
Redeweise armer Leute, regional geprägt usw. -- doch irgendwie macht man so etwas
heute nicht mehr und für mich funktioniert es einfach nicht.
Für die Edition Fünf, die persönliche Lieblingsbücher von
Frauen nicht nur für Frauen verlegt, hat sich ein Mann der Neuübersetzung
angenommen, Hans-Ulrich Möhring, und noch dazu bekennt er, dass dieses Buch, Vor ihren Augen sahen sie Gott, ein
Traumprojekt war und damit eines seiner am Horizont fahrenden Schiffe in den
Hafen eingelaufen ist. Beides ist ungewöhnlich. Auch er berichtet in einem
Nachwort über das Buch und die Autorin und über sein Verfahren. Die Verlegerin
Silke Weniger hat mir das so zusammengefasst (und mich damit neugierig
gemacht): Er übersetzt, indem er einzelne Sätze im Original stehen lässt. Er selbst beschreibt den Blues als sein leitendes Prinzip. Das liest sich dann
zum Beispiel so: „Ah was skeered. Ich hatte Schiss.“ (Bei Barbara Henninges
steht: Ich hatte Anx.) oder „Dann musst du ihnen sagen, dass die Liebe nicht so
was ist wie ein Schleifstein, der überall gleich ist und mit allem das Gleiche
macht, wo er mit in Berührung kommt. Love is lak de sea. Wie das Meer ist die
Liebe, immer in Bewegung, aber seine Form kriegt es erst von der Küste, an die
es trifft, und die ist von Küste zu Küste anders.“ Für mich entsteht durch diese Doppelung eine interessante
Intensität. Es ist, als ob sich die Figuren selbst dolmetschen, selbst erklären
und noch kompetenter über sich selbst sprechen.
Überhaupt die Liebe. In meiner
kleinen Bücher-Kolumne habe ich sie als grundlegende Übersetzungsmethode für
diesen Text ausgemacht, denn das Deutsche stattet die Figuren mit einem
besonderen, warmen Witz aus, zeichnet sie mit viel Liebe. Auch in Möhrings eigenem Roman,
Vom Schweigen meines Übersetzers (Fahrenheit-Verlag 2008), geht es nicht nur um einen amerikanischen
Schriftsteller, der in Deutschland seinem Übersetzer und seiner eigenen
Familiengeschichte begegnet, sondern auch um das Übersetzen und Schreiben und die Liebe: „Liebe“, sagt er. „Wirst du deswegen Übersetzer? Vielleicht.
Du hast eine Zeitlang im Ausland gelebt, die Lebensweise gefällt dir, die
andere Art der Menschen, die Landschaft, das Klima, die Sitten und Gebräuche –
die Sprache. Oder du liebst die Literatur eines Landes, einer Epoche, eines
Milieus, wünschst dir einen weiteren Horizont – oder wenigstens eine andere
Enge als die gewohnte. Wie kannst du, in der Form eines Berufs, deiner Liebe
nahe blieben? Andere mag motivieren was will, aber du, Liebestäterin die du
bist, kannst du die Liebe bewahren? Wenn du merkst, dass du mit deiner Arbeit
keine Karriere machen kannst, kaum die Butter aufs Brot verdienst. Du sagst dir
die Wichtigkeit deiner Arbeit vor: du bist Kulturvermittler, Völkerverbinder,
was weiß ich. Du engagierst dich in deinem Berufsverband. Vielleicht gewinnst
du ein bescheidenes Ansehen. Vielleicht nicht. Aber du musst den Alltag
ertragen. Alle müssen das.“
Das klingt ziemlich ernüchternd, aber das Traumprojekt kam
erst nach diesem Roman. In der Zeitschrift Übersetzen 01/13 haben übrigens
Lektorin Karen Nölle und der Übersetzer über ihre enge Zusammenarbeit
berichtet. Und für mich ist es auch diese besondere Konstellation, die Liebe
zwischen Lektorat und Übersetzung, die Vor ihren Augen sahen sie Gott auch auf Deutsch so liebens- äh
lesenwert macht.
Übrigens: Der Traum ist die Wahrheit, eine lange Nacht über Zora Neale Hurston von Daniela Kletzke und Hans-Ulrich Möhring demnächst im Radio, Deutschlandradio Kultur am 20.7.2013 von 0:05 Uhr bis 3:00 Uhr und Deutschlandfunk am 20.7. um 23:05 Uhr bis 21.7.2013 um 2:00 Uhr.